Buch, Deutsch, 210 Seiten, PB, Format (B × H): 148 mm x 210 mm, Gewicht: 290 g
Buch, Deutsch, 210 Seiten, PB, Format (B × H): 148 mm x 210 mm, Gewicht: 290 g
ISBN: 978-3-943406-13-9
Verlag: Wölfchen Verlag
Die junge Silberwölfin Naika und die Indianerin Topsannah teilen das gleiche Schicksal: Man verbietet ihnen die Unabhängigkeit.
Die beiden teilen jedoch auch ein Geheimnis. Nachts schleichen sich die Freundinnen aus dem großen Tal, um sich das Jagen beizubringen. Bis sie in die Fänge von Wilderern geraten, die sie verschleppen. Dadurch bricht jedoch der Winter erstmalig über das Tal herein. Werden Naika und Topsannah rechtzeitig entkommen, bevor ihr Tal im ewigen Eis versinkt?
Weitere Infos & Material
1. Das große Tal. 7
2. Jagd im Bärental.14
3. Die Weißen. 20
4. Ungewissheit. 28
5. Quälende Angst. 35
6. Neue Freunde?. 37
7. In letzter Minute. 43
8. Ein neues Rudelmitglied. 48
9. Die Weisheit der Ahnen.55
10. Traumgeister. 60
11. Die Flucht!. 64
12. Auf Abwegen. 70
13. Hoffnung. 72
14. In der Fremde. 78
15. Eine neue und eine alte Freundin. 81
16. Ein Held. 96
17. Wilderer. 112
18. Braunhäutige Zweibeiner. 119
19. Die Schlucht. 126
20. Ein Wald ohne Bäume. 138
21. Schmerzvoller Verlust. 149
22. Abschied für immer. 154
23. Eine Holzhütte am Fluss. 159
24. Ängste!. 166
25. Unter neuer Führung. 171
26. Heulende Grüße. 176
27. Die Erweckung des großen Tales. 181
28. Ein unpassender Moment. 185
29. Die letzten Geheimnisse. 191
Kapitel 1.
Das große Tal
Naika lag gelangweilt vor der Höhle ihres Rudels und schaute
hinab ins Tal der Silberwölfe. Sie lauschte den Stimmen ihrer Eltern,
die sich in der Höhle hinter ihr befanden und mit den Alten
des Rudels sprachen. Für sie war es die perfekte Gelegenheit sich
davon zu schleichen, um ihre beste Freundin Topsannah im
Dorf zu besuchen. Sie wollte ihr unbedingt von ihren nächtlichen
Ausflügen ins benachbarte Bärental berichten. Behutsam
schlich sie den Berghang hinunter in den großen Wald, der zum
größten Teil aus alten Mammut- und Ahornbäumen bestand.
Ohne zurückzublicken, rannte sie zwischen den Bäumen hindurch.
Vergnügt darüber ohne Aufpasser herumzustreunen, die
sie meistens bei ihren Spaziergängen begleiteten, sprang sie über
Felsen und modrige Baumstämme. Völlig außer sich, dass sie
gleich ihre beste Freundin treffen würde, passte sie einen Moment
nicht auf und rannte eine Gruppe rothäutige Zweibeiner
über den Haufen, die sich mit ihren langen und kurzen Stöcken
auf der Jagd befanden. Laut aufjaulend rollte sie über den moosigen
Waldboden und krachte mit voller Wucht gegen einen vermodernden
Baumstumpf.
Die Jäger fluchten über ihr plötzliches Auftauchen. Einer von
ihnen kniete sich zu ihr und schaute, ob sie sich ernsthaft verletzt
hatte. Mit einem leichten Schubs und Armbewegungen scheuchte
er schließlich Naika weg.
Naika verstand jedes Wort, was die Zweibeiner sprachen. Durch
ihr unerwartetes Auftauchen hatte sie deren Beute aufgeschreckt
und ihnen offensichtlich die Jagd verdorben. Beschämt darüber
lief sie weiter. Dabei fielen ihr die ermahnenden Worte ihres Vaters
ein: Naika, halt dich von den Zweibeinern in diesem Tal fern! Auch
wenn sie uns als gute Geister verehren und unserem Volk nie etwas angetan
haben, so wollen wir nichts riskieren und den Frieden im Tal bewahren.
Naika war wütend über sich selbst und darüber, dass ihr alles
verboten wurde, was Spaß machte. Sie wetzte ihre Krallen an
der Rinde eines alten Ahornbaumes. Nach einer Weile hörte sie
auf, hob ihren Kopf und lauschte in den Wald hinein. Bis auf das
Gezwitscher der Vögel in den Baumkronen hörte sie nichts. Ein
leichter Wind wehte ihr um die Nase und sie roch den angenehmen
Duft einer Wildblumenwiese. Aber noch ein anderer Geruch
lag in der Luft! Ihre goldenen Augen strahlten vor Freude.
