E-Book, Deutsch, Band 4, 312 Seiten
Seemann Friedhofsengel
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8392-7084-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 4, 312 Seiten
Reihe: Kommissarinnen Brandes und Kurtoglu
ISBN: 978-3-8392-7084-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Tödliche Schüsse in Hamburg. Die Kriminalkommissarinnen Stella Brandes und Banu Kurtoglu ermitteln nach einem Doppelmord in den Stadtteilen Eimsbüttel und Rotherbaum. Zwei ältere Frauen werden vor einem Restaurant und einer Kirche niedergeschossen. Die Opfer sehen sich sehr ähnlich, doch verbindet sie noch etwas?
Ein weiteres Verbrechen geschieht, das in Zusammenhang mit den Morden steht. Nun beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, an dessen Ende die Erkenntnis steht, dass es nicht für alle Sünden Vergebung gibt.
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Montag, den 20. März 2017
Kriminalkommissarin Banu Kurtoglu sparte sich das Warten auf den Fahrstuhl. Seit ihrem Erlebnis am heutigen Morgen hatte sie sich vorgenommen, an ihrer Fitness zu arbeiten. Denn unbestreitbar wirkten sportliche Frauen jünger. Gerade war sie selbst schockiert darüber, wie schwer es ihr fiel, die drei Stockwerke im Polizeipräsidium zu meistern. Vor den Räumlichkeiten der Mordbereitschaft 5 wartete sie einige Sekunden, um wieder zu Atem zu kommen. Nicht genug, dass ihr tapferer kleiner Citroën heute Morgen zum ersten Mal seit zehn Jahren nicht angesprungen war. Natürlich war es keine Freude gewesen, im einsetzenden Schneeregen und viel zu dünn angezogen den Weg zur U-Bahn einzuschlagen. Das Highlight der unerfreulichen Ereignisse sollte jedoch noch kommen: Banu hatte es gerade geschafft, sich in die völlig überfüllte U3 zu quetschen, als sie merkte, dass ein junger Mann, der einen Platz am Mittelgang ergattert hatte, sie musterte, aufstand und sie fragte: »Möchten Sie sitzen?« Diese nett gemeinte Frage hatte Banu zutiefst deprimiert, und statt sich höflich zu bedanken, hatte sie zurückgefaucht: »Sehe ich so alt aus?« Erschrocken hatte der junge Mann seinen Kopf eingezogen wie eine Schildkröte und auf die Schlagzeile der heutigen Ausgabe der Morgenpost gestarrt: »Obdachlosen-Killer: Leichenteil Nummer drei am Alsterlauf gefunden! Polizei ratlos«. Banu war froh, dass nicht ihr Team diesen Fall bearbeitete, denn es gab kaum Hinweise auf den Täter, aber jede Menge tote Frauen. Banu hatte keine Erfahrung mit Serienmördern und hoffte, dass es bis zu ihrer Pensionierung so bleiben würde. Nach drei Haltestellen war sie ausgestiegen und hatte dem jungen Mann, der ihr den Sitzplatz angeboten hatte, einmal kurz zugenickt, um seinen Eindruck von ihr ein wenig zu revidieren. Dennoch war sie beleidigt, denn gerade heute Morgen beim Blick in den Spiegel hatte sie gedacht, dass sie sich dank der neuen Anti-Age-Tagescreme doch für Mitte fünfzig noch ganz gut gehalten hatte. Der Vormittag war mit verschiedensten administrativen Tätigkeiten wie dem Schreiben von Aktenvermerken zwar ereignislos, aber ruhig verlaufen. Eigentlich hatte sie mit ihrer Kollegin Stella Mittag essen gehen wollen, aber diese hatte sich mit einer ihrer Freundinnen verabredet. Da Banu nett sein wollte, hatte sie den neuen Kollegen gefragt, ob er sie zu Fatihs Dönerbude begleiten wollte. Leider konnte sie jedoch auf Darios Frage, ob Fatih auch veganen Döner hatte, keine Antwort geben. Und deshalb hatte sie allein einen Dürüm Döner gegessen, sich allerdings das Baklava zum Nachtisch