E-Book, Deutsch, 279 Seiten
Reihe: Classics To Go
Shaw Cashel Byrons Beruf
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98744-596-5
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 279 Seiten
Reihe: Classics To Go
ISBN: 978-3-98744-596-5
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Roman folgt Cashel Byron, einem Weltmeister-Preiskämpfer, der versucht, die wohlhabende Aristokratin Lydia Carew zu umwerben, ohne seinen illegalen Beruf preiszugeben.
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Einleitung
I. Moncrief House, Panley Common, höhere Lehranstalt für Söhne guter Familien etc. Von den Hinterfenstern von Moncrief House gesehen ist Panley Common ein mit Gras, Ginster und Binsen bewachsenes Stück Land, das sich dem westlichen Horizont zu flach ausdehnt. An einem feuchten Frühlingsnachmittag war der Himmel mit abgerissenem Gewölk bedeckt; die breiten Schatten der Wolken zogen über das Wiesenland; die grünen Flecke und der gelbe Ginster traten glänzend an den sonnenbeschienenen Stellen hervor. Die nach Norden zu gelegenen Hügel wurden von einem heftigen Regenschauer verdunkelt, dessen Spuren auf dem Schieferdach des Schulgebäudes noch trockneten. Es war ein viereckiges weißes Haus, früher der Landsitz eines vornehmen Herrn. Davor breitete sich ein gutgehaltener Rasen mit einigen wenigen geklippten Stechpalmen aus: auf der Rückseite die [unleserlich, Druckfehler te] ein viertel Morgen Landes zum Spielplatz für die Knaben. Zu gewissen Stunden vermochten Spaziergänger auf der Wiese innerhalb der Umfriedigungsmauer das Durcheinander von Stimmen und laufenden Schritten zu vernehmen. Zuweilen auch, wenn diese Spaziergänger noch im Knabenalter standen, kletterten sie wohl auf die Mauerkrone und erblickten dann auf der anderen Seite ein völlig nackt und braun getrampeltes Stück Wiese mit einigen Quadratmetern Beton, die aber derartig durchlöchert waren, daß sie ihrer ursprünglichen Bestimmung einer Kegel- und Kugelbahn kaum mehr zu genügen vermochten, ferner einen langen Schuppen, eine Pumpe, eine durch unzählige eingekerbte Inschriften entstellte Tür, die Hinterfront des Hauses, die sich in noch viel üblerem Zustande befand als die Vorderseite – und an die fünfzig Knaben mit kurzen Jacken und breiten umgeschlagenen Kragen. So oft die fünfzig Knaben einen jungen Unbekannten auf der Mauer erblickten, rannten sie mit wüstem Gejohle zu der Stelle; sie überschütteten ihn mit allerhand Schimpfworten und Herausforderungen; schließlich vertrieben sie ihn mit einer Salve von Erdklumpen, Steinen, Brotstücken und ähnlichen Geschossen, wie sie ihnen gerade in die Hände gerieten. An diesem regnerischen Frühlingsnachmittag hielt ein Coupé vor der Tür von Moncrief House. Der in seinen weißen Gummirock gehüllte Kutscher suchte die Spuren des letzten Regenschauers abzuschütteln. Drinnen im Hause, im Empfangszimmer, unterhielt sich Doktor Moncrief mit einer stattlichen, ungefähr fünfunddreißigjährigen Dame in eleganter Kleidung und von verbindlichem Wesen. Sie war in jeglicher Hinsicht schön zu nennen – mit Ausnahme ihres Teints, dem es an der nötigen Frische gebrach. »Leider keinerlei Fortschritte,« bemerkte der Doktor. »Das ist eine schwere Enttäuschung,« entgegnete die Dame stirnrunzelnd. »Ihre Enttäuschung ist über alle Maßen erklärlich,« erwiderte Moncrief, »Ich möchte Ihnen allen Ernstes anraten, den Erfolg abzuwarten, falls Sie ihn in einem anderen Institut …« Der Doktor hielt inne. Ein berückendes Lächeln glitt über die Züge der Dame; mit einer geradezu bezaubernden Gebärde des Protestes hielt sie die Hand in die Höhe. »Aber nein, aber nein, Herr Doktor!