E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Seidl Wegen Renovierung offen
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-902924-80-3
Verlag: Seifert Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
... weil Leben is Baustelle
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-902924-80-3
Verlag: Seifert Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Publikumsmagnet Gery Seidl liefert in seinem ersten Buch eine wahrlich explosive Mischung aus Zement, Emotion und Erfahrung: Seine eigenen Bau-Erlebnisse geben ihm Anlass, mit viel Witz und Sachverstand über die menschliche Lust am Verbauen zu philosophieren.
Gery Seidl, geb. 1975 in Wien. Absolvent der HTL Hochbau. Schauspielunterricht bei Herwig Seeböck. 2008 Start der Solokarriere mit 'Wegen Renovierung offen'. Seit 2016 auch als TV-Star und Moderator erfolgreich: 'Was gibt es Neues?', 'Bist Du deppert!'. Co-Erfinder und Moderator von 'Sehr witzig!? Der Witze-Stammtisch', Zahlreiche Auszeichnungen u. a.: 2005 und 2009 Österreichischer Kabarettförderpreis, Goldene Akademie-ROMY 2016, Salzburger Stier 2016. 'Wegen Renovierung offen' ist sein erstes Buch.
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Die Handwerker
Nach mittlerweile einigen Jahren der Praxis auf Großbaustellen darf ich direkt von der Front berichten und meiner Faszination Ausdruck verleihen. Es ist großartig, dass doch so viel gelingt! Ein Satz, den man auch so manchem Regierungsteam umhängen könnte. Baustelle heißt: Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern, mit verschiedenen Ausbildungen (im besten Fall), verschiedenen religiösen Ansichten, in unterschiedlichem Alter und völlig anderer körperlicher Konstellation machen sich in einer koordinierten zeitlichen Abfolge, meist auch gleichzeitig, frühmorgens auf den Weg, um ein und dasselbe zu tun. Sie errichten ein Gebäude nach einem vorgegebenen Plan. Klingt unmöglich, ist es aber nicht. Ich führe die Auflistung der Unterscheidungen deshalb so präzise an, weil normalerweise das Verbindende bei gruppendynamischen Aktivitäten im Vordergrund steht. Ein absolut begrüßenswerter und oft unumgänglicher Umstand, doch muss in den seltensten Fällen der Gruppierungen ein Ergebnis erzielt werden, wofür man Geld verlangen kann. Ich meine damit beispielsweise Motorradgruppen, Fußballfans, Angler, Jäger, Hobbyflieger, Segler, Modellbauer, Musikanten, Gartenfreunde und Hundeliebhaber. Sterngucker und Kräutersammler. Imker und Langläufer. Sie alle haben immer mindestens EINES gemeinsam, doch müssen sie kein Gebäude gemeinsam fertigstellen. Die Menschen in meinem Berufsumfeld haben jedoch oft GAR NICHTS gemeinsam, AUSSER dass sie ein Haus miteinander bauen müssen. Spüren Sie den Unterschied beim Lesen? Was noch dazukommt, abseits der möglichen persönlichen Differenzen, ist die eigene Zunft. Mein Beispiel fußt auf dem Arbeiter, der sein Gewerk von der Picke auf gelernt hat und eins mit ihm geworden ist. Ich meine nicht den Missverständnis erzeugenden Alleskönner, der das Vermengen von Baustoffen schon ein Handwerk nennt und in jeder Zunft zu Hause ist, was er nur leider mit keinem Zeugnis belegen kann. Ich meine auch nicht den Schulabbrecher, der durch eine glänzende AMS-Laufbahn gegangen ist und sich letztendlich mit dem geringsten Übel, dem der Erwerbstätigkeit, anfreunden musste. Nein, ich meine den Handwerker, der stolz auf sein Handwerk ist. Der vor Jahren seinen Meister gefunden hat, um letzten Endes selber ein Meister zu werden. Der nichts, aber rein gar nichts über sein Gewerk kommen lässt. Der, der mittlerweile zur Ausnahmeerscheinung auf einer Baustelle geworden ist. Vielleicht hinkt der Vergleich, doch das steht ihm auch zu: der Vergleich mit einem Politiker. Jung-dynamisch, hat er im besten Fall eine Vision. Er sieht als guter Beobachter der Zeit die Fehler der Amtsinhaber ganz deutlich. Er erkennt, wie sie den Zeitgeist verkennen, wie sie potenzielle Wähler auf der Strecke liegen lassen und die wichtigen, die wirklich wichtigen Themen übersehen. Alles das sieht er, weiß er und weiß es auch laut und deutlich zu kommunizieren. Er träumt davon, selbst einmal das Ruder in der Hand zu haben und alles besser zu machen. Was Träume allerdings so gefährlich macht ist der Umstand, dass sie wahr werden können. Ein gewiefter Parteifreund erkennt die Kraft und das Talent des Sprösslings und hebt ihn in den funktionierenden Parteiapparat. Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen, dass alleine das Funktionieren noch nichts mit dem Erzielen von Erfolgen zu tun hat. So bekommt er seine Chance. Doch die Freude währt nur kurz, da er erkennen muss, dass er nicht alleine ist. Da sind andere, viele andere, mit vielen anderen Ideen – mit Verpflichtungen und Partnerschaften. Da sind Seilschaften und alte Handschläge und das nie verstummende Mantra: »Mia hom ka Göd.