Siefener / Norten / Fieberg | DAEDALOS 14 | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 86 Seiten

Siefener / Norten / Fieberg DAEDALOS 14

Der Story-Reader für Phantastik
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-95765-767-1
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Der Story-Reader für Phantastik

E-Book, Deutsch, 86 Seiten

ISBN: 978-3-95765-767-1
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»daedalos. Story Reader für Phantastik« wurde von Hubert Katzmarz und Michael Siefener in den Jahren 1994-2002 herausgegeben. Nach zwanzigjähriger Pause knüpfen die neuen Herausgeber an alte Traditionen an und lassen das legendär gewordene Magazin wieder aufleben. Mit aktuellen sowie fast vergessenen Texten, die klassischen Erzählweisen verpflichtet sind und beste Unterhaltung versprechen. Und nach dem Erfolg der ersten neuen Ausgabe ist es Zeit für die zweite Runde: Dirk Ryll: Ein Opfer Kai Focke: Das Traumbild Michael Wyrwich: Reifezeit Alexander Klymchuk: Fleischwerdung Uwe Durst: Die Vorstellung J. A. Hagen: Stoker Horst-Dieter Radke: Oneiros Carl Stugau: Zahn um Zahn Robert N. Bloch: Nachbemerkung zu Carl Stugau

Dr. Michael Siefener, geboren 1961 in Köln, studierte nach dem Abitur Rechtswissenschaften an der Universität Köln. Promotion über 'Hexerei im Spiegel der Rechtstheorie.' Seit 1992 freier Schriftsteller und Übersetzer. Lebt abwechselnd in Hamburg und Manderscheid/Eifel. Andreas Fieberg (* 1964) arbeitet hauptberuflich als Mediengestalter und übt daneben verschiedene Herausgeber- und Lektoratstätigkeiten aus, gelegentlich Übersetzungen. Einige seiner Kurzgeschichten waren für den Kurd-Laßwitz-Preis und den SFCD-Literaturpreis nominiert, mit letzterem wurde »Der Fall des Astronauten« ausgezeichnet. Von ihm erschienen: »Der Traumprojektor. Skurrile Geschichten«, vhk, und »Abschied von Bleiwenheim« (als Hrsg.), eine Anthologie in memoriam Hubert Katzmarz, und als Fortsetzung »Willkommen in Bleiwenheim« (zusammen mit Ellen Nor ten), beide p.machinery. Er zeichnet für die Reihe »Gegen unendlich. Phantastische Geschichten« verantwortlich, die in unregelmäßigen Abständen fein erzählte Phantastik abseits des Herkömmlichen bringt. Außerdem ist er gemeinsam mit Michael Siefener und Ellen Norten Herausgeber des »daedalos. Der Story-Reader für Phantastik«. Ellen Norten, geboren 1957 in Gelsenkirchen ist promovierte Biologin und Wissenschaftsjournalistin. Als freie Mitarbeiterin arbeitete sie zunächst bei verschiedenen Hörfunksendern, danach folgte eine mehrjährige Mitarbeit bei der Fernsehsendung Hobbythek, auch vor der Kamera. In dieser Zeit entstanden ein Dutzend Sachbücher und Ratgeber. Anschließend war Ellen Norten Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk in München. Seit 2010 tourt sie zusammen mit ihrem Mann mit dem Wohnmobil durch die Welt, schreibt Reisebücher und Kurzgeschichten, sowie Rezensionen.

