E-Book, Deutsch, 126 Seiten
Reihe: Carl-Auer Compact
Seliger Einführung in Großgruppen-Methoden
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8497-8220-7
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 126 Seiten
Reihe: Carl-Auer Compact
ISBN: 978-3-8497-8220-7
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie implementiert man in einem Großunternehmen mit Tausenden von Mitarbeitern erfolgreich neue Prozesse, ohne den laufenden Betrieb mit unzähligen Workshops aufzuhalten?
In den letzten Jahren wurde für die Gestaltung von Veränderungsprozessen in Organisationen eine Reihe von Methoden entwickelt, die bei großen Gruppen effektiv und effizient eingesetzt werden können. Die Organisationsberaterin Ruth Seliger beschreibt in dieser Einführung die wichtigsten dieser Großgruppenmethoden: Zukunftskonferenz, Real Time Strategic Change (RTSC), Open Space, Appreciative Inquiry Summit und World Café.
Die einzelnen Methoden werden mit ihren theoretischen Grundlagen, ihren Prinzipien und methodischen Besonderheiten vorgestellt. Zu jeder Methode werden praktische Hinweise zu Einsatzmöglichkeiten, Gestaltung und Durchführung geboten.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Organisationstheorie, Organisationssoziologie, Organisationspsychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologische Disziplinen Wirtschafts-, Arbeits- und Organisationspsychologie
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Management Unternehmensorganisation & Entwicklungsstrategien
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Management Unternehmensberatung, Unternehmenssubventionen
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Management Change Management
Weitere Infos & Material
3. Wurzeln und Grundlagen der Großgruppenarbeit
In die heutigen Formen von Organisationskonferenzen fließen zahlreiche theoretische und methodische Ideen und Erfahrungen ein. Die Pioniere der einzelnen Formen von Großgruppenarbeit nennen ihre Quellen im Allgemeinen selbst. Bei der Beschreibung der einzelnen Formate werden diese Quellen wiedergegeben. Im Überblick lassen sich vier Wurzeln feststellen, die die Arbeit mit Großgruppen beeinflusst und geprägt haben. 3.1Organisationsentwicklung
Unter Organisationsentwicklung (OE) verstehen wir einen sozialpsychologischen Ansatz zur Veränderung von Organisationen. Die Organisationsentwicklung entstand zunächst in den USA der 1940er Jahre und ist eng verbunden mit Kurt Lewin, wohl einem der bedeutendsten Sozialforscher des 20. Jahrhunderts. Eine der zentralen Grundannahmen der Organisationsentwicklung besagt, dass Organisationen sich verändern, wenn es gelingt, die Menschen zu verändern. Die Menschen, ihre Haltungen, ihr Verhalten und ihre Beziehungen waren der Angelpunkt der Veränderung des gesamten Systems. Diese Annahme war unter den damaligen Bedingungen revolutionär, betrachtete man Organisationen in jener Zeit ja vorwiegend durch eine technisch-rationale Brille, wie sie im Taylorismus zum Ausdruck kam. Strenge Sachlichkeit und Zahlenorientierung, Linearität des Denkens, die auf Zerstückelung von Arbeitsprozessen und auf Planung und Kontrolle ausgelegte Strategie des Taylorismus haben Generationen von Managern geprägt. Die Idee, Organisationen über den linearen Ablauf des Managementregelkreises – Ziele setzen, planen, ausführen (lassen), kontrollieren – steuern und verändern zu können, reduzierte die Komplexität enorm und war daher über viele Jahrzehnte das Credo aller Manager. Demgegenüber waren die ersten Gedanken und Instrumente der Organisationsentwicklung eine tiefgreifende Veränderung im Gestalten von Organisationen und ihren Veränderungsprozessen. Die Organisationsentwicklung war zugleich aber auch ein Kind ihrer Zeit. Die Erfahrungen mit Nazi-Deutschland, die Beobachtung von Massenphänomenen und autoritärer Führung gaben den Wissenschaftlern rund um Kurt Lewin wesentliche Impulse für ihre Forschungen. Ein auf Autonomie und Entwicklung ausgelegtes Menschenbild, ein auf Partizipation ausgerichtetes Führungsideal und ein Veränderungsverständnis, das auf evolutionären Lernprozessen beruht, wurden in jene Systeme getragen, die die größte Hebelwirkung für gesellschaftliche Veränderungen hatten: Organisationen. Sie waren Hoffnungsträger einer neuen Gesellschaft. Die Organisationsentwicklung verstand sich als parteiisch für den autonomen Menschen und kritisch gegenüber Macht, Autorität und Hierarchie. Das machte sie zu einer ideologisch-moralischen Emanzipationsbewegung, zur Antithese gegenüber Faschismus und anderen totalitären Systemen. Damit maßte sich die Organisationsentwicklung aber einen pädagogisch-emanzipatorischen Auftrag an, der aus heutiger Sicht einen bitteren Geschmack des Bevormundens hat. Aber es wurden über die sozialwissenschaftlichen Forschungen und Versuche für damalige Verhältnisse neue Themen in die Organisationen eingebracht: Menschen und ihre Beziehungen, Lernen und Kommunikation. Wie immer man politisch-ideologisch zu dieser Entwicklung stehen mag, die Organisationsentwicklung wies in der Folge zwei große Nachteile auf: Die starke „Schlagseite“ zu Gunsten der