Nicht weit entfernt befand sich ihre Freundin Topsannah. Sofort
folgte Naika der Geruchsspur. Kaum, dass sie den Wald verließ
und die Blumenwiese betrat, konnte Naika sie sehen.
Topsannah stand am kristallklaren See und versuchte mit ihrem
großen, biegsamen Stock, kleine spitze Stöckchen gegen eine alte
Baumwurzel zu schießen. Nur wenige trafen ihr Ziel, die meisten
landeten im See. Wütend warf sie ihren großen Stock zu Boden.
Danach versuchte sie mit einem abgebrochenen Zweig, ihre kurzen
Stöckchen aus dem See herauszufischen.
Naika durchquerte rasch die Blumenwiese und scheuchte dabei
Hunderte von bunten Schmetterlingen auf, die wie eine große
Welle auflogen und hinter ihr wieder landeten. Auf den letzten
Metern schlich sie sich an Topsannah heran, die ihr Kommen
noch nicht bemerkt hatte. Leise knurrend sprang Naika auf und
legte von hinten ihre Vorderpfoten auf ihre Schultern.
Topsannah erschrak und platschte in das kalte Wasser des Sees,
tauchte jedoch rasch wieder auf und kletterte ans Ufer. Schelmisch
grinsend gab Topsannah ihrer Freundin einen kräftigen
Schubs, sodass auch sie im See landete.
Naika tauchte aus dem See wieder auf und schimpfte: 'Das
Wasser ist ja eiskalt!'
Topsannah grinste immer noch von einem Ohr zum anderen.
'Wenn du gerade im See schwimmst, könntest du mir meine
Pfeile aus dem Wasser fischen?', bat Topsannah sie, während sie
sich ihrer Kleidung entledigte, um diese und ihre langen schwarzen
Haare auszuwringen.
Unterdessen sammelte Naika mit ihrer Schnauze die Pfeile ein,
die auf der Seeoberfläche schwammen. Nachdem sie alle Pfeile
ans Ufer gebracht hatte, kletterte sie zitternd aus dem See und
schüttelte sich grob das Fell trocken.
Beide legten sich auf die Blumenwiese und genossen schweigend
die Sonnenstrahlen, die sie langsam aufwärmten.
Nach einer Weile unterbrach Topsannah ihr Schweigen: 'Und?
Wie verlaufen deine nächtlichen Jagdausflüge im Bärental?'
'Nicht besonders gut. Ich erlege zwar regelmäßig kleine Kaninchen,
aber ein paar Pumas jagen sie mir andauernd ab. Dazu
kommt, dass meine Eltern wohl wissen, dass ich mich heimlich
davonschleiche. Seit ein paar Nächten patrouillieren immer zwei
Wölfe, um mich zu erwischen', erklärte ihr Naika. 'Ich verstehe
einfach nicht, warum mein Rudel mir die Jagdausbildung verweigert!
Jeder Silberwolf jagt in meinem Alter eine Sonne und
einen Mond allein im Tal. So verlangt es die Tradition unserer
Ahnen!'
'Sie haben Angst um dich. Du bist ihr einziger Nachwuchs. Sie
wollen nicht, dass dir etwas geschieht', erklärte ihr Topsannah.
'Glaubst du etwa, mir ergeht es anders? Auch ich möchte mit
den Jungen meines Dorfs zur Jagd gehen. Aber stattdessen muss
ich lernen, wie man Tiere häutet, Felle bearbeitet und auf den
Feldern arbeitet. Mir gefällt …'
Eigensinnig unterbrach Naika sie: 'Das kann und will ich nicht
akzeptieren! Sie haben mich jedes Mal dafür bestraft, wenn ich
zu dir ins Dorf zum Spielen ging. Jetzt brechen sie die Gesetze
unserer Ahnen und keiner bestraft sie dafür. Das ist einfach ungerecht!'
Um sie zu beruhigen, strich Topsannah sanft durch Naikas Fell.
Naika gefiel das, sie rollte sich auf den Rücken und ließ sich den
Bauch kraulen.
'Weißt du, woher das Bärental seinen Namen hat? Ich habe dort
unten nicht einen Bären gesehen. Nur Dachse, Pumas und viele
kleinere Tiere. Dazu ist das Wetter dort völlig anders als bei uns.
