Schweinitz | Andreas Dresen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 64, 102 Seiten

Reihe: FILM-KONZEPTE

Schweinitz Andreas Dresen


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96707-582-3
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 64, 102 Seiten

Reihe: FILM-KONZEPTE

ISBN: 978-3-96707-582-3
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das freundliche, fast liebevolle Bild von Menschen, die einen zähen Kampf mit Erwartungen und Normen des gesellschaftlichen Daseins führen – häufig wenig erfolgreich, überfordert und mit ungeeigneten, fragwürdigen Mitteln –, charakterisiert die Filme von Andreas Dresen (*1963).
So grotesk Situationen dort erscheinen mögen, die Handelnden werden nie zu Zombies, sie laden in einen vielschichtigen subjektiven Raum der Teilhabe ein. So ist es bei "Gundermann" (2018), der teils in der DDR spielt, und auch in "Halbe Treppe" (2002) oder "Willenbrock" (2005), die von der prekären Nachwendeperiode erzählen, aber auch in "Nachtgestalten" (1999), "Sommer vorm Balkon" (2005) oder "Wolke 9" (2008), für die dieser Hintergrund weniger bestimmend ist. Häufig ist von einer dokumentarischen Anmutung die Rede. Stimmig gewählte Orte und Ausstattungen, Improvisationen beim Drehen oder auch Einsätze der Handkamera stützen den Eindruck. Sie suggerieren Nichtinszenierung, obschon es Mittel einer durchdachten Inszenierung sind, die beim Schnitt ihren endgültigen Rhythmus findet und Verstand wie Emotion bewegt. Solchen Aspekten des Kinos von Andreas Dresen widmet sich der Band.

