E-Book, Deutsch, Band 61, 70 Seiten
Seewer / Krieger Ratgeber Einsamkeit
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8444-3249-7
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Informationen für Betroffene und Angehörige
E-Book, Deutsch, Band 61, 70 Seiten
Reihe: Ratgeber zur Reihe Fortschritte der Psychotherapie
ISBN: 978-3-8444-3249-7
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Haben Sie sich auch schon einsam gefühlt? Wenn ja, dann sind Sie damit nicht allein. Einsamkeit ist ein verbreitetes Phänomen, das Menschen jeden Alters und in jeder Lebenslage treffen kann. Das unangenehme Gefühl der Einsamkeit tritt auf, wenn unser menschliches Grundbedürfnis nach sozialen Beziehungen nicht ausreichend befriedigt ist. Es zeigt sich bei Menschen, die über zu wenige oder in ihrer Art unbefriedigende Kontakte verfügen. Während das Gefühl der Einsamkeit teilweise nur von kurzer Dauer ist, hält es bei einigen Personen über einen längeren Zeitraum an und kann sehr schmerzhaft und belastend sein. Da überdauernde Einsamkeitsgefühle zu einer Vielzahl von psychischen und körperlichen Konsequenzen führen können, kann es sinnvoll sein, sich mit den eigenen Einsamkeitsgefühlen zu beschäftigen – insbesondere dann, wenn diese nicht von selbst wieder weggehen.
Der Ratgeber beschreibt das Phänomen Einsamkeit und informiert darüber, wie überdauernde Einsamkeit entstehen kann, und welche Faktoren dazu beitragen können, dass sie bestehen bleibt. Leserinnen und Leser erhalten zahlreiche Hinweise, wie sie sich dem eigenen Einsamkeitserleben oder dem von Angehörigen annähern und was sie selbst gegen chronische Einsamkeit tun können. Dazu werden verschiedene Übungen und Strategien beschrieben, die als Anregungen dienen sollen, sich mit den Gefühlen, Gedanken und Verhaltensweisen, die im Zusammenhang mit dem Einsamkeitserleben stehen, auseinanderzusetzen. Ziel ist es, Möglichkeiten des alternativen Umgangs mit Einsamkeitsgefühlen aufzuzeigen.
Zielgruppe
Personen, die unter Einsamkeit leiden, Angehörige, Ärztliche und Psychologische Psychotherapeut*innen, Psychiater*innen, Klinische Psycholog*innen, Hausärzt*innen, Studierende und Lehrende in der psychotherapeutischen Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Sachbuch, Ratgeber
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Psychiatrie, Sozialpsychiatrie, Suchttherapie
Weitere Infos & Material
283 Was kann man selbst gegen (chronische) Einsamkeit tun?
3.1 Ein Modell für die Erklärung von überdauernder Einsamkeit
Wie in den vergangenen Kapiteln dargestellt wurde, handelt es sich bei Einsamkeit um ein komplexes, vielschichtiges Phänomen, das sehr unterschiedliche Ursachen haben und sich je nach Situation und Vorerfahrungen der Person unterschiedlich ausgestalten kann. Insofern gibt es wohl nicht das eine Vorgehen oder die eine Strategie, die alle betroffenen Personen als hilfreich empfinden, um Einsamkeit zu verringern oder einen anderen Umgang damit zu finden. Während bei kurzfristigen Einsamkeitsgefühlen der Rat, unter Leute zu gehen, ggf. hilfreich und angemessen sein kann, muss dies bei überdauernder Einsamkeit nicht der Fall sein. Anzuerkennen, dass Sie sich einsam fühlen, ist jedoch bereits ein großer und wichtiger Schritt, um etwas dagegen unternehmen zu können. Niemand trägt Schuld an seinen Einsamkeitsgefühlen und man kann in vielen Fällen etwas gegen seine häufigen Einsamkeitsgefühle unternehmen.
