Seidl | Tod unter der Steinernen Brücke | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 320 Seiten

Reihe: Polizeikommissär Klemm

Seidl Tod unter der Steinernen Brücke

Kriminalroman
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8392-7764-5
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, Band 2, 320 Seiten

Reihe: Polizeikommissär Klemm

ISBN: 978-3-8392-7764-5
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Regensburg 1945. Polizeikommissär Leo Klemm wird ins US-Militärgefängnis geschleust. Dort soll er etwas über den Aufenthaltsort des ehemaligen Gauleiters Ludwig Ruckdeschel herausfinden. Ruckdeschel war mitverantwortlich für den Tod des Dompredigers Dr. Johann Maier. Doch Klemms Mitgefangene schweigen. Dann macht ein Gerücht die Runde: Unter dem Gefängnis sollen sich Tausende Ampullen Senfgas befinden. Klemm steckt in der Falle. Flieht er, ist er seinen Job los. Bleibt er, stirbt er womöglich.

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III. Montag, 23. April 1945
Panzer-Alarm und Befehl zur Sprengung der meisten Donau-Brücken in Regensburg. Es dröhnte gewaltig. In den Gebäuden an der Weinlände bröckelte der Putz von den Wänden. Die Menschen in den Betten schreckten auf, sahen zur Uhr: zwei Uhr fünfzehn. Viele traten ans Fenster. Der Eiserne Steg, der bisher über die Donau geführt hatte, glich jetzt einem rot glühenden, verbogenen Eisengeflecht, als hätte ein Riese ihn mit seinen Zähnen zerfetzt. Gauleiter Ruckdeschel hatte also wahr gemacht, was er in seiner Rundfunkansprache angedroht hatte: die Brücken der Stadt zu sprengen, um den feindlichen Vormarsch auf Regensburg zu stoppen. Wann würde die Steinerne Brücke an der Reihe sein?, fragten sich bang die Menschen und krochen wieder in ihre Betten. * Vom Kirchturm schlug es zehn. Der Moltkeplatz lag unschuldig in der Morgensonne. Doch in der Bevölkerung hatten sich Angst und Grauen eingenistet. Brücken waren gesprengt worden. Es ging zu Ende. Die Amerikaner standen vor Regensburg. Der Korpsbefehl des Generalkommandos war über die Dächer der Stadt geflogen: »Mit einer Fortsetzung des Vordrängens des Gegners sowie einem überraschenden Vorstoß feindlicher Panzergruppen gegen den Donauabschnitt zwischen Donauwörth und Regensburg muss gerechnet werden.« Was das für die alte Dame Castra Regina, das ehrwürdige Regensburg bedeutete, konnten sich die Menschen nicht nur auf dem Moltkeplatz an allen zehn Fingern abzählen: Geschah kein Wunder, so würde die Stadt dem Erdboden gleichgemacht werden. Die Sherman-Panzer der Amerikaner leisteten in dieser Beziehung ganze Arbeit. Nürnberg war am 20. April zerstört worden, ebenso davor Würzburg. Bereits am 17. April hatte ein taktischer US-Bomberverband bei einem Angriff auf Neumarkt sechshundert Häuser in Schutt und Asche gelegt. Wunder jedoch waren keine in Sicht. In diesen Stunden hatte man nur die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub, zwischen der kampflosen Übergabe an die Alliierten oder die Vernichtung der Stadt. Mehr war nicht drin. Mehr war nicht zu bedenken. Wer aber trat vor und schwenkte das weiße Tuch der Kapitulation? Man hatte gehört, dass mutige Männer, die das gewagt hatten, umgehend von der SS erschossen worden waren. Lieber blieb man in Deckung und wartete ab, was passierte. Gottfried trat aus dem Café Speiser. Milch hatte er keine gekriegt. Stattdessen gab es hastig hingeworfene Bemerkungen, windige Gerüchte, wundersame Auskünfte. »Die Amis vergewaltigen alle Frauen«, sagte die