E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Seitz Der Psychiater des Königs
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7438-7898-3
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-7438-7898-3
Verlag: BookRix
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Wer war der Mann, der mit dem bayerischen Märchenkönig Ludwig gemeinsam im Starnberger See den Tod fand? Dies ist die Geschichte eines Arztes, eines Revolutionärs, eines Wissenschaftlers - und vor allem des Menschen: Bernhard von Gudden! Der berühmteste Mordfall aus der bayerischen Geschichte wird hier aus der Sicht des Arztes erzählt. - Der Autor, ein ausgewiesener Kenner der bayerischen Geschichte und selbst ein Fachmann für Psychiatrie, erzählt die Geschichte über den Wahnsinn der Wittelsbacher aus der Sicht des Psychiaters Bernhard von Gudden ... Das Buch widmet sich neben dem bayerischen Märchenkönig Ludwig dem II. auch dessen Bruder Prinz Otto sowie der Kaiserin Elisabeth und deren psychischen Störungen. In dieser romanhaft-biographischen Erzählung eröffnet sich dem Leser ein Bild über die Psychiatrie am Ende des 19. Jahrhunderts. Michael Seitz, Jahrgang 1976, hat seine Kindheit und Jugend in München und im ländlichen Niederbayern verbracht. Schon als Kind wollte er Schriftsteller werden und hielt an diesem Traum fest. Während andere ein 'vernünftiges Studium' absolvierten, schrieb er in seiner wenigen freien Zeit, die ihm als Gesundheits- und Krankenpfleger blieb, in jeder Minute an seinen Manuskripten. Der Autor lebt seit 2005 in Wien. Er schreibt vorwiegend historische Romane und Gegenwartskrimis. Er genießt es, mit seiner Frau und seinen beiden Kindern durch Wien zu flanieren und in Buchgeschäften zu schmökern. Seit Kurzem besitzt die Familie einen Kater namens 'Mizzi'. Seitz wird von der Literaturagentin Lianne Kolf vertreten. 'Man muss schon verrückt sein, wenn man Schriftsteller werden will!', so Seitz' Lebensmotto. Im Droemer Knaur* Verlag erschienen bisher 'Die verlorenen Kinder' Krimi/Gegenwart 'Der Falter' Krimi/Gegenwart
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Prolog
Die Baronin „Wahrhaftig, ein Shakespeare hätte keinen groteskeren, schauerlicheren Abschluss für sein Königsdrama in seiner Dichterphantasie erfinden können.“ (Philipp Fürst zu Eulenberg-Hertefeld – Zeitzeuge und Beobachter der Ereignisse, die zum Tod König Ludwigs des II. und des Psychiaters Bernhard von Gudden führten) Der Pfleger zieht seinen letzten Trumpf in dem Moment, als die Baronin Spera von Truchseß zu Wetzhausen aus ihrem Traum erwacht. Seit Stunden langweilen sich die Männer. Auf einem Fass, das ihnen als Tisch diente, spielen sie eine Partie Schafkopf. Der ärztliche Leiter der Anstalt hat den Pflegern verboten, mehr als zwei Maß Bier während der Arbeit zu trinken – besonders in den Nächten! Und so sitzen sie seit Mitternacht auf dem Trockenen. Der Vollmond leuchtet durch die Gitter an den Fenstern der Anstalt. Das bayrisch-barocke Blatt halten die Männer wie Fächer vor ihren schweißnassen Gesichtern. Die Kranken in der 1. Klasse liegen in Einbettzimmern. Große Schlafsäle bleiben ihnen in der Psychiatrie des 19. Jahrhunderts erspart, immerhin gehören sie zu den „zahlenden Kranken“. Die „armen Irren“, wie die anderen genannt werden, liegen im 2. und 3. Trakt in Schlafsälen, in denen oft Dutzende Kranke nebeneinander untergebracht sind. Auch gibt es in der 1. Klasse mehr Personal, das sich um die Kranken kümmert, deswegen haben die Pfleger Zeit, miteinander Karten zu spielen, wenn