E-Book, Deutsch, 277 Seiten
Seitz Der Mörder in meinem Bett
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7554-4088-8
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 277 Seiten
ISBN: 978-3-7554-4088-8
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein intimer Mord - ein Femizid Privatdetektiv Falco Brunner ermittelt in einem Mordfall an einer jungen Frau, deren Leiche mitten in Wien 'quasi' als Unfallopfer getarnt, entsorgt wurde. Dabei stößt Falco auf gewaltsame Hintergründe in Liebesbeziehungen und scheinbar heilen Familien. Der naiv-sympathische Ermittler mit der harten Schale und dem verletzlichen Kern wird dabei unterstützt von Paula, einer Sozialarbeiterin in einem Frauenhaus. Gemeinsam decken sie Abgründe hinter bürgerlichen Fassaden auf ... Wenn deine Liebe zu meiner Hölle wird.
Autoren/Hrsg.
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Freitag, 14. Oktober 2016
Der Falter flatterte im Mondlicht. Das Insekt irrte vor der Fensterscheibe in Falco Brunners Einzimmerwohnung umher. Als er erwachte, fehlte vom Mondlicht und von dem Insekt jede Spur. Ein Traum, wähnte er, und schloss die Augen auf der Suche nach dem Bild in seinem Innern. Wie lange hatte er geschlafen? Sein Mund fühlte sich staubtrocken an. Eine Wirkung der Schlaftablette, die er am Abend eingenommen hatte, dazu der bleierne Geschmack. Falco wartete, bis die Müdigkeit nach und nach aus seinem Körper schwand. Eine Stunde später saß er vor einer Tasse frisch gebrühten Kaffees und löffelte die Hälfte einer Avocado, auf die er reichlich Honig geträufelt hatte, aus ihrer Schale. Avocado mit Honig – seine eigene Erfindung. Falco trank seinen Kaffee aus und legte sich anschließend wieder ins Bett. Er döste und schlief bis mittags, dann stand er auf und packte endlich seine Sporttasche. Eine halbe Stunde später lenkte er den zwölf Jahre alten Seat Leon Turbo Diesel mit Sportfahrwerk, dunkelblau – seine Lieblingsfarbe – in Richtung Fitness-Studio bei Ober-Sankt-Veit – die U-Bahnstation lag direkt gegenüber. Falco fluchte laut. Die Suche nach einem Parkplatz dauerte jetzt schon eine Dreiviertelstunde. Ein Auto hupte hinter ihm. Er gab Gas und überquerte einen Fußgängerüberweg bei der Auhofstraße. Nach drei weiteren vergeblichen Runden um die Häuserblocks hielt er an. Gegen das beklemmende Gefühl in seinem Innern kam er einfach nicht an – ein Gefühl, das ihn wie der Vorbote eines Unglücks quälte. Er schaltete das Radio aus, hatte genug von Axl Rose und »Knockin’ on heaven’s door« und steuerte das Auto zurück in Richtung Linker Wienzeile, 15. Bezirk. Erschöpft betrat er seine Wohnung, schloss die Tür und schlüpfte in eine ausgeleierte Jogginghose. Plötzlich erinnerte er sich an den Traum vom Schmetterling, an dessen vergeblichen Versuch, dem Mond entgegenzufliegen, weil die Fensterscheibe ihn wie hinter einer unsichtbaren Wand als ihren Gefangenen hielt. Falco schrak erst aus seinen Gedanken, als sein Handy klingelte. Es war bereits 16.00 Uhr. Christina Brunner, seine Exfrau, meldete sich. »Die Kinder fragen, ob sie dieses Wochenende endlich wieder mal bei dir verbringen dürfen, Falco.