« Ich bin der Meinung, der Vergleich ist zulässig. Viele Handwerker sind anfangs in ihre Tätigkeit verliebt. Sind bestrebt, technisch am letzten Stand zu sein und dabei die Geschichte und Fertigkeiten ihrer Zunft bis zum heutigen Tag nicht zu vergessen. Das Noch-nie-Dagewesene zu erzeugen und mit der Tradition zu verbinden. Doch auch hier kommt oft das große Erwachen. Derjenige, der erfolgreich in seinem Tun ist, expandiert und verliert früher oder später aufgrund fast unüberschaubarer bürokratischer Erfordernisse den Zugang oder hat schlichtweg keine Zeit mehr, dem eigentlichen Gewerk nachzugehen. Derjenige, dem die Motivation nicht so ganz in die Wiege gelegt wurde, der jedoch seinem Handwerk grundsätzlich nicht negativ gegenübersteht, merkt früher oder später die Mittelmäßigkeit, und es wird der Zeitpunkt kommen, an dem er zu kalkulieren beginnt, mit welch geringstem Aufwand er ein doch ähnliches Ziel erreichen kann. Aber zurück zum motivierten Unternehmer. Es schließt sich auch hier der Kreis mit der Politik, da die Verantwortlichen in der Regierung, in welche Farbe sie auch immer getunkt sind, grundsätzlich bestrebt sein sollten, einem Unternehmer sein Unternehmen zum Besten der Allgemeinheit so leicht als möglich zu gestalten. Wenn ein Tischlereibetrieb heute keinen Lehrling ausbilden darf, weil die Geschoßdecke der Werkstätte um 3 cm zu niedrig ist, müssen wir uns schon die Frage stellen, wohin wir wollen. Beschriebene Geschoßdecke, die in Niederösterreich einen Ausbildungsplatz verhindert, wäre allerdings in der Steiermark überhaupt kein Problem. Beispiele wie diese gäbe es ohne Ende, und da ist nicht die EU schuld. Da sind wir an einem Punkt angelangt, der sich durch alle Branchen zieht und der mir in meinem damaligen Arbeitsumfeld besonders aufgefallen ist, da so viele Beispiele nichts mit wirtschaftlichen Belangen zu tun haben oder höchst komplizierte Flechtwerke als Hintergrund aufweisen. Nein, es ist schlicht und ergreifend ein Gesetz, das jemand formuliert hat, der seinen Schreibtisch für berufliche Belange noch nicht verlassen hat. Aufruf an ALLE, die sich angesprochen fühlen: »Bitte, winken Sie kein Gesetz durch, bei dem Sie nicht wissen, was es bedeutet.« Dem, der tut, ständig Prügel vor die Füße zu schmeißen, trübt die Laune und trägt dazu bei, dass er bald nicht mehr die Kraft haben wird, den Dienstwagen mitzufinanzieren, in dem der sitzt, der die Prügel wirft. Damit verknüpfe ich die nächste Weisheit: Kommunikation ist alles. Man sollte immer den fragen, der es letztendlich auch ausführen muss. Diesen Gedanken drückt das wunderschöne indianische Sprichwort »Wenn du wissen möchtest, wie es mir geht, gehe einen Tag in meinen Moccasins« wunderbar aus. Leute, die seit Jahr und Tag einer Sache nachgehen, kennen sich damit oft sehr gut aus. Auf dieses Wissen nicht zuzugreifen ist fahrlässig. Dagegen spricht eine Erkenntnis, die mir ein weiser Polier einst mitgegeben hat: »Wenn ana zwanzig Joar an Schas baut, dann hot der a a longjährige Erfahrung.« Was uns zeigt, dass es mit dem richtigen Augenmaß zu erkennen gilt: Wer es kann. Wer glaubt, dass er es kann. Wer so tut, als ob er es könnte, und wer keinen Tau hat, wovon er spricht. Einen Tag mit dem Gedanken »Es ist alles gut!!!!« zu starten, schadet, glaube ich, generell nicht. Was man dabei allerdings nicht darf, ist die Realität zu ignorieren. Was will ich sagen? Ein Bauleiterarbeitstag ist oft eine Mischung aus Resignation, Hinsetzen und Ansaufen oder dem Bedürfnis, einen ganz lauten Schrei loszulassen; denn selten wird man kontaktiert, weil alles so gut läuft. Das unten folgende Beispiel ist nicht zuletzt das Ergebnis eines Bauherrn, der aufgrund von Planungsänderungswünschen erst viel später als geplant zu bauen beginnt, jedoch den Fertigstellungstermin nicht verschiebt und Planänderungen im Zuge des Bauens sowie Einsparung beim Personal oder besser gesagt bei dessen Ausbildung provoziert. Was jemand kann, sieht man meist erst, wenn er es ausübt. Das gilt auch für den Bauleiter und den Architekten. Gerade Letztgenannter hat in seiner Ausbildung oft zu wenig in die Praxis geschnuppert und sich angesehen, wie die angedachten Details umgesetzt werden, wenn sie überhaupt umgesetzt werden können – siehe Gesetzestextschreiber. Jedoch muss der Architekt so viel vereinen. Er ist der letzte Generalist. Künstler, Visionär und Handwerker, und das mit einem abgesteckten Budget. Handwerker haben da oft einen ganz anderen Zugang, und auf den ersten Blick kann man schon erkennen, ob einer will oder nicht. Handwerker: »In dem Foi komma leider goa nix mochn!« ...