die Patienten schlafen – also keine besonderen Vorkommnisse ihren Dienst erschweren. Die Tür zum Zimmer der Baronin steht offen in dieser Nacht. Die Baronin hält die Luft an. Sie orientiert sich allein anhand der Geräusche, die die Männer im Raum verursachen. In ihrer Kindheit hatte sie sich gefragt, wie Fledermäuse es schaffen, sich bei Nacht und Nebel im finsteren Dachgewölbe der Schlosstürme zurechtzufinden. Oftmals war sie hinaufgeschlichen in das obere Stockwerk. Rosen und Efeu rankten an den Mauern des elterlichen Schlosses. Die Baronin lächelt jetzt bei der Erinnerung: Sie kann sich selbst vor ihrem inneren Auge sehen – als dreizehnjähriges Mädchen, im weißen Nachthemd, mit nackten Füßen. Erfüllt von einer Mischung aus Ekel und Zärtlichkeit nahm sie eines der Tiere von der Wand und drückte ihre Lippen auf den behaarten Körper. Ein leises Quieken folgte als Antwort auf ihren Kuss – ein Geräusch, das sie angst und bang werden ließ. Vor Schreck ließ sie das Tier fallen. Wut und Enttäuschung erfassten sie. Sie packte das Tier und warf es gegen die Mauer, bis alles Leben aus ihm gewichen war. Anschließend spürte sie eine Schwäche über sich kommen, die ihr die Kraft in den Beinen raubte. Als die Gouvernante sie fand, kauerte sie auf dem Boden und weinte. – Das war noch in St. Petersburg gewesen, bevor sie einen bayerischen Baron geheiratet hatte. Jetzt tritt ein Pfleger an ihr Bett. Die Berührung seiner Hände, dicke, fleischige Finger, löst Ekel in ihr aus. Der Mann prüft dienstbeflissen den Sitz der Ledergurte an ihren Armen und Beinen. Sie braucht die Augen gar nicht zu öffnen, um zu sehen, wie der Mann nickt: Meier – sie hat ihn an der Feuchtigkeit seiner Hände erkannt und an seinem Geruch, einer Mischung aus Weizenbier und Tabak. Als er mit den anderen spricht, hegt sie keinen Zweifel mehr. Sie träumt sich fort. Das Spiegelbild einer fernen Welt entsteht in ihr: Die Fontäne eines Springbrunnens ergießt sich über nackte, goldene Leiber, denen auf dem Rücken Flügel gewachsen waren. Vor einem Schloss schlagen Pfauen ihr Rad, um die Anwesenheit ihres Herrn zu würdigen. Auf einem Berg thront ein Schloss aus Marmor in der Nähe eines Gebirgssees. Sie sieht einen Tempel, entsprungen einem Märchen aus Tausend und einer Nacht. Zu all diesen Bauwerken gesellt sich das Bild einer Winterlandschaft. Voran galoppieren Schimmel, vor deren Nüstern sich durch ihren Atem eisige Wolken bilden. Sie ziehen einen Schlitten. Hinter dem Kutscher sitzt ein Mann mit einem schwarzen Kinnbart, an seinen tiefblauen Augen unschwer als der König zu erkennen. Ludwig … Der geliebte Vetter, der eine seiner Schlittenfahrten durch den schneebedeckten Tannenwald unternahm … Es handelt sich um das Motiv einer Postkarte. Seit ihr Mann sich vor drei Jahren endgültig von der Baronin getrennt hat, sehnt sie sich nach keinem anderen Mann mehr als dem König. Der Pfleger Meier löst die Gurte an ihren Armen und Beinen und flößt ihr eine Flüssigkeit ein, die widerlich schmeckt: Wasser! – Gänsewein. Spera von Truchseß öffnet die Augen. Und hustet. Der Geruch ihrer eigenen Ausscheidungen steigt ihr in die Nase. Sie fragt sich, wie lange sie schon im eigenen Urin gelegen hat. „Wünsche einen angenehmen Morgen, Frau Baronin“, sagt einer der Pfleger. Seine Kameraden nannten ihn Jennerwein – nach dem Wildschützen, der vor zehn Jahren im Gebirge erschossen worden war. Zwei Pflegerinnen hatten sich letzte Woche über Jennerwein unterhalten, während sie Spera gebadet hatten. Die Frauen hier in der Anstalt liebten es, über Jennerwein zu sprechen. Sie hatten dabei verträumte Blicke. „Dies ist kein Ort für eine Dame, meine Herren“, sagt Spera von Truchseß. Sie betrachtet die Abdrücke an ihren Hand- und Fußgelenken. Jennerwein deutet eine höfische Verbeugung an. „Vielleicht wünschen Madame ja, ein wenig an die frische Luft zu gehen“, ahmt er den Ton der feinen Münchener Gesellschaft nach. Sie ignoriert den Spott in seiner Stimme und fragt: „Wo ist überhaupt Unser Leibstuhl?