E-Book, Deutsch, 67 Seiten
Reihe: Classics To Go
Sienkiewicz Ums liebe Brot
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98744-556-9
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 67 Seiten
Reihe: Classics To Go
ISBN: 978-3-98744-556-9
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Auszug: Stürmisch bewegte sich das deutsche Schiff »Blücher« auf den breiten Fluten des Ozeans während der Fahrt von Hamburg nach New York. Seit vier Tagen war er schon unterwegs, vor zwei Tagen an den grünen Gestaden Irlands vorbeigekommen und an die offene See gelangt. Vom Verdeck aus sah man, so weit das Auge reichte, nur die graugrüne, gleichsam von Furchen durchschnittene und in Ackerfelde geteilte Wasserfläche, schwerfällig sich schaukelnd, hier und dort aufschäumend, in der Ferne immer dunkler werdend und mit dem von weißen Wolken bedeckten Horizont zusammenfließend.
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I.
Auf dem Ozean. Betrachtungen. Sturm. Ankunft
Stürmisch bewegte sich das deutsche Schiff »Blücher« auf den breiten Fluten des Ozeans während der Fahrt von Hamburg nach New York. Seit vier Tagen war er schon unterwegs, vor zwei Tagen an den grünen Gestaden Irlands vorbeigekommen und an die offene See gelangt. Vom Verdeck aus sah man, so weit das Auge reichte, nur die graugrüne, gleichsam von Furchen durchschnittene und in Ackerfelde geteilte Wasserfläche, schwerfällig sich schaukelnd, hier und dort aufschäumend, in der Ferne immer dunkler werdend und mit dem von weißen Wolken bedeckten Horizont zusammenfließend. Ein Glanz von diesen Wolken fiel stellenweise auf das Wasser, und von diesem Perlengrunde zeichnete sich klar und deutlich der schwarze Rumpf des Schiffes ab. Dieser Rumpf, mit dem Schnabel nach Westen gerichtet, hob sich bald mühsam aus den Wogen empor, bald versank er in der Tiefe, als ob er unterginge; zuweilen entschwand er dem Auge, um bald wieder, von dem Rücken einer Woge getragen, so hoch emporzutauchen, daß man seinen Boden sah. Trotz dieser Hindernisse durchschnitt er eilig den Ozean. Die Wogen kamen ihm entgegen, aber bald stürzte auch er sich auf die Wogen und durchschnitt sie mit seiner Brust. Hinter ihm her schlängelte sich wie eine Riesenschlange das weiße, schäumende Fahrwasser. Einige Möven folgten dem Steuerruder, schossen Purzelbäume in der Luft und kreischten wie polnische Vögel. Der Wind stand gut, das Schiff brauchte nur halben Dampf, hatte aber dafür die Segel aufgespannt. Das Wetter klärte sich immer mehr. Hier und dort blickte aus dem zerrissenen Gewölk ein Stück blauen Himmels hervor, dessen Form sich fortwährend veränderte. Seitdem der »Blücher« den Hafen von Hamburg verlassen hatte, war es windig, aber nicht stürmisch. Der Wind blies nach Westen und setzte zuweilen ganz aus: dann fielen die Segel geräuschvoll herab, um sich bald wieder, gleichsam wie eine Schwanenbrust, aufzublähen. Die Matrosen in ihren enganliegenden wollenen Jacken zogen das Tau der unteren Rahe am großen Mast und riefen klagend: »Ho, ho!