Sienkiewicz | Zersplittert | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 147 Seiten

Reihe: Classics To Go

Sienkiewicz Zersplittert


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98744-558-3
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 147 Seiten

Reihe: Classics To Go

ISBN: 978-3-98744-558-3
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Auszug: Gustav machte sich ohne Aufhör in der Stube zu schaffen, dabei schnaufend und hastend. Seinen gekrümmten Rücken, sein eingefallenes Gesicht und seine langen Haare betrachtend, konnte man ihn eher für einen vom lustigen Leben als von der Arbeit abstrapazierten Menschen nehmen. Aber die Bücherstöße und die vielen beschriebenen Papierhefte wie die Ärmlichkeit der Stubeneinrichtung bezeugten nur zu sehr, dass Gustav zu jener Gattung von Nachtvögeln gehörte, die über die Bücher gebeugt dahinwelken und mit dem Gedanken an einen akzentuierten oder nicht akzentuierten Buchstaben sterben. Schwarz atmete aber dagegen mit voller Brust die Atmosphäre des Stübchens ein; es war für ihn eine neue und zugleich isolierte Welt.

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1.
– Da ist nun Kiew! So rief ein junger Mann, Joseph Schwarz mit Namen, als er in die altertümliche Stadt einfahrend, von den Formalitäten am Stadtthor erweckt, sich unverhofft inmitten der Straßen und der städtischen Baulichkeiten erblickt. Das Herz zuckte ihm freudig: – er war jung, lebenslustig, sog also so viel er vermochte die frische Luft in die breiten Lungenflügel und wiederholte mit heiterm Lächeln: – Da ist nun Kiew! Die Judenbudka rollte langsam dahin, an jeden hervorragenden Stein anstoßend. Es langweilte Schwarz, länger unter dem Leinwanddache zu hocken. Er befahl also dem Juden nach dem nächstliegenden Gasthofe zu fahren Und ging selbst neben dem Wagen zu Fuß – Eine Menge Leute strömten, wie das gewöhnlich in der Stadt der Fall ist, nach allen Richtungen dahin, die Läden glänzten mit ihren Ausstellungen, Wagen aller Art rollten einander ausweichend die Straßen entlang, Kaufleute, Generäle, Soldaten, Bettler, Mönche glitten rasch vor den Augen des Ankömmlings dahin. Es war ein Markttag, die Stadt hatte also das derartigen Sammelplätzen eigentümliche Aussehen angenommen. Da war nichts umsonst: keine Bewegung, kein Wort ward hier verschwendet. Der Kaufmann jagte seinem Geschäft, der Beamte seinen Funktionen, der Bösewicht dem Betruge nach, alles hatte ein ausgesprochenes Ziel vor Augen, jeder stieß gleichsam das Leben vor sich hin, an morgen denkend, nach etwas strebend ... und über all dieses Stoßen und Treiben, Sausen und Brausen erhob sich eine brennende Atmosphäre, und die Sonne spiegelte sich eben in den blendenden Scheiben der Paläste wie in dem ersten besten Fensterchen. – Das ist ja ein wahrer Sturm! – dachte Schwarz, der noch nie in Kiew, ja in keiner einzigen großen Stadt gewesen war. – Das nenne ich Leben! Er begann zu reflektieren über den himmelweiten Unterschied zwischen dem engen Leben in einem kleinen Städtchen und dem weiten Wirkungskreise in einer großen Stadt. Da entriss ihn eine ihm wohlbekannte Stimme seinen Reflexionen: – Bei Gott! Joseph! Schwarz blickte um sich, betrachtete eine kleine Weile den Menschen, der ihn beim Namen gerufen, breitete zuletzt die Arme aus und rief: – Bei Gott! Gustav! Gustav war ein hagerer, kleiner Mann von ungefähr dreiundzwanzig Jahren; lange, fast bis an die Schultern reichende, kastanienbraune Haare, ein rötlicher hart am Munde gestutzter Schnurrbart ließen