E-Book, Deutsch, 656 Seiten
Reihe: Classics To Go
Sienkiewicz Sturmflut Erster Band
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98744-554-5
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 656 Seiten
Reihe: Classics To Go
ISBN: 978-3-98744-554-5
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
1655, zur Zeit der Regierung Johann Kasimirs, war Krieg auf den Boden Polens. Die Adelsgeschlechter waren sich uneins und zumeist standen nur persönliche Interessen im Vordergrund, als die nationale Sache. Kämpfe und Intrigen untereinander förderten nicht unbedingt das Bündnis von Krone, Kirche und Adel. Ein paar Liebeshändel sorgten zusätzlich für Aufsehen. Werden die Polen den Feind besiegen können?
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Erstes Buch.
In Smudz war das mächtige Geschlecht der Billewitsch weitverzweigt und in ganz Reußen vor allen anderen hochgeachtet. Zu hohen Aemtern, welche meist von Kreisinsassen verwaltet wurden, hatten es die Billewitsch zwar niemals gebracht, dafür aber auf dem Marsfelde dem Lande unschätzbare Dienste geleistet, wofür sie zu verschiedenen Zeiten reich belohnt worden waren. Ihr Geburtsnest, welches noch heute existiert, hieß ebenfalls Billewitsche; aber sie besaßen außer diesem Stammsitz noch viele andere Güter in Reußen und weiter nach Krakinow hin, in der Lauda, Schoja, Niewiasch bis weiterhin noch hinter Poniewiersch. Späterhin zersplitterte es in mehrere Linien, deren Glieder sich allmählich aus den Augen verloren. Sie kamen nur dann Alle zusammen, wenn in Reußen auf der Ebene, »Stany« genannt, die Heerschau des großen Smudzer Heerbannes abgehalten wurde. Teilweise begegneten sie sich auch unter den Fahnen der litauischen Stammsoldaten und auf den Landtagen, und da sie begütert und einflußreich waren, so wurden sie sogar von den in Litauen und Smudz allmächtigen Radziwills respektiert. Zur Zeit der Regierung Johann Kasimirs war der Patriarch aller Billewitsch Heraklius Billewitsch, Hauptmann der leichten Reiterei, Unterkämmerer von Upit. Dieser wohnte nicht auf dem Stammgut, welches zu jener Zeit der Schwertträger von Reußen, Thomas Billewitsch, inne hatte. Dem Herrn Heraklius gehörten Wodockt, Lubitsch und Mitrun, in der Nähe der Lauda gelegen, rings von einem Kranz herrlicher Ländereien, den Besitzungen des zahlreich dort ansässigen Kleinadels, umgeben. Außer den Billewitsch gab es in jener Gegend dort nur noch einige Großgrundbesitzer, die Sollohubs, Montwills, Schillings, Koryznows und Sizinskis. Im übrigen war das ganze Flußgebiet der Lauda dicht besäet mit sogenannten Hufenländern oder, wie man sie gewöhnlich nannte, kleinadeligen Stellen, bewohnt von dem berühmten und in der Geschichte der Smudz und Polens vielgenannten Laudaschen Adel. In anderen Gegenden nannten sich die Adelsgeschlechter nach ihren Stellen oder die Stellen nach den Besitzern, wie das in Podlachien der Fall war; dort aber, im Flußgebiet der Lauda, war es anders. Dort wohnten in Mortsch die Stajkanows, welche seinerzeit Batory für ihre Tapferkeit bei Pskow dort eingesetzt hatte. In Wolmontowitsch ließen es sich die Butrymows auf fettem Weideland wohl sein, die größten und wohlhabendsten Bauern, berühmt wegen ihrer Schweigsamkeit und ihrer Stärke, welche zu Zeiten der Landtage, feindlicher Ueberfälle und Kriege schweigend, aber tapfer für das Land einzustehen pflegten. Die Ländereien von Droschejkan und Mosg wurden von dem zahlreichen Geschlecht der Domaschewitsch bewirtschaftet, welche, außerdem