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Shields | Das Tagebuch der Daisy Goodwill | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 378 Seiten

Reihe: Literatur-Preisträger

Shields Das Tagebuch der Daisy Goodwill

Roman
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-99109-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 378 Seiten

Reihe: Literatur-Preisträger

ISBN: 978-3-492-99109-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Carol Shields, die für diesen Roman den Pulitzerpreis erhielt, erzählt raffiniert und lebensnah von einem Frauenleben im 20. Jahrhundert.An einem allzu heißen Nachmittag des Jahres 1905 kommt Daisy Goodwill in einer Sturzgeburt auf die Welt. Die Mutter stirbt, Grund für die lebenslange Trauer ihres verträumten Vaters. Daisy wächst bei der Nachbarin Clarentine und deren Sohn Barker auf, der später Daisys große Liebe werden wird. Doch bis dahin muss sie eine schwierige Jugend und eine unglückliche erste Ehe durchleben. Zufriedenheit erfährt Daisy erst mit Barker und den gemeinsamen Kindern. Im hohen Alter vom Leben gebeutelt, macht Daisy noch eine große Reise, ehe sie in einem Altersheim die Vergänglichkeit erleidet und stirbt.»In ihrem Roman beschreibt Carol Shields auf einfühlsame Weise und mit enormem Sprachvermögen die Geschichte einer einfachen Frau, für die das Leben alles andere als eine Romanze ist.« Berliner Morgenpost
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Geburt, 1905


Der Name meiner Mutter war Mercy Stone Goodwill. Sie war erst dreißig Jahre alt, als sie an einem glühendheißen Tag erkrankte, während sie in ihrer nach hinten gelegenen Küche stand und für ihren Mann einen Malvernpudding zum Abendessen bereitete. Ein Kochbuch lag aufgeschlagen auf dem Tisch: »Man nehme einige Scheiben altbackenes Brot«, lautete das Rezept, »zwei Tassen Johannisbeeren, eine Tasse Himbeeren, 100 g Zucker, etwas Süßrahm, falls vorhanden.« Natürlich hat sie das Rezept halbiert, sind sie doch nur zu zweit, zumal Johannisbeeren knapp sind und Cuyler (mein Vater) ein schlechter Esser ist. Stocherpicker nennt sie ihn, den Mann, der imstande ist, zu essen oder es bleibenzulassen.

Es beschämt sie, wie wenig der Mann ißt, wie er mit seinem Löffel in dem Gericht herumstochert, vielleicht ein-, zweimal die Augen hebt, um ihr über den Tisch einen scheuen, anerkennenden Blick zuzuwerfen, aber sich nie eine zweite Portion nimmt, es ihr überläßt, alles aufzuessen – er fährt mit der Hand durch die Luft, eine verträumte Gebärde, mit der er sie nötigt. Und die ganze Zeit lächelt er, mit seiner einfältigen, zärtlichen Miene. Was bedeutete Essen für einen Arbeiter wie ihn? Eine Last, eine Störung, vielleicht gar eine Art Preis, der zu entrichten war, um sich aufrecht zu halten und weiter zu atmen. Nun, bei ihr, meiner Mutter, war das eine andere Sache.

Essen war dem Himmel so nahe, wie meine Mutter ihm jemals gekommen ist. (Heutzutage haben wir einen Namen für eine Leidenschaft, die so krankhaft ist wie die ihre.)

Und fast so himmlisch wie das Essen war das Zubereiten – mit welcher Hingabe sie darin aufging! Ein jeder Mensch auf Erden hat seine eigene Vorstellung vom Paradies, und dies war ihre, in der mörderisch heißen Küche ihres Hauses stehen, zusammenrühren und -brauen, vornübergebeugt auf den schönen Druck des Kochbuchs hinabblinzeln, einen sauberen Holzlöffel in der Hand.

Es ist schon ein Anblick, wie sie sich konzentriert – ihr heißes, eifriges Gesicht –, wie es sie entzückt, das Gericht Gestalt annehmen zu sehen, wenn sie die gedünsteten Früchte in die kunstvolle Form gießt, das dick geschnittene Brot in den sickernden Saft drückt, fühlt, wie es aufweicht und sich nach und nach voll Himbeerrot saugt. Malvernpudding, sie liebt auch das Wort und läßt die Silben auf der Zunge zergehen wie eine süße Waffel, ja ihre Zunge selbst ist waffelartig und süß geworden. Wie eine Künstlerin – Jahre später ist mir diese Art Kunstfertigkeit vollkommen klar – rührt und schichtet sie und zieht grübelnd die Unterlippe ein. Das wird ein Gericht! Ein warmer Schwamm, der Farbe annimmt. (Mrs. Flett von nebenan hat ihr ein paar Johannisbeeren von ihrem Strauch überlassen; die Himbeeren hat sie selbst am Straßenrand im Süden des Dorfes gefunden, auch wenn es sie halb umbringt, eine Frau von ihrem Umfang, in der Hitze des Tages draußen herumzulaufen.)