ihn älter erscheinen, als er in der Tat war. – Wie geht's dir, Joseph! Weshalb bist du hergekommen? – Zur Universität? Nicht wahr? – Ja wohl. – Ganz recht. – Das Leben ist gar elend ohne das Wissen, – sprach Gustav schnaufend. Welche Fakultät gedenkst du zu besuchen – he? – Ich weißes noch nicht, ich werde mich orientieren – dann treffe ich eine Wahl. – Überlege es reiflich. – Ich bin hier schon ein ganzes Jahr, ich konnte mich also umschauen. Ich bedauere gar sehr die rasche Wahl, aber was lässt sich da tun? Zur Umkehr ist es zu spät – vorwärts zu gehen – fehlt mir die Kraft. Es ist leichter eine Dummheit zu begehen, als sie wieder gut zu machen. Morgen führe ich dich in die Universität; indessen lass, wenn du noch keine Wohnung hast, deine Sachen zu mir tragen. Ich wohne nicht weit von hier. Du kannst mit mir den Anfang machen, wenn du meiner überdrüssig bist, suchst du dir einen anderen Kollegen. Schwarz nahm Gustavs Antrag an und in der kürzesten Zeit befanden sie sich im kleinen Studentenstübchen. – Ha, wir haben uns lange nicht gesehen; – es ist ein Jahr, dass wir das Gymnasium beendet, – sagte Gustav den kleinen Koffer und das Bündelchen Schwarzens unterbringend. – Ein Jahr – ein tüchtiges Stück Zeit. Was hast du das ganze Jahr hindurch getrieben? – Ich saß beim Vater, der mir nicht erlaubte, die Universität zu besuchen. – Was konnte es ihm schaden? – Er war ein guter aber einfacher Mann – ein Schmied. – Warum erlaubte er's jetzt? – Er ist tot. – Ah so – sagte Gustav hustend. – Das verdammte Asthma! es plagt mich seit einem halben Jahr. – Du wunderst dich, dass ich schnaufe? ... Du wirst auch schnaufen lernen, wenn du so wie ich über den Büchern hockst. – Tag für Tag, keinen Augenblick Ruhe. Und mit der Not schlage dich herum wie ein Hund mit dem anderen ... Hast du Geld? – Ja wohl, ich habe alles, was ich vom Vater geerbt, zu Geld gemacht, ich besitze zweitausend Rubel. – Zwanzig Hunderte! ... Es reicht aus. Ich bin ein geplagter Mann! das verdammte Asthma! ... Ja wohl! Man muss studieren! Kaum, dass ich abends etwas Atem hole; den Tag bei den Vorlesungen, die Nacht für die Arbeit ... Man schläft nicht aus! So ist's bei uns! Wenn du dich mit unserm Leben bekannt machst, dann begreifst du, was die Universität bedeutet! Heute führe ich dich in den Klub, oder richtiger, in die Kneipe – du musst mit den Kollegen Bekanntschaft machen: du gehst gleich heute mit mir. Gustav machte sich ohne Aufhör in der Stube zu schaffen, dabei schnaufend und hastend. Seinen gekrümmten Rücken, sein eingefallenes Gesicht und seine langen Haare betrachtend, konnte man ihn eher für einen vom lustigen Leben als von der Arbeit abstrapazierten Menschen nehmen. Aber die Bücherstöße und die vielen beschriebenen Papierhefte wie die Ärmlichkeit der Stubeneinrichtung bezeugten nur zu sehr, dass Gustav zu jener Gattung von Nachtvögeln gehörte, die über die Bücher gebeugt dahinwelken und mit dem Gedanken an einen akzentuierten oder nicht akzentuierten Buchstaben sterben. Schwarz atmete aber dagegen mit voller Brust die Atmosphäre des Stübchens ein; es war für ihn eine neue und zugleich isolierte Welt. – Wer weiß – dachte er – welche Gedanken den im vierten Stockwerke wohnenden Köpfen entspringen? – wer weiß, welche Zukunft solche Dachstübchen der Wissenschaft bereiten?! – Du wirst heute noch viele der Unsrigen kennenlernen – sagte Gustav, unter dem Bette einen Samowar (Selbstkocher) auf einem Fuße hervorziehend und zur Herstellung des Gleichgewichtes einen Topfscherben unterlegend ... – Möge dich unser Klub nicht abstoßen – fuhr er fort, Kohlen in den Samowar schüttend – ich werde Tee machen ... Auch die teilweise närrischen Köpfe brauchen dich nicht zu frappieren. Wenn du dich in der Stadt umschaust und orientierst, wirst du erkennen, dass hier an Dummköpfen kein Mangel ist, dass es aber auch tüchtige Köpfe gibt. Du wirst übrigens mit eigenen Augen sehen. Unser Leben ist etwas gekünstelt, etwas närrisch, aber wir schreiten eben nicht langsam vorwärts. Es fehlt uns nicht an Originalen, aber auch nicht an Farblosen, von Leerheit, Lächerlichkeit und Dummheit aufgeblasen. In manchen Köpfen brennt's lichterloh, in anderen ist es stockfinster - grade wie jetzt draußen. Eine Weile herrschte Stille in der Stube, man hörte bloß Gustavs Schnaufen und sein Blasen in den Samowar. Die Nacht war eingetreten, auf die Wände und den Fußboden des Stübchens fielen immer dunklere Schatten; – der vom Samowar zurückgeworfene Feuerkreis auf dem Fußboden vergrößerte sich oder erlosch in dem Maße, als Gustav blies. Endlich begann das Wasser zu summen, zu zischen, zu spritzen; Gustav zündete eine Kerze an. – Da hast du Tee. Ich gehe noch eine Lektion geben – sprach er weiter, – warte hier auf mich, oder mache ein kleines Schläfchen auf meinem Bette. Wenn dein Geld ausgegeben ist, wirst du auch auf Lektionen bedacht sein müssen. Es ist ein langweiliges Ding, aber was ist zu tun? Es fehlt nicht an Schattenseiten des Studentenlebens – doch wozu im voraus von alledem reden! Unsere Welt und der Rest der Welt sind völlig voneinander verschieden. Wir sind hier nicht beliebt, man empfängt uns nicht ... wir zanken auch mit allen und sogar miteinander ... Ein schweres Leben! Wenn du erkrankst, reicht dir, wenn kein Kollege da ist, niemand eine hilfreiche Hand – das ist unser Los. Doch es ärgert die Leute, dass wir keine Komödie spielen und jedes Ding beim rechten Namen nennen. – Du siehst alles schwarz – bemerkte Schwarz. – Schwarz oder nicht – erwiderte Gustav bitter – du wirst's sehen. Ich sage dir nur, du wirst nicht auf Rosen schlafen ... Die Jugend hat ihre Rechte, ihre Anforderungen. Sie lachen dir, wenn du sie geltend machst, ins Gesicht, sie sagen, du seiest halbgekocht, nennen es Exaltation. Man nenne es ins Teufels Namen, wie man will, wenn es einen brennt und schmerzt ... Du wirst's übrigens sehen ... Schenke dir Tee ein und leg dich schlafen, in einer Stunde bin ich zurück, jetzt reiche mir dort die Mütze und lebe wohl. Eine Weile hörte man noch das Schnaufen und die Schritte Gustavs auf der Stiege. Schwarz blieb allein. Die Worte Gustavs hatten auf ihn einen eigentümlichen Eindruck gemacht. Schwarz erinnerte sich seiner anders: jetzt wiederhallte in seiner Stimme eine gewisse Tadelsucht und Unlust; eine düstere Gemütsstimmung sprach sich in diesen halb heftigen, halb wehmütigen Worten aus. Er war früher gesund an Körper und Geist gewesen, jetzt atmete er schwer, in seiner Rede wie in seinen Bewegungen war eine wunderliche Fieberhaftigkeit, wie bei einem Menschen, der sich erschöpft hat. – Hat ihm denn das Leben schon so zugesetzt? – dachte Schwarz. – Man muss also hier kämpfen, etwas gegen den Strom gehen, und dem Armen fehlte es, wie es den Anschein hat, an Kraft. Hier muss man überwinden, siegen! Augenscheinlich lastet die Welt auf uns mit keinem besonders leichten Arme. – Zum Henker, es ist kein Kinderspiel ... Gustav ist allzusehr Misanthrop, er hat sich wohl stark die Federn verbrannt. Er faulenzt...



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