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Dirk Ryll: Ein Opfer
  Der Aufbruch zum Familienausflug verzögerte sich, denn natürlich war das E-Bike seiner Frau noch nicht fertig aufgeladen. Thomas rollte mit den Augen, aber er achtete dabei darauf, dass es niemand sehen konnte. Eine knappe Stunde später saßen sie dann aber endlich alle auf den Sätteln. Silke, seine Frau, seine Tochter Hanna, sechzehn Jahre alt, und sein zehnjähriger Sohn Julius. Die Sonne hatte noch nicht ganz ihre Mittagsposition erreicht, die Luft war warm und so gesättigt von spätsommerlichen Gerüchen, dass sie sich nur träge bewegte. Perfekte Bedingungen für eine Radtour. »Wo fahren wir denn überhaupt hin?«, fragte Julius. Thomas hatte sich einen der Aussichtspunkte des Braunkohleabbaugebietes als Ziel ausgesucht. Ohne eine festgelegte Strecke wollte er während der Fahrt den jeweils attraktivsten Weg wählen. Die generelle Richtung zu halten, würde nicht schwer werden. Die riesigen weißen Dampffahnen der Braunkohlekraftwerke waren bei diesem klaren Wetter von überallher zu sehen. Etwa fünfzehn Kilometer lagen vor ihnen. In den Körben und Gepäcktaschen steckte genug Proviant für eine Himalaja-Expedition. Thomas hatte zusätzlich noch seine Canon dabei. Sie kamen gut voran. Die Kinder verzichteten darauf, ihre Ear-Buds zu verwenden und erzählten sogar dann und wann eine kleine Begebenheit aus der Schule. Nach etwas mehr als der halben Strecke hielten sie an einem kleinen Bach, der sich zwischen Pappelreihen dahin schlängelte, um ein paar Steine hineinzuwerfen und um etwas aus den Flaschen zu trinken. »Was ist denn mit den Wolkenmaschinen?«, fragte Julius, als sie wieder auf den Sätteln saßen. »Sind die kaputt?« Thomas brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, was er meinte. Offenbar hatte der Wind gedreht. An den meisten Tagen wehten die künstlichen Wolken aus den Kühltürmen nach links, also Nordosten. Manchmal stiegen sie ohne Ablenkung gerade nach oben. Aber heute, oder genauer: seit höchstens einer Stunde, quollen sie genau ihnen entgegen, das hieß nach Nordwesten. Thomas konnte sich nicht daran erinnern, das je gesehen zu haben. »Tja«, meinte er leichthin. »Ich hoffe, eure Nebelscheinwerfer funktionieren.« Thomas glaubte nicht, dass sie den Wasserdampf am Aussichtspunkt spüren würden. Die Kraftwerke lagen genau auf der gegenüberliegenden Seite des Abbaus, mindestens acht Kilometer weit entfernt, und der Dampf stieg sicher viele Dutzend Meter auf, bevor er ihre Position erreichte. Trotzdem steuerte er einen anderen Aussichtspunkt etwas weiter südlich an, weil er sichergehen wollte, dass sie nicht die ganze Zeit einen Schleier über sich haben würden. Gut eine Stunde später standen die vier mit mehreren Schritten Sicherheitsabstand an der Kante zum Abbaugebiet. »Das ist bestimmt der größte Sandkasten der Welt«, analysierte der Kleine, ohne tatsächlich beeindruckt zu sein. »Wirkt irgendwie bedrohlich«, meinte Silke, wie üblich eher unbeteiligt. Sie kam nicht vom Niederrhein und hatte in den vielen Jahren nie aufgehört, sich fremd zu fühlen. Die Große hatte keinen Kommentar, aber immerhin machte sie ein paar Fotos zum Teilen mit ihren Freunden. Thomas selbst hatte an diesem und den vielen anderen Aussichtspunkten schon oft gestanden und mit einer unklaren Mischung aus Schaudern, Wut und Trauer auf die beinahe endlose und für immer zerstörte Landschaft geblickt. Den böigen Wind an der Kante hatte er auch früher gehört. Mittlerweile kam noch das rhythmische Flappen der Windräder hinzu. Die Geräusche der absurd großen und unbarmherzigen Bagger hörte man hingegen nur selten. Man konnte auch nie jemanden dort unten arbeiten sehen. Das ist denen sicher recht, nahm Thomas an. Wer wollte schon mit einer solchen Verheerung in Verbindung gebracht werden? Dabei fiel ihm wieder ein, dass er während des Studiums selbst einmal als Praktikant dazugehört hatte. Nur drei Monate, verteidigte er sich, obwohl ihm niemand diesen Vorwurf machen konnte. Er hatte das nie erzählt. Wenn er hier oben alleine war, sah er minutenlang unbewegt zu, wie die Erde, seine Heimat, von den riesigen Schaufeln aufgenommen und auf kilometerlange Förderbänder gekippt wurde. »Was war denn hier früher?«, riss ihn sein Sohn aus seinen Grübeleien. »Ganz dahinten hat meine … eine Freundin von mir gewohnt«, antwortete er, etwas leiser, als Julius gefragt hatte. »An der Wolkenmaschine?«, staunte der. »Nein, davor, genau über dem Loch. Da waren früher überall Dörfer, so ähnlich wie unseres.« Und ich habe dort als Sechzehnjähriger zum ersten Mal geküsst, ergänzte er stumm. Ich könnte nicht einmal eine Gedenktafel aufstellen, sie würde einfach dreißig Meter tief in den Dreck fallen. So langsam hielt er es für einen schlechten Einfall, hierher geradelt zu sein. Das Gefühl verstärkte sich noch, als ihm bewusst wurde, dass der Wind noch einmal gedreht hatte und die Wasserdampfmassen trotz ihrer Streckenänderung immer noch genau über ihnen hinwegzogen. Das abgeschwächte Sonnenlicht ließ die Temperatur um ein paar Grad absinken. »Fahren wir weiter, hier ist es gar nicht so schön.