E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Schurmann Klartext Klima!
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7106-0607-6
Verlag: Brandstätter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zusammenhänge verstehen, loslegen und effektiv handeln
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-7106-0607-6
Verlag: Brandstätter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sara Schurmann, geboren in Brandenburg, studierte Sozialwissenschaften in Berlin und Paris. Die an der Henri-Nannen- Schule ausgebildete Journalistin arbeitete für den Tagesspiegel, Zeit Online, war Mitgründerin und Redaktionsleiterin des feministischen Frauenmagazins F Mag bei Gruner + Jahr sowie Textchefin und stellvertretende Chefredakteurin der VICE Gesamtredaktion. 2021 hat Schurmann das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland mitbegründet. Das ganze Ausmaß der Klimakrise ist ihr erst im Sommer 2020 bewusst geworden. Seitdem versucht sie zu verstehen, wie das sein konnte - und welche realistischen Optionen wir haben, um unsere Lebensgrundlagen noch zu retten.
Autoren/Hrsg.
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Wenn ich früher an mein Leben als Rentnerin gedacht habe, hatte ich eigentlich nie große Wünsche. Es gab ein Bild, das ich dann vor mir sah und von dem ich mir relativ sicher war, dass ich es irgendwie erreichen und dann mit meinem Leben ganz zufrieden sein könnte. Ich sah mich, wie ich mit Mitte 60 an meinem Geburtstag eine ausgedehnte Fahrradtour mit meinen erwachsenen Kindern und meinem Partner mache. In einer der Pausen essen wir Apfelkuchen unter einem alten Baum.
Erst im Juli 2020 ging mir auf, dass dieser scheinbar einfache Wunsch so wohl nicht in Erfüllung gehen wird. Mir war auch vorher immer klar gewesen, dass dieses noch ferne, etwas unscharfe Bild aus der Nähe anders aussehen könnte als bisher gedacht. Vielleicht wäre jemand krank, vielleicht würde jemand fehlen, vielleicht wäre der Partner ein anderer als der jetzige oder ein anderer als der Vater meiner Kinder. Aber erst Ende Juni 2020 wurde mir bewusst, dass es diese Fahrradtour so vielleicht gar nicht geben wird. Weil die Welt 2050 sehr viel anders aussehen wird als heute.
Ich habe im Hochsommer Geburtstag. Demzufolge, was man heute weiß, wird es dann in vielen Sommern wochenlang so heiß sein, dass man auch in Deutschland tagsüber kaum das Haus verlassen möchte, zumindest nicht, um Sport zu machen oder Fahrrad zu fahren. Und selbst wenn wir einen Sommer und an meinem Geburtstag einen Tag erwischen sollten, an dem das möglich sein wird, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass wir unter einem alten Baum Rast machen und Apfelkuchen essen werden können. Denn Studien zufolge wird es 2050 Regionen in Deutschland geben, in denen dann kein alter Baum mehr stehen wird. Mit dem immer schnelleren Anstieg der globalen Erwärmung werden sich die Lebensbedingungen für Ökosysteme drastisch verändern, so schnell, dass viele Pflanzen und Tiere sich nicht anpassen können, sondern – wie schon in den vergangenen Jahren zu beobachten – sterben. Auch Apfelbaumplantagen, etwa im Alten Land bei Hamburg, haben teilweise schon heute massive Probleme: zu viel Regen oder zu wenig, neue Schädlinge, kaputt gefrorene Knospen oder Hagelschäden. Apfelplantagen können sich ein Stück weit anpassen und andere Sorten pflanzen, die besser mit den geänderten Bedingungen zurechtkommen. Wenn die Temperaturen so schnell weiter steigen, wie gerade befürchtet, wird es jedoch schwierig, das alle paar Jahr zu tun.
