Buch, Deutsch, Band 917, 495 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 215 mm, Gewicht: 683 g
Reihe: Campus Forschung
Gesellschaftstheoretische Analysen
Buch, Deutsch, Band 917, 495 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 215 mm, Gewicht: 683 g
Reihe: Campus Forschung
ISBN: 978-3-593-38367-5
Verlag: Campus
Die Regelung religiöser Konflikte ist zu einem drängenden Problem westlicher Demokratien geworden. Die fundamentalistische Bedrohung der inneren Sicherheit, die multireligiösen Konflikte um Kopftuch, Moscheebau oder Religionsunterricht zwingen die Politik zum Umdenken. Die Frage lautet: Wo muss der moderne Staat religiöse Aktivitäten zurückdrängen, wo sollte er sie fördern und nutzen? Das Buch bietet eine umfassende Analyse aktueller Erfordernisse postsäkularer Religionspolitik und gibt Empfehlungen, um bestimmte religiöse Konflikte im Vorfeld zu verhindern.
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Inhalt
Vorwort
Einführung
Teil I: Öffentliche Religion als Ressource sozialer Ordnung: Kontexte der Frage
1. Öffentliche Religion als praktische und theoretische Herausforderung politischen Handelns
1.1. Verhältnisbestimmungen von ›Religion‹ und ›Moderne‹: Der Diskurs um die Reichweite der Säkularisierungsthese
1.1.1. Statt Säkularität: Religiöse Individualität (Thomas Luckmann)
1.1.2. Statt Säkularität: Post-Säkularität (Jürgen Habermas)
1.1.3. Statt Säkularität: Entdifferenzierung von Religion und Kultur (Hubert Knoblauch)
1.1.4. Statt ›Religion gegen Moderne‹: ›Modernisierung der Religion‹ (Rodney Stark)
1.1.5. Moderne - Migration - Religion (Pippa Norris)
1.1.6. Plädoyer für Säkularität (Detlef Pollack)
1.2. Eine religionspolitisch konkretisierte Heuristik: Die Begriffe
›Säkularität‹ und ›öffentliche Religion‹ bei José Casanova
1.2.1. Zur Mehrdimensionalität des Säkularisierungsbegriffes
1.2.2. Zum Begriff und zur normativ angezeigten Problematik einer ›öffentlichen Religion‹
1.2.3. Casanovas Konzept der ›öffentlichen Religion‹ als Reflexionsfolie einer christlichen Sozialethik
1.3. Die religionswissenschaftliche Nachfrage: Ist Religion überhaupt auf ›soziale Ordnung‹ beziehbar?
1.3.1. Ordnungsleistungen der Religion in substantialer Rekonstruktion
1.3.2. Ordnungsleistungen der Religion in funktionaler Rekonstruktion
1.3.3. Ergebnis: Religion ist eine universale Ressource sozialer Ordnung in verschiedenen Ordnungsbezügen
1.4. Die weiterführende Frage: Wie können die universalen Ordnungsleistungen
der Religion konkret politisch genutzt werden?
