E-Book, Deutsch, Band 2, 321 Seiten
Reihe: Wagner-Trilogie
Seitz / Schweizer Siegfried: Polit-Thriller
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-948987-53-4
Verlag: mainbook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2, 321 Seiten
Reihe: Wagner-Trilogie
ISBN: 978-3-948987-53-4
Verlag: mainbook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michael Seitz, Jahrgang 1976, hat seine Kindheit und Jugend in München und im ländlichen Niederbayern verbracht und lebt seit 2005 in Wien. Er schreibt vorwiegend historische Romane und Gegenwartskrimis. Seitz genießt es, mit seiner Frau und seinen beiden Kindern durch Wien zu flanieren und in Buchgeschäften zu schmökern. Veröffentlichungen (Auswahl): 'Die verlorenen Kinder' (Droemer Knaur, 2017), 'Der Falter' (Droemer Knaur, 2018), 'Kinderspiel - Die Fesseln der Vergangenheit' (Droemer Knaur, 2019), 'Sechs' (Droemer Knaur, 2019) Stefan Schweizer studierte, promovierte und lehrte an der Universität Stuttgart. Er lebt in Potsdam, bewegt sich gerne in fremden Kulturen, in exotischen subkulturellen Milieus und ist Grenzgänger zwischen den Scenes. Veröffentlichungen (Auswahl): 'NSU 1.0' (Südwestbuch 2020), 'Die Akte Baader' (Gmeiner, 2018), 'Roter Herbst 77 - RAF 2.0' (Südwestbuch, 2017), 'Roter Frühling 72, RAF 1.0' (Südwestbuch, 2017), 'Mörderklima' (Klimawandel-Krimi, mainbook, 2020), 'BERLIN GANGSTAS' (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2016), 'Goldener Schuss' (Gmeiner, 2015).
Autoren/Hrsg.
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Samstag, 27. September 2008, 20:27 Uhr, in der Nähe von Kassel
Der restaurierte Gutshof hatte im Laufe der Jahrhunderte Raubrittern und lichtscheuem Gesindel einen Rückzugsort geboten. Er lag auf der einzigen Anhöhe im Umkreis von fünf Quadratkilometern. Eingebettet zwischen Felsen und Tanngestrüpp waren seine Besitzer vor dem Arm des Gesetzes quasi unerreichbar gewesen. Weit und breit fürchtete man die dunklen Gesellen, die zwischen diesen Gemäuern ihren Trinkgelagen frönten und von dort ihre blutrünstigen Raubzüge planten. Der Dreißigjährige Krieg läutete mit der Einführung von Kanonen den endgültigen Niedergang sämtlichen Rittertums ein. Die einst stolze Burg verwandelte sich in eine Ruine, die Romantikern im 19. Jahrhundert Inspiration zu Gedichten und Geschichten bot. Zuletzt fanden sich Investoren, die die abgeschiedene Lage wieder zu schätzen wussten. Niedersachsen und Thüringen waren mit dem Auto innerhalb einer halben Stunde zu erreichen. Auch Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz waren nicht aus der Welt. Das bot Angriffsflächen und Fluchtrouten und praktisch die Möglichkeit, an einer Vielzahl von Orten gleichzeitig zuschlagen zu können. Das Autobahnnetz verschaffte ihnen Möglichkeiten, von denen ihre Vorgänger niemals zu träumen gewagt hätten. Der Flughafen in Frankfurt war ebenfalls kaum mehr als zwei Stunden mit dem Auto entfernt. Polen und Tschechien waren innerhalb von sieben Fahrstunden erreichbar – ideal für Geschäfte aller Art. Und dank der Abschaffung der Grenzkontrollen im Personenverkehr innerhalb der europäischen Union bestand eine der leichtesten Übungen darin, in den ehemaligen östlichen Bruderstaaten unterzutauchen.
Das mit dem feudalen Anwesen verbundene Dorf umfasste heute kaum mehr als zweihundert Einwohner. Die Hälfte der Einwohnerschaft bestand aus zugezogenen Menschen, die über eine gefestigte Weltanschauung, entsprechende Normen und Werte verfügten. Die Neonazis hatten sich hier Macht und Einfluss gesichert. Und so galt dieser Flecken Land als national befreite Zone. Sie war zum Niemandsland im Kampf gegen den bundesdeutschen Staat geworden, den zu bekriegen sich die neuen Raubritter Ehre und Treue bis zum letzten Tropfen ihres Blutes geschworen hatten. Die Geschichte würde ihnen einst recht geben, daran hegten sie keinerlei Zweifel.