“ Der Pfleger antwortet: „Wenn Madame es wünscht, so wird es möglich sein, Sie zu einem Spaziergang nach draußen zu begleiten, wo Sie Ihr Gedärm erleichtern kann.“ „Wir haben es immer gewusst, in Ihm schlägt das Herz eines Edelmannes.“ Spera steht auf und hakt sich bei dem Pfleger ein. „Mit Verlaub“, sagt Jennerwein, „Madame sollte sich frisch machen. Vorgestern – in der Aufregung – hatten Sie ja nicht mehr die Zeit …“ „Vorgestern?“ Sie schüttelt den Kopf. Im Bett festgebunden, erscheinen einem ein Tag und eine Nacht wie ein Monat. „Es kommt Uns vor, als wäre Unser Tobsuchtsanfall schon vor einem Jahr gewesen“, sagt sie. Das Morphin, mit dem sie ruhiggestellt worden war, verursachte meist eine Verstopfung. Jennerwein hatte ihr beim letzten Mal einen Darmeinlauf mit einem Rohr gemacht. „Mit Verlaub, Madame haben nicht getobt“, sagt Jennerwein. „Sie haben halluziniert, wie der Herr Professor bemerkte. Von Seiner Majestät haben Madame immerzu gesprochen. Von einem angeblichen Hochverrat gegen den König Ludwig … Sie haben den Professor aufs Übelste beschimpft, Baronin von Truchseß!“ Sie streicht über das blaue Nachthemd, das aus dem Fundus der Anstalt stammt. „Verzeiht, edler Jennerwein“, sagt sie, „aber Er wird wohl Verständnis dafür haben, wenn eine Dame von Stand in Zeiten wie diesen nicht länger ihre Hände untätig in den Schoß legen darf. Und jetzt führe Er Uns endlich zum Abort, ehe ein Unglück geschieht!“ „Gerne begleiten wir Madame hinaus. Der Herr Professor wird bei Bedarf auch einen Darmeinlauf anordnen – falls es nicht aus eigener Kraft möglich …“ „Ein Preuße!“, protestiert sie. Spera spürt unsägliche Wut in ihrer Brust. „Wie kann Er nur so blauäugig sein … Dabei weiß doch jedes Kind, dass der preußische Reichskanzler Bismarck zu den Verschwörern gehört! Alle Preußen sind die Feinde des bayerischen Volkes …“ Der Pfleger errötet. „Soweit Wir wissen, bevorzugt der Herr Professor ausschließlich ehemalige Soldaten als Pfleger – und keine Wildschützen!“, sagt Spera und lacht höhnisch. Sie betrachtet ihre nackten, zierlichen Füße. Herrgott, wie eine Magd vom Lande steht sie diesen Männern gegenüber! Das Bier, das Kartenspiel und die Lust nach einer Frau spiegeln sich in ihren Gesichtern. Sie blickt an sich hinab. Ihre Brüste scheinen ihr selbst ein wenig klein. Vielleicht lag dies an dem Umstand, dass ihrer Ehe keine Kinder beschieden gewesen waren. Sie hatte von Frauen gehört, bei denen sich dieser Makel mit dem ersten Milcheinschuss gelegt hatte. Gott, wie sehr sehnt sie sich nach den starken Armen eines Mannes! „Vielleicht ist es besser, wenn Madame die hohen Geschäfte und die Politik den Männern überlassen“, sagt Jennerwein. „Wir können Uns denken, wonach euch Bauernschädeln der Sinn steht“, sagt sie. „Dann besitzen Madame ein zweites Gesicht“, sagt Jennerwein. Spera von Truchseß durchschaut seinen Versuch. Die Irrenpfleger und der Professor stecken mit den Verschwörern unter einer Decke! Und hatten dabei überhaupt keine Ahnung von den Dingen, die sich draußen in der Welt ereigneten. Es...