1.4.1. Zu Intention und Fragestellung der Arbeit
1.4.2. Zu Methode und Aufbau der Arbeit
2. Wie ist soziale Ordnung theoretisch bestimmbar? Das Paradigma ›Ganzes und seine Teile‹
2.1. Strukturmerkmale im Paradigma ›Ganzes und seine Teile‹
2.1.1. Zweipoliger Quellgrund von sozialer Ordnung und bikontexturale Theorieanlage
2.1.2. Ambivalenz der Ordnungspole und normative Aufladung der Ordnungstheorie
2.1.3. Strukturlogischer Akzent auf dem ›Ganzen‹ und dreifache Typenbildung
2.1.4. Unterscheidung der ›Teile‹ in ›Stücke‹ oder ›Momente‹
2.1.5. Präzise Fassung des spezifischen Ordnungsproblems als Durchsetzungs-, Verpflichtungs- und Innovationsproblem
2.2. Der aktuelle soziologische, sozialethische und religionspolitische Diskurs über soziale Integration in seiner
Beziehung zum Paradigma ›Ganzes und seine Teile‹
2.2.1. Die Adaption des Paradigmas im aktuellen soziologischen Diskurs
2.2.2. Die Adaption des Paradigmas in aktuellen sozialethischen Konzepten
2.2.3. Die Adaption des Paradigmas in der aktuellen religionspolitischen Erwartungsbildung
2.2.4. Ergebnis: Die ungebrochene Aktualität des Paradigmas ›Ganzes und seine Teile‹
2.3. Hobbes, Durkheim, Simmel - drei ordnungstheoretisch inspirierte Denker von öffentlicher Religion im Paradigma
›Ganzes und seine Teile‹. Zur Begründung der Auswahl
2.4. Zur Gliederungsschematik der Kapitel 3 bis 5 (Übersichtsgrafik)
Teil II: Soziale Ordnung und öffentliche Religion - Drei Verhältnisbestimmungen
3. Das ›Ganze‹ als die Gesamtheit der ›Teile‹: Soziale Ordnung und öffentliche Religion bei Thomas Hobbes
3.1. Thomas Hobbes in der religionspolitischen Herausforderung seiner Zeit
3.2. Methodologie und Forschungsprogramm
3.2.1. ›De Corpore‹: Körperlehre und generativ-konstruktiver Wissenschaftsbegriff
3.2.2. ›De Homine‹: Die anthropologischen Konstanten "Furcht" und "Macht"
3.2.3. ›De Cive‹: Die Theorie der absorptiv-identitären Repräsentation des Staates
3.2.4. Ergebnis: ›Ganzes und seine Teile‹ bei Thomas Hobbes
3.3. Durchsetzung als zentraler Fokus der hobbesschen Ordnungstheorie
3.3.1. Das fokussierte Ordnungsproblem
3.3.2. Die fokussierte Lösung des Ordnungsproblems
3.3.3. Ergebnis: Die Durchsetzungsdimension des soziologischen Ordnungsproblems
3.3.4. Theoretische Adaption: Die Überwindung von Dilemmastrukturen in der Interaktionsökonomik Karl Homanns
3.4. Die Bedeutung öffentlicher Religion für die Durchsetzung sozialer Ordnung
3.4.1. Religion als Ressource zur Durchsetzung von Macht
3.4.2. Die mythische Inversion von Religion und Politik
3.5. Ergebnissicherung: Religionspolitik als (Selbst-)Kontrolle öffentlich-religiöser Sprechakte
3.5.1. Kurzer resümierender Durchgang
3.5.2. Die entscheidende Zuspitzung bei Hobbes: Religionspolitik als rhetorisches Projekt
3.5.3. Normative Anschlussüberlegungen
4. Das ›Ganze‹ als die Einheit der ›Teile‹: Soziale Ordnung und öffentliche Religion bei Emile Durkheim
4.1. Emile Durkheim in der religionspolitischen Herausforderung seiner Zeit
4.2. Methodologie und Forschungsprogramm
4.2.1. Von Hobbes (über Spencer) zu Durkheim
4.2.2. Chosismus
4.2.3. Soziologie als Normanalyse
4.2.4. Kollektivbewusstsein
4.2.5. Ergebnis: ›Ganzes und seine Teile‹ bei Emile Durkheim
4.3. Verpflichtung als zentraler Fokus der durkheimschen Ordnungstheorie
4.3.1. Das fokussierte Ordnungsproblem
4.3.2. Die fokussierte Lösung des Ordnungsproblems
4.3.3. Ergebnis: Die Verpflichtungsdimension sozialer Ordnung
4.4. Die Bedeutung öffentlicher Religion für die Verpflichtung auf soziale Ordnung
4.4.1. Religion als allgemeine symbolische Verpflichtungsstruktur
4.4.2. Die Sakralisierung des Subjekts als konkrete symbolische Verpflichtungsstruktur
4.5. Ergebnissicherung: Religionspolitik als Steuerung öffentlich-religiöser Mobilisierungskräfte