Die im Folgenden vorgestellten, unterschiedlichen Möglichkeiten, sich seinem Einsamkeitserleben anzunehmen, orientieren sich an einem Erklärungsmodell zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Einsamkeit (vgl. Abbildung 3, Käll et al., 2020). Durch das Modell kann besser verstanden werden, welche Dinge gezielt ausprobiert oder verändert werden können, um etwas gegen Einsamkeit zu unternehmen. Das Modell in Abbildung 3 ist eine vereinfachte Darstellung und Sie erkennen vielleicht auch, dass es dem Teufelskreis der Einsamkeit, den wir in Kapitel 2 beschrieben haben, sehr nahekommt. Das Modell bietet vielfältige Anknüpfungspunkte, um sich dem eigenen Einsamkeitserleben anzunehmen, dieses besser zu verstehen und daraus für die eigene Situation mögliche und relevante Handlungsoptionen abzuleiten.
Mit Bezug auf dieses Modell stellen wir Ihnen eine Reihe von möglichen Strategien und Übungen vor, die als Anregung dienen sollen, damit Sie sich mit 29Ihrem Einsamkeitserleben auseinandersetzen können. In Kapitel 3.2 und 3.3 beschäftigen wir uns mit Auslösern und Ursachen von Einsamkeit sowie dem sozialen Netz. Danach wenden wir uns in Kapitel 3.4 hinderlichen Gedanken zu und führen in Kapitel 3.5 wichtige Aspekte bezüglich der Wahrnehmung der sozialen Welt aus. Anschließend befassen wir uns in Kapitel 3.6 mit der emotionalen Reaktion und schließlich in Kapitel 3.7 mit dem Aufbau und der Vertiefung von Kontakten.
Neben den Strategien und Übungen zur Anregung soll der Ratgeber gleichzeitig auch ermutigen, die eigene Einsamkeit besser zu verstehen und vor allem überdauernde Einsamkeitsgefühle ernst zu nehmen. Dazu gehört gegebenenfalls auch, die Unterstützung einer Fachperson in Anspruch zu neh30men, falls Sie merken, dass Sie allein nicht weiterkommen. Im Wissen darum, dass Ursachen für Einsamkeitserleben sehr individuell sind, ist es auch wichtig, dass Sie immer wieder für sich überprüfen, welche der im Modell dargestellten Aspekte für Sie besonders relevant sind.
3.2 Auslöser und Ursachen von Einsamkeitsgefühlen
Ein besseres Verständnis dafür, wann und weshalb Einsamkeitsgefühle auftreten, kann helfen, das eigene Erleben einzuordnen. Zudem können daraus mögliche Handlungsoptionen abgeleitet werden, um die eigene Situation mehr nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten.
3.2.1 Kontext der Situation
Gefühle von Einsamkeit sind in der Regel vom Kontext, in dem man sich befindet, abhängig. Eventuell fühlen wir uns einsam, wenn wir allein sind oder gerade dann, wenn wir uns unter vielen Leuten befinden. Das kann von Person zu Person sehr unterschiedlich sein und heißt auch, dass wir durch die Gestaltung der Situation die Einsamkeitsgefühle regulieren können.
Da sich Einsamkeitsgefühle oftmals sehr unangenehm anfühlen, ist es gut nachvollziehbar, dass wir – mehr oder weniger bewusst – versuchen, diese wann immer möglich nicht empfinden oder wahrnehmen zu müssen. Nicht selten ist deshalb die mehr oder weniger bewusste Regulation des Einsamkeitsgefühls ein möglicher Grund, warum soziale Kontexte oder Anlässe vermieden werden oder gerade der Kontakt zu anderen gesucht wird: Wir tun das, um Einsamkeitsgefühle nicht oder weniger intensiv aufkommen zu lassen und sie nicht oder weniger spüren zu müssen. Einerseits neigen wir vielleicht dazu, uns sozial zu vergleichen, und nehmen dann insbesondere in Gesellschaft anderer Einsamkeit wahr, andererseits ist Einsamkeit vielleicht besonders dann spürbar, wenn wir allein sind. Gegebenenfalls unternehmen wir dann Dinge, um Einsamkeitsgefühle „wegzumachen“. Das heißt, dass wir uns möglicherweise aus sozialen Situationen zurückziehen oder aber, dass wir umso mehr dafür tun, Zeiten des Alleinseins zu verhindern, oder uns in solchen Momenten ablenken, um Einsamkeit nicht aufkommen zu lassen.
