E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: EDITION 211
Siegmann Schattenmensch
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95669-087-7
Verlag: Bookspot Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: EDITION 211
ISBN: 978-3-95669-087-7
Verlag: Bookspot Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Köln, Sommer 2016: Der Libyer Tarek Bajari lebt in Köln als illegaler Flüchtling. Und er hat ein Problem. Ein renommierter Anwalt wird ermordet und ein Koffer voller Geld verschwindet. Und weil Tarek einem Freund helfen will, erwischt ihn die Polizei zur falschen Zeit am falschen Ort. Dem Tatort.
Tarek muss fliehen und sich selbst auf die Suche nach dem Mörder machen, sonst ist er entweder tot, im Gefängnis oder abgeschoben. Erst
etliche Tote später erkennt er, welch übermächtigen Gegnern er in die Quere gekommen ist. Denn Rechtsradikale in hohen gesellschaftlichen Positionen planen nichts Geringeres als den Sturz der Regierung. Für ein geplantes Attentat wollen sie Tarek als Sündenbock präsentieren. Die aufgeheizte Stimmung gegen Ausländer, Flüchtlinge und
Muslime soll genutzt werden, um den Rechten zu Wahlerfolgen zu verhelfen.
Um Tarek in die Finger zu bekommen, entführen sie seine Freundin Simone. Tarek muss sich entscheiden: Opfert er Simones Leben oder begibt er sich in die Hände der Verschwörer und damit in den wohl sicheren Tod?
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Köln, August 2016
Einschlafen ist wie sterben. Der Unterschied besteht im Aufwachen. Und in letzter Zeit wünschte sich Maundu Odera immer öfter, nicht mehr aufzuwachen. Einen Moment lang war er völlig orientierungslos. Über ihm der blaue Himmel. Genau wie zu Hause. Doch dann schreckte er hoch. Wie lange hatte er geschlafen? Er hatte seinen schlaksigen Körper doch nur einen Augenblick auf den Rechen gestützt und die Augen geschlossen. Wieso lag er jetzt hier im Gras? Maundu wusste, dass er sofort rausfliegen würde, wenn der Anwalt ihn erwischte. Aber er bekam einfach zu wenig Schlaf. Um drei Uhr morgens war er aufgestanden und hatte den ganzen Tag in dem Hotel in der Innenstadt geschuftet. Spülen, Schuhe putzen, Wäschesäcke schleppen. Zehn Stunden lang. Nach Feierabend waren ihm nur ein paar Minuten geblieben, um den Bus zu erwischen. Die Fahrt raus aus der Stadt war die erste Pause des Tages gewesen. Von der Bushaltestelle musste Maundu noch einige Minuten in der brütenden Hitze laufen bis zum Anwesen des Anwalts, bei dem er zweimal in der Woche einen Job als Gärtner hatte. Und dann half er noch an zwei Abenden in einem Restaurant aus. Doch das Geld, das er verdiente, reichte gerade, um nicht zu verhungern und seiner Familie jeden Monat eine kleine Summe zu schicken. Hatte er dafür seine Heimat verlassen und die lange Reise von Kenia nach Europa auf sich genommen? Aber warum war er aufgewacht? Ängstlich wie ein gehetztes Tier sah Maundu sich um. Da war niemand. Mühsam rappelte er sich hoch. Irgendein Geräusch hatte ihn geweckt. Hinten beim Haus. Es war hier immer so unwirklich still, dass man jedes Türenschlagen wahrnahm. Diese Gärten der reichen Leute erinnerten ihn an Friedhöfe. Es gab dort kein Leben. Kein Lachen, kein Streiten, kein Kindergeschrei. Höchstens mal einen Hund, der bellte, und das Zwitschern der Vögel. Aber wenigstens gab es Arbeit für Menschen wie ihn. Mehr interessierte ihn nicht. Das Anwesen zog sich in einem sanften Schwung einen kleinen Hügel hinauf und Maundu ging mit seinem Rechen zu der Rasenfläche oben beim Haus. Besser, wenn der Chef sah, dass er was tat für sein Geld, auch wenn es ein schlechter Witz war, was er hier verdiente. Aber er