Sellers | Trostland - Die Geschichte meiner vergessenen Heimat und meiner Familie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: HarperCollins

Sellers Trostland - Die Geschichte meiner vergessenen Heimat und meiner Familie


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7499-5088-1
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: HarperCollins

ISBN: 978-3-7499-5088-1
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Über Wut, Schmerz und die Kraft des Widerstands - ein Blick in die Seele eines zerrissenen Landes
Sie heißen Denmark, Sweden, Finland oder Norway - kleine Städtchen im Lowcountry von South Carolina, die zum Sinnbild des »vergessenen Südens« wurden. Es gibt keine ärmere Gegend in den USA. Großunternehmen verlagern ihren Betrieb ans andere Ende der Welt, Krankenhäuser schließen. Landflucht und Unterdrückung prägen den Alltag der meist afroamerikanischen Familien. Wer den Schuss nicht hörte, blieb hier - alle anderen suchten ihr Glück anderswo.
Es ist die Heimat von Bakari Sellers. Seinen Nachnamen kennt dort jedes Kind. Als Sohn von Cleveland Sellers, Ikone der Aktivisten und Mitstreiter von Martin Luther King, erlebt er die Proteste und Krisen der Bürgerrechtsbewegung von klein auf. In »Trostland« erzählt er vom Aufwachsen in den Südstaaten, von Hoffnung und Scheitern einer Region, in der die historischen Triebkräfte von Aktivismus sichtbar und Rollenbilder neu verhandelt werden. Wie lebt es sich in einer Familie, die das Trauma einer ganzen Bevölkerungsschicht verkörpert? Und wie kann das schier Unmögliche gelingen, nämlich black, country und proud zugleich zu sein?
Eine bildhafte Milieustudie des abgehängten Südens und eine poetische Verneigung vor der Widerstandskraft all jener, die noch immer versuchen, sich eine Heimat zu schaffen, die in Erinnerung bleibt.
»Bakari Sellers ?Trostland? ist genau das Buch, das wir jetzt brauchen. [...] Seine fesselnde Geschichte beleuchtet nicht nur die Widerstandskraft einzelner Menschen an Orten wie seiner Heimatstadt Denmark, South Carolina, sondern offenbart auch die Gefahren politischer Maßnahmen, die im ganzen Staat umgesetzt werden und verheerende Auswirkungen auf das Leben der Leute haben.«
Hillary Rodham Clinton
»Aus diesen fesselnden Erinnerungen erhebt sich eine starke Stimme für soziale Gerechtigkeit.«
Kirkus Reviews
»Familientraumata - selbst ererbte Traumata - können Kindern enorm viel abverlangen. Doch Bakari Sellers macht in ?Trostland? deutlich, dass ein Familientrauma auch eine Kraftquelle sein kann.«
BookPage
»Mir gefiel es, provinziell zu sein, genau wie mein Vater. Denmark liebte ich auf der Stelle. Angeblich lässt sich nach der berühmten Nadel im Heuhaufen ja lange suchen, aber ich fand sie sofort. Worauf wir hier verzichten mussten, war sowieso nie wichtig gewesen. Also pickte ich mir aus dieser alten Stadt alles heraus, was sie mir bot. Ich sprach ihre Mundart, schlenderte auf ihren kaputten Gassen, besuchte ihre Tümpel und Baumwollfelder, die uns als Spielplätze dienten.«
Bakari Sellers, Trostland
»Durch Denmarks trostlose Innenstadt zu fahren ist ein bisschen wie in die Augen eines geliebten Menschen zu blicken und das Funkeln darin nicht mehr zu erkennen. Das Licht ist gedimmt. Was einmal ein Glimmen war, bleibt aus. Denmark ist ein Mikrokosmos des vergessenen Schwarzen Südens, der durch Isolierung, Sparmaßnahmen und schlechte Wohn- und Ausbildungssituation bis ins Mark erschüttert wurde.«
Bakari Sellers, Trostland