verkniffen. Denn vor Sirup triefendes Backwerk passte nicht zu ihren neuen sportlichen Ambitionen. Stattdessen war sie ins Mercado, ein großes Einkaufszentrum im Stadtteil Altona, gegangen und hatte sich ein Funktionsshirt und eine Laufhose gekauft. Gute Vorsätze sollten sofort gestärkt werden. Nun stand Banu keuchend von der Anstrengung, die Treppenstufen bewältigt zu haben, auf dem Flur und hoffte, dass der Tag ein wenig besser werden würde. »Claire Fraser oder Grace Kelly? Du hast ein bisschen Ähnlichkeit mit ihr. Außerdem sind die Fifties wieder in Mode.« Olivia hielt den Kopf schief und musterte ihre Freundin. Kriminalkommissarin Stella Brandes dachte einen kurzen Moment lang nach, wen Olivia mit Claire Fraser meinte. Dann fiel ihr jedoch ein, dass sie neulich beim Rumzappen an einer Serie mit dem Titel »Outlander« hängen geblieben war, die in Schottland spielte. Es könnte sein, dass die Hauptperson, eine Zeitreisende, Claire Fraser geheißen hatte. Der Grund, warum Stella die Folge bis zum Ende angesehen hatte, war jedoch der unverschämt gut aussehende Schotte Jamie gewesen, den Namen hatte sie sich gemerkt. Er hatte zu viel nackte Haut gezeigt, um einfach abzuschalten. »Ich glaube nicht, dass Jupiter vorhat, im Kilt zu heiraten. Deshalb eher Grace Kelly. Obwohl: War das Kleid nicht sehr hochgeschlossen? Außerdem denk bei deiner Planung bitte daran, dass ich nicht den Fürsten von Monaco heiraten werde, sondern einen nicht besonders wohlhabenden Schotten.« Stella blätterte wahllos in einer der Zeitschriften, die Olivia mitgebracht hatte, und legte sie dann zur Seite, ohne sich ernsthaft eines der Bilder angesehen zu haben. »Außerdem kann ich das nicht in der Mittagspause entscheiden.« Olivia zuckte die Achseln. »Wie du meinst. Du hast ja noch jede Menge Zeit«, sagte sie ironisch. »Wenn man bedenkt, dass Frieda das Kleid noch entwerfen und schneidern muss. Und eure Hochzeit ist am siebenundzwanzigsten Mai. Also bloß nicht hetzen …« Stella rollte mit den Augen. Sie liebte Olivia, mit der sie seit der fünften Klasse befreundet war. Aber momentan ging sie ihr reichlich auf die Nerven. »Ich meine, ich habe dich als Wedding Plannerin engagiert. Such doch einfach ein Kleid aus, das mir stehen würde und nicht das Gehalt einer Hamburger Polizeibeamtin sprengt. Ich habe für so was eigentlich keine Zeit.« Olivia legte ihr die Hand auf den Arm und blickte ihr tief in die Augen. »Das ist jetzt schon das dritte Mal, dass wir uns über dein Kleid unterhalten. Da du dir nicht die Zeit nehmen willst, mit Bounty und mir loszugehen und ein Kleid auszusuchen, muss das irgendwie anders gehen. Und was das Geld angeht: Natürlich sind die Kleider von Frieda normalerweise unbezahlbar, aber da ich jahrelang sehr erfolgreich auf dem Laufsteg für sie unterwegs war, wird sie dir einen Freundschaftspreis machen.« Stella wusste, dass Olivia nichts Geringeres als die perfekte Hochzeit für sie ausrichten wollte. In ihrer Zeit als Plus-Size-Model war sie quasi rund um die Uhr beschäftigt gewesen. Ihr momentanes Dasein als Hausfrau und Mutter sowie nebenberuflichem Location Scout und Wedding Planner schienen sie nicht auszulasten. Zumal sie noch nicht die öffentliche Aufmerksamkeit bekam, die sie sich erhofft hatte. Denn die Hamburger Promis ließen sich bei allem, was den wichtigsten Tag in ihrem Leben anging, eher von der Konkurrenz beraten. Doch dadurch, dass sie Hand an die Hochzeitsplanungen des aufsteigenden Stars am Serienhimmel, Jupiter Jones, legte, hatte sie