Seven Deers | Der Ruf des weißen Raben | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Seven Deers Der Ruf des weißen Raben


11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8437-0052-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0052-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Trommeln und Stimmen verstummen, als die wirbelnden Rauchschwaden aufsteigen. Myras Herz pocht beinahe schmerzhaft in ihrer Brust. Sie ahnt nicht, dass sie Zeugin eines Rituals ist, mit dem der Indianer Chad Blue Knife die Geister ruft. Es wird ihre Zukunft und alles, woran sie glaubt, verändern. Sie spürt, dass ihr Leben und das von Chad auf alle Zeiten untrennbar miteinander verwoben sind ...

Sanna Seven Deers ist geborene Hamburgerin. Sie heiratete einen kanadischen Indianer und zog mit ihm in die Wildnis der Rocky Mountains. Dort leben die beiden mit ihren vier Kindern.
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Begegnung


Wie ein Schleier umhüllte die Dämmerung das große Zeremonienhaus. Die mächtigen Zedern, die das aus massiven Holzplanken errichtete Gebäude umgaben, waren nur noch als dunkle Schatten zu erkennen, und die ersten Sterne zeigten sich am mondlosen Himmel. Stille legte sich über die Wildnis und auch über das nahe am Highway gelegene Zeremonienhaus der Elk Creek First Nation.

Im Inneren des Hauses hingegen herrschte große Anspannung. In der Mitte des Zeremonienplatzes, der das Zentrum des Gebäudes bildete, brannten in einigem Abstand zueinander zwei große Feuer unter runden Öffnungen im Dach, und auf den Sitzbänken aus breiten Zedernplanken, die den oval geformten Platz wie eine Tribüne umgaben, bereiteten sich die Mitglieder des Stammes auf eine wichtige Zeremonie vor.

Chad Blue Knife betrat den Zeremonienplatz durch einen der vier engen Gänge, die die Tribüne auf jeder Seite durchschnitten. Jeder dieser Gänge war einer Himmelsrichtung zugeordnet und mit einem aus Zedernholz geschnitzten sechzig Zentimeter großen, runden Tiersymbol versehen.

Chad ließ seine Finger sachte über den sorgfältig geschnitzten Raben gleiten, der den Gang schmückte, durch den er den Zeremonienplatz betrat. Er hatte für den heutigen Abend alle beruflichen Verpflichtungen beiseitegeschoben, um seine Familie bei dieser Zeremonie zu unterstützen. Es war Heather gewesen, seine Großtante, die ihn gebeten hatte, am heutigen Abend anwesend zu sein. Heather zählte zu den angesehensten Ältesten des Stammes, und ihre Bitte durfte man nicht ablehnen.

Chad Blue Knife strich sich eine lange schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht und schüttelte unmerklich den Kopf, als er sich daran erinnerte, wie viel Zeit verstrichen war, seit er zum letzten Mal einer Zeremonie beigewohnt hatte. In den Tagen seiner Jugend hatte er an vielen Zeremonien teilgenommen, aber seit seinem Studium hatte er weniger Zeit im Kreise seiner Familie verbracht, als ihm lieb gewesen war. Jetzt, mit Anfang dreißig, war er endlich in der Lage, wieder ganz in der Gemeinschaft seines Stammes zu leben. Und so hatte er an diesem Abend nicht gezögert, dem Aufruf seiner Großtante zu folgen und an der geplanten Zeremonie teilzunehmen. Worum es dabei ging, lag für ihn und die anderen Stammesmitglieder noch im Verborgenen, aber auch er spürte, dass etwas Wichtiges vorgefallen sein musste.

Chad beobachtete gespannt, wie sich die Ältesten in der Mitte des Zeremonienplatzes versammelten. Sofort breitete sich respektvolle Stille im Inneren des Hauses aus. Jeder wartete darauf, dass einer der Ältesten das Wort ergriff, und fragte sich im Stillen nach dem Grund für die Zeremonie. Eigentlich fanden Zeremonien dieser Art während der Wintermonate statt. Heute hingegen war Sommersonnenwende.