Bakari Sellers, geboren 1984 in Bamberg County, wurde mit 22 Jahren in das Unterhaus des Landes South Carolina gewählt und war damit der jüngste afroamerikanische Abgeordnete in der Geschichte der USA. Er absolvierte ein Studium in Afro-Amerikanistik am Morehouse College ehe er 2008 an der University of South Carolina School of Law im Fach Jura promovierte. Sein Vater war ein bekannter Bürgerrechtler, der im Zuge des Massakers von Orangeburg in den 1960er-Jahren wegen Aktionen des zivilen Ungehorsams für ein Jahr ins Gefängnis kam. Heute ist Bakari Sellers politischer Kommentator und kämpft als Rechtsanwalt darum, den Ungehörten eine Stimme zu geben. Er lebt in Columbia, South Carolina. https://bakarisellers.com/

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Einleitung

Schwarz, provinziell und stolz

Ich stamme aus dem sogenannten Low Country in South Carolina, wo Schönheit, Vernachlässigung und Geschichte untrennbar ineinander verflochten sind. Wer etwa fünfzig Meilen landeinwärts fährt, egal in welche Richtung, wird auf denselben Feldern stehen, auf denen sich einst Sklaven, darunter auch einige meiner nicht allzu fernen Vorfahren, an Baumwolle, Indigo, Zuckerrohr, Reis, Weizengras und Sojabohnen abgeschuftet haben. Genauer gesagt komme ich aus Denmark, einem Städtchen, in dem jeder meinen Nachnamen kennt – einen Namen, wie ich als Kind lernte, der mit Ehre, aber auch mit Schande verbunden war.

Denmark liegt in Bamberg County. Um dorthin zu kommen, fährt man ganz einfach von Columbia, der Hauptstadt des Bundesstaates, auf dem Highway 321, rauscht an Mais- und Baumwollfeldern und Sümpfen vorbei, die über weites grünes Marschland kriechen.

Am Ende hat man das Gefühl, um die halbe Welt gereist und irgendwo in Skandinavien gelandet zu sein, denn nacheinander tauchen Ortschaften mit Namen wie Norway, Sweden und schließlich Denmark auf. Die beiden ersten sind so winzig, dass man sie verpasst, wenn man im falschen Moment blinzelt. Dann kommt man an einer Hühnerfarm vorbei, die nach purer Scheiße riecht, bis man schließlich Denmark erreicht, eine Gemeinde mit 3 400 Seelen, die fast alle Afroamerikaner sind.

Besucher glauben oft, die »skandinavischen« Ortschaften, die jeweils neun Meilen auseinanderliegen, hätten ihre Namen von nordischen Siedlern, aber das stimmt nicht. Die beiden anderen Orte griffen das Thema einfach auf, als meine Heimatstadt nach B. A. Denmark benannt wurde, einem Geschäftsmann im 19. Jahrhundert, der mit Eisenbahnen reich wurde. Ich malte mir jedoch gern meine eigene Theorie aus: Meine Heimatstadt wurde nach einem freigekommenen und gebildeten afroamerikanischen Zimmermann namens Denmark Vesey benannt, der als Anführer des »Vesey-Komplotts« verurteilt und hingerichtet wurde. Das Komplott war eine clever geplante Sklavenrevolte im Jahr 1822. Veseys Sinn für Gerechtigkeit und seine rebellische Natur haben mich schon immer angesprochen.

Fährt man weiter durch die abgeschiedenen Ortschaften, kommt man an anmutigen viktorianischen Häusern und verfallenen Shotgun Houses vorbei. Es heißt, dass eine Gewehrkugel direkt durch die Vordertür bis zur Hintertür dieser schmalen, lang gezogenen Häuser fliegen kann – und früher glaubten wir, dass die Shotguns deswegen so hießen. Doch heutzutage erfreut sich eine Theorie zunehmender Beliebtheit, nach der die schachtelförmigen Häuschen, die nicht breiter als 3,60 Meter sind, auf einen in Westafrika verbreiteten Haustyp namens shogun (»Haus Gottes«) zurückgehen. Die Shotguns spielen in der Geschichte der Südstaaten eine bedeutende Rolle und sind aus der afroamerikanischen Folklore des tiefen Südens ebenso wenig wegzudenken wie die verfallenen Gebäude aus den sterbenden Innenstädten dieser Gegend.

