E-Book, Deutsch, 76 Seiten
Siefener / Norten / Fieberg DAEDALOS 13
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-95765-820-3
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Story-Reader für Phantastik
E-Book, Deutsch, 76 Seiten
ISBN: 978-3-95765-820-3
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»daedalos. Story Reader für Phantastik« wurde von Hubert Katzmarz und Michael Siefener in den Jahren 1994-2002 herausgegeben. Nach zwanzigjähriger Pause knüpfen die neuen Herausgeber an alte Traditionen an und lassen das legendär gewordene Magazin wieder aufleben. Mit aktuellen sowie fast vergessenen Texten, die klassischen Erzählweisen verpflichtet sind und beste Unterhaltung versprechen.
Der Inhalt:
Marco Frenschkowski: Der Verrat
Monika Niehaus: Unterwassermusik
Ellen Norten: Rita
Oliver Henzler: Bofinger geht ins Licht
Alexander Klymchuk: Teufelswerk
Kai Focke: Wie man einen Bestseller abstaubt
Thomas Le Blanc: Frühstück mit Lernet
Peter Stohl: Die geheimen Worte
Maike Braun: Das Meer der Verdammten
Silke Urbanski: Ophelia springt in den Baum
F. O. Tenneberg: Der Advokat
Dr. Michael Siefener, geboren 1961 in Köln, studierte nach dem Abitur Rechtswissenschaften an der Universität Köln. Promotion über 'Hexerei im Spiegel der Rechtstheorie.' Seit 1992 freier Schriftsteller und Übersetzer. Lebt abwechselnd in Hamburg und Manderscheid/Eifel.
Andreas Fieberg (* 1964) arbeitet hauptberuflich als Mediengestalter und übt daneben verschiedene Herausgeber- und Lektoratstätigkeiten aus, gelegentlich Übersetzungen. Einige seiner Kurzgeschichten waren für den Kurd-Laßwitz-Preis und den SFCD-Literaturpreis nominiert, mit letzterem wurde »Der Fall des Astronauten« ausgezeichnet. Von ihm erschienen: »Der Traumprojektor. Skurrile Geschichten«, vhk, und »Abschied von Bleiwenheim« (als Hrsg.), eine Anthologie in memoriam Hubert Katzmarz, und als Fortsetzung »Willkommen in Bleiwenheim« (zusammen mit Ellen Nor ten), beide p.machinery. Er zeichnet für die Reihe »Gegen unendlich. Phantastische Geschichten« verantwortlich, die in unregelmäßigen Abständen fein erzählte Phantastik abseits des Herkömmlichen bringt. Außerdem ist er gemeinsam mit Michael Siefener und Ellen Norten Herausgeber des »daedalos. Der Story-Reader für Phantastik«.
Ellen Norten, geboren 1957 in Gelsenkirchen ist promovierte Biologin und Wissenschaftsjournalistin. Als freie Mitarbeiterin arbeitete sie zunächst bei verschiedenen Hörfunksendern, danach folgte eine mehrjährige Mitarbeit bei der Fernsehsendung Hobbythek, auch vor der Kamera. In dieser Zeit entstanden ein Dutzend Sachbücher und Ratgeber. Anschließend war Ellen Norten Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk in München. Seit 2010 tourt sie zusammen mit ihrem Mann mit dem Wohnmobil durch die Welt, schreibt Reisebücher und Kurzgeschichten, sowie Rezensionen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Marco Frenschkowski: Der Verrat
»There’s more to life than books, you know. But not much more.« Morrissey Es war an meinem sechzigsten Geburtstag, dass ich in meiner Bibliothek zum ersten Mal ein Buch entdeckte, das es nicht gab. Wie es jedem Bücherfreund gehen mochte, geschah es natürlich auch mir gelegentlich, wenn ich durch die Gänge meiner Sammlung lief, dass mir Bände in die Hände fielen, an die ich mich nicht oder kaum erinnern konnte, und das eine oder andere Mal ist es mir passiert, dass ich Bücher gekauft habe, die ich schon besaß. Aber das meine ich nicht. Ich fand ein Buch, von dem ich mit absoluter Sicherheit wusste, dass es niemals existiert hatte. Es war eine deutsche Übersetzung des zweiten Bandes, der Fortsetzung zu Nikolaj Gogols »Toten Seelen«. Bekanntlich ist dieses Buch zwar geschrieben worden, das einzige Manuskript wurde von seinem Autor aber in einem depressiven Anfall kurz vor seinem Tod vernichtet. Gedruckt wurde das Werk nie, nur einzelne Nachrichten dazu sind überliefert. In Gogols Plan sollten die »Toten Seelen« von 1842 der erste Teil einer Trilogie werden, die in Analogie zu Dantes Göttlicher Komödie mit ihren drei Teilen Inferno, Purgatorio und Paradiso angelegt war. Juli 2006 also fiel mir eine deutsche Ausgabe (angeblich Leipzig 1882) in die Hand, doch