Schuster | Es ist etwas aus den Fugen geraten in diesem Land | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Schuster Es ist etwas aus den Fugen geraten in diesem Land

Ausgewählte Reden, Texte und Interviews vom 7. Oktober 2023 bis zum 27. Januar 2025
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-451-83635-0
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ausgewählte Reden, Texte und Interviews vom 7. Oktober 2023 bis zum 27. Januar 2025

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-451-83635-0
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der 7. Oktober 2023 ist Israels 9/11, der blutigste Tag für Juden seit der Schoa. Er wirkt weit über Israel hinaus. Seitdem ist auch in Deutschland die Zahl der antisemitischen Übergriffe stark gestiegen, Propaganda besonders aus dem islamistischen Milieu verbreitet sich rasant (auch) über Social Media. Gleichzeitig wird die Art und Weise, die Kultur, wie wir an das Menschheitsverbrechen Schoa erinnern, infrage gestellt. Einerseits ist revisionistisch von einem »Schuldkult« die Rede, von anderen wird die Schoa unter »postkolonialen« Vorzeichen relativiert. Dieser Band versammelt Reden, Gastbeiträge, Interviews und einen bisher unveröffentlichten Essay von Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, im Zeitraum vom 7. Oktober 2023 bis zum 27. Januar 2025, dem 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. 

Dr. Josef Schuster ist ein deutscher Internist und seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Zugleich ist er Vizepräsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress. Er ist in Haifa geboren, 1956 kehrten seine Eltern in die väterliche Heimat Unterfranken zurück. Er lebt in Würzburg.
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Prof. Dr. Norbert Lammert

VORWORT


»Nie wieder!« Wie oft ist dieser Slogan in Deutschland gesagt, geschrieben, plakatiert und beschworen worden als Erinnerung und Mahnung an die entsetzliche Judenverfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus. Seit dem 7. Oktober 2023 verdrängt häufig ein Fragezeichen das Ausrufezeichen, weil man sich der Gültigkeit der damit gemeinten Aussage nicht mehr so sicher ist. Denn am 7. Oktober hat es eben doch wieder stattgefunden: ein systematisch geplanter und buchstäblich exekutierter Massenmord an Juden – erstmals in Israel selbst durch palästinensische Terroristen der Hamas aus dem Gazastreifen. Mit mehr als 1200 Toten, weit mehr als 200 verschleppten Geiseln – vom zehn Monate alten Säugling bis zum hochbetagten Kreis. Nie seit der Schoah sind an einem einzigen Tag so viele Juden Opfer einer systematischen Ermordungsoperation geworden. Einhundert Männer, Frauen und Kinder halten die Terroristen mehr als ein ganzes Jahr danach noch immer als Geiseln im Gazastreifen.

Die Bilder und Berichte des Massakers vom 7. Oktober sind so schockierend, dass sie für unglaubwürdig gehalten würden, hätten die Täter selbst sie nicht dokumentiert: geköpfte Babys und Kinder; eine Hetzjagd auf junge Leute bei einem Musikfestival; im Rollstuhl erschossene Senioren; in ihren Schutzräumen bei lebendigem Leib verbrannte Menschen; vor den Augen ihrer Kinder vergewaltigte Frauen – bestialische Taten, nicht im Affekt begangen, sondern akribisch geplant und gefilmt mit den Helmkameras der Terroristen und provokativ von ihnen ins Netz eingestellt, um den unmissverständlichen Vernichtungswillen gegenüber der Welt zu dokumentieren.

Über ein Jahr nach dem 7. Oktober sind die Verhältnisse nicht einfacher, sondern in mancherlei Weise noch schwieriger, noch komplizierter geworden. In meiner Wahrnehmung haben wir es mit drei Tragödien gleichzeitig zu tun: der erneuten, unmissverständlichen Herausforderung des Existenzrechts Israels; als Folge einer extremen humanitären Notlage im Gazastreifen; und schließlich einem im Kontext dieser Ereignisse wieder aufflammenden Antisemitismus – nicht nur, aber auch in Deutschland, ausgerechnet in Deutschland.