4.5.1. Kurzer resümierender Durchgang
4.5.2. Die entscheidende Zuspitzung bei Durkheim: Religionspolitik als symbolgeneratives Projekt
4.5.3. Normative Anschlussüberlegungen
5. Die Wechselwirkung der ›Teile‹ in ihrer Beziehung zum ›Ganzen‹:
Soziale Ordnung und öffentliche Religion bei Georg Simmel
5.1. Georg Simmel in der religionspolitischen Herausforderung seiner Zeit
5.2. Methodologie und Forschungsprogramm
5.2.1. Von Durkheim zu Simmel
5.2.2. Das sozialtheoretische Prinzip der dualistischen Bewegung
5.2.3. Das Prinzip der Wechselwirkung
5.2.4. Form und Inhalt
5.2.5. Ergebnis: ›Ganzes und seine Teile‹ bei Georg Simmel
5.2.6. Exkurs: Paradigmenevolution? Von Simmel zu Luhmann
5.3. Kreative Innovation als zentraler Fokus der simmelschen Ordnungstheorie
5.3.1. Das fokussierte Ordnungsproblem
5.3.2. Die fokussierte Lösung des Ordnungsproblems
5.3.3. Ergebnis: Die Innovationsdimension sozialer Ordnung
5.3.4. Theoretische Adaption: Die Ordnungsproduktivität des expressiven Individualismus bei Gerhard Schulze
5.4. Die Bedeutung öffentlicher Religion für die kreative Innovation sozialer Ordnung
5.4.1. Religion als Agentur zur Bewahrung individueller Freiheit
5.4.2. Religion als Agentur zur Gestaltung sozialer Einheit
5.5. Ergebnissicherung: Religionspolitik als Gestaltung öffentlich-
religiöser Austauschprozesse zwischen Subjekt und Gesellschaft
5.5.1. Kurzer resümierender Durchgang
5.5.2. Die entscheidende Zuspitzung bei Simmel: Religionspolitik als zivilgesellschaftliches Projekt
5.5.3. Normative Anschlussüberlegungen
Schluss: Profilumrisse einer postsäkularen Religionspolitik - eine Thesensammlung
Literatur
Vier Wochen vor der Landtagswahl 2005 in Nordrhein-Westfalen sorgten Äußerungen des CDU-Spitzenkandidaten Jürgen Rüttgers für erhebliche Unruhe. In einem Gespräch mit dem N 24-Moderator Michel Friedmann beharrte Rüttgers trotz mehrfacher Nachfrage darauf, das katholische Menschenbild sei allen anderen Menschenbildern "überlegen". Dieses Gespräch produzierte Schlagzeilen und Abgrenzungen, zum Beispiel aus den Lagern der Kirchen, dem Zentralrat der Juden in Deutschland, dem politischen Gegner SPD, aber auch aus den eigenen Reihen. Von "Skandal" und "taktischer Torheit" war die Rede, von "Christen erster und zweiter Klasse", einem durch Rüttgers ausgerufenen "Heiligen Krieg", "christlicher Intoleranz" und einem intendierten "Gegeneinander der Religionen". Kommentatoren monierten den missionarischen Gestus der Aussagen und verwiesen auf die Toleranzpraxis unzähliger deutscher Katholiken etwa im christlich-islamischen Dialog. An der Aufregung änderte auch nicht, dass sowohl der Sender N 24 wie auch Rüttgers nachher richtigstellten, es sei vom ›christlichen‹, nicht vom ›katholischen‹ Menschenbild die Rede gewesen.
Vieles an dieser banalen Episode - mehr war es nicht, hat sie doch vor allem den Wahlsieg der CDU in Nordrhein-Westfalen nicht gefährdet - ist für den religionspolitisch interessierten Analytiker bemerkenswert. Auffällig war erstens, dass ein Journalist, und sei er auch ein so bekanntes wie engagiertes Mitglied der jüdischen Glaubensgemeinschaft wie Friedmann, die knappe Redezeit überhaupt auf eine religiös virulente Frage verwendete; zweitens, dass der deutsche politische Gesprächspartner das religiöse Bekenntnis gezielt zu seiner Profilierung nutzen wollte; drittens, dass die Kritiken an den Äußerungen ein so massives Vokabular wie "Heiliger Krieg" oder "Gegeneinander der Religionen" benutzten; viertens, dass manche Beobachter Rüttgers vorwarfen, im wahrsten Sinne des Wortes päpstlicher als der neue Papst Benedikt XVI. zu sein, der in einer seiner ersten Amtsansprachen den ökumenischen und den interreligiösen Dialog als Kernaufgabe seines Pontifikates bezeichnet hatte.