dieses Buch hat es nie gegeben. Es ist untertrieben zu sagen, dass ich konsterniert war. Aber da es nichts gab, was ich zur Klärung der Sache tun konnte (die Kataloge sagten nur, dass es das Buch nicht gab), verlief sich das Rätsel im Sand, und die Zeit hätte es wohl verblassen lassen. Doch war das nur der Anfang der merkwürdigen Geschehnisse. Damals war ich allmählich in eine schwierigere Lebenssituation geraten. Meine Berufstätigkeit – die ich niemals sehr geliebt hatte – näherte sich ihrem Ende, bald würde ich als vormals freiberuflicher Rentner sehr viel weniger Geld besitzen (nicht, dass ich je wohlhabend gewesen wäre), und die Kosten für meine Bibliothek waren leider immens. Andere Ausgaben hatte ich kaum. Mein Beruf war der eines Übersetzers gewesen. Da ich im Studium mehrere nicht ganz verbreitete Sprachen erlernt hatte, insbesondere Arabisch und Persisch, bekam ich gute Aufträge und konnte mich mit dieser bescheidenen Arbeit recht gut ernähren. Gelegentlich arbeitete ich für Behörden wie die Polizei, manchmal auch für Zeitungen und Verlage. Es kamen immer genug Aufträge, sodass ich ein bürgerliches Leben finanzieren konnte. Die meisten Einnahmen flossen selbstverständlich in die Bibliothek, deren Themen sich allmählich ausweiteten, von meiner frühen Liebe zur Literatur und Kunst über die alte Geschichte, die großen Entdeckungsreisen und die Annalen der Ethnologie. Später kamen allerlei Magica und Occulta dazu, und auch andere, kuriosere Themen, die ich hier nicht nennen muss. Ich hatte mich immer dem digitalen Buch verweigert, ja ich hatte es gemieden wie die Pest, die es war. Natürlich besaß ich keinen »Kindle« oder ein anderes elektronisches Lesegerät: So etwas hätte ich verachtet. Das bedarf kaum einer Erklärung. Meine Arbeit als Übersetzer konnte ich daheim erledigen. Mein Zuhause wurde sukzessive ein Ort, wie er meinen Neigungen entsprach. Von meinen Eltern hatte ich einen zweistöckigen Bungalow geerbt, dessen ausgebauter Keller mein eigentlicher Wohnraum war. Da der Bungalow in eine kleine Anhöhe gebaut war, hatten auch die unteren Räume an ihrer Vorderseite Fenster und Türen, die in den großen Garten hinausführten. Uralte Bäume und dichte Büsche trennten mich von anderen Menschen. Ich ließ den Garten nach dem Willen der Natur wachsen. Nach wenigen Jahren war er völlig überwuchert. Ihn zu betreten hatte ich wenig Anlass: Manchmal im Sommer ging ich nachts hinaus und verfolgte den rätselhaften und spöttischen Lauf der Sterne. Im Winter lag er unter einer weißen Decke, und kein Fuß störte den jungfräulichen Schnee. Im Erdgeschoss hatte ich meine Kontakträume mit anderen Menschen installiert: ein bürgerliches Wohnzimmer, eine Küche, ein kleines Arbeitszimmer mit Büchern (meine wahre Bibliothek befand sich natürlich im Keller: Sie ist nie von einem anderen Menschen als mir betreten worden). In meinen jungen Jahren war ich auch recht viel gereist, aber seit meinem fünfzigsten Geburtstag war das immer weniger geworden, ich hatte das Interesse am Reisen und an anderen Ländern verloren. Und das Interesse an anderen Menschen. Ich wusste wohl, dass diese selbst gewählte Vereinsamung zu Problemen führen musste, je älter ich wurde. Wer sollte sich um mich kümmern, wenn ich krank oder wirklich alt werden würde? Aber ich konnte es nicht ändern. Ich konnte nicht länger vortäuschen, dass mir das Gespräch mit den Menschen Freude bereitete oder ihre Sorgen meine Anteilnahme erweckten. Ich war kein Zyniker: Niemals habe ich andere Menschen verachtet, jedenfalls nicht in ihrer Menge. Es war nur einfach so, dass mein Interesse erlosch. Ich hatte beschlossen, bis zu meinem zweiundsechzigsten Lebensjahr zu arbeiten. Das war ein Kompromiss, der mir vielleicht doch noch eine brauchbare Rente sichern sollte. Doch wie ich bereits befürchtet hatte, reichte es am Ende kaum aus. Finanzielle Rücklagen hatte ich keine. Alles Geld war seit meinem zehnten Lebensjahr in meine Bücher geflossen, die meine einzigen Freunde waren. Aber ich würde schon irgendwie klarkommen und mich eben anderweitig einschränken, um an meinen geliebten Büchern nicht zu sehr sparen zu müssen. Klamotten hatte ich ja, und da ich ohnehin kaum mehr vorhatte, auszugehen, würde