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E-Book

E-Book, Deutsch, 356 Seiten

Reihe: Classics To Go

Shaw Künstlerliebe


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98744-599-6
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 356 Seiten

Reihe: Classics To Go

ISBN: 978-3-98744-599-6
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Auszug: Es war zur Osterzeit an einem schönen Nachmittag. Kensington Gardens erstrahlten im jugendlichen Frühlingsgrün. Die Stufen des Albert Memorial wurden von Provinzlern belagert, die abwechselnd ihren Führer studierten oder zu dem goldenen Herrn unter dem steinernen Baldachin hinaufstarrten und sich dabei bemühten, die Wirklichkeit mit der Beschreibung in Einklang zu bringen. Ihre Londoner Bekannten verhielten sich völlig gleichgültig gegen Baldachin und Statue und blickten müßig auf die fashionable Fahrstraße zu ihren Füßen hernieder Eine besondere kleine Gruppe setzte sich zusammen aus einem alten Herrn, der sich ausschließlich mit dem Memorial beschäftigte, einer jungen Dame, die ihre ganze Aufmerksamkeit dem Reisehandbuch schenkte, und einem jungen Herrn, der die seinige wiederum ausschließlich der jungen Dame zukommen ließ.

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Erstes Kapitel.
Es war zur Osterzeit an einem schönen Nachmittag. Kensington Gardens erstrahlten im jugendlichen Frühlingsgrün. Die Stufen des Albert Memorial wurden von Provinzlern belagert, die abwechselnd ihren Führer studierten oder zu dem goldenen Herrn unter dem steinernen Baldachin hinaufstarrten und sich dabei bemühten, die Wirklichkeit mit der Beschreibung in Einklang zu bringen. Ihre Londoner Bekannten verhielten sich völlig gleichgültig gegen Baldachin und Statue und blickten müßig auf die fashionable Fahrstraße zu ihren Füßen hernieder. Eine besondere kleine Gruppe setzte sich zusammen aus einem alten Herrn, der sich ausschließlich mit dem Memorial beschäftigte, einer jungen Dame, die ihre ganze Aufmerksamkeit dem Reisehandbuch schenkte, und einem jungen Herrn, der die seinige wiederum ausschließlich der jungen Dame zukommen ließ. Sie sah ganz aus wie ein Weib von Kraft und Intelligenz. Ihre kühn geschwungene Nase, das energische Kinn, der elastische Schritt, die aufrechte Haltung, das resolute Wesen, das dichte schwarze Haar, das am Nackenansatz von einem breiten, hochroten Bande zusammengehalten wurde, ließ solche Leute, denen ihre ganze Erscheinung gefiel, sie auch für auffallend hübsch halten. Die übrigen Leute hielten sie für auffallend häßlich. Wahrscheinlich würde sie diesen letzteren ihre Ansicht auf Grund des stillschweigend inbegriffenen Zugeständnisses, daß sie wenigstens nicht alltäglich aussah, gern verziehen haben. Ihre Toilette bestand aus einem weiten, schwarzen, mit weißem Pelz verbrämten Mantel und einem breiten Hut, der mit einer roten Feder und auf der Unterseite der Krempe mit seegrüner Seide verziert war, und erwies sich demzufolge als jene besondere Art von Toilette, wie sie wohl von Frauen erstrebt wird, die sich einer nachhaltigen Selbstbildung und der Betonung der eigenen Individualität befleißigen. Sie besaß nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihrem Vater, dem grauhaarigen Herrn, der das Monument mit eifrigen, wäßrigen Augen betrachtete und von Zeit zu Zeit Ausrufe fragender Bewunderung von sich gab, die der Unsumme galten, die das Memorial wohl gekostet haben mochte. Der junge Mann, der offenbar an die dreißig Jahre zählte, war schlank, von mittlerer Größe. Sein feinfädiges, blaßgoldenes Haar, das sich stellenweise schon in bräunliches