E-Book, Deutsch, 640 Seiten
Shapiro EMDR - Grundlagen und Praxis
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7495-0281-3
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Handbuch zur Behandlung traumatisierter Menschen
E-Book, Deutsch, 640 Seiten
ISBN: 978-3-7495-0281-3
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das EMDR-Grundlagenwerk Dieses umfassende Basiswerk gibt einen fundierten Überblick über Entwicklung und Anwendung von EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing). Es handelt sich dabei um eine von Francine Shapiro entwickelte klinische Behandlungsmethode für Trauma-Opfer mit Posttraumatischer Belastungsstörung. Augenbewegungen und andere Methoden der Rechts-Links-Stimulation werden dabei eingesetzt, um Trauma-Opfern bei der Aufarbeitung beunruhigender Gedanken und Erinnerungen zu helfen. Als integratives Therapiemodell, das verhaltenspsychologische, kognitive, psychodynamische, körperorientierte und systemische Elemente umfasst, ermöglicht EMDR, in relativ kurzer Zeit nachhaltige Resultate in der Arbeit mit Patienten zu erzielen. Die nochmals erweiterte und aktualisierte 3. Auflage in neuer Übersetzung dokumentiert - die wichtigsten Entwicklungen in EMDR-Forschung und -Praxis der letzten 15 Jahre; - neue Behandlungsprotokolle; - erfolgreiche Anwendungsfelder jenseits der Traumatherapie, wie Sucht, Angststörungen, Depression und chronische Schmerzen; - neue Sitzungstranskripte, Protokolle, Fragebögen und Diagnosekriterien.
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Vorwort
„Gesegnet, wer seine Arbeit gefunden hat. Er braucht nach keinem anderen Segen mehr zu verlangen.“ – Thomas Carlyle Aufbruch zu neuen Ufern Die Gelegenheit, die Einführung zu einer weiteren Ausgabe dieses Buchs zu schreiben, lässt mich wieder an den berühmten Satz des frühgriechischen Philosophen Heraklit denken: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, denn andere Wasser strömen nach.“ Es ist nun 30 Jahre her, dass ich die ersten Beobachtungen machte, die zur Entwicklung des Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) führten. Die EMDR-Therapie ist mittlerweile international als ein evidenzbasiertes Verfahren der Traumabehandlung anerkannt. Zunächst entbrannte eine kontroverse Debatte um die Wirksamkeit der Augenbewegungsserien, die seitdem aber durch mehr als 30 randomisierte Studien bestätigt wurde und, in Hunderten von im Peer-Review-Verfahren begutachteten Fachartikeln, für ein breites Spektrum von Klientengruppen dokumentiert ist. Angesichts der steten Veränderungen im Gesundheitswesen sowie in unserem Leben und Denken bin ich froh zu sehen, dass das Buch seine Relevanz für die klinische Praxis weitgehend behalten hat. Es ist gut gealtert. Andererseits bot mir die Überarbeitung des Buchs die Gelegenheit, die neuesten theoretischen Überlegungen und Forschungsergebnisse darzulegen, an denen die Praxis des EMDR ausgerichtet ist, die Hinweise zu verschiedenen Klientengruppen zu erweitern und weitere therapeutische Methoden und Vorgehensweisen vorzustellen, die sich in der klinischen Arbeit als wertvolle Ergänzungen bewährt haben. Ich habe den umfangreichen Überblick zu kontrollierten EMDR-Studien aktualisiert und zeige mögliche neue Forschungsfelder auf. In den neu hinzugekommenen Anhängen finden sich hilfreiche Materialien sowohl für Therapeuten als auch für Forscher: Fragebogen, Formulare, Checklisten und Therapietranskripte. Ich durfte in den vergangenen Jahren miterleben, dass in den Kreisen derer, die EMDR praktizieren, das internationale Engagement zur Linderung von Leid weiter lebendig bleibt. Die erste Fassung dieses Buchs war 1995 nur wenige Tage nach dem Bombenanschlag von Oklahoma City erschienen. Der Anfrage eines FBI-Agenten folgend, der