Seligmann | Hannah und Ludwig | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Seligmann Hannah und Ludwig

Heimatlos in Tel Aviv
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7844-8378-8
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Heimatlos in Tel Aviv

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-7844-8378-8
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



1933 flieht Ludwig aus Nazi-Deutschland nach Tel Aviv. Der hebräischen Sprache kaum mächtig, arbeitet er sich mit großer Energie und sonnigem Gemüt vom Orangenpflücker zum Prokuristen hoch. Gerade noch rechtzeitig holt er seine Eltern und Geschwister nach Palästina und rettet damit ihr Leben. Als er 1940 die schöne Hannah trifft und die beiden heiraten, zeichnet sich eine glückliche Zukunft ab. Doch persönliche Schicksalsschläge und die politische Unsicherheit im neu gegründeten Staat Israel lassen bei Ludwig und Hannah die Sehnsucht nach der deutschen Heimat wachsen. Zusammen mit Sohn Rafael kehren sie in ein Deutschland zurück, wo die Vorurteile gegen Juden keineswegs der Vergangenheit angehören ...

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Tel Aviv Im Gegenlicht der aufgehenden Sonne wurde am östlichen Horizont der kobaltblauen See ein zarter ockerfarbener Streifen sichtbar. Zion. Seit ich mich erinnern konnte, hatte ich wie alle Juden unserer Gemeinde das Gelobte Land gepriesen und um die Rückkehr unseres Volkes nach Israel gefleht. Niemand glaubte oder wollte, dass dieses Gebet je erhört würde. Adolf Hitler und seine Nazis hatten dafür gesorgt, dass mein Bruder Heinrich und ich uns an Bord der »Emile Zola« nunmehr den Gestaden Palästinas näherten. Auch die Fußballkameraden des FC Ichenhausen, in deren Reihen ich seit früher Kindheit gekickt hatte, die Bürger unserer schwäbischen Heimatstadt, die mir als Torschützen zugejubelt hatten, hatten uns fallen gelassen. Nicht alle waren Nazis. Mein Freund, der Polizist Karl Seiff, hatte mich vor meiner bevorstehenden Verhaftung gewarnt und mir mitsamt meinem Bruder zur Flucht in die Schweiz verholfen. Von dort aus gelangten wir nach Frankreich. Die Franzosen, deren Sprache ich seit meiner Gymnasialzeit liebte, hatten uns zunächst freundlich aufgenommen. Doch nach einem Jahr erklärten uns die Behörden, ohne dass wir damit gerechnet hätten, zu »unerwünschten Ausländern«, nicht geduldeten Juden. Heinrich und mir blieb nichts anderes übrig, als im Sommer 1934 in das britische Protektorat Palästina auszuwandern, wo die Zionisten daran arbeiteten, einen modernen Judenstaat aufzubauen. Eine von ihnen war Ricarda Bodenheimer. Sie wollte gemeinsam mit ihren Freunden einen Kibbuz gründen und das Land urbar machen. Doch mein Sinn stand nicht nach Landwirtschaft. Ich hatte im Elsass als Knecht geschuftet, ehe es mir gelang, eine Stelle als Textilverkäufer zu ergattern. In Tel Aviv, der erst vor fünfundzwanzig Jahren gegründeten Stadt, wollte ich mir eine Existenz in meiner Branche aufbauen. Tel Aviv bedeutet Frühlingshügel. Ich war entschlossen, ihn zu erklimmen. Als die Linie am Horizont sich dank der unverminderten Fahrt der »Emile Zola« zum Küstenstreifen ausdehnte, stimmten die etwa hundert Passagiere, die gleich uns zu dieser frühen Stunde an Deck standen, spontan die »Hatikwa« an, die Hymne der Hoffnung. Einige hatten Tränen in den Augen, während sie von der zweitausendjährigen jüdischen Verheißung sangen, ein »freies Volk in unserem Land zu sein«. Auch ich fiel in die Weise ein. Als mein Bruder bemerkte, dass meine Augen feucht wurden, spottete er: »Das Judenparadies lässt dich weinen, noch ehe du es betrittst, Ludl.