Silber verwandelte, war an den Schläfen, wo es bereits spärlicher zu werden begann, leicht gelockt. Ein kurzer Bart ließ seine Gesichtszüge – die Züge eines Mannes von außergewöhnlich zartem Empfindungsleben und seltener Verfeinerung – markant hervortreten. Inmitten dieser kleinen Gesellschaft war er der Londoner; und so wartete er denn mit gefügiger Geduld, während seine Begleiter ihre Wißbegier befriedigten. Es war angenehm, sie zu beobachten, diese drei Leute: er verschlang sie nicht mit seinen Blicken, noch schien sie sich dessen gar zu sehr bewußt, daß ihm die Sonne heller und klarer erstrahlte, weil sie bei ihm weilte. Und doch waren sie augenscheinlich ein junges Liebespaar und so glücklich, wie eben Menschenkinder solchen Alters glücklich zu sein wissen. Schließlich mußte das Interesse, das der alte Gentleman dem Memorial entgegenbrachte, der Ermüdung weichen, die durch das lange Stehen auf den steinernen Stufen und das angestrengte Aufwärtsblicken hervorgerufen worden war. Er schlug daher vor, eine Bank ausfindig zu machen und das Monument aus geraumer Entfernung weiter zu betrachten. »Ich glaube, Mary, ich sehe dort unten eine Bank, auf der nur eine Person sitzt,« bemerkte er, während sie auf der westlichen Seite die Stufen hinunterstiegen. »Kannst du erkennen, ob er anständig aussieht?« Die junge Dame, die etwas kurzsichtig war, versah ihre vorspringende Nase mit einem Kneifer, hob das Kinn und unterzog die Persönlichkeit auf der Bank entschlossen einer eingehenden Prüfung. Die Persönlichkeit erwies sich als ein untersetzter, breitbrüstiger junger Mann in einem zerknüllten Gehrock und mit einem abgetragenen Hut; Wäsche war schlechterdings nicht ersichtlich. Seine pockennarbige Haut schien schwarz gesprenkelt, als ob er kürzlich in einer Kohlenmine gewesen und noch nicht dazu gelangt wäre, den Kohlenstaub durch Behandlung mit einem nassen Handtuch aus den Poren zu entfernen. Er saß mit verschränkten Armen da und starrte auf den Boden vor sich nieder. Die eine Hand war unter dem Arme verborgen; die andere bot sich den Augen des Beschauers dar – mit wulstiger Handfläche, kurzen Fingern und scharf abgebissenen Nägeln. Er war glatt rasiert, hatte runzlige, resolute Lippen, eine kurze Nase, geschwungene Nasenflügel, dunkle Augen und schwarzes Haar, das sich über seiner niedrigen, breiten Stirn lockte. »Hübsch ist er auf keinen Fall,« bemerkte die Dame, »aber er wird uns nichts zuleide tun – glaube ich.« »Das will ich wohl meinen,« entgegnete der junge Mann in ernstem Tone. »Aber ich kann Ihnen auch einige Stühle beschaffen, wenn Ihnen das lieber ist.« »Ach, Unsinn, ich habe ja nur gescherzt.« Während sie sprach, sah der Mann auf der Bank zu ihr auf; in dem Moment, da ihre Augen den seinen begegneten, empfand sie eine unwillkürliche Scheu und Beklemmung. Der vage Ausdruck seines Blicks verwandelte sich in den forschender Beobachtung, die sie mutig und entschlossen zurückgab. Dann überflog er rasch prüfend ihre Kleidung, warf einen Blick auf ihre Begleiter und sank wieder in seine frühere Haltung zurück. Die Bank bot nur für vier Personen Platz; der alte Herr hatte sich an dem einen leeren Ende zur Seite seiner Tochter niedergelassen, der jugendliche Freund wählte die Stelle zwischen ihr und dem fremden Manne, den sie kurz darauf noch einmal verstohlen beäugte. Er war von neuem aus seiner Träumerei aufgefahren: diesmal galt seine ganze Aufmerksamkeit einem Kinde, das ganz in seiner Nähe einen Apfel verspeiste. Die junge Dame konnte sich beim Anblick seiner Gesichtszüge einer Regung des Unbehagens nicht erwehren. Auch dem Kinde war er aufgefallen; es hielt mit Essen inne und betrachtete ihn mißtrauisch. Er lächelte mit verbitterter, grimmiger Freundlichkeit und senkte seine Augen wieder auf den Kiesweg. »Es ist sicherlich ein großartiges Stück Arbeit, Herbert,« meinte der alte Herr. »Für dich, einen Künstler, muß es ja geradezu ein Genuß sein. Ich verstehe nicht genug von Kunst, um es in vollem Umfange schätzen zu können. Himmel ja, sind denn all diese Knäufe aus wertvollen Steinen hergestellt?