Genau dieser weltkirchliche Bezug aber ist für den medienspezifischen Kontext und damit für die rechte Bewertung der religionspolitisch erhitzten Luft des Friedmann-Gespräches und der ihm folgenden Entrüstung entscheidend: Wie kein anderes Ereignis vorher hatte das Sterben des Vorgänger-papstes Johannes Paul II. und die Einführung des neuen Papstes Benedikt XVI. die mediale und politische Öffentlichkeit in ihrer weltgesellschaftlichen Dimension versammelt. Niemals waren so viele Journalisten und Staatsoberhäupter zur selben Zeit an einem Ort, niemals waren so viele Pilger in Rom wie beim Begräbnis von Johannes Paul II. am 8. April 2005. Welche politische Potenz das Pontifikat des polnischen Papstes hatte, wurde eindrücklich illustriert, als an seinem aufgebahrten Leichnam mit George H.W. Bush senior, Bill Clinton und George W. Bush junior drei US-Präsidenten knieten und beteten. Dieses Bild ging um die Welt - und bildete einen nun noch größeren Kontext religionspolitischer Betrachtung. Denn man wusste, dass während des präsidialen Kniefalls vor dem toten Papst amerikanische Soldaten im Irak stationiert waren, einem Krieg, der wiederum direkt zurück verwiesen war auf den 11. September 2001.
Von diesem Tag, dem so genannten ›Nine eleven‹, an dem Terroristen zivile Passagiermaschinen in die Türme des World-Trade-Center und das Pentagon gesteuert haben, geht eine neue Linie aus, die zu einer neuen Bewertung solcher Großereignisse wie dem Papstbegräbnis, aber auch solcher Kleinereignisse wie der Rüttgers-Äußerung führen. Sowohl der große Vatikan wie das kleine Fernsehstudio von N 24 lagen im April 2005 im virtuellen Schatten jenes Attentates: So lautet die hier vertretene einleitende These. Am 11.9.2001 wurde ein neuer sowohl diskursiver wie politischer Horizont aufgespannt, der zu einer völlig neuen Wahrnehmung religiöser Phänomene geführt hat. Religion wurde an diesem Tag gewissermaßen von eher sporadischen Erwähnungen im Feuilleton in den Kernbereich politischer Schlagzeilen hinein geschleudert, und seitdem reißen die Ereignisse nicht ab, die zu einer neuen religionspolitisch motivierten Bewertung der Gegenwart herausfordern: Attentate wie die Terroranschläge von Madrid im März 2004 oder London im Juli 2005, nach denen es hieß, der religiöse Terror habe nun auch Europa erreicht; Morde ›im Auftrage Gottes‹ wie der an dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh; religiöse Unruhen wie die diesem Mord nachfolgenden in den Niederlanden; der mit allen Mitteln des Kulturkampfes geführte ›Karikaturenstreit›; die religionspolitischen Konfliktmaterien wie die in Tschetschenien, Palästina oder Nordirland; die fast alltäglich gewordenen erschreckenden Bilder von religiös motivierten Selbstmordattentätern; die hoch emotionalisierten religionskultureller Debatten wie die um die Erlaubtheit des Kopftuches für muslimische Lehrerinnen oder um den Beitritt der Türkei zur EU; die Frage nach dem Einbezug Gottes in die Präambel der neuen europäischen Verfassung; die anhaltenden Diskussionen um die Zukunft staatlich geförderten christlichen Religionsunterrichtes oder um die Einführung auch islamischer öffentlicher Feiertage in Deutschland; das höchstrichterliche juristische Ringen um die Statuszuschreibung einer öffentlichen Körperschaft für neureligiöse Bewegungen wie etwa den Zeugen Jehovas oder eben die seitdem immer wieder gerade von den so genannten C-Parteien geforderte Berücksichtigung der christlichen Wurzeln europäischer Identität - all dies sind Belege dafür, dass der Faktor Religion zu einer erheblich höheren Brisanz gelangt ist als noch vor wenigen Jahren. Das