Shaw | Die törichte Heirat | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 367 Seiten

Reihe: Classics To Go

Shaw Die törichte Heirat


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98744-600-9
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 367 Seiten

Reihe: Classics To Go

ISBN: 978-3-98744-600-9
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Wie in fast allen seinen Werken nimmt Shaw auch hier die englische Gesellschaft mit ihren starren und selbstgefälligen Formen unter die Lupe. Den Helden, einem Mann aus dem Volke, gelingt es, durch Begabung, Willensstärke und untadeligen Charakter in die vornehmen Londoner Kreise einzudringen und eine Frau aus diesem Milieu für sich zu gewinnen. Sie folgt ihm gegen den Willen ihrer Familie in die Ehe - und wird unglücklich, denn die maßvoll beherrschte Art ihres Mannes erscheint ihr als Gefühlskälte.

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Erstes Kapitel
An einem schönen Aprilabend um sieben Uhr hatte man in einem Zimmer im ersten Stock eines Hauses in York Road, Lambeth, gerade das Gaslicht angezündet. Ein Mann, frisch gewaschen und gebürstet, stand auf dem Kaminteppich vor einem Pfeilerspiegel und band sich eine weiße Binde um zu seinem Gesellschaftsanzug. Er war ungefähr dreißig Jahre alt, gut gewachsen und von kräftigem Körperbau. Keine Spuren von Leidenschaften oder Sorgen lagen auf seinem Gesicht: er war voll Selbstbeherrschung und Ruhe und machte keine unbestimmten Bewegungen irgendwelcher Art. Selbst die weiße Binde veranlaßte ihn nicht, herumzufühlen, und er handelte mit einem gewissen Zielbewußtsein, mit einer folgerichtigen Kraftersparnis, die dem Unentschlossenen so schrecklich erscheint. Sein Gesicht war braun, aber das kastanienfarbene Haar machte ihn zu einem schönen Menschen. Das Zimmer, ein Salon mit zwei Fenstern, war bestaubt und unsauber. Der Anstrich und die Tapeten waren seit Jahren nicht erneuert worden. Auch schien es, als ob man das Klavier, das nahe beim Kamin stand, während dieser Zeit niemals geschlossen hätte, denn das Innere war bestaubt, und am hintern Ende jeder Taste klebte der Schmutz. Auf einem Tisch zwischen den Fenstern stand etwas Teegeschirr zwischen einem Haufen Putzzeug, und ein Kerzenleuchter von Messing, der zurückgeschoben war, um einem halb auseinandergebreiteten Tuch Platz zu machen. Es gab noch einen andern Tisch nahe bei der Tür, der überladen war mit Drähten, Batterien, einem Galvanometer und andern elektrischen Apparaten. Der Kaminsims lag voll alter Briefe, und die beiden Teebretter von Doulton-Ware, die ihn schmückten, waren angefüllt mit allerlei Nähzeug, mit Knöpfen und verrosteten Schlüsseln. Ein knisterndes, raschelndes Geräusch, als ob sich jemand anzöge, das für einige Minuten durch die Flügeltür zu hören war, hörte auf, und eine hübsche junge Frau trat herein. Sie hatte schweres, schwarzes Haar, schöne dunkle Augen, ein ovales Gesicht, einen reinen, olivenfarbenen Teint und einen elastischen Körper. Sie war nur halb angezogen in einem Unterrock, der nicht bis zu den Knöcheln reichte, und in einem Korsett von leuchtend roter Seide mit weißen Spitzen und Säumen, völlig unbekümmert um die Anwesenheit des Mannes schüttete sie sich eine Tasse Tee ein, trug sie zum Kaminsims und begann vor dem Spiegel ihr Haar zu ordnen. Er band, ohne sich umzusehen, seine Binde fertig, betrachtete sie einen Moment aufmerksam und sagte: »Hast du keine Stecknadel bei dir?