Für mich ruht eine urige Schönheit in diesen Geisterstädten mit ihren baufälligen Verweisen auf ihre einst blühende Vergangenheit. Die verlassenen Straßen beschwören ein Gefühl von Nostalgie in mir herauf, aber auch von Kummer und Leid: Wenn ich in Denmark an eine Tankstelle fahre, treffe ich aller Wahrscheinlichkeit nach einen Mann aus meiner Kindheit, der dort, wie mir dann mit einem Mal klar wird, seit über zwanzig Jahren herumsteht.

Denmark ist ein faszinierendes Landstädtchen, vor allem, wenn man bedenkt, was es einmal zu bieten hatte. Es liegt etwa eine Stunde von Augusta, Charleston und Columbia entfernt und war früher dank dem guten alten B. A. Denmark ein wichtiger Verkehrsknoten, wo die Züge von drei großen Bahnunternehmen ein- und ausfuhren. Der einst so geschäftige Ortskern ist ein perfektes Beispiel für den Niedergang des vergessenen ländlichen Black Belts, wie man die Region ursprünglich aufgrund ihres schwarzen, fruchtbaren Bodens bezeichnete, doch heute schließt der Begriff noch eine Reihe aneinandergrenzender Gebiete in verschiedenen Bundesstaaten mit ein, die die höchste Armutsrate des Landes aufweisen.

Die meisten Geschäfte in Denmark, die zur Zeit meines Vaters florierten, sind heute geschlossen. Ein Waschsalon hat noch geöffnet, ebenso das Billigkaufhaus Poole’s Five and Dime, ein paar Restaurants und ein Eisenwarenladen – aber das war’s dann auch fast schon. Im ganzen Umland gibt es kein einziges Krankenhaus mehr. Wer vor vierzig Jahren durch Denmark oder eine andere Stadt in Alabama oder Mississippi gefahren wäre, hätte das schwarze Leben allerorten pulsieren gesehen. Die Schienen führten in den Norden, Süden, Osten und Westen, nach Chicago, Atlanta, New York City und Los Angeles. Früher hatte Denmark eine Sauerkonservenfabrik, eine Coca-Cola-Abfüllanlage und eine Möbelbaufirma. Die Einwohner gingen allen möglichen Berufen nach – Maurer, Techniker, Bauarbeiter, Bäcker, Maler und Köche – und es gab schwarze Unternehmen aller Art, daher herrschte ein gewisser Wohlstand in der Stadt, in der Afroamerikaner mit fünfundachtzig Prozent den höchsten Anteil an der Bevölkerung stellten.

Trotz der heutigen extremen Armut haben schon immer zahlreiche gebildete Schwarze in Denmark gelebt, was vor allem daran liegt, dass zwei historische afroamerikanische Colleges hier ihren Sitz haben: das Denmark Technical College und das Vorheers College, dessen Präsident mein Vater war. Die Stadt hatte also viel zu bieten. Doch als die Gleise stillgelegt wurden, funkte die Politik dazwischen. Es heißt immer, dass Unternehmen schuld am Verfall der Städte wären, doch meiner Meinung nach ist das 1994 geschlossene North American Free Trade Agreement (NAFTA) der Grund für den Niedergang von South Carolina. Eine Textilfabrik nach der anderen schloss ihre Türen und verlegte die Produktion ins Ausland, sie zogen weg, und mit ihnen auch die Jobs, die verloren gingen.

*

Ich war damals sechs Jahre alt, als mein Vater 1990 beschloss, mit uns von Greensboro in North Carolina zurück in seine Heimatstadt Denmark zu ziehen, aus der er vor über zwanzig Jahren geflohen war. Die Rückkehr des verlorenen Sohnes. Wenn ich älter gewesen wäre, hätte ich sicher Einwände gegen unseren Umzug in dieses abgelegene Provinzkaff gehabt, doch was mich als Teenager skeptisch gestimmt hätte, war genau das, was meinem sechsjährigen Ich besonders gut gefiel: Dort kannten alle unseren Namen.