« sagte sie. »Meine Enttäuschung hat mit Ihnen gar nichts zu tun. Dafür bin ich aber um so ärgerlicher auf Cashel, weil ich weiß, daß es nur seine eigene Schuld ist, wenn er bei Ihnen keine Fortschritte macht. Ihn hier fortzunehmen – nein, das steht ganz außer Frage! Ich hätte keinen Augenblick der Ruhe, wenn er Ihrer Aufsicht entzogen wäre. Ehe ich heute weggehe, will ich ein ernstliches Wort mit ihm über sein Betragen reden. Und Sie – Sie werden es noch einmal mit ihm versuchen, nicht wahr?« »Gewiß, mit dem größten Vergnügen,« entgegnete der Doktor, indem er sich mit einem unzulänglichen Höflichkeitsversuch selbst in Verwirrung brachte. »Er kann so lange bleiben, wie es Ihnen paßt. Aber –« der Doktor wurde wieder ernst – »aber Sie können ihm die Wichtigkeit angestrengter Arbeit gerade in diesen Jahren nicht genug zu Gemüte führen; wir dürfen sie als den Angelpunkt seiner späteren Laufbahn als Student bezeichnen. Er zählt jetzt fast siebzehn Jahre; und er zeigt so wenig Neigung zum Lernen, daß ich fast zweifeln muß, ob er irgend eins der zum Eintritt in die Universität nötigen Examina wird bestehen können. Wahrscheinlich wünschen Sie doch, daß er sich graduieren lassen soll, ehe er einen bestimmten Beruf wählt?« »Allerdings, allerdings,« entgegnete die Dame etwas unbestimmt, weil sie offenbar mehr in großen Umrissen der Bemerkung des Doktors zustimmte, als eine eigene Überzeugung zum Ausdruck brachte. »Welchen Beruf würden Sie ihm denn anraten? Sie kennen dergleichen ja weit besser als ich.« »Hm, hm!« meinte Doktor Moncrief etwas verlegen. »Das hängt in gewissem Maße von seiner eigenen Neigung ab.« »Ganz und gar nicht,« unterbrach ihn die Dame. »Was weiß denn der arme Junge von der Welt? Seine eigene Geschmacksrichtung würde ihn sicherlich zu irgend etwas Albernem und Lächerlichem führen. Wahrscheinlich möchte er zur Bühne gehen – wie ich.« »So, so? Sie würden also irgendeine Neigung dieser Art nicht unterstützen?« »Ganz entschieden nicht! Ich hoffe auch, daß er sich nicht mit solchen Gedanken trägt.« »Nicht, daß ich wüßte. Er zeigt so wenig Ehrgeiz, sich in irgendeinem Fach hervorzutun, daß ich es für das beste halten muß, wenn seine Berufswahl von seinen Eltern bestimmt wird. Ich weiß allerdings nicht, ob seine Verwandtschaft irgend welchen Einfluß besitzt, der ihm von Nutzen sein könnte. Hierin liegt oft einer der Hauptgesichtspunkte, die ins Auge gefaßt werden müssen – besonders in eigenartigen Fällen, wie die Ihres Sohnes, bei dem keinerlei besondere Begabung zutage tritt.« »Ich bin die einzige Verwandte, die der arme Bengel besitzt,« meinte die Dame mit einem vielsagenden Lächeln. Als sie dann in den Zügen des Doktors einen Ausdruck des Erstaunens bemerkte, fügte sie schnell hinzu: »Sie sind alle tot!« »Ach, du lieber Gott!« »Indessen,« fuhr sie fort, »indessen zweifle ich nicht, daß ich ihm das Interesse zahlreicher Persönlichkeiten zuwenden könnte. Nur halte ich es heutzutage für schwierig, irgend etwas ohne solche Prüfungen, wie sie zur Erwerbung von Beamtenstellen berechtigen, zu erreichen. Arbeiten muß er unter allen Umständen. Und wenn er faul ist, so muß er bestraft werden.