E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Schwarzhuber Liebesschmarrn und Erdbeerblues
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-07505-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-641-07505-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michi ist ihr Traummann – bis er »Ich liebe dich« zu ihr sagt. Genauer: »I hob mi fei sakrisch in di valiabt«. Lene rennt kopflos davon und kommt zu dem Schluss: Auf Bayerisch gibt es Liebe nicht! Diese Theorie schlägt nicht nur im niederbayerischen Passau hohe Wellen und beschert Lene mehrere Männer, die ihr das Gegenteil beweisen wollen. Da ist Karl Huber, der Sprachwissenschaftler, der die bayerische Kultur durch diesen »Schmarrn« gefährdet sieht. Ernesto, der Spanier, der so schön »Te quiero« sagen kann. Und immer noch oder schon wieder Michi, der zu ihr zurückwill. Doch was will Lene?
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 2
In einem traumhaft schönen weißen Kleid und mit einem Blumenstrauß aus dunkelroten Rosen stand ich in einer idyllischen kleinen Kirche irgendwo in England. Der Priester – er sah Mister Bean erstaunlich ähnlich – fragte mich, ob ich Hugh zu meinem mir anvertrauten Mann nehmen und zu ihm stehen wolle, in guten wie in schlechten Tagen, bis dass der Tod uns scheidet. »Yes«, sagte ich mit fester Stimme und machte damit Hugh Grant zum glücklichsten Mann der Welt. Mit dem Gefühl, die glücklichste Frau der Welt zu sein, wachte ich in meinem Zimmer auf. Meine Augen ließen sich allerdings nur sehr schwer öffnen. Sie waren immer noch geschwollen von den vergossenen Tränen der letzten Nacht, mit denen ich die Sahara hätte bewässern können. Mit einem Schlag war es da: das Gefühl, die unglücklichste Frau der Welt zu sein. Und ein Blick auf den Wecker verschaffte mir ein weiteres Gefühl: das erschreckende Gefühl, ordentlich verschlafen zu haben.
Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett und mit dem linken Fuß genau auf einen kleinen harten Gegenstand. »Autsch!« Es war der kleine Eskimo, auf den ich getreten war. Scheinbar war er in der Nacht irgendwie aus der Tasche gefallen. Mann, tat das weh! Wütend kickte ich ihn mit dem heilen Fuß unter das Bett und verspürte dabei eine gewisse Genugtuung.
»Jetzt aber schnell, Lene!«, feuerte ich mich selbst an. Ich hasste es, zu spät zu kommen. Ich hinkte zum Kleiderschrank und griff nach dem hellblauen Kleid, das Michi besonders gerne … Stopp! Kein Michi mehr. Kein Kleid heute. Und auch keinen Rock! Ich zerrte meine gute alte Lieblingsjeans aus dem wochenlang unberührten Hosenstapel. Anschließend schlüpfte ich in ein T-Shirt mit der Aufschrift: »Das Leben ist nicht das einfachste!« Und ich zog bequeme Sneakers an. Jetzt fühlte ich mich schon ein wenig besser. Ich war genau richtig angezogen, um den kommenden Tag einigermaßen zu überstehen.
Nachdem ich mir eilig die Zähne geputzt, ein wenig Wasser ins Gesicht geklatscht und die Haarmähne zusammengebunden hatte, fiel mir plötzlich ein, dass ich letzte Nacht nicht mit meinem Auto nach Hause gefahren war, sondern mit dem Taxi. Auch das noch! Gott sei Dank war mein Vater noch nicht draußen auf den Feldern.
»Was machst du denn noch hier?«, fragte er mich verwundert, als ich ihn im Gewächshaus fand. Mein Vater war Biobauer und bewirtschaftete den Hof nach den strengen Vorgaben eines Ökoverbands. Nahrungsmittel waren für ihn das kostbarste Gut der Menschen, und dementsprechend sorgsam und respektvoll ging er damit um.
Nachdem meine Mutter kurz nach meiner Einschulung bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, hatte mein Vater mich ganz alleine großgezogen. Und vor ein paar Jahren hatte er den alten Pferdestall in eine schnuckelige Zweizimmerwohnung für mich umgebaut.