dreiundsiebzigjährige Frau Lederer. »Ein Bajonett im Leib ist schlimmer«, meinte Adolf Herbst, was ihm einen bitterbösen Blick einbrachte. Derselbe Adolf Herbst hatte schon vor Tagen gesagt, die sollten nur kommen, die Amerikaner, dann würde er sie mit seinem Schrotgewehr abmurksen, einen nach dem anderen. Hingegen gab es von Ilse Herterich, einer feschen, mittelalten Blondine, die vieles wusste und manches ahnte und die selbst in Kriegszeiten gelbe Kleider trug und hohe Schuhe, eine Information, die aufhorchen ließ. »Heut Nachmittag«, flüsterte sie, »heut Nachmittag treff ma uns aufm Moltkeplatz.« »Wer?«, wollte Adolf Herbst wissen. Er hatte ein kaputtes Bein, das er sich bei Verdun geholt hatte. »Alle Weiber, Männer und alle Kinder.« »Für was soll denn das gut sein?«, fragte Frau Lederer aus dem Nachbarhaus, in dem es nach Rosenkohl roch – solange es welchen gab. »Es geht um die kampflose Übergabe der Stadt an die Amis«, raunte die Herterich. »Oder wollt’s ihr, dass bei uns wia in Nürnberg oiss zsammschiassn?« »Von wem hast du das gehört?«, sagte die Lederer. »Koa Ahnung«, sagte die Herterich. »Ob’s was hilft?«, sagte der alte Herbst und dachte an sein Schrotgewehr. Munition hatte er genug. Er brauchte den alten Schießprügel nur aus dem Versteck zu holen und einzuölen. Dann konnte die Hatz auf die Amis losgehen. »Glaubst du wirklich, Ilse«, sagte Frau Lederer, »dass die auf uns hören werden?« Einer Namensnennung bedurfte es nicht. Man wusste genau, wer gemeint war: Major Hüsson, der Regensburger Kampfkommandant, und sein Gehilfe Major Matzke. Denen und dem Gestapo-Chef Sowa durfte man unter keinen Umständen in die Quere kommen. Sonst war man geliefert. Von wegen weiße Fahnen aus dem Fenster hängen! Das gab es nicht in Regensburg. Das war Feigheit vor dem Feind und wurde auf der Stelle mit dem Tode durch Erschießen bestraft. »Trotzdem müass ma’s probiern«, raunte Ilse Herterich. »Aber es soll doch Entsatz kommen, Hilfe in der Not«, meinte Frau Lederer verzweifelt. »Wenn wir uns gegen den Hüsson auflehnen, stellt er uns alle an die Wand.« Ilse Herterich grinste boshaft. »Alle? Naa, alle kann er net an d’Wand stellen. Alle Frauen mit den Kinderwagn? Alle Buabn und alle Madl? Alle oidn Männer? Nia! Das kann der Hüsson net macha.« Adolf Herbst fühlte sich angesprochen. »Was schauen Sie da mich so an, Frau Herterich?« »Koa Mensch schaut Ihnen an, Herr Herbst.« »Doch. Sie haben mich angeschaut, wie Sie von den alten Männern gesprochen haben. Sie meinen wohl, ich kann nicht mehr kämpfen, weil ich zu alt bin dafür. Aber da täuschen Sie sich gewaltig, junge Frau. Ich war in der Champagne dabei. Ich stand vor Verdun. Ich hab den Einsatz von Giftgas in der Flandernschlacht erlebt. Gegen so was sind die Amis bloß ein aufgestellter Mausdreck. Und jetzt hol ich mein Gewehr!« Ilse nickte müde. »Wia’s moana, Herr Herbst.« Sie machte eine Pause, blickte in die Runde. »Also: Heut Nachmittag um drei mach ma da auf’m Moltkeplatz eine Kundgebung. Thema: die kampflose Übergabe von unserer Stadt an die Amis. Sagt’s es weiter. Sagt’s es jedem, den wo ihr trefft. Jedm und alle. Je mehr mir san, desto weniger traut sich der Hüsson.« »Wann geht’s los?«, sagte der alte Herbst. Er hörte schwer und steckte immer den kleinen Finger ins Ohr. Sein Erkennungszeichen. »Um drei«, sagte die Herterich und ging davon. Auch Gottfried verdrückte sich. Er hatte genug gehört. Der Mutter würde er alles erzählen. Vielleicht gingen sie dann alle zusammen um drei Uhr auf den Moltkeplatz. Gottlob, der Jüngste, Gottlieb, der Mittlere, und Gotthold, der gleich nach ihm kam. Nur Papa Godehard Pfrunz war noch draußen an der Front. Der Vater hatte für den Jüngsten, Gottlob, zwar einen anderen Namen vorgesehen, doch Mutter Adelheid hatte gesagt: »Gottlob, dass es jetzt ein Ende hat mit der Fortpflanzung.