Schuster | Toskanisches Schattenspiel | E-Book | www2.sack.de
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E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Schuster Toskanisches Schattenspiel


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96215-078-5
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-96215-078-5
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
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Darius Thanner hat sich seinen Lebenstraum erfüllt: Auf dem toskanischen Landgut 'Il Paradiso' züchtet er rassige Pferde und genießt das Leben mit einer temperamentvollen Erotiktänzerin. Doch als sein psychisch gestörter, mutistischer Neffe Ken bei ihm einzieht, droht sich das Idyll schlagartig in eine Hölle zu verwandeln. Im Morgengrauen findet er eine Leiche in seinem Paradies. Da die italienische Polizei bestenfalls halbherzig ermittelt, versucht Thanner selbst Licht in die dunklen Geschehnisse zu bringen und erkennt fast schon zu spät, welche Abgründe hinter den gediegenen Fassaden des toskanischen Gartens Eden lauern.
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1. Kapitel


»Das ist verrückt, vollkommen verrückt!«

Darius Thanner sah, wie der Heimleiter den silbergrauen Kopf schüttelte, fassungslos angesichts der Sturheit und des Unverständnisses dieses von Wer-weiß-wo angereisten Onkels seines Schützlings.

Ich weiß, dass es verrückt ist, dachte Darius, aber ist es nicht allein meine Entscheidung, wie verrückt ich sein will?

»Kann ich den Jungen jetzt sehen?« Bewusst modulierte er den Ton seiner Stimme so, dass der Satz eindeutig nach Forderung statt Bitte klang, und die Erleichterung, mit der Direktor Reimer den Themenwechsel registrierte, war derart offensichtlich, dass Darius ein Grinsen nur mit Mühe unterdrücken konnte.

»Kommen Sie!«

Er folgte Reimer durch einen klinisch sauberen Gang, dessen Wände mit jener Art von Gemälden geschmückt waren, bei denen es Darius’ Meinung nach völlig egal ist, wie herum man sie aufhängt; ein Farbklecks bleibt ein Farbklecks, ein Strich ein Strich, aus welcher Perspektive auch immer! Im nächsten Korridor Kinderzeichnungen, windschiefe Männchen mit eiförmigen Köpfen, aufgetriebenen Leibern und riesigen, gierigen Mündern, als ob sie den Betrachter verschlingen wollten. Ein lilafarbener Zug ohne Gleis, aus dessen Fenstern dümmlich bunte Gesichter grinsten. Ein grünes Haus, daneben winkend der Eigentümer, größer als das Dach, mit Haaren wie Marsmännchen-Antennen: Die Aliens sind unter uns … Darius wandte den Blick ab.

»Würden Sie hier warten?«

Der Raum glänzte makellos sauber, Meister Proper hoch zwei, wie die Gänge. Eine helle Sitzgruppe, ein Tisch, auf dessen staublos gläserner Platte sich ein verchromter Aschenbecher fürchtete, Asche aufzunehmen. Ein Regal mit ordentlich auf Kante gestapelten Zeitschriften und pädagogisch vermutlich höchstwertigen Kinderbüchern. Darius setzte sich nicht. Die gesamte Atmosphäre, diese Aura klinischer Sterilität, bedrückte ihn; wäre das Gebäude eine Frau gewesen, hätte er es frigide genannt. Die Sehnsucht nach seinem staubigen Paradiso, seinen fröhlich Sofas besabbernden Hunden, seiner Freiheit wurde schier unerträglich, während er durch die schmucklosen, massiven Eisenstäbe des Fensters nach draußen sah, in das, was wohl ein Garten sein sollte: Rasen im Bürstenhaarschnitt, breite, gekieste Wege, alle fünf Meter ein Papierkorb aus Lochmetall. Buchen und Birken mit gestutzten Ästen, Vögeln gleich, die nicht fliegen durften. Verregnete Blumen, die müde, aber vergebliche Anstrengungen unternahmen, Farbe in die unnatürliche Natur zu bringen.