« Der Doktor machte ein etwas verwirrtes Gesicht. »Die Dinge liegen nämlich so,« sagte er, »daß Ihr Sohn kaum länger als Kind behandelt werden kann. In seinen Gewohnheiten und Ideen ist er allerdings noch ganz Kind; physisch aber entwickelt er sich auffallend schnell zu einem Jüngling. Dieser Umstand bringt mich auf einen zweiten Punkt, über den ich Sie mit ihm ein ernstes Wort zu reden bitte. Ich muß erwähnen, daß er sich unter seinen Schulkameraden eine Art Ruf als Athlet erworben hat. In gewissen Grenzen lege ich körperlichen Übungen keinerlei Beschränkung auf: sie bilden einen anerkannten Bestandteil unseres Erziehungssystems. Leider muß ich aber bemerken, daß Cashel sich jener Neigung zu Gewalttätigkeiten nicht entziehen kann, die zuweilen die Folgeerscheinung einer ungewöhnlichen Körperkraft und Geschicklichkeit ist. Er hat sich tatsächlich vor einigen Monaten mit einem der jungen Leute aus dem Dorf in der Hauptstraße von Panley regelrecht geboxt. Ich habe das gehört – allerdings kam mir die Sache nicht gleich zu Ohren. Kurz darauf hat er sich eine noch weit schwerere Ausschreitung zuschulden kommen lassen. Er erhielt von mir mit einem seiner Kameraden die Erlaubnis zu einem Spaziergang nach Panley Abbey; hinterher brachte ich dann heraus, daß ihr eigentlicher Zweck darin bestand, einem Preisboxen beizuwohnen, das – natürlich unerlaubt – hier in der Nähe stattfand. Ganz abgesehen von ihrer Täuschung, scheint mir die Geschmacksrichtung, die die beiden Jungen hierdurch an den Tag legen, im höchsten Grade gefährlich. Ich sah mich veranlaßt, sie mit einer schweren Strafe zu belegen und ihnen für sechs Wochen Hausarrest zu diktieren. Ich gehöre nun nicht zu den Leuten, die der Ansicht frönen, daß mit der Bestrafung eines Knaben in solchen Fällen alles getan ist. Wo es sich darum handelt, angeborene Rauflust zu mildern, da halte ich große Stücke vom mütterlichen Einfluß.« »Ich fürchte, er macht sich gar nichts aus dem, was ich ihm sage,« meinte die Dame mit liebenswürdiger Miene; es schien, als ob sie den Doktor in einer Angelegenheit, die ihn in erster Linie persönlich anging, aufrichtig bemitleide. »Gewiß, ich werde mit ihm darüber sprechen. Raufboldigkeit ist eine unerträgliche Angewohnheit. Seine Familie väterlicherseits hat sich ihr Lebtag gerauft – und sie haben niemals irgend etwas Brauchbares in der Welt zustande gebracht.« »Es wäre sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie sich ihn also einmal vornehmen wollten. Wie gesagt – es handelt sich um drei Punkte: die Notwendigkeit größerer – viel größerer – Aufmerksamkeit beim Lernen; eine Ermahnung wegen seines groben Wesens; und der Versuch, ihn auf seine spätere Berufswahl hin zu befragen. Ich stimme vollkommen mit Ihnen darüber ein, wenn Sie seinen Ideen über diesen letzten Punkt einstweilen noch keine allzugroße Bedeutung beimessen. Und doch kann eine knabenhafte Liebhaberei eine gewichtige Rolle spielen, wenn die Tatkraft eines jungen Menschen erwacht.« »Ganz richtig,« stimmte die Dame zu. »Ich werde mich bemühen, ihm eine richtige Standrede zu halten.« Der Doktor sah sie etwas mißtrauisch an; vielleicht dachte er, daß sie selbst eine Standrede über ihre Mutterpflichten...