« »Freust du dich nicht auch auf unser Land?« »Mein Land ist Deutschland.« »Aber dort will uns niemand haben.« Heiner musterte die ergriffenen Sänger. »Sobald sich die Lage daheim wieder normalisiert, bin ich der Erste, der zurückkehrt.« Heinrich hielt unbeirrbar an dem Glauben fest, dass alles sich zum Guten wenden werde. Er hatte Angst vor Palästina, das er nicht kannte und dessen Sprache er nicht beherrschte. Mich dagegen reizte das Abenteuer. Hebräisch lesen hatten wir in der jüdischen Schule Ichenhausens und in unserer Synagoge gelernt. Das Sprechen würde folgen. Doch ich sehnte mich nach unserem barocken Gotteshaus und dem Sternenhimmel, der an seiner Decke prangte. Vor allem aber nach meinen Eltern und den jüngeren Geschwistern Thea und Kurt. Allmählich gewann die Küstenlinie an Konturen. Anstelle der »Weißen Stadt« Tel Aviv, über die ich gelesen hatte, erblickte ich die Silhouette einer orientalischen Ortschaft. Ein Ensemble aus Minaretten, gedrungenen Bauten, Kirchtürmen. Davor ein kleiner Hafen. Das war Yafo, das biblische Yope. Erstmals hatte ich Fotografien der viertausend Jahre alten Stadt im Album Isaak Braders gesehen, des gestrengen Hauptlehrers an unserer jüdischen Schule. Er hatte im Sommer 1913 das Heilige Land bereist und dabei mit seiner Kamera Fotos geschossen, die er mir vier Jahre später vor meinem Übertritt aufs Gymnasium gezeigt hatte. Auf den Bildern hatte Yafo grau und kahl gewirkt. Mit dem heraufziehenden Tag aber erstrahlten die Farben der Hafenstadt in einer in Mitteleuropa unbekannten Kraft. Das klare Licht, die exotische Architektur, verbunden mit meinem überwältigenden Bedürfnis, nach langer Flucht endlich im biblischen Land eine neue Heimat zu finden, berauschten mich. Mein Blick sprang von unserem Zielhafen zu meinem Bruder. Selbst Heiner konnte sich der Faszination des Augenblicks nicht entziehen. Der Spott war aus seinem Gesicht gewichen. Die Reling mit beiden Händen fest umklammernd, starrte er unverwandt auf die näherkommende Stadt. Ein Ruck verriet, dass unser Schiff Fahrt zurücknahm. Bald darauf verkündeten die Bordlautsprecher auf Französisch und Englisch, dass wir Passagiere uns binnen einer Viertelstunde mit unserem Gepäck an Deck begeben sollten, um an Land gebracht zu werden. Die Schubumkehr ließ das Wasser aufschäumen, und der Dampfer kam zitternd zum Stehen. Hinter den Hafenanlagen schmiegten sich sandsteinfarbene Stadthäuser einen sanften Hügel empor. Auf dem Plateau ragte ein mächtiger Kirchturm in den wolkenlosen azurblauen Himmel. Vom Minarett einer Moschee vernahm ich Wortfetzen des Muezzins, der die Gläubigen zum Gebet rief. Ein Dutzend Ruderboote näherten sich geschwind unserem Schiff, dessen Gangway herabgelassen wurde. Zunächst geleiteten Stewards die wenigen Zweite-Klasse-Passagiere die Schiffsleiter herab. Die Schlepper halfen ihnen in die Boote, ergriffen und verstauten das Gepäck und ruderten sogleich zum Hafen. Danach durften wir Zwischendeck-Reisende zur Gangway. Heiner und ich hatten bereits unsere schweren Koffer aus unserer Zwölf-Mann-Kabine an Deck gebracht. So standen wir jetzt weit vorne. Wir mussten uns gegen die Nachdrängenden stemmen, um nicht ins Meer gedrückt zu werden. Als wir uns dem Ende der Falltreppe näherten, riefen die Ruderer des vor uns schaukelnden Bootes: »Yallah! Yallah!