In Darius’ Kopf stieg plötzlich eine Melodie auf, die Melodie eines seiner Lieblingslieder: Don’t fence me in … Eingesperrt sein, seiner Freiheit beraubt – das schlimmste Horrorszenario, das er sich je hatte ausmalen können …

Von irgendwoher erklang Lachen, doch es war kein frohes Gelächter, bösartig eher, in einer Art hinterhältigem Gekicher endend, gefolgt von erregtem Stimmengemurmel. Darius’ Instinkt, jene in langen Jahren der Arbeit mit Pferden und Hunden erworbene Sensibilität, warnte ihn, dass es das Beste sei, augenblicklich die Flucht zu ergreifen, jenes zu Tode desinfizierte, krankhaft verriegelte Haus zu verlassen – und er musste sich zwingen, diesen Wunsch niederzukämpfen, seine Füße fest auf dem scheußlich dunklen Linoleum stehen zu lassen. Um sich abzulenken, lehnte er sich an das mikrobenfrei chromblitzende Regal, zog das Foto aus der Brieftasche, das Foto, dessentwegen er hierher gekommen war. Das Foto einer zu früh gealterten Frau mit verhärmtem Gesicht und tief liegenden, grauen Augen. Nur an den Augen hatte er seine Schwester wiedererkannt, Regine, deren Tod so überraschend gekommen war. Brustkrebs, zu spät entdeckt …

Die Tür öffnete sich lautlos. Darius spürte, wie sich alle seine Muskeln spannten.

»Das ist dein Onkel, Ken.« Darius hörte nicht, was Heimleiter Reimer weiter von sich gab, auch nicht, wie der Pfleger, Wärter oder wie man sonst ihn nennen mochte, erklärte, er werde vor der Tür warten, für den Fall der Fälle.

Darius sah nur den Jungen, einen hoch aufgeschossenen, mageren Vierzehnjährigen mit gesenktem Kopf und mürrisch verschlossener Miene unter störrischen, dunklen Locken. Regines Sohn. Regines Vermächtnis …

»Hallo, Ken.« Mit Sicherheit keine geistreiche Begrüßung, aber es war alles, was Darius einfiel, ehe er sich nach einer unangenehmen Minute gegenseitigen Anschweigens an die Lindt-Pralinen erinnerte, die er viel zu teuer an der Autobahnraststätte erstanden hatte. »Das hab ich dir mitgebracht.« Er wollte dem Jungen die Schachtel geben, doch zu seiner Überraschung wich Ken zurück, verschränkte die blassen, knochigen Hände hinter dem Rücken. Nur für einen kurzen Moment hatte er den Kopf gehoben, Thanner angeblickt; doch der Bruchteil einer Sekunde reichte, diesen seine Augen sehen zu lassen, Augen, so tiefliegend und düster sturmgrau wie die von Regine – und zugleich Augen, erfüllt von etwas, das er nicht deuten konnte, vielleicht nicht deuten wollte – Hass?

»Magst du keine Schokolade?«

Der Junge antwortete nicht, starrte weiter stumm auf den pflegeleichten Boden.

»Ken, ich bin gekommen, um dich – äh – besser kennen zu lernen und dich eventuell mitzunehmen, zu mir, dahin, wo ich lebe.« Geflissentlich ignorierte Darius Reimers missbilligendes Kopfschütteln. »Natürlich bloß, wenn du das willst, Junge.«

»Er wird dich nirgendwohin mitnehmen!« Krumm musste an der Tür gehorcht haben, wusste jedes Wort. »Reimer wird es nie zulassen! Hörst du, er wird nie erlauben, dass du weggehst, nie! Egal, was dieser Darius Thanner oder sonst wer sagt!«

Ken sah das mörderische Funkeln in den wässrig-blauen Augen des Pflegers, die zwei steilen Zornesfalten auf der verhassten Stirn, und er verfluchte Thanner, verfluchte das Auftauchen dieses wildfremden Typs, um dessen Besuch er nie gebeten hatte, und das ihn nur in Schwierigkeiten bringen würde!

