Seidl | Schwindelköpfe,  Schwätzer und Schmarotzer | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Seidl Schwindelköpfe, Schwätzer und Schmarotzer

Schmähinserate im alten München. Mit 50 Abbildungen
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7526-3472-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Schmähinserate im alten München. Mit 50 Abbildungen

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

ISBN: 978-3-7526-3472-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Im Revolutionsjahr 1848 wurde in Bayern die Vorzensur der Presse aufgehoben, was die Neugründung vieler Zeitungen, insbesondere in der königlichen Haupt- und Residenzstadt München, zur Folge hatte. Jetzt konnten die Bürger in Kleinanzeigen auch vermehrt Ehrverletzungen sowie vermeintliche bzw. tatsächliche Missstände öffentlich anprangern. Überliefert haben sie damit zugleich einen hochinteressanten Einblick in ihr Alltagsleben. In dieser Publikation sind nun über 300 solch kernig-deftiger Schmähinserate vereint, hauptsächlich aus dem Massenblatt Neueste Nachrichten. Zu lesen ist dort etwa von einem Lalli im Schlafzimmer, einer Megäre mit Muskete oder einem Lästermaul in Schwabing. Es ist die Rede von Wahrheitsverdrehern, Wüterichen, Lustdirnen, Lüstlingen, Lümmelfürsten, moralischen Ungeheuern, ausgejagten Ehefrauen, ausschweifenden Frauenzimmern, langohrigen Quadrupeden, sonderbaren Heiligen, Ohrenbläsern, Generalgrobianen, Pflastertretern, Spitzbuben, Speichelleckern und Erzwüstlingen oder von niederträchtiger Verleumdung, teuflischer Bosheit, natterzünglicher Sippschaft bzw. einem Geträtsche giftschwangerer Charaktere. Gepfefferte Kritik richtete sich dabei nicht nur an Münchner, sondern auch an Leute aus dem oberbayerischen Umland, wie etwa den wackeren Waginger, die Wirtin von Ebenhausen, den Benefiziaten von Haag i. OB, die Ehestörerin von Erding, den Pfarrer von Weyarn oder den Posthalter von Tegernsee.

PROF. DR. HELMUT A. SEIDL lehrte Neuere Sprachen in Nürnberg und Augsburg und ist Autor von Büchern und Aufsätzen zu philologischen und volkskundlich-historischen Themen, darunter Der Kreuzlmacherbube und Konsorten: Bayerns größte Räuberbande.