« Und so blieb es bei Gottlob für den Knirps. Jedenfalls würde es spannend werden. Ein richtiges Abenteuer. Wie hatte der Tag am Morgen gesagt: Die Wurd hat einen blutigen Tag gewürfelt. Einen blutigen Tag! Wie Gottfried allerdings die Mutter kannte, würde sie den Kindern verbieten mitzukommen. Gottfried überquerte den Platz, als drei Burschen aus dem Minoritenweg gelaufen kamen. »Friedl, komm!«, rief Willy, der kleinste von ihnen, dem das Braunhemd wie ein Bug vor dem Bauch stand, weil er gerne Süßes naschte. »Mag nicht«, sagte Friedl heftig. »Du musst«, rief Willy erbost, »das ist ein Befehl.« »Kannst dir deinen Befehl in den Hintern stecken«, schrie Gottfried zurück. »Ich geh nicht zum Volkssturm!« Er wollte schleunigst heim, doch Wilhelms Stimme hielt ihn zurück. »Ich sag’s dem Sowa!« Gottfried blieb stehen. »Sagst du nicht!« »Sag ich doch!«, tönte Wilhelm mit erhobenen Fäusten. Wenn Wilhelm so drauf war, durfte man ihm nicht widersprechen. Er hatte immer irgendwo einen Prügel versteckt oder einen Stein in der Hosentasche. »Hört auf zu streiten und kommt mit«, meldete sich aus dem Hintergrund Anton Kraus, seines Zeichens Volkssturm-Stabsführer und Befehlsgeber der kleinen Gruppe. Kraus trug ein dünnes Oberlippenbärtchen, lange schwarze Haare und eine Uniform, die aus verschiedenen Versatzstücken zusammengesetzt war. Er wusste genau, auf welche Stellen am Körper er sehr hart schlagen musste, damit es besonders wehtat. Es hieß, der Kraus, noch keine dreißig Jahre alt, sei wegen seiner Kurzsichtigkeit vom Dienst an der Front befreit. Dabei trug er nicht einmal eine Brille. Ilse Herterich hatte ein Auge auf ihn geworfen, was der Kraus aber nicht zur Kenntnis nahm. Denn Anton Kraus fühlte sich zu Höherem berufen. Die Arbeit als Ausbilder der Pimpfe an der Panzerfaust war erst der Anfang. Hoffentlich ging der Krieg noch recht lang, damit man sich für größere Aufgaben als für den Volkssturm empfehlen konnte. Die Burschen trabten hinunter zur Eisernen Brücke. Gottfried musste wohl oder übel mit. Dort erwartete sie eine weitere Gruppe junger Kerle, die bereits bei den am Boden liegenden Panzerfäusten knieten. Anton Kraus stellte sich in Positur. »Was ihr hier seht, ist eine Panzerfaust. Eine Panzerfaust dient der Verteidigung. Die Verteidigung dient der Stadt Regensburg. Die Verteidigung dient unserer Heimat. Unsere Heimat wird vom Feind angegriffen. Diese gilt es zu verteidigen. Diese, alles, die ganze Heimat, ja … ist unsere Heimat … weil … ich …« Anton Kraus stockte. Es war ihm nicht gegeben, lange Reden zu halten. Ansprachen mit mehr als zwei Sätzen waren für Anton Kraus, gelernter Bauhelfer, eine wacklige Sache, die schnell in der absoluten Sprachlosigkeit mündete. Aber anstatt es zu lassen oder es zu vermeiden, legte er es immer wieder darauf an, seinen Pimpfen ausufernde Vorträge zu halten. Was regelmäßig in die Hose...


Seidl, Leonhard Michael
Leonhard Michael Seidl, geboren 1949 in München, ist Autor und Musiker. Seine Werke umfassen Romane und Theaterstücke, die mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wurden. Seidl lebt mit seiner Familie bei München.



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