E-Book, Deutsch, 141 Seiten, E-Book
Reihe: Haufe Fachbuch
Selmer Change Storys
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-648-15909-5
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Storytelling in Veränderungsprozessen
E-Book, Deutsch, 141 Seiten, E-Book
Reihe: Haufe Fachbuch
ISBN: 978-3-648-15909-5
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stephanie Selmer macht Sie fit für den Change in Ihrem Unternehmen. Sie ist Unternehmerin und Expertin für Veränderungen. In den vergangenen zehn Jahren hat sie über 275.000 Mitarbeiter aus mehr als 50 Unternehmen durch Veränderungsprozesse begleitet.
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1 Was Sie über Storytelling wissen sollten
1.1 Welchen Sinn hat Storytelling?
1.1.1 Warum brauchen Unternehmen eine Change Story?
In Change-Projekten ist gute Kommunikation der Hebel, mit dem das ganze Projekt steht oder fällt: Selbst wenn jeder Roll-out gut geplant ist und alle technischen Voraussetzungen geschaffen sind – wenn die Nutzer sich nicht auf die Veränderung einlassen, ist sie zum Scheitern verurteilt.
In den meisten Fällen blockieren Menschen ein Veränderungsvorhaben nicht, weil sie generell gegen den Schritt sind. Sie verstehen auf der rationalen Ebene, dass eine Veränderung notwendig ist, um das Wachstum oder gar das Überleben des Unternehmens zu sichern. Die Blockaden entstehen im Unterbewusstsein und haben dann nichts mit der aktuellen Situation zu tun. Die Gründe liegen oft versteckt in der Vergangenheit oder sogar in Erfahrungen, die andere gemacht haben.
Change ist nicht diktierbar. Natürlich entscheiden die Unternehmer, welche Produkte oder Dienstleistungen angeboten werden, welche Prozessschritte durchlaufen werden müssen oder mit welchem Tool gearbeitet wird. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beugen sich den Entscheidungen und handeln nach den Vorgaben. Um sie dauerhaft zu binden oder sogar für das Unternehmen als Arbeitgeber zu begeistern, reicht es aber nicht, das Handeln zu definieren. Es kann sogar sehr schädlich sein, wenn Menschen entgegen ihrer Überzeugung handeln sollen, weil das Unternehmen es so verlangt.
Unsere Change-Kommunikation beruht meist auf Zahlen, Daten und Fakten. Sie soll die Menschen informieren und auf der rationalen Ebene überzeugen. Das Problem daran ist: Mit Charts, Tabellen und Tortendiagrammen überzeugt man den Kopf, nicht den Bauch.
Eine Geschichte wirkt genau dort. Sie erreicht das Unterbewusstsein und bedient oder widerlegt eingefahrene Denkmuster. Es ist das stärkste und doch bisher am meisten unterschätzte Werkzeug für eine erfolgreiche Veränderung.
1.1.2 Warum Storytelling in Change-Projekten kaum vertreten ist
Viele Change-Verantwortliche haben das Problem erkannt und versuchen, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch emotional für die Veränderung zur gewinnen. Erste Ansätze für Storytelling sehe ich heute immer wieder. Aber es herrscht auch die Angst, die alle Vorreiter haben: die Angst, Fehler zu machen.
Eigentlich paradox, denn gerade in den Change-Projekten sollten ja Neuerungen passieren. Offenbar verlassen sich die meisten noch immer auf die klassische Kommunikation ohne viele Emotionen. Dafür lassen sich auch zahlreiche Gründe finden: Dass man nicht alles neu machen und den Empfänger damit noch mehr verwirren möchte, ist einer davon. Ein anderer Grund, den ich für durchaus stichhaltig halte, ist die Zeit. In Change-Projekten hat man mitunter das Gefühl, neben einem Fahrrad her zu rennen, das einen Berg hinunterrollt. Der Weg wäre weniger anstrengend, wenn man einfach aufspringen und fahren würde. Doch dafür bleibt keine Zeit und Energie, man schafft es nur, so gerade eben Schritt zu halten.
Eine wirkliche Entschuldigung kann beides in meinen Augen jedoch nicht sein. Dem stehen nämlich die vielen gescheiterten Projekte entgegen, von denen ich eingangs sprach. Der wirtschaftliche Schaden daraus ist um einiges höher als der, den ein neuer Kommunikationsweg und die ausreichende Vorbereitung darauf verursachen könnten.
Im Marketing ist Storytelling schon gängig. Dort ist es weniger gefährlich, eine Story zu erstellen, die im ersten Schritt noch nicht ganz rund ist. Ein Shitstorm ist das Schlimmste, womit Unternehmen rechnen müssen. Doch auch in diesem Fall wandern nicht alle Kunden ab.
In der Unternehmenskommunikation und gerade in Veränderungsprozessen sieht das schon anders aus. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beobachten jeden Schritt genau und ziehen schnelle Schlüsse. Sie vergessen nicht, wenn die Kommunikation in die falsche Richtung geht, besonders wenn sie damit eine schwierige Unternehmenskultur bestätigt.