« Sie bückten und richteten sich auf, im Takt zu ihrem Gesang, und ihre Rufe vermischten sich mit den grellen Klängen der Dampferpfeifen und dem keuchenden Atem des Rauchfanges, welcher abwechselnd zerrissene Knäuel oder Riesenringe schwarzen Rauches hinauswarf. Infolge des schönen Wetters strömten die Passagiere auf das Verdeck. Hinten auf dem Schiffe sah man eine Menge schwarzer Mäntel und Hüte der Reisenden erster Kajüte, vorn wimmelte das bunte Durcheinander von Auswanderern, den Zwischendeckreisenden. Manche von ihnen saßen auf den Bänken und rauchten ihre kurzen Pfeifen, andere hatten sich hingelegt, noch andere lehnten am Bord und schauten in die Flut hinab. Unter ihnen befanden sich auch einige Frauen mit Kindern auf dem Arm und Blechgeschirr, welches sie um die Taille gebunden hatten. Mehrere junge Leute gingen auf und ab, vom Schnabel des Schiffes bis zum Verdeck, wobei sie nur mit Mühe das Gleichgewicht erhielten und jeden Augenblick taumelten; sie sangen dabei: »Was ist des Deutschen Vaterland« und dachten vielleicht, daß sie dieses »Vaterland« nie mehr sehen sollten. Trotzdem sahen sie vergnügt aus, und der Frohsinn wich nicht von ihrer Stirn. Unter allen diesen Leuten waren zwei die traurigsten und von allen übrigen vollständig abgesondert. Es war dies ein alter Mann und ein junges Mädchen. Beide verstanden kein Deutsch und fühlten sich unter den Fremden um so einsamer. Wer sie waren, konnte jeder auf den ersten Augenblick erkennen: polnische Bauern. Der Bauer hieß Wawrschon Toporek und das Mädchen, Marysja, war seine Tochter. Sie reisten nach Amerika und hatten sich in diesem Augenblick auf das Verdeck hinausgewagt. Auf ihren von Krankheit abgehärmten Gesichtern malte sich zugleich Schrecken und Verwunderung. Mit furchtsamen Augen betrachteten sie ihre Reisegefährten, die Matrosen, das Schiff, den mächtig keuchenden Rauchfang und die gewaltigen Wassermauern, die ihren Gischt wie eine Mähne an den Bord des Schiffes schleuderten. Sie wagten nicht, miteinander zu sprechen. Wawrschon stützte sich mit einer Hand auf das Geländer, mit der anderen hielt er die eckige Mütze fest, damit der Wind sie ihm nicht fortreiße. Marysja wich nicht von der Seite ihres alten Vaters, und je unruhiger sich das Schiff bewegte, um so fester schmiegte sie sich an ihn, oftmals vor Schreck aufschreiend. Nach einiger Zeit unterbrach der Alte das Schweigen: »Marysja!« »War denn?« »Siehst du?« »Ja, ich sehe.« »Und staunst du?« »Ja, ich staune.« Aber sie fürchtete sich mehr, als sie staunte, und ebenso ging es dem alten Toporek. Glücklicherweise wurde das Meer ruhiger, der Wind ließ nach, und aus den Wolken lugte die Sonne. Als sie die liebe Sonne erblickten, wurde ihnen leichter ums Herz, denn sie dachten sich: »Genau so sieht die Sonne in Lipinze aus.« Alles war für sie neu und fremd, nur diese strahlende, helle Sonnenscheibe erschien ihnen als ein alter Freund und Beschützer. Inzwischen wurde das Meer immer glatter. Nach einiger Zeit hingen die Segel schlaff herab, von der hohen Brücke erschallte der grelle Pfiff des Kapitäns, und die Matrosen strömten herbei, die Segel einzuziehen. Der Anblick dieser, gleichsam über einem Abgrund in der Luft schwebenden Menschen erfüllte Toporek und Marysja wieder mit Staunen. »Das brächten unsere Jungens nicht fertig,« sagte der Alte. »Wenn die Deutschen hinaufkriechen, so würde Jasko es auch können,« entgegnete Marysja. »Welcher Jasko? Von Sobeks!?« »Ach wo denn! Ich meine den Smolak, den Stallknecht.« »Der ist ein kecker Bursche, aber du schlag ihn dir aus dem Kopf. Er ist nicht für dich, und du paßt nicht für ihn! Du wirst eine große Dame werden, er aber wird sein Lebenlang bleiben, was er ist, ein Stallknecht.« »Er besitzt auch eine Kolonie.« »Jawohl, aber in Lipinze.