Individuen und zu Lasten der Hierarchie konnte den realen Bedingungen von Organisationen nicht gerecht werden. Organisationen müssen kontinuierlich für einen Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der Menschen und den Anforderungen ihres Auftrags, ihrer Auftraggeber sorgen. Die Disbalance der Organisationsentwicklung führte zu einer stark pädagogisch-moralisierenden Haltung, die in Organisationen nicht anschlussfähig war. Organisationen sind kein Ort der „Erziehung“. Zum anderen war das Konzept der evolutionären Lern- und Veränderungsprozesse der zunehmenden Dynamik, denen sich Organisationen in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ausgesetzt sahen, nicht gewachsen. Prozesse der Organisationsentwicklung wurden in der Praxis als mehrjährige und umfangreiche Projekte mit unzähligen kleineren Workshops und gruppendynamischen Seminaren aufgesetzt. Dieses Konzept war auf stabile innere und äußere Verhältnisse ausgerichtet und wurde daher buchstäblich überrollt. Großgruppen entstanden in den Phasen hoher Dynamik und der Notwendigkeit, sehr schnell zu neuen Lösungen zu kommen. Die Organisationsentwicklung als sequentielle Aneinanderreihung von Workshops hatte hier ihr Ende. Dennoch wären ohne diese Entwicklungen Großgruppen nicht denkbar. Viele Ideen der Organisationsentwicklung sind hier eingearbeitet und realisiert. Das partizipative Konzept, wie es etwa in der Zukunftskonferenz verwirklicht wird, geht auf die Organisationsentwicklung zurück. Zugleich wird Hierarchie aber nicht in Frage gestellt. Generell ist die Würdigung der Menschen, ihrer Kommunikation und ihres Lernens die implizite Werthaltung in allen Großkonferenzen. Im Unterschied zur Organisationsentwicklung bemühen sich alle Großgruppenmethoden aber stärker um eine ausgewogene Balance zwischen den Interessen von Menschen und denen der Organisation. 3.2Gruppendynamik
Gruppendynamik war Instrument und Methode der Organisationsentwicklung und ist eng mit ihr verbunden. Die Gruppendynamik war theoretische und methodische Basis dieser Entwicklung. Ihr Interesse galt der Entstehung und Entwicklung der Beziehungen zwischen Menschen und dem Prozess, der in diesem sozialen Feld entstand. „Die auf die Möglichkeit von bewusstseins- und verhaltensverändernden Lernprozessen ausgerichteten Intentionen der ursprünglichen Gruppendynamik waren von Anfang an auf die Veränderungen von Organisationen ausgerichtet, auch wenn in dieser Phase noch sehr selten innerbetrieblich mit der Laboratoriumsmethode gearbeitet wurde“ (Wimmer 2004, S. 28). Der Begriff Gruppendynamik hat viele Bedeutungen und Formen. 3.2.1Die Gruppendynamik als Theorie Die Gruppendynamik als Theorie erforschte die Entwicklung von Beziehungen und Interaktionen in Gruppen. Der wirklich neue Gedanke bei dieser auf soziale Prozesse angewendeten Feldtheorie war die Entdeckung des „Unsichtbaren“ von Beziehungen, Interaktionen und Lernprozessen. Die Psychologie hatte sich bis dahin mit dem „sichtbaren“ Individuum beschäftigt. Die gruppendynamische Forschung entdeckte „die enormen Lernchancen, die darin liegen können, wenn eine Gruppe sich selbst gezielt zum Gegenstand des Erforschens macht“ (ebd.). Damit begann eine neue Orientierung nach innen: Gruppen beschäftigten sich mit sich selbst, erforschten ihre Beziehungen und Prozesse und richteten ihre Aufmerksamkeit auf ihr Innenleben. Das Ergebnis dieser Erforschungen waren vor allem neue Konzepte über Entwicklungsprozesse und Gruppenstrukturen. Bekannt wurden etwa Prozessmodelle, wie etwa die Teamuhr des „Norming – Forming – Storming – Performing“, das Dependenzmodell oder das Konzept der Gruppenstrukturen mit den Positionen von Alpha, Beta, Gamma und Omega. 3.2.2Gruppendynamik als Methode Gruppendynamik als Methode setzte diese Ansprüche im Rahmen von sogenannten gruppendynamischen Trainings um. Diese bestehen in einem Lernsetting, dessen einziges Ziel und alleiniger Inhalt die Beobachtung und Selbstbeobachtung von Entwicklungsprozessen der Gruppe und ihrer Mitglieder ist. In diesen Laborsituationen konnten und können die Teilnehmer intensive Lernerfahrungen in Bezug auf das eigene Verhalten einerseits (Selbsterfahrung) und auf Phänomene sozialer Beziehungen und Prozesse andererseits machen. Ziel der gruppendynamischen Methode war und ist es, die Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen Personen als auch der Gruppe zu erweitern. In Organisationen wurden Teams zum Brennpunkt der gruppendynamischen Organisationsentwicklung. Teams wurden zum Gegenkonzept von Hierarchie, indem der horizontalen Kooperation größere Entwicklungschancen und bessere Entscheidungsqualitäten zuerkannt wurden als der vertikalen (autoritären) hierarchischen Machtkommunikation. Teams wurden damit zum Interessenschwerpunkt der Organisationsentwicklung, ihre inneren Kooperationsbeziehungen, persönlichen Befindlichkeiten, die Beziehungen zu anderen Teams beschäftigten Organisationen (und Berater) über viele Jahrzehnte. Aus der Theorie und der Methode der gruppendynamischen Labors entwickelten sich neue Arbeitsformen, die heute zum Standard organisationaler Kommunikation geworden...