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EINLEITUNG Die Deutsche Revolution von 1848 / 49, bei der in den Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes um nationale Einheit und demokratische Freiheiten gerungen wurde, wird im Hinblick auf die Anfangsphase auch als Märzrevolution bezeichnet. Im März 1848 überschlugen sich im Königreich Bayern, wo Ludwig I. seit 1825 Regent war, ebenfalls die Ereignisse.1 Nach Unruhen und gewalttätigen Protesten, die sich auch gezielt gegen Ludwigs Geliebte, die Tänzerin Lola Montez, richteten, dankte der Monarch schließlich am 20. März 1848 ab.2 König Max II., Ludwigs Sohn und Nachfolger, kündigte sogleich als eine der ersten Liberalisierungsmaßnahmen ein Gesetz zur Pressefreiheit an, da ja die Zensur ein wesentlicher Kritikpunkt gewesen war. Daraufhin gab es zahlreiche Neugründungen von Zeitungen. Eines der populärsten Blätter waren die Neuesten Nachrichten aus dem Gebiete der Politik, verlegt und redaktionell betreut von Karl Robert Schurich. Die neue Münchner Tageszeitung »war als rein informatives Nachrichtenblatt für die Massen gedacht und hatte kein politisches Gründungsprogramm.«3 Bei den Massen als besonders beliebt erwies sich die Rubrik »Bekanntmachungen«. Sie enthielt seitenweise Kleinanzeigen der üblichen Kategorien. So gab es etwa Stellenangebote bzw. –gesuche für Tätigkeiten wie »Ladnerin« (Verkäuferin), »Bonne« (Hausmädchen), Köchin, Kistler, Krautschneider, Stiefelwichser, Oberschweizer oder Aktuar (Schreiber). Bei den Immobilienanzeigen bot man oft Einzelzimmer (»über 3 Stiegen«) an oder wünschte solche zu mieten, manchmal sogar »ohne Bett« (z. B. in der Neuhausergasse). Bei großen Wohnungen waren meist auch Pferdestallungen und Remisen für Kutschen mitinbegriffen (so etwa bei einer Sechszimmerwohnung in der Gruftgasse). »Eingetretener Verhältnisse wegen«4 wurden Sachen wie ein Daguerreotyp-Apparat (zur Herstellung von Photographien), eine Uniform für einen Gymnasial-Professor oder »ein reales Priechlerrecht« (Konzession für einen Garn- und Leinwandhändler) verkauft.5 Natürlich trachtete man über diese Rubrik auch Verlorenes oder Entlaufenes wieder zu erlangen, beispielsweise ein Retikül oder einen Rattenfänger.6 In den »Bekanntmachungen« wurde zudem für Produkte wie Leichdornmittel (gegen »Hühneraugen«), Kräuter-Pomade, »Damen-Waschwasser«, galvano-elektrische Rheumatismus-Ketten, Hirschfänger (=Messer), »zuckerne Seelenzöpfe« (Backwaren) oder Druckerzeugnisse geworben. Bei letzteren finden sich z. B. »zukunftsweisende« Werke wie die wunderbaren Prophezeihungen einer »Somnambüle« (= Schlafwandlerin) zu den Jahren 1848 bis 4856 (bereits über 20 000 Exemplare verkauft) oder die »Worte eines alten Propheten«: Abb. 1: Werbeanzeige für den »Traumdeuter« (Dezember 1848) Das Büchlein scheint beim Zahlenlott0 durchaus von Nutzen gewesen zu sein, wie das nachfolgende Inserat glauben machen will.7 Abb. 2: Inserat mit Gewinnmitteilung (Oktober 1848) In den »Bekanntmachungen« wurden aber nicht nur Ratgeber für Traumdeutungen angepriesen, sondern auch viel praktischere wie etwa Handbücher für Auswanderer nach Nordamerika, eine »Anleitung, sich in Gesellschaften beliebt zu machen und sich die Gunst der Damen zu erwerben« oder ein »Noth- und Hülfsbüchlein für Ehemänner.« Wer eine Ehe eingehen wollte, inserierte ebenfalls im Anzeigenteil der Neuesten Nachrichten. Dabei kam mitunter auch der Humor nicht zu kurz: »Heirathsgesuch. 13372. Ein gebildetes Fräulein vom angenehmsten Aeußern, das das Ende des Lebensfrühlings bereits überschritten hat, wünscht, wo möglich noch innerhalb der letzten Tage ihrer zweiten 18jährigen Capitulation, sich an einen soliden Herrn in den besten Jahren – zwischen 18 und 60 – zu verheirathen. Als Mitgift von ihrer Seite garantirt sie, außer einer Unzahl häuslicher Tugenden, für unglaubliche Fertigkeit in Consummirung des schwarzbraunen Nasenstoffs und für classische Erfahrung und Praktik in den Bierwissenschaften. Aber eben darum sieht sie sich auch veranlaßt, den etwa auftretenden Candidaten schon im Voraus, als erste und nothwendigste eheliche Pflichtleistung anzuempfehlen, die Sorge für den täglichen Nasenbedarf und insbesondere die Lieferung eines ordentlichen Quantums Bierstoff erster Qualität …«8 »Einladung. 