Unser Hof war sehr modern und hatte nicht im Geringsten etwas mit den heruntergekommenen düsteren Gebäuden zu tun, die Filmemacher so gerne zeigten, wenn ihre Geschichten in Niederbayern spielen. Allen Leuten, die aufgrund dieser Bilder denken, dass die Menschen in Niederbayern noch in Holzschlapfen über den matschigen Hof laufen oder in Häusern mit zusammengewürfelten Möbelstücken aus den Zeiten beider Weltkriege um einen Tisch sitzen und sich aus einer Schüssel die Suppe teilen, sei gesagt: Auch bei uns haben Einbauküchen, das vierundzwanzigteilige Essgeschirr und Kaffeeautomaten bereits Einzug gehalten. Und die eine oder andere Frau stolziert sogar in Manoloschuhen über den hübsch gepflasterten Hof ihres schicken Einfamilienhauses.
»Ich hab verschlafen. Fährst du mich bitte ins Büro?«
Vater nickte. Er war kein Mann der großen Worte. Und auch kein Mann der hohen Geschwindigkeiten. Die Fahrt nach Passau, normalerweise in zehn Minuten zu schaffen, dauerte mit ihm am Steuer seines nagelneuen Hybridautos mehr als doppelt so lange.
Mit eineinhalbstündiger Verspätung hetzte ich an meinen Schreibtisch, entschuldigte mich in Richtung meiner Kollegen und legte sofort los. Gott sei Dank war viel los heute, sodass ich kaum dazu kam, über Michi und mich nachzudenken. Zumindest so lange nicht, bis ein Karton auf meinen Tisch knallte und ich erschrocken hochfuhr.
»Das soll ich dir von Michi bringen!« Sabine stand vor mir und lächelte mich mit einem Blick an, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ: »Ätsch, jetzt gehört er mir!«, sagte dieser Blick. Mein Mund wurde schlagartig trocken. Ich bemühte mich, Haltung zu bewahren, nahm den Karton mit meinen Habseligkeiten und stellte ihn unter den Schreibtisch. Eindeutiger hätte Michi mir nicht sagen können, dass es zwischen uns endgültig aus war. Und das Schlimme daran: Ich hatte es ganz alleine verbockt! Trotzdem hatte es ihm wohl nicht schnell genug gehen können, sich mit seiner tüchtigen Mitarbeiterin zu trösten. So sakrisch kann die Liebe dann doch nicht gewesen sein, dachte ich bitter.
Sabine stand immer noch da. Was wollte sie denn noch? Trinkgeld vielleicht? Miterleben, wie ich einen Weinkrampf bekam? Aber darauf konnte sie lange warten, denn Tränen waren momentan aus. Die Kollegen ringsherum schauten neugierig. Auch ihnen würde ich keine Gelegenheit geben, mir beim Heulen zuzusehen. Gut, dass unser Abteilungsleiter momentan in Urlaub war. Der hätte bestimmt nachgefragt, was mit mir los war.
Ungeduldig trommelte Sabine mit ihren langen Fingernägeln auf meinem Schreibtisch. Dieser Anblick tröstete mich etwas. Michi hasste künstliche Nägel. Er legte viel Wert auf eine natürliche Maniküre. Aber das musste sie selbst rausfinden.
»Was ist jetzt mit dem Schlüssel?« Ihr frecher Ton gefiel mir gar nicht.
»Wenn du Michis Wohnungsschlüssel meinst, den hab ich zu Hause.« Das war zwar eine glatte Lüge, aber ich würde einen Teufel tun und ihn dieser Frau jetzt geben.