« Sie bedeuteten uns mit Schaufelbewegungen ihrer kräftigen braungebrannten Arme, in ihren Kahn zu springen. Ich warf meinen Überseekoffer dem Mann vor mir zu. Er fing ihn gewandt auf, worauf ich an seine Seite ins Boot sprang. Heinrich folgte mit seinem Gepäckstück. Doch der schwere Koffer brachte meinen Bruder aus dem Gleichgewicht, sodass er unter dem Gelächter der beiden Araber auf dem Rücken landete. Während seine rechte Hand weiterhin den Griff umklammerte, zappelte er wie ein hilfloser Käfer, was mich grinsen ließ. »Depp!«, zischte der Bruder, während er sich aufzurichten versuchte. Als ich ihm meine Hand reichte, schüttelte Heiner grimmig den Kopf. Derweil riefen die Ruderer den wartenden Passagieren weiter ihr »Yallah! Yallah!« entgegen und forderten sie mit Händen und Blicken auf, endlich in das Boot zu steigen. Doch die Männer und Frauen auf der Gangway zögerten. Daraufhin verloren unsere Bootsleute die Geduld. Sie ruderten an die Falltreppe, einer schlang ein abgewetztes Seil um den Griff zur Gangway. Heinrich hatte sich derweil aufgerappelt und setzte sich auf eine Bank. Unterdessen reichte der Ruderer einer jungen Frau die Hand und zog sie vorsichtig mit ihrem Koffer ins Boot. Der gelungene Zustieg und die »Yallah! Yallah! Hurry!«-Rufe veranlassten die Wartenden, mit ihrem Gepäck zügig zu uns umzusteigen. Im Nu war das Boot mit einem Dutzend Passagieren gefüllt. Sogleich löste der Mann das Tau und stieß uns von der Gangway ab. Die beiden Männer legten sich in die Ruder und jagten unser Boot über die schaukelnden Wogen vorbei am steinernen Wellenbrecher in den kleinen Hafen, wo sie zwischen den Fischerbooten manövrierend an einer Treppe festmachten. Wir hievten unsere Habseligkeiten die Stufen empor. Auf der Pier empfingen uns zwei britische Polizisten in steif gebügelten Khakihemden und kurzen Hosen. »Hitler’s Jewish Huns!«, bemerkte der Sergeant. »Hitlers Juden-Hunnen«, übersetzte ich unwillkürlich. »Englische Pest!«, raunzte Heinrich. Im Ankunftsterminal besah ein Officer hinter einem Schalter unsere Pässe, ehe er die Visa stempelte und uns zum Zoll schickte. Nach flüchtigen Blicken auf uns samt Gepäck wurden wir mit einem Handzeichen zum »Exit« durchgewunken. »Die Briten verzichten heute auf ihre üblichen Schikanen. In zwei Stunden kommt ein weiterer Dampfer aus Triest an. Ein Paar hundert Juden auf einmal abzufertigen ist zu viel für simple englische Polizistengehirne«, mokierte sich der junge Mann im offenen weißen Hemd, der uns in der Empfangshalle im Auftrag der Jewish Agency begrüßte. In unverkennbarem Berlinerisch stellte er sich als Moshe Birnbaum vor. In der Halle herrschte während der Morgenstunde bereits reger Betrieb. Überall standen britische Polizisten und Soldaten. Arabische Träger boten uns ihre Dienste an, Chauffeure offerierten Fahrten nach Tel Aviv. Doch Birnbaum winkte energisch ab. »Bitte benutzen Sie israelische Kutschen oder Taxis. Bei uns gilt das Prinzip der jüdischen Arbeit. Davon werden Sie als Neueinwanderer ebenfalls profitieren. Wir bauen einen jüdischen Staat auf. Keine Kolonie mit eingeborenen Kulis. Bei Arabern gibt es immer wieder Zwischenfälle. Bis hin zum Mord an Juden …« »Da hätten wir gleich in Deutschland bleiben können …«, begann mein Bruder. »Irrtum! Hier wehren sich die Juden«, gab Birnbaum zurück. Heiner musterte skeptisch den kleinwüchsigen Mann, den er um Haupteslänge überragte. »Wo nehmen Sie die tapferen hebräischen Krieger her?« »Beispielsweise aus Deutschland oder Polen. Die Antisemiten machen Menschen wie Sie zu Zionisten.« »Ich bin kein Zionist!« »Ihnen wird nichts anderes übrigbleiben.« Birnbaum sah zu den übrigen Neuankömmlingen hinüber. »Ich...



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