Durch die vielen Autos vor der Einfahrt zum ummauerten Gutshof war klar, dass an diesem Abend eine Versammlung stattfand. Eine ziemlich hochkarätige Zusammenkunft, den Nobel-Karossen nach zu schließen, meinte einer der beiden Beamten. Hauptsächlich vertreten waren die Marken VW, Audi und Porsche.
Zweihundert Meter von der Ritterburg entfernt standen auf dem Feld zwei zivile metallic-grau lackierte Fahrzeuge. Die beiden Beamten beobachteten seit Stunden das Anwesen durch Ferngläser und lauschten angestrengt durch die Lautsprecher im Ohr. Doch seit geraumer Zeit gab es keine Anweisungen mehr von Seiten der Dienststelle.
Die Verfassungsschützer hatten jedes der Autokennzeichen akribisch notiert und an die Zentrale weitergeleitet. Hartnäckig verfolgten sie durch die Ferngläser, was sich vor dem Grundstück tat.
Die hohen Herren der rechten Bewegung hatten sich längst in die nicht einsehbare Festung begeben. Da das Anwesen schon mehrfach wegen Hausdurchsuchungen polizeilich erfasst worden war, machten sich die Beamten keine Illusionen: Der Gutshof war besser gesichert als mancher Hochsicherheitstrakt in einem amerikanischen Gefängnis. Der Gutshof mit Burggebäude und Mauern besaß fünfzehn Ein- und zwanzig Ausgänge. Angeblich existierte sogar noch ein unterirdischer Geheimgang, der bereits den Raubrittern im Falle einer Eroberung zur Flucht gedient hatte. Überall waren Lichtschranken und Kameras montiert. Pitbulls wachten in Zwingern, deren Türen sich per Fernsteuerung automatisch öffneten.
Es war ein Ding der Unmöglichkeit, unbemerkt hineinzugelangen. Natürlich aus gutem Grund. Schon häufig hatten die Antifa und andere linksmilitante Organisationen versucht, den Gutshof im Sturm zu erobern. Bisher vergeblich – die Rechten hatten jeden Angriff erfolgreich abgewehrt.
Die Beamten hatten zudem keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Es gab nur Felder und weder Büsche noch Bäume, hinter denen Feinde Deckung hätten suchen können.
Ein mobiles Einsatzkommando wartete in fünf Kilometern Entfernung, bereit zum Einsatz für alle: die Verfassungsschützer, die ominöse Versammlung im Haus und potenzielle Angreifer. Vielleicht hatten die Linken einen Wink erhalten, was jedoch unwahrscheinlich war. Denn die rechte Elite duldete keine Maulwürfe, nachdem sie jahrelang von staatlich alimentierten V-Männern unterwandert gewesen war.
Was die wachsamen Verfassungsschützer nicht bemerkten, war, dass sie ihrerseits ebenfalls observiert wurden. Zwei Kameraden hatten sich einen Kilometer entfernt in Erdlöcher eingegraben. Sie sahen und hörten durch ein Richtmikrofon jedes Wort der beiden mit. Über Funk machten sie sich über die Staatsmachtvertreter lustig und bezeichneten sie verächtlich als „staatliches Söldner-Muschi-Pack“. Im Falle eines Zugriffs würden sie ein sorgsam orchestriertes Ablenkungsmanöver starten, um den Gästen des Hauses ein paar zusätzliche Minuten Vorsprung vor dem Zugriff zu ermöglichen.
„So ein Stelldichein hat es schon lange nicht mehr gegeben“, sagte der bulligere Beamte zu seinem Kollegen und fuhr im Telegrammstil fort: „Das Who is Who der rechten Szene. Hier versammelt. Auf einem Haufen. Wäre doch ein Aufwasch, alle auf einmal einzukassieren. Aber wegen der Störsender haben wir nicht einmal die Chance mitzuhören, was im Haus vor sich geht. Die Kollegen in der Homebase geben zwar ihr Bestes, haben aber gerade gemeldet, dass es kein akustisches Durchkommen gibt.“
Der größere Mann zuckte mit den Schultern und vergewisserte sich mit einem Griff an das Rückenholster. Die Glock saß perfekt. War eigentlich nicht erlaubt, aber angesichts der Brisanz des Einsatzes unumgänglich.