Missverstandene Story
Ein mittelständisches Unternehmen mit ungefähr 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möchte eine neue Zeiterfassungssoftware einführen. Die Unternehmenskultur ist geprägt von unterschwelligem Misstrauen. Führungskräfte überprüfen häufig, ob ihr Team arbeitet, und der sichtbare Anwesenheitsstatus im Messenger ist das Maß aller Dinge geworden. Wie auf einem Dashboard haben einige Führungskräfte immer das Adressbuch des Messengers im Blick und sehen sofort, wenn jemand nicht »auf Grün« steht.
Die erste Version der Story, die die obere Führungsetage entwickelt hat, zielt auf den Gewinn der Führungskräfte. Die Kernaussage ist: Ihre Führungskraft hat mit der neuen Software alles schneller und einfacher im Blick.
Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen rebellieren. So haben sie sich das nicht vorgestellt. Sie wünschen sich eine vertrauensvolle Kultur – kein Tool, mit dem sie sich noch besser überwacht fühlen. Immer mehr von ihnen schauen sich nach neuen Jobs um. Noch bevor der Betriebsrat überhaupt über die Einführung entscheiden konnte, war die Entscheidung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bereits gefallen.
Eine gute Change Story fällt nicht einfach vom Himmel. Es reicht nicht, wenn die obere Führungsetage von einer Schiffsreise erzählt, auf die sich das ganze Unternehmen nun begibt, dass es die bekannten Häfen verlassen und durch stürmische Gewässer segeln muss. Die Schiffsreise ist tatsächlich der stark überstrapazierte Klassiker unter den schnell entwickelten Change Storys.
Eine Change Story muss gut durchdacht und sorgfältig entwickelt werden. In der Regel reicht es nicht, wenn nur eine Person sich darum kümmert. Die Kultur im Unternehmen ist vielschichtig, und so sollte auch die Geschichte sein, die bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Umdenken einleiten soll.
1.1.3 Wo Storys heute schon gut funktionieren
Auf die Beispiele aus Marketing und Sales möchte ich gar nicht weiter eingehen. Der überwiegende Teil der Literatur, die Sie zum Storytelling finden können, befasst sich mit diesen Themen. Die Bücher unterstützen ihre Leser dabei, erste oder noch bessere Geschichten zu entwickeln, mit denen sie potenzielle Kunden von einem Produkt oder einer Dienstleistung überzeugen können.
Doch Storys werden auch an anderen Stellen schon erfolgreich genutzt, zum Beispiel in einem der trockensten Bereiche überhaupt: der Softwareentwicklung. Hier werden beispielsweise in Frameworks wie Scrum die Anforderungen der Nutzer in sogenannte Storys übersetzt, die alle nach einem ähnlichen Muster aufgebaut sind. Sie beginnen mit »Als Nutzer möchte ich …« und beschreiben ein Verhalten, eine Funktion oder ein Design, über das die Anwendung verfügen soll. Mit einer ausführlichen Beschreibung, Screenshots und Mock-ups wird genau erklärt, was der Nutzer erreichen möchte, wie also ein Bildschirm aussehen oder ein Prozess funktionieren soll.
Das lässt dem Entwicklerteam die Freiheit, eine eigene Lösung zu entwickeln, und verhindert, dass alle starr in eine Richtung denken. Vieles ist erlaubt, wichtig ist lediglich, dass das Ziel erreicht wird. Es ist sogar möglich, andere Lösungen vorzuschlagen, auf die der Benutzer womöglich selbst noch gar nicht gekommen ist. Und ähnlich ist es ja auch in einem Veränderungsprozess: Wie die Veränderung in jedem und jeder einzelnen Betroffenen vorgeht, müssen wir gar nicht steuern. Unser Ziel ist lediglich, dass sie überhaupt stattfindet.
1.1.4 Warum Change Storys funktionieren
Grundsätzlich mögen die meisten von uns keine Veränderungen. Das lässt sich schon daran erkennen, dass wir uns darüber ärgern, wenn im Supermarkt umgeräumt wurde und die Dinge, die wir suchen, nicht mehr an dem Platz stehen, an dem wir sie vermuten. Eine solche Veränderung kostet Zeit, weil wir uns jetzt mit dem Suchen beschäftigen müssen, bis wir irgendwann die neue Ordnung übernommen haben und uns zurechtfinden. Solche Veränderungen finden im Außen statt. Wir gehen in den Supermarkt, wir sind nicht der Supermarkt.
Mit anderen Veränderungen kommen wir nicht ganz so schnell zurecht. Wenn sich unser Arbeitsplatz verändert und wir plötzlich mit vielen Kollegen und Kolleginnen in einem Großraumbüro arbeiten sollen oder wenn sich unsere Arbeitsprozesse und Verantwortlichkeiten verändern, weil unser Arbeitgeber die IT-Landschaft umstellt, greifen Änderungen unser Inneres an. Das liegt daran, dass wir uns als Teil des Unternehmens verstehen. Die...