Viele Menschen weltweit haben die Geschehnisse vom 7. Oktober mit fassungslosem Entsetzen verfolgt, mit unbändiger Trauer und verzweifelter Wut. Aber es gab auch andere Reaktionen: So setzte der Terrorüberfall der Hamas das Fanal für eine wahre Flutwelle antisemitischer und antiisraelischer Aktivitäten und Äußerungen – auf Straßen und Plätzen, in den sogenannten sozialen Medien, in Hochschulen. Scheinbar beflügelt von den Grausamkeiten, die den Juden in Israel angetan wurden, wagen sich die Antisemiten seither selbstbewusst aus der Deckung. Josef Schuster hat leider recht mit seinem Befund: Der 7. Oktober hat etwas aus den Fugen gebracht.

Unmittelbar nach den ersten Berichten über das, was die Terroristen in Israel angerichtet hatten, wurden u. a. auf der Sonnenallee in Berlin Süßigkeiten verteilt als Ausdruck der Freude über ein Massaker an Juden in 3000 Kilometer Entfernung. Keine zwei Wochen später skandierten einige Menschen vor dem Auswärtigen Amt in Berlin »Free Palestine from German Guilt« – ein bemerkenswerter Ausdruck beschämender Ignoranz, Geschichtsvergessenheit und nicht zuletzt ethisch-moralischer Verirrung. In den USA, aber auch hierzulande wurden Universitäten in ihren Lehrveranstaltungen herausgefordert durch die Störaktionen antiisraelischer Studenten. Juden fühlen sich dort und an vielen anderen Orten und Einrichtungen nicht mehr sicher. Seit Langem können Sportveranstaltungen in Europa mit israelischer Beteiligung nur noch unter hohem Polizeischutz stattfinden. Kulturveranstaltungen sind zu einem Spießrutenlauf für Israelis geworden. Israelische Wissenschaftler werden immer öfter ausgeladen oder gar nicht erst eingeladen, um antisemitischen oder antiisraelischen Störrufen und Drohungen vorsorglich aus dem Weg zu gehen.

Antisemitische Straftaten nehmen seit dem 7. Oktober in einer rasanten Geschwindigkeit und in einem dramatischen Umfang zu. Die Zahl antisemitisch motivierter Straftaten hat sich im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt und befindet sich auf einem traurigen Allzeithoch. Dass zu meinen Lebzeiten in Deutschland wieder Wohnungen und Häuser jüdischer Mitbürger mit Davidsternen markiert und Brandsätze auf Synagogen geworfen werden, hätte ich mir bis vor Kurzem nicht vorstellen können. Dass auf deutschen Straßen und Plätzen tödliche, bestialische Angriffe auf Juden bejubelt und gefeiert werden, ist abscheulich und durch nichts zu rechtfertigen.

Ich kann gut die Verunsicherung und zunehmend artikulierte Enttäuschung vieler unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger verstehen, die lange, viel zu lange auf entschlossene Zeichen unserer Gesellschaft gewartet haben. Diese Enttäuschung ist umso berechtigter, wenn man berücksichtigt, mit welcher menschlichen Größe nach allem, was in der jüngeren Geschichte zwischen unseren Ländern geschehen ist, Jüdinnen und Juden uns Deutschen in der Gemeinschaft freier Länder eine neue Chance gegeben haben. Nicht zuletzt gilt das auch für die Entstehung und die beachtliche Entwicklung unserer besonderen Beziehungen zu Israel, deren 60-jähriges Bestehen wir im Jahr 2025 feiern.

Die unbequeme Wahrheit ist aber: Es gibt Antisemitismus in diesem Land. Der Antisemitismus, von dem wir gehofft hatten, dass er, wenn überhaupt, nur noch in mikroskopisch kleinen Größenordnungen in unserer Gesellschaft anzutreffen sei, wird auf Straßen und Plätzen in einer erschreckenden Größenordnung und Aggressivität deutlich. Und es gibt, wenn man genauer hinsieht, vielfältige Formen von Antisemitismus: Es gibt einheimischen Antisemitismus, und es gibt eingewanderten Antisemitismus; es gibt einen christlichen Antisemitismus und einen muslimischen Antisemitismus; es gibt einen rechten wie einen linken Antisemitismus; es gibt einen offenen und einen verdeckten Antisemitismus. In welcher Variante auch immer er auftritt: Er ist menschlich unanständig, gesellschaftlich inakzeptabel und politisch intolerabel, schon gar in Deutschland.