« Er hörte Christinas Seufzen. »Antonella und Valentin fragen die ganze Zeit nach dir. Sie haben dich schon vier Wochen nicht gesehen. Sie verstehen nicht, was mit ihrem Vater los ist, Falco. Meinst du nicht, dass es endlich wieder mal Zeit wird, dich um deine Kinder zu kümmern?« Falco schnaufte – die Vorstellung, nach draußen zu gehen und sich ins Auto zu setzen, erschien ihm wie der Vorschlag, bei Nacht in der größten Kälte und Einsamkeit über einen schneebedeckten Berg zu wandern. »Kannst du diesmal die Kinder zu mir bringen – ausnahmsweise, meine ich?« »Mein Auto steht in der Werkstatt«, antwortete Christina. »Und Bruno ist mit seinem Auto im Waldviertel auf einem Seminar für Führungskräfte bei der Polizei.« … Führungskräfte … Polizei …, murmelte Falco in Gedanken. »Was hast du gesagt?«, fragte Christina. »Nichts«, sagte er. »Ich habe nur laut gestöhnt.« Bruno – Bruno Horvath, Falcos ehemaliger bester Freund und Kollege, seit mittlerweile zwei Jahren der neue Mann an Christinas Seite, nahm also an einem Seminar für Führungskräfte teil. »Christina?« »Ja? Ist alles okay mit dir, Falco?«, fragte Christina. Wenn man zehn Jahre ein Paar gewesen ist, braucht es nicht viele Worte, um den anderen zu verstehen, dachte er. Dann antwortete er mechanisch: »Alles okay.« Eine Viertelstunde später saß er im Auto und ließ das Gespräch mit Christina Revue passieren. Ihre Wohnung lag zwei Straßenbahnstationen vom Narrenturm und vom Pathologischen Institut entfernt, im 9. Bezirk. Wie oft hatte er sie während ihrer Ehe im Institut besucht, wo regelmäßig die Leichenschauen stattfanden? Als Kriminalbeamter mit einer renommierten Pathologin verheiratet zu sein hatte ihm eindeutig Vorteile gebracht. Wie kaum ein anderer Inspektor, Staatsanwalt oder Strafverteidiger besaß er Kenntnisse über die menschliche Anatomie und den Tod. In Gedanken hing er der Frage nach, ob er im Leben alles wieder ganz genauso machen würde – oder ob es Dinge gab, die er komplett anders machen würde. »Ich habe viele Fehler gemacht«, hatte Falco am Schluss ihres Telefonats gesagt. Christinas Antwort hatte gelautet: »An unseren Fehlern reifen wir.« Sie hatte seinen Gedanken mit ihrer weiblichen Intuition erspürt, mit der sie ihn stets durchschaut hatte. »Ich muss es schließlich wissen«, hatte sie hinzugefügt, »immerhin habe ich dich einmal bis zur Selbstaufgabe geliebt. Wir sollten uns nur freuen, dass wir rechtzeitig den Fehler bemerkt haben und konsequent gewesen sind.« Ihre Antwort hatte ihn schwer getroffen. Und doch wusste er, dass jedes ihrer Worte der Wahrheit entsprach. Sie hatten sich getrennt! Und sie waren trotzdem Freunde geblieben, konnten einander in die Augen schauen. Und die Kinder … und Bruno … im Grunde verstand er Christina. Und er konnte sogar Bruno verstehen, der seine Frau schon immer geliebt hatte, bereits seit ihren ersten Tagen im Sandkasten. Sie hatten alle so verdammt recht gehabt! Aber wenn man gerade 40 geworden und das Leben eine einzige Baustelle ist, weil es an allem fehlt, dann will man nicht verstehen. Man will… – ach, wenn nur nicht … Der schrille Klingelton einer Straßenbahn riss Falco jäh aus seinen Gedanken. Reflexartig drückte er das Bremspedal. Das Holpern seines Wagens traf ihn wie der Schlag einer unsichtbaren Faust in seine Eingeweide. Er unterdrückte einen Aufschrei, als er im Rückspiegel eine Gestalt erkannte, die mitten auf Straße lag. Ein menschlicher Körper, der zu schlafen schien – war sein erster Gedanke! Eine unendliche Zeitspanne verstrich, ehe jemand gegen das Wagenfenster klopfte. »Bist du deppert?