Es ist dort schwül und heiß. Selbst bei Nacht kann man es dort
kaum aushalten. Weißt du, warum?', erkundigte sich Naika.
'Erinnerst du dich an den Alten Schamanen in meinem Dorf ?'
'Wie kann ich den vergessen! Der Schamane erzählt immer eigenartige
Geschichten', erinnerte sich Naika.
'Genau. Von ihm weiß ich, dass ihr Silberwölfe die Verbindung
zur Mutter Natur seid. Ihr haltet dieses Tal im ewigen Frühling und
wacht über uns und alle Geschöpfe. Durch euch können wir das
ganze Jahr über Früchte ernten und unsere Felder bestellen. Vergießen
wir jedoch das Blut eines Silberwolfes, so ist dieses Land
verflucht', berichtete Topsannah.
Nachdenklich rollte sich Naika auf die Seite. Sie konnte sich
nicht vorstellen, dass ihr Volk dafür verantwortlich sein sollte.
Jedoch erinnerte sie sich an die Lehren der Altwölfe, die ihr einst
erzählten, dass sie mit bestimmten Gefühlen vorsichtig sein soll.
Es gefährlich sei, seinen Zorn und seine Wut auszuleben. Naika
verstand aber immer noch nicht, warum sie dies nicht durfte. 'Ob
es mit dem Glauben der Zweibeiner zusammenhängt?'
Ihre Blicke streiften die hohen schneebedeckten Berge, die das
Tal umgaben. Umso mehr sie darüber nachdachte, kamen ihr
Zweifel. 'Könnte es der Wahrheit entsprechen?'
'Du glaubst es nicht, oder?', unterbrach Topsannah sie, wartete
aber keine Antwort ab: 'Deine Besuche bei uns im Dorf,
empfindet mein Volk als eine große Ehre. Selbst als du vor zwei
Monden den Sohn des Häuptlings gebissen hast, empfand man
dein Verhalten als gerecht.'
'Der war aber auch gemein zu dir! Immer ärgerte und hänselte
er dich, nur weil du keine Eltern mehr hast', entgegnete Naika.
'Der hatte es nicht anders verdient. Wer meiner Freundin weh
tut, der verletzt auch mich.'
Topsannah grinste. 'Oh ja, das war er. Seit dem Vorfall behandelt
mich das ganze Dorf anders und unser Schamane unterrichtet
mich jetzt in Kräuterheilkunde. Früher kümmerte sich kaum
einer um mich. Jetzt sind alle so freundlich zu mir.'
Naika ging dazwischen: 'Das verstehe ich nicht. Aber es erklärt
zumindest, warum ich dich in letzter Zeit oft mit dem Schamanen
im Wald sehe.'
'Das ist ganz einfach. Alle glauben, dass du dem Dorf Glück
bringst. Und wenn sie mich schlecht behandeln, du sie dafür bestrafen
wirst', erklärte ihr Topsannah.
Naika fing lauthals zu lachen an. 'Was soll eine Wölfin wie ich
schon gegen sie ausrichten? Bei dem Sohn des Häuptling war das
etwas ganz anderes. Der wollte dir dein Fell am Kopf versengen,
das konnte ich nicht zulassen. Du bist meine allerbeste Freundin
und ich habe dich sehr gern!'
'Das ist kein Fell auf meinem Kopf, das sind Haare. Du bist
auch meine …'
Naika sprang auf und fiel ihr erneut ins Wort. Ihre goldenen
Augen leuchteten. 'Mir kommt da eine tolle Idee. Willst du heute
Nacht nicht mitkommen? Wir könnten doch zusammen das Jagen
im Bärental üben.'
Liebevoll umarmte Topsannah sie und strich ihr sanft durchs
Fell. Ein paar Freudentränen rollten ihr die Wange herunter. 'Du
würdest mich mitnehmen?'
'Aber klar! Das wird auf jeden Fall ein tolles Abenteuer. Wir
treffen uns am Abhang des Bärentales. Versprich mir, dass du
auf mich wartest. Die Pumas sind verdammt gefährlich und du
bist noch zu jung, um sie dir erfolgreich vom Leib zu halten.'
Trotzig erwiderte Topsannah: 'Ich bin nicht zu jung! Obwohl
ich erst dreizehn bin, könnte ich es jederzeit mit einem ausgewachsenen
Grizzly aufnehmen.' Naika musterte sie besorgt und Topsannah
lenkte ein. 'Na gut, versprochen. Ich warte am Hang des
Bärentals auf dich.'
Nach einer Weile des Schweigens musste Naika auf einmal fürchterlich
lachen. 'Tut mir echt leid. Der Spruch hätte auch von meinem
Vater sein können.'