Sie streut eine Extraportion Zucker darüber, einen Löffel voll, dann noch einen, dann nimmt sie den Löffel in den Mund, die groben Kristalle, die sie munter halten. Es ist drei Uhr – ein heißer Julinachmittag mitten in Manitoba, mitten im Dominion Kanada. Die Wohnzimmeruhr (gediegener Firnis, vergoldete Füße, ein Hochzeitsgeschenk von der Familie ihres Mannes, den Goodwills aus Stonewall) hat gerade die Stunde geschlagen. Cuyler wird um Punkt fünf aus dem Steinbruch nach Hause kommen; gut gelaunt wird er sich am Spülbecken gründlich waschen, und um halb sechs werden sie sich beide an den Tisch setzen – an ebendiesen Tisch, nur mit einem sauberen Tuch bedeckt, jeden zweiten Tag ein frisches Tuch – und ihr Abendessen einnehmen. Es wird zum größten Teil ein stummes Mahl sein; denn meine Eltern sind beide schüchtern von Natur, und beide wurden in dem Glauben erzogen, daß Reden und Essen verschiedene Tätigkeiten sind, die man zu getrennten Zeiten auszuüben hat. Heute abend werden sie kaltes Corned beef mit einem Löffel selbstgemachter Würzsoße zu sich nehmen, ein paar Kartoffeln in der Schale als Beilage, gesüßten Tee und danach diesen köstlichen Pudding. Er wird große Augen machen: Mein Vater, Cuyler Goodwill, achtundzwanzig Jahre alt, seit zwei Jahren verheiratet, hat in seinem Leben noch keinen Malvernpudding gekostet. (Hierfür bereitet sie alles vor – seine erstaunte, leicht verwirrte Miene, den zärtlichen, anmutigen Männermund, der überrascht aufklappt. Das ist das mindeste, was sie tun kann, ihn auf solche Weise überraschen.) Sie stellt vorsichtig einen Teller mit Blumenmuster auf den Pudding und beschwert ihn mit einem Stein.

An einen kühlen Ort, heißt es im Rezept: »Man stelle die Form an einen kühlen Ort.« (Es ist ein altes Buch, vor mehr als dreißig Jahren in England erschienen, die Seiten sind schlaff, der Ton der Verfasserin aber ist energisch und scharf.) Doch wo soll Mercy Goodwill an einem Tag wie heute einen kühlen Ort finden? Sogar der dunkle Steinverschlag unter der Kellertreppe, wo sie ihre Milch, ihre Butter und ihr Schmalz lagert, hat sich erwärmt und die letzten vierzehn Tage einen eigenartigen sauren Geruch verströmt. Die Familie Flett von nebenan hat vor kurzem einen Labrador-Eisschrank gekauft, mit Zink verblendet, und Mrs. Flett hat Mercy schüchtern von dieser Erwerbung erzählt, hat die Eigenschaften erwähnt, die Entlüftungsvorrichtung, die Vorratsroste aus glänzendem Blech und daß ein Eisblock zwei oder mehr warme Tage überdauern kann.

Ein jäher Gedanke – die Sorge, wie der Pudding kühl zu halten sei, oder vielleicht Neid auf den neuen Eisschrank der Fletts – löst bei meiner Mutter den ersten krampfhaften Schmerz aus. Sie gibt einen leisen Schrei von sich. Ihre Augenwinkel ziehen sich zusammen, als hätte jemand sie an den Haaren gepackt und hochgezerrt, so daß ihre Kopfhaut brennt. Ein Zeuge, wäre in der kleinen Küche ein Zeuge zugegen gewesen, hätte vielleicht eine nahende Ohnmacht befürchtet, obwohl meine Mutter nicht sehr zu Schwächeanfällen neigt. Was sie fühlt, ist mehr wie ein Umwälzen im unteren Brustkorb, zuerst ein Heben, dann ein abruptes Senken, ein Quetschen wie bei einer seitwärts gehaltenen Ziehharmonika.