7523. Im unerforschlichen Rathschluß des Allmächtigen ist die weise Anordnung getroffen, daß die Sonne zum Erwärmen, der Vogel zum Fliegen, der Mensch aber zum Lieben geschaffen ist. … Meine Jünglingsjahre sind zwar entrückt; aber dennoch von jenem Gefühle beseelt, das um zwei Herzen das feste Band der Liebe schlingt, ohne Liebe ist keine Wonne. Ich habe mich daher entschlossen, den 2. Oktober meine dritte Vermählung feierlichst zu begehen und lade zu diesem alle meine Freunde und Bekannte, ja das ganze Publikum dazu ein, an diesem Feste Theil zu nehmen und dem angeordneten Mahle in meiner Behausung beizuwohnen. Kanalstraße Nr. 44. E. Kugler, Bierwirth. Josepha Hust.«9 »Ein solider Mann in die [sic] 30er Jahre, der jährlich 600 fl. Gehalt hat, sucht ein solides Frauenzimmer von einem Alter etwa von 23–32 Jahren, welches in weiblichen Eigenschaften ausgezeichnet ist, und ein Vermögen von wenigstens 600–2000 fl. besitzt, zur Verehelichung, wird aber dabei bemerkt, daß mehr auf Geschicklichkeit und Eingezogenheit etc. gesehen wird als auf Geld. Frankirte versiegelte Briefe beliebe man zu machen, unter der Chiffre A. G. an die Exped. d. Bl.«10 Annonciert wurde zudem des Öfteren, um sich für erwiesene Hilfeleistung oder Unterstützung zu bedanken. Hier zwei Beispiele: »5745. Oeffentlicher Dank allen den edlen Menschenfreunden und Wohlthätern, die mir Montags früh im Bauhof das Leben retteten! Franz Delacher und dessen Mutter.«11 »Oeffentlicher Dank. 6025. Herr Tambosi, Kafetier, hat am 6. d. an einer der gefährlichsten Stellen des Würmkanals meinen 13jährigen Sohn vom Tode des Ertrinkens gerettet. Für diese edle Menschenfreundlichkeit und liebevoll aufopfernde Großmuth fühle ich mich gedrungen, Herrn Tambosi hiemit öffentlich meinen herzlichsten tiefgefühlten Dank auszusprechen. München, am 8. Sept. Franz Reisert, Juwelier.«12 All die bisher genannten Arten von Kleinanzeigen sind – ebenso wie Inserate mit vorwiegend (partei-)politischen Motiven – nicht weiter Gegenstand dieser Publikation. Das gilt auch für literarisch angehauchte Persiflagen wie die folgende, in der u. a. von Gestalten aus der griechischen Mythologie oder von Vitriolöl (H2SO4) die Rede ist: »Dem aus Vitriolöl und Hanswurstenschweiß zusammengesetzten Herrn Biervertilger und dem aus Schwefeläther und Hengstenmilch gegossenen Hrn. Grußentbieter an Ignatz Starl melde ich, daß weder die Danaiden, noch Hesperiden, noch Aeneiden, sondern die Hämorrhoiden hier waren, und in meiner Logiewohnung ihr Domicil hatten. Sie wurden bereits von der Polizei aufgegriffen, um von Herrn Aktuar Harres in der Repräsentanten-Versammlung mit afrikanischer Neutralität als tollkühne Eunuchen zu Fidibus und blutdürstigen Galgenstricken verdollmetscht werden zu können. Theodolinde Sauerteig, geb. von Geisbock.«13 Ansonsten aber ist mit Spott bzw. Schmäh schon das zentrale Thema dieser Publikation erwähnt. Die Massen nutzten nun die Möglichkeit, sich über vermeintliche oder tatsächliche Missstände, Ungerechtigkeiten, Beleidigungen, Kränkungen, Verleumdungen oder Lügen in teilweise überaus bissigen und geharnischten Inseraten zu ereifern: »Die Presse genoss in vollen Zügen den Most der Freiheit, und die Stadt die Folgen davon in Placaten und Kreuzerblättern.«14 Ein Zeitungsartikel vom Juni 1848, als das Gesetz über die Pressefreiheit auch offiziell in Kraft trat,15 beschrieb die Lage in München wie folgt: »München ist jetzt so langweilig, wie eine kleine Universitätsstadt, wenn die Studenten in den Ferien sind. Da gähnen die Jungfern, die Wirthe machen betrübte Gesichter und die Hausbesitzer sind aus lauter Sehnsucht nach ihren Hausfreunden krank. Also ists in München. München liegt in Erwartung der Dinge, die da kommen sollen, die einen warten auf den Messias, die andern auf gebratene Tauben. Aber es geschieht nichts, es wird nichts gethan, es schläft Alles, nur wenn einer dem Andern was anhängen kann, so thut ers in unseren Eintagsblättern mit Hülfe der himmlischen Preßfreiheit.«16 Dass man von letzterer nun gerade auch auf diese Weise Gebrauch machte, erregte durchaus...



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