berühmte Jäger, durch die Sielonka-Haide bis Wilkomiersch den Spuren des Bären folgten. Die Gaschtowts waren in Pazunel ansässig. Ihre Töchter waren ihrer Schönheit wegen so berühmt, daß zuletzt alle hübschen Mädchen aus den Gegenden von Krakinow, Poniewiersch und Upit Pazulner Mädchen genannt wurden. Die Sollohubs aus Mali waren reich an Pferden und schönem Vieh, auf Waldweiden groß gezogen; die Gostschewitsch aber in Gostschew brannten Theer in den Wäldern, welche Beschäftigung ihnen den Namen die schwarzen oder Rauch-Gostschewitsch eingetragen hatte. Es gab noch mehr Stellen und noch mehr Geschlechter. Die Namen Vieler existieren noch, aber die Stellen liegen größtenteils nicht mehr da, wo sie früher waren, und die Menschen darin rufen sich mit anderen Namen. Kriege, Unglück und Feuersbrünste sind gekommen; man hat nicht immer auf den alten Trümmern neue Ansiedlungen errichtet, mit einem Wort: es hat sich vieles geändert. Damals aber blühte die alte Lauda noch im urwüchsigen Wohlleben und der Laudasche Adel genoß das höchste Ansehen, da er sich vor nicht allzu langen Jahren unter Janusch Radziwill gegen die aufständischen Kosaken mit großem Ruhme bedeckt hatte. Alle Laudaer aber dienten in der Fahne des Heraklius Billewitsch, die Reicheren als Waffenbrüder mit zwei Pferden, die Aermeren als solche mit einem und die ganz Armen als Posten. Im allgemeinen war dieser Adel kriegerisch und ging ganz im Rittertum auf. Dafür verstand er weniger von denjenigen Geschäften, welche das Material für die Landtage lieferten. Er wußte, daß in Warschau der König thronte, daß Radziwill und Hlebowitsch Starosten in Smudz und Herr Billewitsch in Wodockt Herrscher in der Lauda sei. Er stimmte, wie Herr Billewitsch ihm lehrte, überzeugt, daß er nur das thue, was Herr Hlebowitsch wolle, daß dieser hinwieder Hand in Hand mit Radziwill gehe, daß Radziwill die rechte Hand des Königs, der König aber der Schützer der Republik, der Vater der Adligen sei. Das genügte ihm. Herr Billewitsch war übrigens mehr ein Freund als ein Diener des mächtigen Oligarchen in Birz – und das ein sehr geschätzter, denn er hatte stets tausend Stimmen und tausende Laudascher Säbel in Bereitschaft, und die Säbel in den Händen der Stajkanows, Butrymows, Domaschewitsch oder Gaschtowts hatte in jener Zeit noch niemand in der Welt gering geschätzt. Erst später änderte sich das alles, gerade zu jener Zeit, wo Herr Heraklius Billewitsch nicht mehr war. Dieser Vater und Wohlthäter des Laudaschen Adels aber hörte auf zu sein im Jahre 1654. Es entbrannte damals längs der ganzen östlichen Seite der Republik ein furchtbarer Krieg. Herr Billewitsch konnte nicht mehr mit in den Kampf ziehen, sein Alter und seine Taubheit erlaubten ihm das nicht; aber die Laudaer gingen. Und so geschah es, daß, als die Nachricht eintraf, Radziwill sei bei Schklow geschlagen und die Laudasche Fahne bei einer Attacke auf französische Mietssoldaten fast vollständig aufgerieben, der alte Hauptmann vom Schlage gerührt seinen Geist aufgab. Diese Nachricht hatte ein gewisser Herr Wolodyjowski, ein noch junger, aber ruhmbedeckter Soldat gebracht, welcher an Stelle des Herrn Heraklius unter der Oberleitung Radziwills die Laudaer führte. Der Rest der Fahne kehrte ebenfalls in die heimatlichen Einfriedigungen zurück, erschöpft, entmutigt, ausgehungert, laut klagend, daß der Großhetman, im Vertrauen auf seinen furchterweckenden Namen, auf den Zauber seines Siegesruhmes, mit seinem kleinen Heere das