Projekt politischer Steuerung moderner Gesellschaften hat ein neues und hochmobiles Themenfeld bekommen, und Akteure auf allen politischen Ebenen von der Kommune bis zum Europäischen Parlament scheinen gut beraten, die hier virulenten Energien sehr ernst zu nehmen. In einem Bild ausgedrückt: Der terroristische Anschlag vom 11. September 2001 mit der Ermordung von fast 3.000 Menschen hat nicht nur brutale architektonische Schneisen in die Skyline New Yorks geschlagen, er hat auch fundamentale tektonische Verschiebungen im wahrgenommenen Verhältnis von Moderne und Religion bewirkt. So wie New York derzeit im ›Ground Zero‹ um eine unsichtbar gewordene Mitte pulsiert, so muss auch das Verhältnis von Moderne und Religion um eine neue und bisher unsichtbare Mitte ausbalanciert werden. So wie die Zwillingstürme zusammengebrochen sind, so ist auch das Vorverständnis einer unschuldigen, harmlosen und immer auf Integration bedachten Religion in sich kollabiert. Der Diskurs um Religion hat seine Vorzeichen komplett verändert: Religion wird unter Konfliktperspektiven thematisiert, ist vom Befriedungs- zum Bedrohungsfaktor avanciert und beschäftigt nicht fromme Individuen, sondern säkulare Öffentlichkeiten. Religion muss offenbar neu zivilisiert, neu eingebaut werden in das kulturelle und politische Selbstverständnis moderner, also säkularer Gesellschaften. Im Unterschied zur frühen Neuzeit, etwa bei Thomas Hobbes, wird es dabei aber nicht reichen, den religiösen Faktor einfach politisch zu domestizieren. Es wird auch nicht genügen, ihn in funktionale Äquivalente zu zerlegen, ihn zu privatisieren oder sprachtheoretisch zu rekonstruieren. Alles spricht dafür, dass die politisch-säkulare Moderne dem religiösen Impuls ganz neu ein Eigenrecht zuzubilligen hat, einen ganz originären Geltungsanspruch mit eigenen Inhalten und Arenen, und dass sich politisches Denken und Handeln von diesem Impuls und diesem Geltungsanspruch verändern lassen muss. Religion ist öffentlich geworden, überrascht damit die zur Selbstverständlichkeit eingeschliffene Wahrnehmung von moderner Säkularisierung und etabliert einen Aufmerksamkeitsanspruch für politische Akteure.
Diese sowohl politische wie theoretische Aufmerksamkeit versammelt sich unter einem bestimmten Begriff, den niemand anderes als Jürgen Habermas nur wenige Tage nach dem 11. September 2001 vorgeschlagen und weiterentwickelt hat: Moderne Gesellschaften sind postsäkulare Gesellschaften. Postsäkularität ist das Projekt der reflexiven Aneignung religiöser Gehalte sowohl durch die nachmetaphysische Vernunft wie durch eine pluralitätssensible Politik.
Diese Studie folgt dem habermasschen Vorschlag. Sie hat zum Ziel, die zentralen theoretischen Strukturierungen sowie erste praktische Profilumrisse einer postsäkularen Religionspolitik zu formulieren. Die leitenden Fragen lauten: Inwiefern ist öffentliche Religion als Risiko und inwiefern als Ressource sozialer Integration in modernen Gesellschaften anzusprechen? Gegen welche Implikationen öffentlicher religiöser Geltung muss der säkulare Staat sich verwahren, welche Implikationen kann er als produktiven Beitrag zur gesellschaftlichen Fortentwicklung begrüßen? Gemäß welchen Problems gesellschaftlicher Ordnung muss Religion in ihre Schranken verwiesen oder gerade entschränkt werden? Kurz: "Wie viel Religion braucht, wie viel verträgt die Demokratie?" Ganz offenkundig sind dies zugleich religionspolitisch wie sozialethisch drängende Fragen, und genauso eindeutig handelt es sich um eine theoretische wie pragmatische Herausforderung. Zu beiden Dimensionen möchte diese Studie einen Beitrag leisten.