Seibert / Polke / Firchow | Kultur als Spiel | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 22, 200 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm

Reihe: Theologie - Kultur - Hermeneutik (TKH)

Seibert / Polke / Firchow Kultur als Spiel

Philosophisch-theologische Variationen

E-Book, Deutsch, Band 22, 200 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm

Reihe: Theologie - Kultur - Hermeneutik (TKH)

ISBN: 978-3-374-04815-1
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Kulturgeschichte kennt eine Vielzahl an unterschiedlichen Variationen des Spiels. In einer bestimmten Hinsicht erweist sich die Form des Spiels als ein konstitutives Phänomen von Kultur. Unter der Voraussetzung, dass es sich bei Religion um ein kulturelles System handelt, kann zudem erwartet werden, dass auch sie den Impuls des Spielerischen in sich aufnimmt. Vor diesem Hintergrund zielen die Beiträge dieses Bandes darauf ab, einzelne Verflechtungen zwischen Spiel und Kultur aus theologischen und philosophischen Perspektiven zu untersuchen. Dabei geht es sowohl darum, theoriegeschichtliche Hintergründe des Zusammenhangs sichtbar zu machen, als auch darum, die Verhältnisse zwischen Spiel, Religion und Ethik systematisch zu untersuchen.

Mit Beiträgen von J. Dierken, M. Firchow, E. Fischer-Lichte, Chr. Polke, B. Recki, Chr. Seibert und Ph. Stoellger.

[Culture as a Game. Philosophical-theological Varieties]
Within human history a multitude of various plays and games can be found. To some extent play seems to be both, a constitutive part as well as a basic phenomenon of human culture; and since religion forms a cultural system it clearly inheres playful elements. Against this background, all contributors of this volume undertake to analyse and describe different kinds of intertwinings of play and culture. From the different perspectives of theology, philosophy and cultural studies they consider questions like whether there is a moral, even religious dimension in play and game and if so, how it does shape individual and communal life.
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Weitere Infos & Material


Inhalt: E. Fischer-Lichte, Theatralität und Liminalität. Anmerkungen zu zwei Grundbegriffen der Kulturwissenschaften; Ph. Stoellger, Spiel als Medium pathischer Erkenntnis; B. Recki, Glück im Spiel? Zur ästhetischen und ethischen Dimension einer anthropologischen Kategorie; J. Dierken, Darstellung – Ausdruck – Spiel. Zweckfreies Handeln und seine sittlichen Formen bei Schleiermacher; M. Firchow, Religion als symbolisches Spiel. Überlegungen im Anschluss an Georg Simmel; Chr. Polke, „Spielräume des Wirklichen“ – (Evolutions-)Anthropologische Überlegungen zur Praxisform der Religion; Chr. Seibert, Vom Spielerischen in der Ethik.