Schweinitz Andreas Dresen jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Jörg Schweinitz Der Dresen-Ton
Zur Einführung
Wer über das Kino von Andreas Dresen schreiben und es übergreifend charakterisieren möchte, sieht sich vor eine Schwierigkeit gestellt: So kohärent sein Filmwerk erscheint, so ist es doch nicht einfach, diese Kohärenz zu greifen. Auffällige und rasch ins Auge fallende Gemeinsamkeiten in Hinsicht auf Stilistik, Genrevorliebe, Erzählweise oder auch engere thematische Übereinstimmungen, die das Gros seiner Filme verbinden, sind auf den ersten Blick kaum auffindbar, zu unterschiedlich erscheint all dies. Während etwa DIE POLIZISTIN (2001) oder HALBE TREPPE (2002) mit sichtbaren Vorlieben für eine instabile Handkamera zu dynamischen grobkörnigen Bildwelten tendieren, die etwas Flüchtiges, Improvisiertes, Reportagehaftes haben, erscheinen andere Filme viel stärker auf visuell sorgfältig komponierte, länger stehende Einstellungen zu setzen, die stabile Bildrahmen bieten und klare Raumordnungen für das Geschehen schaffen – so etwa in SOMMER VORM BALKON (2005), HALT AUF FREIER STRECKE (2011) oder auch WOLKE 9 (2008). Gelegentlich werden auch beide Stile miteinander kombiniert. Dresen selbst sagt dazu im Interview zu diesem Band, er sei kein Regisseur, »der eine ästhetische Monstranz vor sich herträgt. Die Stilistik ergibt sich aus dem Stoff.« Entsprechend variantenreich fällt sie aus. Ähnliches gilt auch für die dramaturgische Anlage. Die Konzepte reichen von der episodischen Auflösung der Handlung mit einem damit einhergehenden polyzentrischen Figurenensemble in NACHTGESTALTEN (1999) bis hin zur eher klassischen Dramaturgie eines Biopics, wie sie GUNDERMANN (2018) prägt – ein Film, der freilich zugleich die üblichen Erwartungen an das Genre überschreitet. Andere folgen anderen Genres. So bietet etwa DER TAUSCH (1997) einen Kriminalfilm, TIMM THALER ODER DAS VERKAUFTE LACHEN (2017) einen modernisierten komödiantischen Märchenfilm oder WHISKY MIT WODKA (2009) eine Komödie im Stile Woody Allens. Wieder andere lassen sich kaum sinnvoll auf ein dominierendes Genre zurückführen, sondern pflegen, trotz eines vielfach verfremdeten Bezugs auf einzelne Elemente, ihrem Grundgestus nach gerade die Differenz zum Genrekino. In thematischer Hinsicht verhält es sich nur wenig anders. Im Lichte von Produktionen aus dem letzten Jahrzehnt wie ALS WIR TRÄUMTEN (2015) oder GUNDERMANN und vor allem auch früherer Arbeiten wie dem Spielfilmdebüt STILLES LAND (1992) und den bekannten Erfolgsfilmen HALBE TREPPE und WILLENBROCK (2005) sowie einer Reihe von Dokumentarfilmen denkt man gern an Andreas Dresen als an einen Beobachter und Erzähler ostdeutscher Entwicklungen, beginnend mit der Endzeit der DDR, dann der ›Wendezeit‹ und den sich anschließenden Jahren des gesellschaftlichen Wandels. Tatsächlich verleiht der biografische Hintergrund des in der DDR aufgewachsenen Regisseurs, der in der Perestroika-Zeit bis hinein in den radikalen Umbruch von 1989/90 an der Babelsberger Filmhochschule studierte, um danach im neuen Filmbetrieb erfolgreich Fuß zu fassen, ihm eine besondere Kompetenz für das Erzählen ostdeutscher Geschichten. Darin beobachtet und reflektiert er die Brüche und Entwicklungen jener Jahre. Auch im eigenen Leben ist er seinem Standort treu geblieben, wohnt und arbeitet nach wie vor im Land Brandenburg, in Potsdam. Hier engagiert er sich über das Kino hinaus – so nimmt er etwa als juristischer Laie das Ehrenamt eines Richters am Landesverfassungsgericht wahr. Es ist klar, auch in diesem Band werden ostdeutsche Themen von Bedeutung sein. Andreas Dresen mit Meltem Kaptan bei Dreharbeiten zu RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH 2021 in Ankara Dennoch, Dresens thematisches Spektrum ist viel breiter. Obschon Filme wie NACHTGESTALTEN und SOMMER VORM BALKON oder auch WOLKE 9 ihren Handlungsort eindeutig in Berlin, vielfach im Osten, haben und viel vom Alltag der Stadt in ihnen spürbar wird, sind sie doch darauf nicht thematisch fokussiert. Es sind keine ›Ostgeschichten‹. Sie greifen Themen und Konflikte auf, die nicht primär an diesem Ort hängen, sondern von viel allgemeinerer Bedeutung sind. Das trifft allerdings letztlich auch auf die zuvor genannten Beispiele zu. Und dann: Filme wie TIMM THALER, WHISKY MIT WODKA oder – noch einmal ganz anders – die aktuelle Produktion RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH (2022)1 sprengen die Schublade endgültig. Dennoch, wer an das Kino von Andreas Dresen denkt, hat der Vielfalt zum Trotz das berechtigte Gefühl, seine Filme verbinde viel. Es ist wohl eine bestimmte ›Tonlage‹, die dafür sorgt. Gemeint ist damit auch ein visueller ›Ton‹, also eine gewisse Art und Weise die Menschen und ihre Welten zu betrachten, sich zu ihnen zu verhalten und sie sich filmisch anzueignen. Zur Einleitung in den vorgelegten Andreas-Dresen-Band der Film-Konzepte sei darum der Versuch unternommen, einige solcher Affinitäten – schlaglichtartig – zu skizzieren. Beobachtung und Konstruktion