« Silke hob die Augenbrauen und ihr Kinn, was ihre Art war, ›Ich weiß‹ zu sagen. Thomas entschied, ein paar Minuten weiter an der Klippe entlangzufahren in der Hoffnung, dass sie doch noch ein sonnenbeschienenes Panorama zu sehen bekamen. Aber auch nach einer halben Stunde zügiger Fahrt tauchten sie immer noch unter dem Nebel hindurch. Die Kinder verloren an dem Ausflug ihr Interesse, Silke fand ihn ohnehin eher lästig. Weil Thomas keine Lust hatte, sich als Tyrann aufzuspielen, bog er zur nächsten Kleinstadt ab, wo er allen ein Eis in Aussicht stellte. Wie öde die Gegend hier oben ist, dachte er. Alle paar Hundert Meter stand eine umzäunte Wasserpumpenstation und dazwischen wuchsen flache Büsche und Wildgras. Richtige Wege gab es hier nicht, nur die Fahrrinnen, die irgendwelche Traktoren oder Baumaschinen in die weiche Erde gefräst hatten. Die gruppenweise aufgestellten Windräder boten die einzige optische Abwechslung. Sie genügten aber nicht, dieser Gegend zu irgendeinem Charakter zu verhelfen. Thomas bemühte sich, seine Familie zu größerem Tempo anzuhalten, um wieder interessantere Eindrücke zu finden. Doch nach einer weiteren Viertelstunde ereignislosen Geradeausfahrens prallten seine Pläne buchstäblich an ein Hindernis. Direkt vor den vieren zog sich eine halb in die Erde vergrabene Pipeline quer durch das Bild. Der Graben war zu tief und zu steil, als dass sie ihre Fahrräder hätten darüber hieven können. Thomas stöhnte, weil so immer noch keine Aussicht bestand, dass der Ausflug eine erfreuliche Wendung nehmen würde. »Mist. Tut mir leid, aber wir müssen erst mal so lange an der Röhre entlang, bis wir eine Lücke finden.« »Kommen wir auf diesem Weg eigentlich auch wieder in Richtung nach Hause?«, fragte Silke, die Thomas’ ratlose Blicke deutete, als sie nach einer weiteren Stunde auf ein Dorf zufuhren. »Ja, klar, das müsste Immerath sein. Wir müssen nur zur Durchgangsstraße und dann nach rechts.« Vielleicht ist es jetzt doch Zeit, einen Blick auf Google Maps zu werfen, dachte er, verwarf das aber vorläufig. Kapitulieren konnte er immer noch. Das Ortseingangsschild war abmontiert worden. Die meisten Häuser, überwiegend zwei- oder dreigeschossig und alle verkleidet mit dunkelrotem Backstein, standen noch, aber vor keinem einzigen parkte ein Auto. Nirgendwo steckten Nachbarn ihre Köpfe zusammen und tratschten. »Das ist sicher Immerath. Hoffentlich habt ihr keine Angst. In den verlassenen Dörfern ist es ganz schön gruselig«, erklärte er in der Hoffnung, dass die Kinder das spannend finden würden. »Also gibt es hier kein Eis?«, maulte der Kleine aber nur. »Für Eis ist es eh schon zu spät«, ließ er einen lahmen Elternspruch los, den die Große auch nur mit einem Grunzen quittierte. Thomas hatte sich in dieser, seiner Gegend noch nie verirrt. Eigentlich hätte er irgendetwas an dem Dorf wiedererkennen müssen, auch wenn es mittlerweile aufgegeben worden war. Ich achte zu viel auf diesen penetranten Nebel, entschuldigte er sich. Sie kurvten etwas ziellos durch die verlassenen, traurigen Straßen. Thomas war über sich selber wütend, weil er den Weg aus diesem lächerlichen Dorf nicht herausfand. Zweimal standen sie unvermittelt wieder an der Kante zum Abbau und mussten drehen. Der künstliche Nebel war immer noch genau über ihnen, mittlerweile sogar so dicht, dass die Wolken oder der blaue Himmel darüber nicht mehr zu sehen waren. Das und die abermals gesunkene Temperatur hatten die Stimmung der Kinder und seiner Frau von genervt zu eingeschüchtert wechseln lassen. Aber endlich, nach gut einer weiteren Dreiviertelstunde, in der niemand etwas gesagt hatte, bogen sie auf die ehemalige Dorfhauptstraße ein. Hanna vor ihm bremste plötzlich so stark ab, dass Thomas ihr beinahe aufgefahren wäre. Auf dem schmucklosen Dorfplatz vor ihnen hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. An zwei Stellen qualmten Holzkohlegrills, um ein Lagerfeuer herum saßen etliche Personen auf zwei umgelegten Baumstämmen und redeten, eine Getränketheke war aufgebaut und an einem einfachen weißen Pavillon leuchtete eine bunte Lichterkette. Die drei älteren betrachteten für eine Weile die Szene mit zusammengekniffenen Augen, wie um Fehler in den Kulissen oder irgendwelche Unschärfen zu entdecken. Warum haben wir den Grillgeruch und die Geräusche bislang nicht wahrgenommen?, überlegte Thomas irritiert. Und wie sagenhaft unwahrscheinlich ist es, dass wir diese Stelle beim Herumkreuzen bislang nicht getroffen...



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