musste froh sein, dass es überhaupt Leute gab, die jemanden wie ihn beschäftigten. Menschen, die es eigentlich gar nicht gab. Die es nicht geben durfte. Die aber trotzdem da waren. Illegale. Schattenmenschen. Wie Maundu, der gezwungen war, ein unsichtbares Leben in Deutschland zu führen. Es machte ihn nervös, wenn der Anwalt zu Hause war. Er hatte immer etwas an seiner Arbeit auszusetzen und noch nie ein freundliches Wort für ihn übrig gehabt. Aber zum Glück bekam Maundu ihn nur selten zu Gesicht. Meist war bloß seine Frau da, die viel Zeit telefonierend am Swimmingpool verbrachte. Oft sonnte sie sich auch mit nackten Brüsten, während er den Rasen mähte. Aber nur, wenn der Anwalt nicht zu Hause war. Vielleicht wollte sie ihn provozieren oder sich über ihn lustig machen. Vielleicht existierte er für sie aber auch einfach nicht. Dieses schamlose Verhalten widersprach all seinen Moralvorstellungen. In Maundus Augen war diese Frau nichts anderes als eine Hure. Aber wenigstens hatte sie nie etwas an seiner Arbeit auszusetzen. Im Moment war allerdings weder der Anwalt noch dessen Frau zu sehen. Sein kleines Schläfchen war also folgenlos geblieben. Die Terrassentür des Hauses stand offen und die weiße Gardine bewegte sich leicht im Wind. Maundu harkte gewissenhaft die letzten Grasreste zusammen, die nach dem Mähen zurückgeblieben waren. Wer wusste schon, ob er vom Haus aus beobachtet wurde? Dann hörte er sie. Erst ihn, kurz darauf auch sie. Die beiden hatten Sex. Sehr gut, so waren sie eine Weile beschäftigt. Maundu verschwand wieder in den schattigen Teil des Gartens, um in aller Ruhe eine Hecke beim Eingang zu beschneiden. Nach wenigen Minuten fielen ihm erneut die Augen zu. Eine Stunde musste er noch durchhalten. Im Bus würde er ein wenig schlafen können. Da hörte er den lauten Gong der Türklingel. Sofort legte Maundu einen Zacken zu. Und im nächsten Augenblick kam auch schon der Anwalt den Weg herunter, um seinen Besuch persönlich in Empfang zu nehmen. Die Männer begrüßten sich und gingen den Weg hinauf, ohne den Gärtner auch nur eines Blickes zu würdigen. Als er beinahe mit seiner Hecke fertig war, hörte Maundu Schreie vom Haus her. Er wandte den Kopf und da stürmte der Anwalt auch schon mit hochrotem Kopf auf ihn zu. Sofort wusste er, dass ihm Ärger bevorstand, auch wenn er keinen Schimmer hatte, warum. Kaum hatte der Anwalt ihn erreicht, brüllte er los. Maundu verstand kein Wort und guckte ihn nur verständnislos an. Obwohl sein Gegenüber einen Kopf kleiner als Maundu war, packte der ihn am T-Shirt und schüttelte ihn. Wenn die verdammten Deutschen ruhig und langsam sprachen, kapierte er inzwischen einiges. Aber das taten sie ja nie. Der Anwalt war wütend, das war unübersehbar. In einer solchen Verfassung hatte er ihn noch nie erlebt. Er tobte. Er brüllte. Und seine Arme wedelten wie die eines verrückt gewordenen Mganga, eines mächtigen Zauberers. Ganz nah sah er das Gesicht des älteren Mannes vor seinem. Die roten Äderchen auf der Nase, die Tränensäcke unter den Augen. Was wollte der Anwalt von ihm? Warum bedrängte er ihn? Was hatte ihn so wütend werden lassen? Maundu hob die Arme und sprach beschwichtigend in Kisuaheli auf ihn ein. Doch der Anwalt schrie immer weiter. Schnell. Laut. Aggressiv. »Koffer« war eines der Worte, das er aus dem Wortschwall heraushören konnte. »Geld« ein anderes. Aber er wusste beim besten Willen nicht, von welchem Koffer und von welchem Geld hier die Rede war. Also verhielt er sich ruhig und hoffte, dass der Anwalt bald fertig war. Dass Maundu nur dastand und den Anwalt teilnahmslos anstarrte, machte diesen aber nur noch wütender. Ein Schlag auf die