'Aber wirklich.'
'Ich werde nicht mehr an deinem Mut und deiner Geschick-
lichkeit zweifeln, Topsannah.'
'Ist schon gut, hast ja nicht ganz unrecht.'
Sie schwiegen und der Wind wehte ihnen sanft um die Nasen.
Verträumt schauten sie über den See und beobachteten, wie ein
paar Fischer des Dorfes ihre Netze auswarfen. Die Fischer riefen
Topsannah etwas zu. Sie stand kurz auf und wedelte wild mit
ihren Armen und Händen.
Ein Weißkopfseeadler drehte über ihnen seine Runden. Sie
saßen so still da, dass sich immer mehr Schmetterlinge auf ihnen
niederließen.
Plötzlich flogen sie alle davon.
'Naika!', ertönte hinter ihnen die Stimme ihres Vaters. 'Haben
wir dir nicht tausend Mal gesagt, du sollst dich von den Zweibeinern
fernhalten?'
Erschrocken drehten sie sich um. Am Rand der Blumenwiese
stand zähnefletschend ihr Vater Akai. Hinter ihm warteten ihre
Mutter und die Patrouille, die zu Naikas Schutz abgestellt worden
war. Wut flackerte in ihren Augen, schließlich machte sich
Naika einen Spaß daraus, die beiden Wölfe auszutricksen.
'Nicht schon wieder. Woher wissen die in letzter Zeit immer, wo ich bin?'
Eingeschüchtert und mit eingeklemmter Rute erwiderte sie:
'Aber Papa! Sie ist meine Freun…'
Energisch unterbrach Akai sie. 'Schluss damit, du kommst
jetzt mit in die Höhlen!'
Mit gesenktem Kopf folgte Naika ihrem Rudel, schaute jedoch
verstohlen ein paar Mal zurück. Topsannah war am See zurückgeblieben
und beobachtete die Wölfe, die zurück in ihr Revier
liefen.
'Es kann und darf niemals eine Freundschaft zwischen Wölfen
und Zweibeinern geben. Früher oder später zeigen sie ihr
wahres Gesicht!' Akai hielt seine übliche Standpredigt. Wie immer
wenn er Naika erwischte, musste sie sich seine Geschichte anhören.
Wie er einst in einem weit entfernten Tal sein linkes Augenlicht
durch einen Zweibeiner verlor.
Sie hörte ihrem Vater überhaupt nicht zu. Diese Geschichte
hatte sie schon so oft gehört. Sie ärgerte es sich darüber, dass er
ihr nie erklärte, warum er einst so weit weg von Zuhause jagte.
Als sie endlich die Höhle erreichten, legte sich Naika wie gewöhnlich
vor den Eingang.
'Musst du dich schon wieder vom Rudel abkapseln?', fragte
Akai zornig.
'Akai, es reicht! Lange genug habe ich mir das mit angeschaut.
Wir müssen reden!', mischte sich ihre Mutter in das Gespräch
ein.
Akai schaute seine Gefährtin irritiert an. 'Aber Tamia?'
Ihre Eltern gingen in die Höhle. Von draußen konnte Naika
hören, wie sie heftig diskutierten. Tamia brüllte in der Höhle
Akai an. 'So geht das auf keinen Fall weiter. Deine Tochter ist
wie du, sie ist stickhaarig, ehrgeizig und will mit dem Kopf durch
die Wand. Erinnere dich mal daran, was du in ihrem Alter angestellt
hast. Wer hatte denn nur Blödsinn im Kopf ? Wer versuchte,
mir mit total verrückten Ideen den Hof zu machen?'
'Deswegen versuche ich, sie zu schützen. Damit sie nicht dieselben
Fehler macht wie ich', entgegnete Akai.
Zum ersten Mal erlebte Naika, dass ihre Mutter sich einmischte.
Was sie erstaunte, da sie sich immer zurückhaltend verhielt.
'Du verschließt deine Augen vor der Wahrheit! Die Zweibeiner
aus unserm Tal haben noch nie einen der unseren angegriffen.
Vergleiche sie nicht mit denen von außerhalb. Außerdem
kannst du sie nicht ewig beschützen. Schau dich doch mal genauer
um. Unser und das andere Rudel bestehen überwiegend
aus Altwölfen. Die meisten von ihnen können kaum noch selbst
jagen. Eines Tages wird Naika alleine im Tal leben.'
So sehr sich Naika auch anstrengte, sie konnte aus der Höhle
kein klares Wort mehr verstehen. Nach einer Weile übermannte
sie die Müdigkeit und sie schlief tief und fest ein.