zehnfach stärkere des Feindes angegriffen und dadurch seine Soldaten und das Land ins Unglück gestürzt habe. Unter diesen allgemeinen Klagen erhob sich jedoch nicht eine einzige gegen den jungen Obristen, den Herrn Georg Michael Wolodyjowski. Im Gegenteil! Diejenigen, welche der Niederlage entgangen waren, erhoben sein Lob bis zum Himmel, indem sie Wunderdinge von seiner Tapferkeit und Erfahrung in Kriegssachen erzählten. War doch die Erinnerung an den an den Tag gelegten Mut der einzige Trost für die Uebriggebliebenen der Laudaer Fahne. Hatten sie sich doch attackierend durch die ersten Haufen der gemeinen Soldaten hindurchgeschlagen, gleichsam wie durch eine Rauchwolke, und indem sie dann die französischen Söldlinge überfielen, das ganze vortreffliche Regiment wie ein Gebett Daunen in alle Winde zerstreut, wobei Herr Wolodyjowski den Obersten dieses Regiments mit eigener Hand niedergehauen hatte. Zuletzt, zwischen vier Feuer genommen, retteten sie sich verzweifelt dadurch, daß sie sich, dichte Leichenhaufen zurücklassend, mutig durch den Feind durchschlugen. Wehmütig und doch stolzerfüllt hörten diejenigen der Laudaer, welche nicht beim litauischen Stammheere dienten, diese Erzählungen. Sie waren nicht verpflichtet, im Stammheere zu dienen, sondern nur, dem allgemeinen Aufgebot Folge zu leisten, welches als letzte Hilfe und letzter Schutz des Landes aufgerufen werden sollte. Man war für diesen Fall von vornherein übereingekommen, den Herrn Wolodyjowski zum Anführer der Laudaer zu wählen, denn obgleich er nicht dem dortigen Adel angehörte, so gab es doch keinen unter ihnen, welcher tapferer und ruhmbedeckter war als er. Die Uebriggebliebenen erzählten von ihm noch, daß er sogar den Hetman selbst aus Lebensgefahr gerettet habe. So wurde er denn auch von der ganzen Provinz auf Händen getragen und eine Gegend wollte ihn immer der anderen entziehen. Besonders stritten sich um ihn die Butrymows, Domaschewitsch und Gaschtowts, bei welchen er längere Zeit zu Gaste sein sollte. Ihm selbst gefiel dieser kriegerische Kleinadel so wohl, daß, als die Reste des Radziwillschen Heeres nach Birz zogen, um sich nach den erlittenen Niederlagen dort zu erholen, er nicht mit den anderen fortging, sondern, von Stelle zu Stelle ziehend, endgültig in Pazunel bei den Gaschtowts seine Residenz aufschlug, bei Herrn Pakosch Gaschtowt, welcher über alle die anderen in Pazunel die Oberhoheit hatte. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, so hätte Herr Wolodyjowski unter keinen Umständen mit nach Birz gehen können, da er bettlägerig wurde. Erst bekam er ein böses Fieber, dann wurde sein rechter Arm, infolge einer bei Zibichow erhaltenen Kontusion, lahm. Drei Fräulein Paschkow, schön, wie eben nur die Mädchen in Pazunel waren, hatten ihn in Pflege genommen und sich geschworen, diesen berühmten Kavalier wiederherzustellen. Der Kleinadel aber beschäftigte sich bis auf den letzten Mann mit dem Begräbnis seines Führers, des Herrn Heraklius Billewitsch. Nach dem Begräbnis öffnete man das Testament des Verstorbenen, aus welchem ersichtlich wurde, daß derselbe zur Erbin seines ganzen Vermögens, mit Ausnahme des einen Gutes Lubitsch, seine Enkeltochter Alexandra Billewitsch, Tochter des Jägermeisters von Upit, eingesetzt hatte. Die Vormundschaft über sie, bis zu ihrer Verheiratung, hatte er dem ganzen Laudaschen Adel anvertraut. »... Diejenigen, welche mir zugethan waren (so lautete es im Testament) und mir Liebe mit Liebe gezahlt haben,...