zumindest schon mal einen schmalen Fuß in der Tür zu der Kundschaft, die ihr eigentlich vorschwebte. Natürlich war Jupiter noch eher ein Bonsai-Promi. Aber weil die Serie »Im Namen der Ahnen«, in der er die Hauptrolle spielte, mit großem Promotion-Tam-Tam Anfang des Jahres in Deutschland angelaufen war, sah Stella ihn mittlerweile deutlich mehr in der Presse und den sozialen Netzwerken, als ihr lieb war. »Olivia, warum kriegst du eigentlich nicht noch ein Kind und nimmst ein paar Monate oder Jahre Elternzeit? Dann würden Jupiter und ich uns einfach irgendeinen Standesbeamten schnappen und uns bei uns zu Hause trauen lassen. Im Kreise unserer Katzen.« In gespielter Empörung warf Olivia ein Stück Brot nach ihr. Sie verfehlte sie jedoch, weil Stella sich gerade bückte, um ihr Handy aus der Tasche zu holen, und traf stattdessen den Kellner. Dieser schien jedoch häufiger Zeuge von kleinen Dramen des Alltags zu sein. Er hob das Stück Brot auf, ohne mit der Wimper zu zucken, und legte es auf den Teller, den er gerade vom Nachbartisch abgeräumt hatte. »Aber: Ich finde die Kleider in Richtung Fünfziger- und Sechzigerjahre gar nicht schlecht. Allerdings muss ich jetzt wieder dafür sorgen, dass Hamburgs Verbrecher eingefangen werden. Und den neuen Kollegen einweisen. Ich glaube, der hat noch keinen Plan. Eben hat er mir eine Nachricht geschickt, dass er die Akten über den gerade abgeschlossenen Fall nicht findet.« Olivia nahm ein Erfrischungstuch aus ihrer Handtasche und nickte. »Ich suche dir bis zum Wochenende drei Modelle aus, und zwischen denen musst du dich dann entscheiden.« »Das kriege ich hin.« Natürlich freute Stella sich, dass Olivia extrem bemüht war, ihr den Start in die Ehe so luxuriös und vielversprechend zu gestalten, und dass sie sich selbst um wenig kümmern musste. Das Problem war nur, dass Stella nicht wusste, ob es wirklich die richtige Entscheidung war, ein zweites Mal zu heiraten. Es gab Tage, an denen war sie sich fast zu hundert Prozent sicher, dass diese Ehe funktionieren würde. Aber heute war nicht so ein Tag. Thorsten Fock, der Leiter der Mordbereitschaft 5, war gerade dabei, dem Gummibaum ein Nährstoffstäbchen zuzuführen. Seit letztem Herbst war er neu verliebt. Er war ein extremer Geheimniskrämer. Zwar stellte sein Team ihm jeden Tag Fangfragen, aber bislang hatte er nicht verraten, wer sein Herz erobert hatte. Jedoch mutmaßten Stella und Banu, dass die Dame etwas mit Botanik zu tun haben musste, denn in den letzten Monaten nahm er die Pflege der grünen Fensterbankbewohner sehr genau. Vor allem schien er eine besondere Beziehung zum Gummibaum entwickelt zu haben. Stella schwor Stein und Bein, dass er ihm neulich einen »Guten Morgen« gewünscht hatte. Thorstens Erklärung war, dass er das Spiegelbild des Kollegen Gunnar im Fenster gesehen und er diesen begrüßt hatte, ohne sich umzudrehen. Leider hatten seine Mitarbeiter während Thorstens Urlaubswoche Anfang März vergessen, die Pflanzen zu gießen. Dies hatte für einige Missstimmung gesorgt, und der Gummibaum und seine Freunde bekamen seitdem noch mehr Aufmerksamkeit. »Braucht er wirklich jeden Tag ein Zäpfchen?«, fragte Stella und schmiss ihre Tasche auf den Tisch des Besprechungsraums. Thorsten versuchte, böse auszusehen, konnte jedoch ein Grinsen nicht unterdrücken. »Ihr habt ihn beinahe sterben lassen. Die Vitalzeichen sind schwach. Ficus elastica ist noch nicht über den Berg.« Stella warf einen Blick auf Banu, die schlecht gelaunt auf ihren Bildschirm starrte. Der neue...