« »Es steckt eine in dem Nadelkissen auf meinem Tisch,« antwortete sie, »aber ich glaube, es ist eine schwarze. Ich weiß nicht, wo zum Kuckuck alle Stecknadeln hingehen.« Dann ließ sie den Gesprächsgegenstand fallen, pfiff eine lange und wohlklingende Kadenz und fügte als Instrumentalintermezzo eine bemerkenswert getreue Nachahmung eines Violincells hinzu. Inzwischen war der Mann wegen der Stecknadel in ihr Zimmer gegangen. Als er wiederkam, wurde sie plötzlich neugierig und fragte: »Wo gehst du diesen Abend hin, wenn man fragen darf?« »Ich gehe aus.« Sie sah ihn einen Augenblick an und wandte sich dann verächtlich nach dem Spiegel, indem sie sagte: »Danke schön. Es tut mir leid, daß ich so neugierig war.« »Ich werde für die Gräfin von Sunbury in einem Konzert in Wandsworth singen.« »Singen! Du! Die Gräfin von Sunbury! Lebt sie in Wandsworth?« »Nein, sie lebt in Park Lane.« »Oh, ich bitte um Verzeihung.« Der Mann machte hierzu keine Bemerkung, und sie fuhr fort, nachdem sie ihn mißtrauisch angesehen, um sich zu versichern, daß er auch im Ernst geredet hatte: »Wie kommt es, bitte, daß die Herzogin von Dingsda dich kennt?« »Warum sollte sie mich nicht kennen?« Eine lange Pause folgte. Dann sagte sie: »Dummes Zeug!« aber ohne Überzeugung. Ihr Ausruf machte augenscheinlich keinen Eindruck auf ihn, bis er seine Weste zugeknöpft und seine Uhrkette eingehakt hatte. Dann blickte er nach einem Brief von rosa Papier, der auf dem Kaminsims lag. Sie riß ihn mit einem Griff weg, öffnete ihn und starrte ungläubig darauf. Dann sagte sie: »Rosa Papier und ausgezackte Ränder! Wie schmutzig gewöhnlich! Ich dächte, sie hat nicht viel von einer Gräfin an sich! Ach so! Gesellschaft Parnaß zur Propaganda der Kunst! Am Dienstag, den 25. April, findet in der Sparbank zu Wandsworth ein Konzert statt unter dem Protektorat der Gräfin von Sunbury und der Mitwirkung nachfolgender Damen und Herren: Miß Elinor McQuench – was für ein Name! –, Miß Marian Lind – wer ist Miß Marian Lind?« »Wie soll ich das wissen?« »Ich dachte nur, weil sie zu der Bande der Gräfin gehört, müßtest du höchstwahrscheinlich auch mit ihr befreundet sein. Mistreß Leith Fairfax. Es gibt eine Mistreß Leith Fairfax, die Romane schreibt – und zwar sind es äußerst schmutzige Romane. Wer sind die Herren? Mister Marmaduke Lind – vermutlich der Bruder der Miß Marian. Mister Edward Conolly – feiner Name! Sie müssen sehr in Verlegenheit wegen Gentlemen gewesen sein, da sie dich als einen daruntergesetzt haben. Die Familie Conolly wird endlich aufschauen. Hm, fast ein Dutzend alle miteinander. Billetts werden gratis an die Arbeiterfamilien verteilt durch Pastor George Lind – schade, daß sie Jenny Lind nicht engagiert haben, mit dort zu singen –, Schriftführer der Gesellschaft. Eine beschränkte Zahl von Plätzen in der ersten Reihe zu einem Schilling. Bitte umwenden. Erster Teil. Symphonie in F-Dur, Haydn. Bearbeitet für vier englische Konzertinos von Julius Baker. Mister Julius Baker; Mister Julius Abt Baker; Miß Lisette Baker (acht Jahre alt) und Miß Totty Baker (sechseinhalb Jahre alt)! Gott im Himmel! Lied: Die still blühende Rose, Spohr. Miß Marian Lind. Hoffentlich kann sie singen. Polonäse in As-Dur, Chopin – welch ein Blödsinn! Als ob Arbeiter sich etwas aus Chopin machten! Miß Elinor McQuench ist eine Närrin, wie ich sehe. Lied: Il Balen. Natürlich, ich wußte, du würdest das versuchen. Oho! Hier ist endlich etwas Vernünftiges. ›Niggermelodie. Onkel Ned.‹ Mister Marmaduke Lind, der sich selbst auf dem Banjo begleitet. Dum, drum. Dum, drum. Dum, drum. Dum –