„Ist doch klar, dass der alle Tricks kennt. Aber wir haben ja unser trojanisches Pferd bereits untergebracht.“
„Ja, zum Glück“, stimmte der Kleinere zu, „Wagner ist nicht mit Geld zu bezahlen. Der hat sich da tief reingewühlt. Manchmal weiß man nicht mehr, auf wessen Seite der wirklich steht.“
Die Männer lachten – das Problem war im Amt bekannt. Um an die richtigen Kreise zu gelangen, war mehr als nur schauspielerisches Talent gefragt. Da bedurfte es einer gewissen Empathie, die überzeugend nach außen transportiert werden musste. Bei Wagner schieden sich die Geister. Während die einen sein Talent bewunderten, alles und jeden unterwandern zu können, sagten ihm seine Neider massive Affinitäten nach rechts nach. Noch schwerer wog seine persönliche Nähe zum Präsidenten des Amts, der auch nicht frei vom Ruch einer gewissen rechten Einstellung war und sich anschickte, zum Enfant Terrible der Republik zu werden. Aber vielleicht waren die beiden einfach nur großartige Schauspieler.
„Verdammt kalt“, fluchte der Hagere. „Manchmal hasse ich meinen Job.“
Die Akteure der Gegenobservation mussten sich zusammenreißen, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. In ihren Erdlöchern saßen sie komfortabel in Bundeswehrunterwäsche und Parkas eingepackt und spürten kaum was von der Kälte. Die Trottel vom Verfassungsschutz trugen Übergangsmäntel und Polohemden darunter. Deren Problem, wenn sie glaubten, damit bis Stalingrad durchdringen zu können. Das kommt davon, wenn man aus der Geschichte nichts gelernt hat.
„Ja, die Kohle ist hart genug verdient“, stimmte der Stämmige zu. „Vor allem, wenn ich daran denke, was da drinnen vor sich geht. Die braunen Wichser werden es sich schön gemütlich gemacht haben – vermutlich im Kaminzimmer oder im restaurierten Keller mit Bar. Ich will gar nicht wissen, was da alles an Gourmet-Freuden aufgetafelt wird.“
Sein Kollege nickte.
„Die Getränke nicht zu vergessen. Die pfeifen sich bestimmt bestes Bier und feinste Weine rein.“
Die Gegenobservanten hielten sich mit Mühe zurück, nicht loszuwiehern und sich auf die Schenkel zu klopfen.
„Irgendwo habe ich beim letzten Aldi-Stopp noch ein Sixpack-Plastikflaschenbier im Dienstwagen versteckt“, gestand der Stämmige. „Ich glaube, es wäre an der Zeit für ein Fläschchen und gut gekühlt dürfte es auch sein.“
Einer der Gegenobservanten funkte seinem Partner etwas mit „Türkenkoffer auf vier Rädern“ zu, was erneut zu großer Heiterkeit führte. Was die Verfassungsschützer nicht mitbekamen. Denn der Spiritus Rektor der militanten rechten Szene sorgte gut für seine Leute. Er hatte sie mit silbernen Flachmännern voll edelstem Stoff versorgt. Womit sie jetzt per Funk anstießen. Als Rechter ließ es sich gut leben. Auf jeden Fall besser als die Trottel vom Dienst, deren nach unten hängende Mundwinkel aussagekräftig genug waren.
„Na, dann Prost!“
Die Hüter der deutschen Verfassung stießen mit den Plastikkolben an; das war auf jeden Fall alles andere als Dienst nach Vorschrift.
„Was würde ich dafür geben, wenn wir den Laden aufmischen könnten“, sagte der Größere.
„Und ich müsste jetzt dringend mal pissen“, antwortete sein Kollege.
„Tu was du nicht lassen kannst.“
„An welchen Baum? Oder in welches Gebüsch denn?“, jammerte der Stämmige. „Diese Schweine haben doch alles plattgemacht! Monokultur nennt man das.“
„Umweltschutz ist wohl nicht so ihr Ding“, stimmte der Größere zu.
„Denen geht’s mehr um Heimatschutz.“
„Und ich muss trotzdem, verdammt.“
„Wir sind hier, um diesen Laden zu observieren und im Notfall einzugreifen, also reiß dich...