« »Jawohl, mehr oder weniger wertvoll – ich glaube es wenigstens, Mr. Sutherland,« entgegnete Herbert lächelnd. »Ich muß noch einmal herkommen und mir's wieder betrachten,« bemerkte Mr. Sutherland, indem er sich von dem Monument abwandte und seine Brille neben sich auf die Bank niederlegte. »Das erfordert ein ausgiebiges Studium. Ich wollte, ich hätte diese Geschichte mit Charlie aus dem Kopf.« »Sie werden ohne die geringste Schwierigkeit einen Hauslehrer für ihn finden,« entgegnete Herbert. »In London hat man Hunderte davon zur Auswahl.« »Das schon – aber selbst wenn es tausend wären – Charlie würde bei jedem etwas auszusetzen haben. Die Musik, wissen Sie – darin liegt die Schwierigkeit.« Herbert fühlte sich durch eine plötzliche Bewegung des sonderbaren Fremden unangenehm berührt und rückte näher an Mary heran. »Ich meine,« sagte er, »auch die Musikfrage bietet keine sonderlichen Schwierigkeiten. Viele junge Leute, die sich dem geistlichen Stande widmen wollen, sind sehr froh, eine Privatlehrerstelle zu erhalten. Heutzutage erwartet man von jedem Geistlichen einige Kenntnis der Musik.« »Jawohl,« warf die junge Dame ein, »aber was nützt das alles, wenn Charlie sich ausdrücklich gegen einen Geistlichen verwehrt? In diesem Falle bin ich sogar ganz auf seiner Seite. Die der Gottesgelahrtheit beflissenen Leute sind viel zu einseitig und dogmatisch, als daß sich angenehm mit ihnen leben ließe.« »Da haben wir's,« rief Mr. Sutherland mit unvermittelter Entrüstung, »jetzt fängst du selbst an, allerhand Schwierigkeiten und Einwände zu machen. Meinst du denn, daß ein Engel vom Himmel herniedersteigen würde, um Charlie zu unterrichten?« »Das nicht, Papa – ich zweifle nur, ob viel weniger als ein Engel ihm genügen wird.« »Ich werde mit einigen meiner Freunde über die Angelegenheit sprechen,« sagte Herbert. »Auf eine Woche oder zwei kommt es wohl nicht an, nicht wahr?« »Oh nein, nicht im geringsten,« entgegnete Mr. Sutherland, indem er nach seinem letzten Gefühlsausbruche eine sichtliche Heiterkeit zur Schau trug. »Wir haben gar keine Eile. Nur soll Charlie sich nicht die Gewohnheiten des Nichtstuns zu eigen machen. Und wenn die Angelegenheit nicht im Einklang mit seinen Wünschen erledigt werden kann, so werde ich meine Autorität zur Geltung bringen und selbst einen Lehrer auswählen. Ich verstehe gar nicht, was er an dem Mann, den wir bei Archidiakonus Downes getroffen haben, auszusetzen hat – kannst du es begreifen, Mary?« »Ich begreife nur, daß Charlie zu faul zum Arbeiten ist,« entgegnete Mary. Dann wandte sie sich, als ob dieser Gesprächsstoff sie ermüde, dem jungen Herbert zu. »Sie haben uns doch gar nicht gesagt, wann wir in Ihr Atelier kommen und uns Ihre Dame von Shalott ansehen sollen. Ich bin sehr gespannt darauf. Es macht mir gar nichts aus, wenn es noch nicht fertig ist.« »Aber mir,« entgegnete Herbert, der plötzlich nervös und selbstbewußt wurde. »Ich fürchte. Sie werden unter allen Umständen von dem Bild enttäuscht sein. Jedenfalls aber möchte ich es soweit bringen, wie ich nur irgendwie kann, bevor Sie sie zu...



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