31Merke
Auch wenn es schwerfällt und einiges an Mut benötigt: Setzen Sie sich mit Ihrer Einsamkeit auseinander und analysieren Sie diese, um mehr darüber herauszufinden. Wann fühlen Sie sich einsam? Wann ist die Einsamkeit besonders intensiv? Was tun Sie, wenn Einsamkeitsgefühle aufkommen? Was denken Sie dann? Wie verhalten Sie sich in der Folge?
3.2.2 Situative Auslöser
Einsamkeitsgefühle können durch besondere Ereignisse (z.?B. Umzug, Trennung) oder auch situative Auslöser begünstigt werden (z.?B. soziale Zurückweisung). Zurückgewiesen zu werden, ist eine sehr schmerzhafte Erfahrung. Die Hirnforschung hat herausgefunden, dass Menschen auch regelrecht Schmerz empfinden, wenn sie sich ausgeschlossen fühlen oder zurückgewiesen werden. Die Erklärung für dieses Schmerzempfinden liegt im Gehirn. Dort wird bei erlebter sozialer Zurückweisung dasselbe Hirnareal (der dorsale anteriore cinguläre Cortex) aktiviert wie bei der Zufügung von körperlichem Schmerz. Dieses Hirnareal interpretieren Hirnforscher als neuronales Alarmsystem: Da soziale Ausgrenzung oder Verletzungen ebenso lebensbedrohlich sein können wie körperliche Verletzungen, hat die Evolution dafür gesorgt, dass das Gehirn bei beiden Gefahren Warnsignale in Form von Schmerz aussendet (z.?B. MacDonald & Leary, 2005).
Dies ist auch eine mögliche Erklärung dafür, warum wir versuchen, uns vor diesem schmerzhaften Gefühl zu schützen und wenn möglich Situationen zu meiden, in denen ein Gefühl sozialer Zurückweisung oder Einsamkeit aktiviert wird. Zwar kann man so das schmerzhafte und unangenehme Gefühl zwischenzeitlich vermeiden, jedoch wird sich mittel- und langfristig nichts daran ändern, dass es gehäuft und möglicherweise immer wieder auftritt.
Um beim Vergleich mit Schmerz zu bleiben: Andauernde Einsamkeit fühlt sich an wie ein dumpfer, unangenehmer – aber doch vielleicht vertrauter – Schmerz. Erfahrungen von Zurückweisung oder Ablehnung sind im Gegensatz dazu eher vergleichbar mit einem akuten intensiven „Stich ins Herz“. Da wir Menschen im Allgemeinen dazu neigen, uns vor Verletzung zu schützen, 32versuchen wir vielleicht Situationen auszuweichen, in denen wir den akuten intensiven Schmerz empfinden könnten, auch wenn das bedeutet, dass wir mit dem dumpfen Schmerz der Einsamkeit weiterleben müssen. Wir versuchen also vielleicht zugunsten unserer Bedürfnisse nach Kontrolle und Selbstwertschutz, solche Situationen zu vermeiden, und nehmen ein nicht befriedigtes Bedürfnis nach Bindung in Kauf.
3.2.3 Veränderungen des sozialen Netzes
Es gibt verschiedene Ursachen, die dazu führen können, dass ein soziales Netz sich (abrupt) verändert. Einige davon betreffen vielleicht uns direkt oder aber eine nahestehende ...