Chad richtete seinen Blick auf Joseph Rock Horse, einen Mann, den er schon seit seiner Kindheit kannte. Joseph war Anfang sechzig. Sein schulterlanges Haar war schon silbergrau, aber er war noch immer eine stattliche Erscheinung. An diesem Abend hatte er sich in eine schwarz-rote Decke gehüllt, die mit verschiedenen Tiermotiven verziert war. Er gehörte zu den Ältesten, und er würde an diesem Abend die Zeremonie leiten.

Endlich wandte Joseph Rock Horse sich in der wohlklingenden Sprache des Stammes an die versammelte Menge. »Wir sind heute Abend hier zusammengekommen, um die Geistwesen um Rat zu bitten. Unser Volk steht vor einer schweren Aufgabe. Die Welt, in der unsere Kinder heute aufwachsen müssen, ist nicht mehr die Welt, in der unsere Ahnen Tausende von Jahren gelebt haben. Das Gleichgewicht ist gestört. Unserem Volk wurde alles genommen und die indianische Lebensweise beinahe vernichtet. Eisenbahn, Städte, moderne Wissenschaft – sie nennen es Fortschritt. Uns hat dieser Fortschritt Tränen und Tod gebracht. Nun wappnen sich die dunklen Mächte der Gegenwart erneut für einen Angriff. Zerstörung und Verwüstung drohen unserer Welt. Unsere Kinder werden weinen, sie werden aufschreien aus Verzweiflung. Ihnen wird nichts bleiben. Das müssen wir verhindern.«

Im Zeremonienhaus herrschte Stille. Allen stockte der Atem. Die Ältesten nahmen ihre Aufgabe sehr ernst, und ihre Worte zweifelte man nicht an, aber … So etwas hatte bisher noch niemand aus ihrem Munde gehört!

Joseph Rock Horse blickte finster in die Runde. »Es ist nicht nur die Natur, die von den dunklen Mächten zerstört zu werden droht. Wir selbst sind die Opfer. Seit Jahren verschwinden Angehörige unseres Volkes, ohne eine Spur zu hinterlassen, und keiner der Weißen kümmert sich darum. Vor ein paar Tagen ist nun auch die Tochter von Susie Standing Bear auf dem Weg nach Fort Duffey spurlos verschwunden. Die Freundin, die mit ihr unterwegs war, sagt aus, dass sie kurz an einer Raststätte angehalten hätten. Susies Tochter hätte die Toilette aufgesucht. Danach wurde sie nie wiedergesehen. Die Polizei rührt keinen Finger. Susie hat den Rat der Ältesten um Hilfe gebeten. Wir sind erschüttert, doch die Zeichen sind eindeutig. Alle Ältesten haben sie gesehen … Uns bleibt nichts anderes übrig, als dem Vorbild unserer Ahnen zu folgen und in heiliger Zeremonie unsere Bitte um Rat und Beistand an den Großen Geist zu übergeben, den Schöpfer aller Dinge.«

Er räusperte sich und fuhr dann fort: »Der Rat der Ältesten hat mich zum Sprecher für den heutigen Abend bestimmt. Und so hört den Beschluss und die Weisheit von allen Ältesten: Wir werden heute nicht nur den Großen Geist um seinen großzügigen Rat bitten, sondern auch all diejenigen, die diese Erde vor uns durchwandert haben.«

Ein Raunen durchzog die Stille.

Chad Blue Knife hörte, wie jemand neben ihm Ahnenzeremonie flüsterte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Diese Zeremonie war eine der ältesten und kraftvollsten. Sie hatte ihren Ursprung in längst vergangenen Zeiten, und ihr Ablauf war ein streng gehütetes Geheimnis. Nur wenige der Anwesenden hatten eine solche Zeremonie jemals erlebt.

Chad wusste, dass die Ältesten nicht über ihre Entscheidung diskutieren würden. Sie hatten einen Beschluss gefasst, und dieser würde ausgeführt werden.