zuvor einmal mit der EMDR-Methode behandelt worden war, reisten Freiwillige auf eigene Kosten dorthin, um traumatisierten Menschen Hilfe anzubieten. Die in Oklahoma ansässigen Therapeutinnen und Therapeuten, die bereits in EMDR ausgebildet waren, öffneten ihre Praxen und machten das Behandlungsangebot in der gesamten Region publik. Über die folgenden vier Monate hinweg reisten jede Woche zwei oder drei EMDR-Therapeuten nach Oklahoma, um dort unentgeltlich zu arbeiten. Sie behandelten zunächst traumatisierte Menschen, die im psychotherapeutischen Bereich tätig waren und von denen sie dann zur Behandlung von Helfern, die am Anschlagsort im Einsatz gewesen waren, und von Überlebenden des Anschlags weitervermittelt wurden. Am Ende der vier Monate wurde in Oklahoma City allen lizenzierten therapeutischen Fachkräften ein kostenfreier Trainingskurs angeboten, der sie in die Lage versetzte, die Arbeit fortzuführen. Dieses spontane Verfügbarmachen von Behandlungsangeboten gab den Anstoß zur Einrichtung der Trauma Recovery / EMDR Humanitarian Assistance Programs (siehe Anhang F) und machte deutlich, wie notwendig es ist, auf der ganzen Welt wissenschaftlich geprüfte Behandlungsverfahren mit therapeutischem Engagement zu verbinden. In den letzten zehn Jahren wurden von zahlreichen regionalen und landesweiten EMDR-Organisationen im Rahmen humanitärer Projekte kostenlose Behandlungen nach Naturkatastrophen und nach von Menschen verursachten Katastrophen angeboten. Die Wirksamkeit der bei diesen Projekten verwendeten Protokolle (die in späteren Teilen des Buchs beschrieben sind) ist in Studien bestätigt worden. Ich möchte Therapeutinnen und Therapeuten dringend bitten, sich die entsprechenden Verfahren und Protokolle anzueignen, damit sie bei Hilfsmaßnahmen im In- und Ausland mitwirken können. Wenn wir unsere Kräfte in diesem weltweiten Engagement zusammenführen, werden wir in der Lage sein, den Pflichten, die unser Berufsstand mit sich bringt, wirklich gerecht zu werden. Um einen Vergleich zu wiederholen, den ich in der vorherigen Ausgabe des Buchs zog: Nach dem ersten Motorflug der Gebrüder Wright bei Kitty Hawk, North Carolina, dauerte es wenig mehr als 50 Jahre, bis die ersten Menschen auf dem Mond landeten. Doch trotz aller gewaltigen technischen Fortschritte sind Millionen von Menschen fortwährend großem Leid ausgesetzt, und auf der ganzen Welt dreht sich der Teufelskreis der Gewalt ungebrochen weiter. Als Gesellschaft sind wir zweifellos gefordert, einen großen Teil unserer riesigen Ressourcen anders einzusetzen und der Linderung weltweiten Leidens mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Wir müssen unsere Erwartungen steigern, was an Heilung und Entwicklung zwischenmenschlicher Beziehungen möglich ist. Ein Teil des Problems lässt sich im Übrigen auch auf verschiedene Einstellungen zurückführen, die für unseren Berufsstand kennzeichnend sind. Denn während in den Naturwissenschaften die Zusammenführung von Erkenntnissen eine kontinuierliche Weiterentwicklung und Verfeinerung technischer Anwendungen ermöglicht und innerhalb kurzer Zeit von Edisons Erfindungen zum Internet geführt hat, konnte die Psychotherapie irgendwie nicht Schritt halten. Grund dafür könnte ein unzureichender interdisziplinärer Wissensaustausch sein. Im vergangenen Jahrhundert sind viele psychologische Schulen entstanden, zwischen denen aber relativ scharfe Trennlinien bestehen blieben, und es gab wenig wechselseitige Befruchtung von Wissenschaft und Praxis. Wir sollten uns darüber klar werden, dass die psychologische Behandlung des Individuums die Zusammenführung von Wissen aus verschiedenartigen Ansätzen erfordert. Ich bin ganz auf der Linie derer, die glauben, dass wir unser therapeutisches Repertoire nicht durch Distanzierung