Sie blickt nach unten und beobachtet verwundert, wie die blauen und weißen Streifen ihrer Kittelschürze zu bunten Flocken zerstieben. Ihre Hände flattern vorwärts in die Luft, ein Reflex, um den zermalmenden Druck aufzuhalten, und sie stützt sich, indem sie die Schultern strafft und die Hände flach auf den Tisch legt, beugt sich vor und stößt ein langes, leises Wimmern aus. Der Laut, der von ihren Lippen kommt, ist formlos, fahrig, eine wirre Wellenlinie. (Später werden sich diese Worte, mehr als alle anderen, mit meinem Bild von meiner Mutter verbinden: Fahrigkeit, Wirrnis.) Für eine gewichtige Frau schwitzt sie wenig, selbst im Hochsommer, und sie hegt heimlich einen scheuen Stolz auf ihre Körpertrockenheit – nur jetzt breitet sich unter ihrem Kittel, ihre Rückenfurehe hinab, ein breiter feuchter Streifen aus. Sie atmet schnell, blinzelt, als der Schmerz sich in massiven Ringen um ihren Bauch legt. Da unten, in den überlappenden Falten ihres Fleisches vergraben, fühlt sie sich überschwemmt. Eine Flutwelle, eine Sintflut.

Den ganzen Frühling hatte sie Verdauungsbeschwerden. Oft ist sie am Morgen und dann noch einmal am Abend, wenn ihr junger Ehemann eingeschlafen war, aus dem Bett gestiegen und hat sich eine Dosis Bishop’s Magnesiumzitrat verabreicht. Wenn sie gewöhnliche Milch oder gesüßten Tee oder süße Limonade trinkt, schluckt sie gierig, aber Bishop’s kalten kreidigen Trank gießt sie in eine Porzellantasse und trinkt ihn langsam, in tiefer Konzentration, mit Würde. Sie weiß nicht, was sie denken soll. An einem Tag ist sie überzeugt, daß ihre Leber nicht in Ordnung ist, und am nächsten Tag sind es die Nieren – sie ist erst dreißig Jahre alt, aber Nierenleiden können früh im Leben auftreten, zumal bei einer Frau von dem außergewöhnlichen Umfang meiner Mutter. Oder vielleicht rühren die Beschwerden von Verstopfung her. Mrs. Flett nebenan hat auf diese Möglichkeit hingewiesen und Rhabarbertabletten empfohlen oder auch, im Vertrauen, ein Frauenleiden vermutet. Übermäßiger Blutverlust, erklärt sie Mercy, sei Ursache für die Klagen vieler junger Damen hat Mercy mit Dr. Spears gesprochen? Dr. Spears ist bekannt für sein Feingefühl, wenn es um Frauenbeschwerden geht; er hat so eine Art, die Augen zusammenzukneifen, wenn er seine heiklen Fragen stellt, und nahezu poetisch von den Zyklen und Balancen der Natur zu sprechen, von den Gezeiten der Fruchtbarkeit oder den Tröstungen der Fruchtsalze.

Nein, Mercy hat sich nicht an Dr. Spears gewandt, sie würde niemals mit Dr. Spears über so etwas sprechen, sie würde mit niemandem sprechen, nicht einmal mit ihrem Mann – schon gar nicht mit ihrem Mann. Ihre Monatsblutung ist nur zweimal in ihrem Leben aufgetreten, aus den weichen Fleischkissen ihres Unterleibs sprudelnd, ihre Unterwäsche mit abstoßendem Glanz befleckend und der kleinen Annehmlichkeiten und Pflichten spottend, aus denen ihr Leben besteht: ihre Handarbeiten, ihr Geschick mit dem Plätteisen, ihr Eingemachtes und Eingelegtes und frisches Leinen und die Lampenzylinder, die sie jeden Morgen aufs neue poliert.

Das Magnesiumzitrat hilft kaum. Fruchtsalze verschlimmern ihr Leiden nur. Ihre Magenwände haben sich weiterhin verkrampft und gehoben, den ganzen Frühling hindurch, und sie hat sich zeitweilig gefragt, ob ihre inneren Membranen unter dem Druck platzen könnten. Oft steigt ihr Galle in die Kehle. Ihre Haut juckt am ganzen Körper. Sie erleidet Anfälle von Blähungen, bei denen ihr siedend heiß wird, vor allem nachts, wenn sie neben meinem Vater liegt, der, aus Liebe, aus Zartgefühl, sich tief schlafend stellt – sie merkt es daran, wie er...


Shields, Carol
Carol Shields, geboren 1935 in Oak Park, Illinois, übersiedelte 1957 nach Kanada und war dort Professorin für Anglistik an verschiedenen Universitäten. Sie gehört zu den renommiertesten Autorinnen ihres Landes. Sie veröffentlichte zahlreiche Romane und Kurzgeschichten, für »Das Tagebuch der Daisy Goodwill«, wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerlisten in Amerika und England, wurde sie mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, für »Alles über Larry« mit dem Orange Prize. 2002 wurde ihr der Order of Canada verliehen. Zuletzt lebte sie mit ihrem Mann in Victoria, British Columbia, wo sie 2003 starb. Auf deutsch erschien 2005 ihr letzter, für mehrere Preise nominierter Roman »Die Geschichte der Reta Winters«.



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