Der Stamm würde im Reich der Toten um Beistand bitten …

Die achtundzwanzigjährige Myra Morgenstern strich sich energisch über die Stirn. Sie durfte nicht einschlafen! Es war schon sehr spät, die Nacht brach herein, und sie hatte noch eine weite Strecke zu fahren, aber sie wollte Boulder Landing unbedingt heute noch erreichen. Zu lange war sie fort gewesen, zu heftig hatten die Ereignisse des vergangenen Tages sie erschüttert. In dieser für sie sehr schweren Zeit gab es für Myra nur einen Gedanken: Sie musste in die Berge zurückkehren, wo sie ihre glückliche Kindheit verbracht hatte, um sich Klarheit über ihre Situation und über ihre Gefühle zu verschaffen!

Über zwei Jahre waren vergangen, seit Myra dem Dorf Boulder Landing im Westen von British Columbia, in das sie als Dreijährige mit ihren aus Deutschland eingewanderten Eltern gezogen war, zum letzten Mal einen Besuch abgestattet hatte. Vieles hatte sich seitdem verändert. Ihre Eltern waren aus Boulder Landing weggezogen. Myras Vater litt seit jeher an einem Lungenleiden, das er sich noch vor der Auswanderung nach Kanada als Arbeiter im Bergwerk in Goslar zugezogen hatte. Als er älter geworden war, hatte sich das Leiden verschlimmert, und in der Großstadt war die ärztliche Versorgung einfach besser. Schweren Herzens hatten Myras Eltern sich daher entschlossen, ihr kleines Holzhaus in der Wildnis der kanadischen Berge zu verkaufen und nach Vancouver zu ziehen.

Myra hatte sich vorgenommen, in der Nähe von Boulder Landing ein paar ruhige Tage zu verbringen und beim Bergsteigen ihre Gedanken zu ordnen.

Sie blickte angestrengt in die von den Scheinwerfern angestrahlte Nacht hinaus. Sogar die Straßen schienen anders zu sein, als sie es in Erinnerung hatte. Wieder rieb sie sich über die Stirn. Auf dem unbeleuchteten nächtlichen Highway zu fahren war anstrengender, als sie angenommen hatte. Vielleicht hätte sie doch lieber irgendwo einkehren und bis zum Morgen warten sollen. Sie kurbelte das Seitenfenster ihres alten Autos hinunter und ließ die kühle Abendluft herein. Sie atmete tief durch und lächelte. Heimatluft!

Plötzlich tauchte ein imposantes Holzgebäude neben dem Highway auf. Zu dieser späten Stunde schien es noch gut besucht zu sein, denn der Parkplatz war voller Autos. Myra konnte sich nicht erinnern, das Gebäude jemals zuvor gesehen zu haben. Es machte einen sehr gepflegten Eindruck, und sie beschloss, anzuhalten und zu sehen, ob sie dort vielleicht einen starken schwarzen Tee bekommen könnte.

Sie parkte ihren Wagen nahe den großen, massiven Eingangstoren, über denen Elk Creek First Nation Spiritual Centre geschrieben stand. Sie stieg aus, und durch die kühle Abendluft fühlte sie sich sofort munterer. Trotzdem musste sie ein Gähnen unterdrücken. Als sie die gläserne Eingangstür erreichte, entdeckte sie ihr Spiegelbild und sog entsetzt die Luft ein. So konnte sie nicht unter Leute gehen! Sie schob die Schultern zurück, richtete sich auf und strich sich das lange hellbraune Haar zurecht. Sie war nie eine klassische Schönheit gewesen, aber sie hatte eine schlanke Gestalt, ein hübsches ovales Gesicht und ein offenes, fröhliches Wesen. Entschlossen öffnete sie die große Eingangstür und betrat den hell erleuchteten Vorraum.

Sie hatte gehofft, einen Getränkestand oder etwas Ähnliches vorzufinden, doch zu ihrer Enttäuschung war der große Vorraum leer....


Seven Deers, Sanna
Sanna Seven Deers ist geborene Hamburgerin. Sie heiratete einen kanadischen Indianer und zog mit ihm in die Wildnis der Rocky Mountains. Dort leben die beiden mit ihren vier Kindern.

Sanna Seven Deers ist geborene Hamburgerin. Sie heiratete einen kanadischen Indianer und zog mit ihm in die Wildnis der Rocky Mountains. Dort leben die beiden mit ihren vier Kindern.



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