« Marysja antwortete nicht, dachte sich nur, daß niemand seiner Bestimmung entgeht und seufzte tief. Unterdessen waren die Segel bereits eingezogen, und nun begann die Schraube das Wasser so kräftig aufzuwühlen, daß das ganze Schiff von ihren Bewegungen erzitterte. Das Schaukeln hörte jedoch fast gänzlich auf. In der Ferne erschien das Wasser sogar schon glatt und blau. Immer neue Gestalten tauchten auf dem Verdeck auf: Arbeiter, deutsche Bauern, Müßiggänger aus verschiedenen Küstenstädten, die nach Amerika reisten, um Glück, nicht aber Arbeit zu suchen. Auf dem Verdeck herrschte jetzt ein völliges Gedränge, so daß Wawrschon und Marysja sich auf ein zusammengelegtes Schiffstau in einem Winkel, an der Spitze des Schiffes niedersetzten, um niemand aufzufallen. »Väterlein, werden wir noch lange auf dem Wasser fahren?« fragte Marysja. »Weiß ich's denn? Wenn du auch fragst, es antwortet dir niemand auf katholisch.« »Wie werden wir aber in Amerika sprechen?« »Sagten sie uns denn nicht, daß wir dort Landsleute in Menge treffen werden?« »Väterlein! …« »Was denn?« »Zu staunen gibt es hier genug, aber in Lipinze war es dennoch besser.« »Du solltest nicht ohne Grund lästern.« Nach einer Weile fügte jedoch Wawrschon hinzu, wie zu sich selber sprechend: »Es war so Gottes Wille.« Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen, und bald wandten sich die Gedanken der beiden nach Lipinze. Wawrschon Toporek dachte darüber nach, weshalb er nach Amerika reiste, und wie das alles gekommen war. Wie kam er auf diesen Gedanken? Vor einem halben Jahr hatten sie ihm die Kuh im Klee gepfändet. Der Wirt, der sie pfändete, verlangte drei Rubel Schadenersatz. Wawrschon wollte nicht zahlen. Sie gingen vor Gericht. Der Prozeß zog sich hin nach dem Gerichtsspruch. Der geschädigte Wirt forderte jetzt nicht nur Auslösungsgeld für die Kuh, sondern auch für den Unterhalt, und die Kosten wuchsen mit jedem Tag. Wawrschon weigerte sich zu zahlen, denn es war ihm schade, dafür sein Geld herzugeben. Der Prozeß hatte ihn ohnehin schon genug gekostet, und da er sich immer länger hinzog, wurden die Prozeßgebühren immer größer. Endlich verlor Wawrschon den Prozeß. Für die Kuh wurde schon Gott weiß wieviel verlangt, da er aber kein Geld hatte, pfändete man ihm auch das Pferd und verurteilte ihn für den Widerstand zu einer Gefängnisstrafe. Toporek wand sich wie eine Schlange: denn die Ernte stand vor der Tür, so daß er sowohl seine Hände, wie das Gespann zur Arbeit brauchte. Er verspätete sich mit der Einfuhr, dann begann es in Strömen zu regnen. Das Getreide war ihm in den Halmen ausgewachsen. Er dachte also fortwährend daran, daß er durch einen einzigen Schaden im Klee sein ganzes Hab und Gut verlieren würde, daß er bereits seine ganze Barschaft, einen Teil des Inventars und den ganzen Jahresertrag geopfert hatte und daß er im Frühjahr mit der Tochter entweder am Hungertuch beißen oder den Bettelstab werde ergreifen müssen. Da er bis jetzt ein wohlhabender Bauer war, der stets in Wohlstand lebte, faßte ihn Verzweiflung, und er begann zu trinken. In der Schenke lernte er einen Deutschen kennen, der angeblich im Dorfe Flachs ankaufte, aber in Wirklichkeit die Leute über das Meer expedierte. Der Deutsche erzählte ihm Wunder von Amerika. Er versprach ihm soviel Land umsonst, wie es in ganz Lipinze nicht gab, mit Wald und Wiesen, so daß des Bauern Augen lachten. Er glaubte und mißtraute ihm zugleich, aber der jüdische...