DIE VERWANDELNDE KRAFT KULTURELLER AUFFÜHRUNGEN
Anmerkungen zu den kulturwissenschaftlichen Grundbegriffen „Theatralität“ und „Liminalität“ Erika Fischer-Lichte Die in den letzten Jahrzehnten immer wieder beschworene performative Wende, die sich in der europäischen Kultur im Übergang vom 19. Zum 20. Jahrhundert ereignete, lässt sich u. a. auch als eine Verlagerung des Interesses vom Text zur Aufführung beschreiben. In den Religionswissenschaften zum Beispiel bestand im 19. Jahrhundert eine klare Hierarchie zwischen Mythos und Ritual. Während der Mythos als das Primäre galt, das vom Ritual lediglich bebildert, illustriert, ‚aufgeführt‘ wird, erfuhr dies Verhältnis gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine radikale Umkehrung. In seinen Lectures on the Religion 21ft he Semites stellt der Religionswissenschaftler William Robertson Smith die These auf, dass der Mythos lediglich der Deutung eines Rituals diene und daher sekundär sei. Primär sei vielmehr das Ritual: Soweit Mythen als Deutung ritueller Bräuche bestehen, ist ihr Wert überhaupt ein sekundärer, und man kann wohl mit Sicherheit behaupten, daß beinahe in jedem Fall der Mythus aus dem Ritus hergeleitet ist und nicht der Ritus im Mythus wurzelt. Denn der Ritus war fest bestimmt, und der Mythus war veränderlich; der Ritus war Sache der religiösen Pflicht, der Glaube an den Mythus aber stand im Belieben des Menschen.1 Das Interesse der Religionswissenschaften müsse sich daher den Ritualen zuwenden. Denn das fundamentale Prinzip der Religion sei die Handlung und nicht die Lehre, das Dogma. Die bis dahin vor allem in protestantischen Kulturen gültige Vorherrschaft der religiösen Texte wurde damit ernsthaft in Frage gestellt. Smith entwickelte eine Theorie, nach der das Opfer als eine feierliche Mahlgemeinschaft zu begreifen sei. Der gemeinsame Vollzug von Handlungen, nämlich das Sich-Einverleiben von Fleisch und Blut des Opfertieres – einer Gottheit, wie Smith im Sinne des Totemismus annahm –, verbinden alle Beteiligten durch ein unauflösliches soziales Band. Er bringe überhaupt erst die Gemeinschaft als eine Mahlgemeinschaft hervor. Aus der rituellen Gruppe werde so eine politische Gemeinschaft. Es sind eben die hier vollzogenen performativen Akte, welche das hervorbringen, was sie vollziehen: die soziale Wirklichkeit einer (Mahl-)Gemeinschaft. Wie wir später noch sehen werden, hat sich Smith’ Theorie des Opfers als äußerst einflussreich nicht nur in den Religionswissenschaften, sondern auch in Ethnologie, Soziologie und Altertumswissenschaften erwiesen und die Voraussetzungen dafür geschafften, dass der Begriff der Liminalität später geprägt werden konnte. . Er beließ es nicht bei einer Dominantenverschiebung zwischen Text und Aufführung, sondern behauptete einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen beiden, der ihre Verbindung letztlich ausschließe: Theater und Drama […] sind nach meiner Überzeugung […] ursprünglich Gegensätze […], die zu wesenhaft sind, als dass sich ihre Symptome nicht immer wieder zeigen sollten: das Drama ist die wortkünstlerische Schöpfung des Einzelnen, das Theater ist eine Leistung des Publikums und seiner Diener.3 Entsprechend definiert Herrmann Theater als „ein soziales Spiel“ – ein Spiel für Alle. Ein Spiel, in dem Alle Teilnehmer sind – Teilnehmer und Zuschauer […]. Das Publikum ist als mitspielender Faktor beteiligt. Das Publikum ist sozusagen Schöpfer der Theaterkunst. Es bleiben so viel Teilvertreter übrig, die das Theater-Fest bilden, so dass der soziale Grundcharakter nicht verloren geht. Es ist beim Theater immer eine soziale Gemeinde vorhanden.4 Aus diesem Befund folgt für Herrmann die Notwendigkeit einer neuen Disziplin. Da keine der bestehenden Disziplinen Aufführungen unter ihre Gegenstände subsumiere, sondern lediglich Texte und Monumente, müsse eine Wissenschaft von Aufführungen eingerichtet werden – Theaterwissenschaft. Mir ist gelungen, im Menschen neben dem Selbsterhaltungs-, dem Geschlechts- und den anderen Trieben, den Verwandlungstrieb zu entdecken, d. h. den Trieb des Menschen, von außen empfangenen Bildern andere Bilder entgegenzusetzen, die er auf der Ebene präästhetischer Transformation der sichtbaren Natur willkürlich geschaffen hat. Nach reiflicher Überlegung nenne ich das den Trieb zur Theatralität […] verstanden als das absolute Gesetz der schöpferischen Verwandlung der von uns wahrgenommenen Welt.6 Der Trieb zur Theatralität wird hier als ein Trieb zur Verwandlung – Preobrashenie – und zur Transformation – Transformacia – näher bestimmt. Beide Begriffe evozieren ein sehr spezifisches semantisches Feld. Preobrashenie verweist auf den Feiertag der Transfiguration Christi, der in der orthodoxen Kirche am 6. August begangen wird. Der Begriff fungiert zugleich als Übersetzung des griechischen Begriffs der Metamorphosis und impliziert die entsprechenden Bedeutungen, die sich weitgehend mit denen des Begriffs Transformacia decken.7 Der Trieb zur Theatralität lässt sich daher in der Tat als Trieb zur Verwandlung bestimmen. Tätowierungen, das Durchstechen der Haut, der Knorpel und Zähne, um Federn, Ringe, Stücke von Kristall, Metall oder Holz (pelele) einzusetzen, das Ausschlagen der Schneidezähne, Herausreißen der Haare, Verformungen des Schädels oder der Füße […].8 Nicht nur der Schmuck, auf den Evreinov zunächst hinweist, sondern die wichtigsten Ereignisse, Situationen und Stationen im Leben der „frühen Menschen“ seien von dem Wunsch bestimmt: „Nicht man selbst zu sein!“9 Aus der Geburt des Kindes und aus seiner Ausbildung, aus der Jagd und der Hochzeit, aus dem Krieg, aus Gericht und Strafe, aus dem religiösen Ritual und schließlich aus der Beerdigung – fast aus allem macht der frühe Mensch, genauso wie der Mensch der Spätkultur, eine rein theatrale Aufführung. Darin besteht sein ganzes Leben […] Er theatralisiert das Leben, und es bekommt für ihn den wahrsten Sinn, es verwandelt sich in sein Leben.10 Im weiteren Durchgang durch die menschliche Geschichte über die Geschichte der Griechen und Römer, bei denen nach dem von Evreinov zitierten Karl Borinski das „Theaterwesen […] im Vordergrund der öffentlichen Interessen“ stand und „alle übrigen […] beherrschte und verdrängte“11, setzt Evreinov sich mit dem Kampf der christlichen Kirche mit „dieser beherrschenden Stellung des Theaters“ auseinander: Sie wollte eifernd selbst die beherrschende Stellung im Leben aller einnehmen. Aber die Idee des Theaters errang am Anfang dieses bedeutsamen Kampfes einen entscheidenden und unbestreitbaren Sieg. Christlichen Asketen fiel das Los zu, ihre Verachtung für den Märtyrertod zuerst öffentlich – in der Zirkusarena! – zu äußern und die treuen Söhne der Kirche mussten sich der heidnischen Welt zuerst – als Schauspieler in der ihnen aufgezwungenen Tragödie! – zeigen, in blutiger öffentlicher Vorstellung. So sah das fatale Debüt der christlichen Märtyrer angesichts der nach circenses gierenden antiken Welt aus. Natürlich konnten szenische Auftritte dieser Art die Kirche in keiner Weise für das Theater einnehmen, und doch musste sie, ob sie das anfangs wollte oder nicht, den gesamten Gottesdienst nach theatralen Prinzipien aufbauen.12 Der hier konstatierte „Einbruch der Theatralität in den Gottesdienst“13 wird unter Verweise auf Nietzsches Fröhliche Wissenschaft sowie entsprechende Studien der Historiker Michail Rejsner, Max Burckhardt und Karl Friedrich Tiander weiter plausibilisiert. In dem bereits zitierten Aufsatz Theatralisierung des Lebens weitet Evreinov seine Perspektive auf außereuropäische Kulturen aus. So wird behauptet, dass in China „die Intensität des theatralen Gefühls so hoch ist, dass kein Festmahl ohne Teilnahme von Schauspielern auskommen kann, die den Gästen eine echte theatrale Speisekarte, bestehend aus fünfzig bis sechzig Theaterstücken anbieten“14. Für die indischen Kulturen werden als exemplarisch die Aufführungen der großen Epen in Pondicherry genannt, „die vier bis sieben Nächte hintereinander dauern“, ohne dass die fünf- bis sechstausend Zuschauer zwischendurch den Aufführungsort verlassen würden, weil, wie Evreinov oder sein Gewährsmann annimmt, sie „keine Kraft mehr haben, von diesem Ort der größten Versuchung nach Hause zu gehen“15. alles in Theater verwandelte: ein inquisitorisches Gerichtsverfahren mit maskierten Richtern und höllischen Folterrequisiten, grandiose Ketzerverbrennungen […]; wo sogar aus dem groben Handwerk des Metzgers eine schöne Aufführung des Stierkampfs gemacht wurde.16 Das höfische Leben in Frankreich erscheint Evreinov als durch und durch theatralisiert – in einem Ausmaß, dass seiner Meinung nach hier die Konkurrenz zwischen dem wirklichen Leben und dem Leben auf der Bühne so weit ging, dass keiner feststellen konnte, welches von beiden theatralischer ist. Hier und da griff man zu den schwülstigen, einstudierten Phrasen, zu der manirierten Raffiniertheit von Verbeugungen, im Lächeln und in den...


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