»Nirgendwohin wird er dich mitnehmen! Niemand wird dich von hier wegholen, niemand!«

Der Junge hörte die Worte, vernichtende, gehässige Worte, die er nicht hören wollte und doch immer wieder anhören musste, und er wusste, dass der Pfleger Recht hatte. Krumm behielt immer Recht, sorgte dafür, dass er stets Recht behielt, regierte den Flügel des Hauses, der seiner Oberaufsicht unterstand, mit eisernen Fäusten, Schlägen und Tritten.

Unwillkürlich wich Ken einen Schritt zur Seite.

»Du weißt, was ich will!«, drängte Krumm und griff nach seinem Arm, wobei sich seine Fingernägel wie Raubtierklauen schmerzhaft in Kens Muskeln bohrten. Mit einem kräftigen Ruck zog er den Jungen wieder näher zu sich heran. »Du hast es auch andern gegeben, warum nicht mir? Du hättest es leichter.«

Ken hatte Mühe, den Brechreiz zu unterdrücken. Heute Nacht hatte Krumm Dienst und Krumm würde ihn für diesen Besuch zahlen lassen …

Darius hatte es nicht im Hotel Orion gehalten. Zwei Stunden lang streifte er durch die regennassen, nächtlichen Straßen Regensburgs, bis er sich plötzlich in dieser verräucherten Kneipe in der Ostengasse wiederfand, zwischen einem mittelmäßigen Jazz-Ensemble und einer Bar mit derart schlechter Beleuchtung, dass er die Bierpfütze am Tresen erst bemerkte, als sein Ellbogen darin badete.

»Whisky. Gleich einen Doppelten.« Es fiel schwer, in Ruhe nachzudenken, während ihn die Augen verfolgten, die grauen Augen seiner toten Schwester, erfüllt von grenzenlosem Hass. Aber warum Hass, warum? Regine war es gewesen, die jeglichen Kontakt zu ihm abgebrochen hatte, damals, vor dreizehn Jahren! Warum also Hass?

Normalerweise verdrängte er sämtliche Gedanken an die Vergangenheit, an jene Zeit, als Regine von zu Hause fortlief, um als Bedienung zu jobben, in einer Bar wie dieser, aber die Erinnerung kam heute dennoch, ungebeten, ganz von selbst.

Der Zorn des Vaters, als so ein Wirtschaft-Studierender Idiot seiner Schwester das Kind anhängte und sie sitzen ließ. Seine eigene Flucht nach Italien, für die sich sein Kunststudium so herrlich als Vorwand benutzen ließ, jenes Studium, das sein Vater als unproduktive Zeitverschwendung abkanzelte.

Und wieder Regine, die jenen widerlichen Mann heiratete, der sich als noch üblerer Tyrann als ihr Vater entpuppte. Er selbst, Darius, hatte den Typen ein einziges Mal bei der tristen, verhuschten Hochzeit getroffen, aber diese eine Begegnung hatte ihm für den Rest seines Lebens gereicht …

Und nun Regines Junge. Ken. In einem Heim für Geistesgestörte und andere Irre …

Der Whisky wärmte angenehm. Darius zog sein Handy heraus, erinnerte sich rechtzeitig, dass er die 0039 vorwählen musste, drückte die Tasten. Das Netz war da, der Akku ausnahmsweise voll, aber Lydia, seine Lydia, Erotik-Engel seiner viel zu kurzen Nächte, meldete sich nicht. War sie immer noch sauer, dass er sie nicht auf diese Idiotenparty in Vada begleitet hatte, stattdessen nach Deutschland gefahren war, um einen Neffen zu besuchen, den er überhaupt nicht kannte? Einen schwer erziehbaren Vierzehnjährigen, der den Großteil seines bisherigen Lebens in einer Anstalt verbracht hatte?

Ken … Krankhafte Hyperaktivität, mangelnde Impulskontrolle. Aggressivität nach außen und gegen sich selbst. Mutismus: psychisch bedingte Stummheit, möglicherweise verursacht durch den Selbstmord des von dem Jungen bevorzugten Pflegers Randolf.

Der Whisky ließ all die mysteriösen Stories, die medizinischen Details, mit denen Heimleiter Reimer ihn zu erschlagen versucht hatte, schneller in seinem Kopf kreisen als zuvor. In einem...



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