oder Abgrenzung, sondern nur durch Integration stärken können (Beutler, 2009; Beutler, Someah, Kimpara & Miller, 2016; Norcross & Goldfried, 2005; Norcross & Shapiro, 2002, dt. 2003; Stricker, 2010). Ganz in diesem Sinne hat sich EMDR in den letzten 30 Jahren von einer einfachen Technik zu einem integrierten Psychotherapieansatz entwickelt. Die therapeutischen Anwendungsmöglichkeiten haben sich von der Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen auf ein breites Spektrum von Störungen und Beschwerden ausgedehnt. Wie wir sehen werden, gilt die Aufmerksamkeit dabei nicht nur der Beseitigung offenkundigen Leids, sondern auch dem übergreifenden klinischen Bild, das bei einer Person vorliegt, und zielt auf ihre individuelle Weiterentwicklung in vielen Aspekten und auf ihre Integration in umfassendere soziale Systeme. Deshalb werden Therapeuten aller Schulrichtungen zwischen der EMDR-Therapie und ihrer eigenen Praxis Gemeinsamkeiten finden und in der EMDR-Therapie Aspekte aus anderen Disziplinen erkennen, mit denen sie das eigene Vorgehen ergänzen und weiterentwickeln können. Ich glaube, dass diese Art der Synthese im besten Interesse unserer Klientinnen und Klienten ist. Im Jahr 1987 machte ich die erste Beobachtung, die dann in die Entwicklung der EMDR-Therapie mündete. Der Weg zu dieser Entdeckung hatte jedoch fast zehn Jahre zuvor begonnen. 1979 begann ich an der New York University, an meiner Dissertation in englischer Literatur zu arbeiten, und hatte in dem betreffenden Fachgebiet bereits zahlreiche Beiträge veröffentlicht. Ich empfand meine Arbeit als bedeutungsvoll und war fasziniert von der Aufgabe, eine von denen sein, die unsere Kultur und die Literatur mit ihren feinen Nuancen und ihren komplexen Strukturen und Figuren erkunden. Andererseits interessierte ich mich seit Langem für die Verhaltenstherapie und hatte schon früh Andrew Salter und Joseph Wolpe gelesen. Die Idee eines fokussierten, planbaren, am Ursache-Wirkungs-Prinzip orientierten Herangehens an die menschliche Psyche wies in meinen Augen starke Übereinstimmungen mit den Konzepten der literarischen Charakter- und Handlungsentwicklung auf. Immerhin gaben viele bekannte Autoren zu verstehen, dass Charaktere, die lebensecht gezeichnet und dann sich selbst überlassen werden, ihre eigenen Handlungsverläufe hervorbringen. Mit meinen Englisch-Professoren führte ich faszinierende Gespräche über Querverbindungen zwischen den vielschichtigen Texten, die ich las, und den Aussagen der Verhaltenstheorie über physiologische Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Mein Hauptinteresse galt aber nicht der Psychologie. Ich stand ganz aufseiten der Autoren, die daran glauben, dass die Menschheit zur Vervollkommnung imstande ist. Ich schwelgte darin, wie sich in den Meisterwerken der englischen Literatur menschliches Leid in Kunst verwandelt, und freute mich auf ein langes und produktives Berufsleben als Literaturkritikerin und Wissenschaftlerin. Doch als ich gerade mit meiner Dissertation über die Lyrik von Thomas Hardy beginnen wollte, bekam ich die Diagnose Krebs. Die Konfrontation mit einer potenziell tödlichen Krankheit kann ein Wendepunkt sein und im eigenen Leben einen Kurswechsel einleiten. Mein Blick auf die Dimension der Zeit änderte sich. Das Leben war kein scheinbar endloser Weg mehr, der sich vor mir erstreckte. Der verhaltenstheoretische Begriff der „physiologischen Ursache-Wirkungs-Beziehung“ nahm mit einem Mal eine neue Bedeutung an. Ich konzentrierte mich nun auf das Wechselspiel von Psyche und externen Stressfaktoren. Ich begann mich auch zu fragen, warum wir technologisch so weit gekommen sind, aber nicht in der Lage zu sein scheinen, bei der Beherrschung unseres Geistes und Körpers Fortschritte zu erzielen. ...