«, fragte ein Mann in der Uniform der Wiener Linien. Die Straßenbahn stand neben ihm auf gleicher Höhe. Die Autos steuerten auf der Fahrspur des Gegenverkehrs vorbei. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig waren Passanten stehen geblieben und schauten zu ihm herüber. Weitere Zuschauer beobachteten das Szenario durch die schmutzigen Scheiben der Straßenbahnwaggons der Wiener Linien. Angstschweiß trat ihm in die Augen und verklebte ihm die Lider. Falco nahm seine Umgebung nur noch verschwommen wahr. Irgendwo tönte eine Polizeisirene. Eine Rettung. Die Zeit vom Unfall bis zum Eintreffen der beiden Fahrzeuge fehlte später komplett in seiner Erinnerung. Amnestie, Blackout – oder wie auch immer Experten seinen Zustand bezeichneten … Falco reagierte erst, als die beiden Polizisten mit ihren Fäusten gegen das Fenster an der Fahrerseite hämmerten. Falco entriegelte die Tür. Ein Polizist öffnete. »Führerschein und Fahrzeugpapiere!«, sagte ein Beamter in reschem Ton. »Und aussteigen! Legen Sie die Hände auf das Dach. Haben Sie irgendwelche Drogen zu sich genommen?« Falco spürte den Strahl einer Taschenlampe schmerzvoll in seinen Augen. Wie ein Roboter stieg er aus dem Auto. Eine Beamtin, eine Blondine in Uniform, machte kurzen Prozess und kontrollierte die Taschen seiner Jeans und seiner Lederjacke. »Sie sehen blass aus«, sagte der männliche Beamte. »Ist Ihnen nicht gut?« Der Fahrer der Wiener Linien pöbelte: »Wennst net foan kannst, muasst dahaam bleibm, Oider!« Der Polizist schob den Fahrer weg. Eine Gruppe von Passanten – es waren vielleicht ein Dutzend Leute – umringte den blauen Seat Leon. Falco taumelte. Rettungssanitäter kümmerten sich um die Verletzte. Der Gesichtsausdruck eines Notarztes brannte sich in Falcos Bewusstsein. Die Sanitäter bewegten sich wie in Zeitlupe im kreisenden Licht von Polizei und Rettungswagen. Jugendliche, anscheinend mit Migrationshintergrund, äfften Falco auf dem Bürgersteig nach. Er verstand nur einige Wortfetzen: »… voll fett! – Bitch …« – Die Jungen ahmten Falcos fahrige Bewegungen nach. Ein Mädchen mimte die Polizisten und griff einem der Jugendlichen in überzogener Weise ans Geschlecht. »Verstehen Sie uns, Herr Brunner? Können Sie uns hören?«, wiederholte die Polizistin. Falco blickte in ihr Gesicht. Für gewöhnlich hatte er Christina mit exakt diesem Typ Frau betrogen. Der Anblick der Beamtin löste jedoch nichts in ihm aus: als wäre sie überhaupt nicht vorhanden! Er spähte nach dem Notarztwagen. Dabei fiel ihm die Tote ins Auge, die auf dem Boden lag – in Lack und Leder und hohen Stiefeln. Bitte, lass es nur eine Sexpuppe sein, die jemand aus dem Fenster geworfen hat! – Ein flüchtiger Hoffnungsschimmer. Ein Auto streifte Falco um Haaresbreite. Er fühlte sich völlig benommen. Watte schien sein Gehirn einzupacken und sämtliche Geräusche zu resorbieren: das Hupen anderer Autos, Stimmen, Geräusche. Alles verwandelte sich in ein Rauschen. Tonstörung! Vor seinem...