Eben weil die Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland und, wenn eben möglich weltweit, erklärter Teil deutscher Staatsräson des Naziregimes war, muss die Sicherheit des Staates Israels und aller hier in diesem Land lebenden jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger Teil der Staatsräson eines aufgeklärten, zivilisierten, demokratischen Deutschland sein. Das ist die eigentliche Logik der Aussage, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson.

Und sie gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, was mit Blick auf die fortlaufenden Ereignisse meistens übersehen wird, aber eben zentral zur Beschreibung der Lage gehört, dass Israel wohl der einzige Staat auf der Welt ist, der sich allein für seine Existenz rechtfertigen muss, weil seine fanatischen Feinde schlicht nicht akzeptieren, dass es ihn gibt. Deshalb ist der einzige jüdische Staat der Welt vom Tag seiner Gründung an militärisch bedroht, bekämpft und bekriegt worden – und das gilt buchstäblich bis heute. Wir Deutschen müssen uns immer wieder an den fundamentalen Unterschied erinnern, dass es so etwas wie eine Nachkriegszeit, von der wir mit Blick auf die jüngere deutsche Geschichte sprechen, in Israel nie gegeben hat. Unsere beiden Staaten, Deutschland und Israel, sind beinahe gleichzeitig nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Über diesen Zeitraum von 75 Jahren hinweg hat es eine Nachkriegszeit in Israel nie gegeben.

Die Größe der Herausforderung, vor der wir stehen, ist gar nicht zu überschätzen. Heute steht die politische Klasse in Deutschland, stehen alle Verfassungsorgane hinter Israel und an der Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem Lande. Es ist gut und schön, dass es an der deutschen Haltung gegenüber Israel, seinem Existenzrecht, der Sicherheit, der Freiheit, dem Selbstbestimmungsrecht von Jüdinnen und Juden wie von allen anderen Menschen keinen Zweifel gibt. So richtig und wichtig aber die wiederholten Erklärungen von Bundespräsident, Bundesregierung und Parlamenten, Parteien und Gewerkschaften auch sind, sie werden allein nicht ausreichen. Denn die Bekämpfung von Antisemitismus ist eine gemeinsame Herausforderung für staatliche Institutionen wie für die Zivilgesellschaft. Mit anderen Worten: Die Frage, wie ernst wir das »Nie wieder!« meinen, muss diese Gesellschaft beantworten. Sie muss unmissverständlich deutlich machen, wo sie steht – vor, neben und hinter wem.

Solidaritätsadressen sind leicht formuliert, aber schwer umzusetzen. Der Realitätstest findet im Alltag statt. Jetzt und hier. Die in diesem Buch von Josef Schuster gesammelten Rede- und Textbeiträge, die seit dem 7. Oktober entstanden sind, geben uns einen ernüchternden, schonungslosen, aber mitunter auch hoffnungsvollen jüdischen Blick darauf, inwiefern die deutsche Gesellschaft dem eigenen Anspruch des »Nie wieder!« gerecht wird. Rafael Seligmann beschreibt Schuster als unaufgeregten und pragmatischen Menschen, der nie davor zurückscheue, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Das wird in den hier...


Schuster, Josef
Dr. Josef Schuster ist ein deutscher Internist und seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Zugleich ist er Vizepräsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress. Er ist in Haifa geboren, 1956 kehrten seine Eltern in die väterliche Heimat Unterfranken zurück. Er lebt in Würzburg.

Dr. Josef Schuster ist ein deutscher Internist und seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Zugleich ist er Vizepräsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress. Er ist in Haifa geboren, 1956 kehrten seine Eltern in die väterliche Heimat Unterfranken zurück. Er lebt in Würzburg.



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