›Und da war ein oller Nigger, und sein Nam' war Onkel Ned;
Und er war schon lange tot, lange tot.
Und er hatte keine Haare auf dem Kopf, der Onkel Ned,
Alle Wolle die war fort, und er war tot.‹ Mister Marmaduke Lind wird das zweimal wiederholen müssen, und niemand wird euch andere auch nur beachten. ›Rezitation. Die gläubige Seele. Adelaide Proctor. Mistreß Leith Fairfax.‹ Nun, das ist gewiß ein gesegneter Versuch, Wandsworth zu unterhalten. Noch eine Vorlesung vom Pastor –« Hier nahm Conolly, der seinen Überzieher angezogen hatte, seiner Schwester das Programm geschickt aus den Fingern und verließ das Zimmer. Sie sandte ihm eine laute Verwünschung nach und kehrte zum Spiegel zurück, wo sie mit ihrer Toilette fortfuhr, indem sie dazwischen ihren Tee trank, bis sie zum Ausgehen fertig war. Dann ließ sie einen Wagen holen und bat den Kutscher, sie nach dem Bijou-Theater in Soho zu fahren. Conolly wurde nach seiner Ankunft in der Wandsworther Sparkasse zum Büro des Sekretärs geleitet, das bei dieser Gelegenheit auch als Wartezimmer für die Künstler benutzt wurde. Er wurde von einem glattrasierten jungen Geistlichen begrüßt, der behauptete, er sei erfreut, ihn zu sehen, ihm aber keine Hand anbot. Conolly dankte ihm kurz und ging ohne weitere Umstände an den Tisch, wo er seinen Hut und Überzieher auf einen Haufen ähnlicher Kleidungsstücke legte. Dann besah er sein Programm und überlegte, wann die Reihe zu singen an ihn kommen würde. Dann rollte er seine Noten auf und legte zwei Exemplare von Il Balen vor sich auf den Tisch. Nachdem er diese Angelegenheit mit einer Selbstbeherrschung erledigt hatte, die den Geistlichen ganz verwirrt machte, wandte er seine Aufmerksamkeit der übrigen Gesellschaft zu. Sein erster Blick wurde durch die Schönheit einer jungen Dame gefesselt, mit hellbraunem Haar und sanften grauen Augen, die nahe am Feuer saß. Neben ihr auf einem tieferen Sessel saß eine kleine, magere und sehr unruhige junge Frau mit scharfen, dunklen Augen, die verächtlich aus einem verlebten Gesicht blickten. Die beiden wurden von einem lustigen jungen Mann unterhalten mit lockigem, kastanienbraunem Haar, der auf einem Banjo klimperte und von Zeit zu Zeit dem ruhelosen Mädchen einen Ausruf des Ärgers entlockte, weil er sie um ihre Meinung fragte über seine Fortschritte in der Behandlung dieses Instruments. Nahe bei ihnen stand ein großer Mann, dunkelfarbig und hübsch. Er schien an seine augenblickliche Umgebung nicht gewöhnt zu sein und sah verächtlich sowohl auf die Gesellschaft als auch auf den Anlaß, der sie versammelt hatte. Der Geistliche hatte gerade einen älteren Professor in schäbigem Gehrock auf die Bühne gebracht, gefolgt von drei wohl gewaschenen Kindern, deren jedes eine Konzertina trug. Er kam jetzt zurück und setzte sich neben eine Dame in mittlerem Alter, die sich durch die Benutzung eines goldenen Kneifers hervortat, mit dem sie den Eindruck erwecken wollte, als ob sie eine außerordentlich scharfe Beobachterin sei. »Es ist ein Glück, daß wir einen so schönen Abend haben«, sagte der Geistliche zu ihr. »Ja, nicht wahr, Mister Lind?« »Mein Hals ist angegriffen bei schlechtem Wetter, Mistreß Leith Fairfax. Ich bin sowieso im Nachteile durch den unvermeidlichen Vergleich Ihrer Aussprache mit der meinigen, so daß ich glücklich bin, wenn mir das Wetter günstig ist, obgleich es die Vergleichung doch nicht...



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