»Schick ihn per Einschreiben an die Kanzlei.« Mit diesen Worten verließ sie ohne Gruß das Büro. Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, die Hacken zusammenzuschlagen und zu rufen: »Yesss, Mäm!«
»Die hätte wirklich ins Arabian Nights gepasst. Am besten als Domina«, kam Claudias bissiger Kommentar von hinten. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie gekommen war. Ihr Verständnis für die Lage tat mir gut. Sie sah mich mitleidig an, und bevor ich doch noch anfing zu weinen, rettete sie mich mit den Worten: »Komm, wir machen Mittagspause!«
Die Sonne schien von einem azurblauen Frühlingshimmel, über den gemächlich eine Herde kleiner weißer Schäfchenwolken zog. Claudia und ich saßen auf einer Bank am Ufer des Inns. Um uns herum spielten Kinder, gingen verliebte Pärchen Hand in Hand die Promenade entlang. Studenten saßen im Gras, lernten oder alberten herum, und Rentner fütterten Enten und Schwäne, die gemächlich im Wasser trieben. Eigentlich alles andere als ein Tag für Liebeskummer.
Claudia war für eine Weile sprachlos, nachdem ich ihr alles erzählt hatte. Und das wollte was heißen. Jetzt schaute sie mich ratlos an.
»Was machen wir denn nur mit dir, Lene?«
Wenn ich das nur wüsste. Am besten die Rewind-Taste drücken und vierzehn Stunden zurückspulen. Dann hätte Fräulein Bürowunder Sabine nicht die Nacht mit meinem Freund verbracht. Dann würde ich einen neuen Anlauf nehmen und Michi sagen, dass ich ihn liebe. Öhm … Würde ich das? Verwirrt ob meiner rätselhaften Gefühle blickte ich hoch zum weiß-blauen Himmel. Da schoss mir ein verrückter Gedanke durch den Kopf. Ich sprang hoch.
»Es liegt gar nicht an mir, dass ich es nicht sagen konnte!«, rief ich aufgeregt.
»Was bitte meinst du damit?«, fragte Claudia ein wenig erschrocken über meinen plötzlichen Ausbruch.
Ich versuchte, mich zu beruhigen, um die richtigen Worte zu finden. Das war gar nicht so einfach, denn ich war schrecklich aufgeregt über das, was ich eben herausgefunden hatte. Ich atmete tief durch. Jetzt würde sie gleich Augen machen!
»Ich weiß jetzt, warum ich ihm nicht sagen konnte, dass ich ihn liebe. Das liegt daran, dass es in Bayern dafür keine passenden Worte gibt.«
Claudia schaute mich ungläubig an. »Das versteh ich nicht.«
»Es ist doch ganz einfach, Claudia. Ein verliebter Mensch, der Hochdeutsch spricht, kann ›Ich liebe dich‹ sagen, weil es diesen Ausdruck in seiner Sprache gibt. Ein Engländer sagt: ›I love you‹, und ihr Italiener haucht ein romantisches ›Ti amo‹. Aber für uns Bayern gibt es da nichts. Deswegen konnte ich es nicht sagen.«
Dass ich da nicht früher draufgekommen war? Dabei war es doch so offensichtlich. Ein junges Paar, das neben uns auf einer karierten Decke in der Wiese saß, hörte inzwischen interessiert meinen Ausführungen zum Thema bayerische Liebe zu.
»Lene, geht’s dir noch gut?« Claudia starrte mich an, als ob ich plötzlich zu einer Blondine mutiert wäre.
Doch ich bekräftigte noch mal meine Theorie und brachte sie auf den Punkt.
»Auf Bairisch gibt es Liebe nicht, Claudia.«
»Unsinn. Natürlich gibt es Liebe auch in Bayern.«
»Dann sag mir doch mal den Satz ›Ich liebe dich‹ auf Bairisch«, forderte ich sie auf. Doch es war nicht Claudia, die darauf antwortete.
»I hab di liab.« Das kam von der jungen Frau neben uns.
»Aber das ist nicht das Gleiche wie: ›Ich liebe dich‹«, stellte ihr Freund fest, dessen Wurzeln unüberhörbar am nördlichen Ende der Republik zu finden waren.
»Eben!«, sagte ich triumphierend. »I hab di liab«, sagte man auch zu seiner Omi oder zu seinen Kindern. Es hatte nichts mit der magischen Liebe zwischen Mann und Frau zu tun.
»Wie wär’s mit: I lieb di?« Claudia bemühte sich, bairisch zu sprechen, was sich sehr lustig anhörte.
Aber – da waren die junge Frau...