In South Carolina fragen wir Schwarzen eigentlich nicht nach dem Nachnamen, wir fragen nach der Verwandtschaft. Natürlich gibt es viele Varianten dieses Brauchs, je nachdem, woher man kommt. Afroamerikaner im sogenannten Upcountry im Nordwesten des Bundesstaates wollen beispielsweise wissen: »Wie heißen deine Leute?« In Denmark fragt man schlicht: »Wer sind deine Leute?« Das ist eine sehr direkte Frage, um Mutter und Vater und andere Verwandte zu ermitteln, die man vielleicht kennen müsste. Wir können dadurch herausfinden, ob wir entfernt oder sogar näher verwandt sind. Wir offenbaren unseren Stammbaum und unsere Herkunft. Dieses Vorgehen lässt sich leicht bis in die Zeit der Sklaverei zurückverfolgen. Sklaven wurden von ihrer Familie getrennt, ihnen wurde alles genommen, was ihnen lieb war. Daher suchen wir noch heute nach einer verwandten Seele, versuchen ein Stück Heimat zu fassen zu bekommen, weshalb wir uns »Cousin«, »Onkel«, »Tante« oder »Schwester« nennen, auch wenn wir nicht blutsverwandt sind.

Als schüchterner kleiner Junge, der gerade in eine neue Stadt gezogen war, merkte ich schnell, dass Denmark kein völlig fremdes Terrain war. Wo auch immer ich auftauchte, sagte mir jemand, ob Kind oder Erwachsener: »Wir sind verwandt.«

Oder: »Du, Bakari, du bist doch der Junge von Cleveland Sellers!«

Oder: »Der kleine CL

Oder: »Ich kannte deinen Großvater!«

In Denmark lagen meine Wurzeln.

Hier war meine Heimat.

*

Durch Denmarks trostlose Innenstadt zu fahren ist ein bisschen wie in die Augen eines geliebten Menschen zu blicken und kein Funkeln mehr darin zu sehen. Das Licht wirkt trüb.

Der einstige Glanz ist verblasst. Denmark ist ein Mikrokosmos des vergessenen »Schwarzen Südens«, den Isolierung, Sparmaßnahmen und miserable Wohn- und Ausbildungsverhältnisse bis ins Mark erschüttert haben.

Was ich in Denmark gesehen und erlebt habe, hat mir gezeigt, dass das Lebenselixier aller Gemeinschaften in kleinen Unternehmen zu finden ist. Ob man nun die florierende »Black Wall Street« mit ihren zahlreichen Geschäften in Tulsa im frühen 20. Jahrhundert, die Harlem Renaissance der 1920er-Jahre oder die Familie Sellers in den 1950er- und 1960er-Jahren in Denmark als Beispiel nimmt, Black Power bedeutete stets auch wirtschaftliche Eigenständigkeit und Zugang zur Wahlurne.

Heute jedoch sieht man in den armen schwarzen Städten, dass die meisten Bewohner abgehängt wurden. Die Industrie ist aufgrund der globalisierten Wirtschaft in andere Länder abgewandert. Denmark ist heute ein Ort, wo sauberes Wasser, eine einfache Internetverbindung und ein örtliches Krankenhaus längst nicht selbstverständlich sind.

Das wunderbare Leben eines Jungen vom Land

Als meine Familie nach Denmark zog, konnte mein Vater zwar einen Harvard-Abschluss vorweisen, doch leider verhinderte eine Vorstrafe, dass er einen guten Job fand.

In Greensboro hatten wir ein seltsames Leben geführt; mal hielten wir uns mit staatlichen Lebensmittelzuweisungen über Wasser, mal beschäftigten wir ein Dienstmädchen. Meine Eltern hatten finanzielle Probleme, wollten für ihre Kinder...



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