Was an Filmen von STILLES LAND bis zu GUNDERMANN auffällt, ist die Genauigkeit der Beobachtung. Rasch macht sich bemerkbar: Dresen weiß, wovon er erzählt. Dies betrifft die Motivationen, die seine meist in ihrem Alltag verankerten Figuren antreiben, ebenso ihre Verhaltensweisen bis hin zur Art, wie sie sprechen. Schon STILLES LAND entwirft ein Spektrum des Verhaltens und Reagierens auf die Situation und die Entwicklungen in der DDR während des Spätsommers und Herbsts 1989. Die Figuren sind als tatsächliche Individuen gezeichnet, obwohl klar mit einer komödiantischen, teils satirischen Note akzentuiert, die auch manche Situationen betrifft, in die sie sich gestellt sehen. Trotz ihrer Individualität stehen sie gleichzeitig für charakteristische Handlungs- und Denkweisen, für die Art der Debatten, Positionen und Aktionen, für Mut, Übermut, Bedenken, Taktieren, Zaudern und Handeln in jener aufregenden Zeit der radikalen Veränderung, die für eine ganze Generation im Osten lebensprägend und zum Grunderlebnis wurde. Das betrifft natürlich auf erster Ebene die von dem Film thematisierte Konstellation eines Ensembles an einem Provinztheater (gedreht wurde am Theater in Anklam), verweist aber zugleich auch auf allgemeinere Erfahrungen. Wer jene Zeit – auch wenn es außerhalb eines Theaters war – miterlebt hat, fühlt sich an vieles Ähnliches erinnert. Zugleich gewinnt man einen Eindruck vom Unspektakulären, vom Alltäglichen innerhalb der spektakulären großen Bewegung. Und die Dialoge, der ganze Gestus, mit dem die Figuren miteinander reden und umgehen, stimmt – bis in die Wortwahl hinein. Wie wunderbar etwa Kurt Böwe als Intendant des Theaters eine seiner Rolle entsprechende Diktion und Umgangsweise der Zeit trifft und dabei doch eine ganz eigene Figur schafft, mag manchem heute vielleicht nicht mehr sonderlich auffallen (zu Unrecht!), wie gut es aber fast 30 Jahre später auch Axel Prahl in seiner Rolle eines Stasi-Offiziers in GUNDERMANN gelingt, den patriarchalen und zugleich kumpelhaft anbiedernden Gestus zu treffen, der in der Funktionärssphäre herrschte, und dabei mit einer subtilen Verschiebung gleichzeitig verblüffend an das inzwischen durch seine TATORT-Rolle weithin bekannte ›Prahl-Image‹ anzuknüpfen, das fällt auf. Solche aus Beobachtung resultierende Genauigkeit, wie die des sozialen Habitus der Figuren, prägt viele andere Aspekte des Kinos von Andreas Dresen. Sie reicht bis ins Dekor hinein. So passt, um bei Prahls Auftritt zu bleiben, etwa die Ausstattung des Wohnzimmers seines Ex-Stasi-Offiziers ebenso präzise zu dieser Figur im damaligen historischen Moment wie die Art, mit der er seinen Gast mit dem rituellen Schnaps einzugemeinden versucht. Selbstverständlich spitzt Dresen bei der Figurenzeichnung zu und manch komödiantischer Überschuss kommt ins Spiel, aber nirgends in seinen Filmen wird über jene Zeit ausgehend von vorgefassten narrativen Typenkonstruktionen erzählt, nirgendwo top down, sondern von der Beobachtung und Erfahrung her. Nie stellt sich darum der Eindruck ein, es mit ›ausgedachten‹ Charakteren zu tun zu haben. Dresen verzichtet in Filmen, die Alltag und Geschichte reflektieren, nicht nur in Hinsicht auf die Figurenwelt auf Stereotype des medial geprägten Alltagsdenkens, sondern auch auf Stereotype filmischer Imagination, und er verzichtet auf ästhetische Klischees – etwa, wenn es um die DDR geht, auf das leicht graue Kolorit der Dekorationen und Kostüme, wie man es heute häufiger sieht. Oder, wenn städtische Räume eingeführt werden, fehlen die üblichen touristischen und medialen landmarks, an denen zum Beispiel Fernsehserien kaum je vorbei kommen. Stattdessen lässt er etwa in WOLKE 9 die S-Bahn unmittelbar am Kleingarten der Tochter vorbeifahren, auch ansonsten ist sie in der Handlungswelt durchgängig präsent, häufig nur als nahes oder ferneres Fahrgeräusch. Das trägt nicht nur zur berlinischen Atmosphäre bei, sondern auch dazu, ein transitorisches Moment zu betonen. Einmal wird auch die psychische Bedrängnis und innere Konfliktlage der Protagonistin – durch das geräuschvolle Vorbeiziehen...


Schweinitz, Jörg
Jörg Schweinitz ist emeritierter Professor für Filmwissenschaft der Universität Zürich. Er ist Mitherausgeber der "Film-Konzepte", der Zeitschrift "Montage AV" sowie mit Margrit Tröhler der Reihe "Zürcher Filmstudien".

Schweinitz, Jörg
Jörg Schweinitz ist emeritierter Professor für Filmwissenschaft der Universität Zürich. Er ist Mitherausgeber der "Film-Konzepte", der Zeitschrift "Montage AV" sowie mit Margrit Tröhler der Reihe "Zürcher Filmstudien".

Liptay, Fabienne
Fabienne Liptay ist Professorin für Filmwissenschaft an der Universität Zürich. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen u. a. Aspekte der Bildlichkeit und Erzähltheorie des Films sowie die Wechselbeziehungen zwischen den visuellen Medien und Künsten.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.