deren sehr gelegentliche Aufstockung nur wenig Geld kosten. Und doch wurde es sehr bitter. Die steigenden Ausgaben für das alte Haus fielen stärker ins Gewicht, als ich gedacht hatte. Nur noch selten konnte ich mich frei etwa auf abebooks.com oder anderen Verkaufsportalen für Bücher im Internet bewegen und nach Herzenslust stöbern. Öffentliche Bibliotheken hatte ich nie besucht: Das wäre mir wie Prostitution vorgekommen. Ich wollte mit meinen Büchern ein persönliches und festes Bündnis eingehen, und das war nur möglich, wenn sie mit mir zusammenwohnten. Ich sorgte gerne für sie, beschützte sie vor zu viel Licht, Hitze oder gar Feuchtigkeit, entfernte vorsichtig den Staub, der sich wohl anlagern mochte, achtete darauf, dass sie nicht gepresst oder in ihrem Platz beschränkt wurden, und vor allem darauf, dass sie immer in guter Gesellschaft waren. Es musste doch zueinanderpassen, was da nebeneinander im Regal stand. Freilich konnte auch einmal eine lockere Abwechslung zu mancherlei kurzweiliger Kommunikation zwischen den Bänden führen, wenn da etwa ein antiker neben einem neuzeitlichen Autor stand. Wichtig war, dass Nachbarn etwas hatten, worüber sie sich austauschen konnten. Nur gemein wäre es gewesen, Bände nebeneinander zu stellen, die sich nicht ausstehen konnten: das vermied ich natürlich. Tiefes Mitleid erfüllte mich mit jenen Büchern, die herz- und gedankenlose Mitbewohner hatten, die sie irgendwie ins Regal pressten, sinnlos aufhäuften, verschmutzen ließen oder schlimmer, sie jahrelang vernachlässigten. Ich achtete immer darauf, dass jedes meine Bücher sich geliebt und respektiert wusste, selbst wenn ich ihm gerne einmal widersprach oder mit ihm diskutierte. Ich hatte seit alters eine Regel, dass kein Buch ungeöffnet länger als ein Jahr im Regal stehen sollte. Niemand aus meiner Familie sollte sich vernachlässigt fühlen. Tiefe Melancholie überkam mich bei dem Gedanken, dass ich nun keine neuen Freunde mehr für unseren kleinen häuslichen Kreis würde erwerben können, weil ich einfach nicht mehr genug Geld hatte. Das mögen die Bücher irgendwie gespürt haben. Sicher gab es Bücher, die ich mir auch früher nie hätte leisten können, aber von diesen träumte ich nur ganz selten. Audubons »The Birds of America« oder Edward King, Lord Kingsboroughs »Antiquities of Mexico«, beide im legendären Elefantenfolio-Format, das mochten wohl solche Bücher sein. Aber das war nicht schlimm; zu ihnen hatte ich kein näheres Verhältnis, sie hätten unsere kleine Lebensgemeinschaft kaum bereichert. Um meinen dreiundsechzigsten Geburtstag herum geschah es dann wieder. Melancholische Gedanken erfüllten mich. Ich stöberte an einem trüben Nachmittag gerade in jenem Winkel meiner Bücher, der dem Genre der Fantasy gewidmet war. Da meine eigene Fantasie sehr viel ausgeprägter war als die der meisten dieser Autoren, hatte dieses Gebiet nur begrenzten Reiz für mich, und ich hatte nur sporadisch dies und jenes gesammelt. Aber die großen Klassiker wie Morris, Macdonald, E. R. Eddison, Fritz Leiber, Dunsany, Tolkien oder Moorcock hatten es mir doch angetan, wenn ich auch kaum wertvolle Ausgaben besaß. Es war also nur ein kleiner Winkel, am Rande der viel zahlreicheren Bücher, die dem Unheimlichen gewidmet waren. Aber an diesem Tag hatte es mich in diesen Winkel gezogen. Und da fiel mir nun ein dicker Band in die Hände, an die tausend Seiten. »The New Shadow, by John R. R. Tolkien. Ed. By Christopher Tolkien« (London 2005). Ich wusste es sofort: Dieses Buch gab es nicht. Tolkien hatte wohl vor seinem Tod 1973 in mehreren Anläufen versucht, eine Fortsetzung seines Meisterwerkes »The Lord of the Rings« zu schreiben, aber er war nie über ein paar erste Seiten hinausgekommen. Diese Entwürfe, längst publiziert, redeten von einem kuriosen Orc-Kult unter den jungen Bewohnern Mittelerdes, einige Jahrzehnte nach der Handlung des »Lord of the Rings«. Diese Jugendlichen trugen schwarze Kleidung, hockten des Nachts in Höhlen, Kellern und Winkeln beieinander und imaginierten die Macht des bösen Herrschers, die ihr Leben spannend und ereignisreich machen sollte. Natürlich waren sie dumm und hatten keine Ahnung von den Realitäten des Bösen. Die Entstehung einer neuen...