Brust. Maundu wich verängstigt zurück, bis er die Hecke in seinem Rücken spürte. Er könnte diesen alten Mann mit einem Hieb niederstrecken, aber er wusste, dass alle weißen Männer eine Macht hatten, die weit über ihre körperlichen Kräfte hinausgingen. Verzweifelt versuchte er, den Anwalt zu beschwichtigen. Doch er musste hilflos mit ansehen, wie der Mann immer wütender wurde. Er schrie und schubste ihn erneut. Er sah den Zorn in den Augen des weißen Mannes. Aber er sah noch etwas anderes. Angst. Und das verstand Maundu überhaupt nicht. »Geld! Geld! Geld!« Immer wieder schrie der Anwalt dieses Wort. Glaubte er, dass Maundu irgendwelches Geld genommen hatte? Warum sollte er so verrückt sein? Aber natürlich war es der schwarze Mann, der als Erster verdächtigt wurde. Maundu hatte nichts getan, doch außer ihm war hier niemand weit und breit. Wer hätte denn irgendwelches Geld stehlen sollen? Und wo überhaupt? Im Haus? Er war doch nicht mal in die Nähe des Hauses gekommen und der Anwalt und seine Frau waren die ganze Zeit zu Hause gewesen. Maundu kapierte immer weniger. Aber eines war ihm klar. Er steckte in der Klemme. Wenn der Anwalt glaubte, dass er etwas gestohlen hatte, spielte es keine Rolle, ob er es tatsächlich getan hatte. Das Ergebnis wäre das Gleiche. Wenn der die Polizei rief, wäre es Maundus kleinstes Problem, dass ihm niemand glauben würde. Wenn die Polizisten kamen, drohte ihm die Abschiebung, egal, ob er etwas verbrochen hatte oder nicht. Wieder und wieder stieß ihn der Anwalt vor die Brust und brüllte dabei: »Wo ist mein Geld?« Und dann hörte Maundu in dem Wortschwall etwas heraus, das jeder afrikanische Einwanderer schnell lernte: »Dreckiger Neger.« Unvermittelt schlug er zu und sofort wurde es himmlisch still. Der Anwalt sackte stöhnend zu Boden. Blut lief aus seiner Nase und besudelte sein weißes Hemd. Maundu trat ihm in den Bauch. Das war für den dreckigen Neger. Als er merkte, dass der Anwalt sich nicht mehr rührte, hielt Maundu erschrocken inne. Hatte er ihn umgebracht? Maundu stupste den Anwalt mit der Fußspitze an. Der stöhnte leise, rührte sich aber immer noch nicht. Gott sei Dank, er lebte! Erst jetzt wurde Maundu klar, was er getan hatte. Wenn der Anwalt wieder bei Bewusstsein war, würde er die Polizei rufen. Polizei bedeutete Abschiebung. Er musste weg von hier. Sofort! Ohne sich noch einmal nach dem Anwalt umzusehen, rannte Maundu los. Die Straße lag einsam in der Hitze des späten Nachmittags. Links und rechts hohe Mauern, Hecken, massive Eisentore, Videokameras. Maundu lief so schnell er konnte in seinen alten Schuhen, die ihm eine Nummer zu groß waren. Zurück in Richtung Hauptstraße, einen anderen Weg gab es sowieso nicht. Dort unten war die Bushaltestelle. Wenn er erst im Bus saß, würde alles gut werden. Dann konnte ihn der Anwalt nicht mehr finden. Er wusste ja nicht mal Maundus vollen Namen, er war immer nur der Gärtner gewesen. Die Straße lag still vor ihm. Nur das Zirpen der Grillen und das Platschen seiner Sohlen auf dem Asphalt waren zu hören. Bis er hinter sich das Aufheulen eines Automotors hört. Maundu lief schneller. Hier konnte man nirgends abbiegen oder sich verstecken. Er lief so schnell er konnte. Das Auto war noch nicht zu sehen, aber der Motorenlärm kam immer näher. Und er wusste, dass er keine Chance hatte, zu entkommen. Er spürte, dass dieses Auto nicht zufällig die Straße entlangfuhr. Seine Lunge schmerzte und der Schweiß lief ihm übers Gesicht. Verzweifelt blickte er sich um. Und da war es. Groß, schwarz und aggressiv. Der silberne Kühler wie ein aufgerissenes Maul. Die Scheinwerfer wie Augen. Dieser Wagen machte Jagd auf ihn. Wie ein...