Im besten Fall wäre es 2050 wohl dennoch möglich, einen irgendwie entspannten Tag zusammen mit meiner Familie zu verbringen. Dafür jedoch, das weiß ich heute nach vielen Gesprächen mit Wissenschaftler:innen und Expert:innen, braucht es ein gar nicht mal so kleines Wunder. Es braucht einen kollektiven Bewusstseinswandel, der endlich dazu führt, auch entsprechend zu handeln. Zum Glück sind wir dafür weder auf Zufälle noch auf Magie angewiesen – alles, was es braucht, sind Menschen, viele, viele Menschen.
In der Hoffnung, einen kleinen Teil zu diesem Bewusstseinswandel beitragen zu können, schreibe ich dieses Buch.
Als mir damals klar wurde, dass die Klimakrise noch viel akuter ist, als ich bisher dachte, fragte ich mich, wie ich das bisher übersehen konnte. Die Antwort, die ich fand: Nicht nur ich war es, die die Klimakrise nicht verstanden hatte. Sie ist bis heute gesellschaftlich, politisch und medial nicht begriffen – auch weil viele Menschen noch immer keine emotionale Verbindung dazu spüren, was diese Krise für uns persönlich, aber auch als Gesellschaft bedeutet.
Der breite öffentliche Diskurs zum Klimawandel ist so weit entfernt von der wissenschaftlich erforschten, vermessenen und dokumentierten Realität, dass ich, als mir das bewusst wurde, viele unterschiedliche Expert:innen kontaktierte, um unsere Situation besser zu verstehen und auch um einen realistischen Blick auf mögliche Lösungswege zu bekommen.
Ich sprach mit Klimaforscher:innen, Psycholog:innen, Aktivist:innen, Expert:innen für Verkehr, Landwirtschaft und Biodiversität und mit Journalist:innen, die seit Jahren über die Klimakrise und die ökologischen Krisen berichten. Sie alle haben teils über Jahrzehnte begleitet, erklärt und davor gewarnt, wie die Krisen sich von Jahr zu Jahr verschärfen.
Das Überraschende: Viele Fakten hatte ich schon vor Jahren mal gehört. Wie also konnte ich den Ernst der Situation so lange ignorieren? Die Antworten, die ich darauf fand, erklären nicht nur, wie ich persönlich so lange verdrängen konnte, was diese Krisen mit meinem Leben zu tun haben. Sie helfen auch zu verstehen, warum wir als Gesellschaft so viel über die Probleme wissen und dennoch so wenig tun.
Ich werde in diesem Buch daher einerseits versuchen, die wichtigsten Probleme, Zusammenhänge und Lösungen kurz und verständlich zu erklären. Andererseits werde ich immer wieder von mir erzählen, von meiner eigenen Verdrängung, und davon, wie sich mein Blick auf die Welt und das, was wichtig ist, in den vergangenen Monaten und Jahren geändert hat. Nicht weil meine eigene Geschichte etwas Besonderes ist, sondern, im Gegenteil, weil ich immer wieder festgestellt habe, dass es vielen anderen ähnlich geht.
Ich erzähle noch aus einem anderen Grund von mir. Weil meine Geschichte zeigt: Veränderung ist möglich. Solange die planetaren Krisen gesellschaftlich unterschätzt werden, werden auch die Maßnahmen, mit denen wir zu reagieren bereit sind, zu klein ausfallen, um die Erderhitzung und das Artensterben effektiv zu bremsen. Als mir klar wurde, wie akut die Klimakrise ist, veränderte sich mein Blick auf viele Debatten stark. Viele nötige Maßnahmen erschienen mir bisher radikal, übertrieben oder utopisch. Ich dachte beispielsweise, es wäre toll, wenn wir die Agrar-, Verkehrs- und Energiewende bis zu meiner Rente geschafft haben. Heute weiß ich, dass wir sie im Wesentlichen innerhalb der nächsten zehn Jahre schaffen müssen, wenn ich so etwas wie einen Ruhestand überhaupt erleben will.
Als ich meiner Familie und meinen Freund:innen von der Klimakatastrophe erzählte, fragten diejenigen, denen es gelang, die Krise auch emotional an sich heranzulassen, relativ schnell: Was kann ich tun?
Auch wenn das fast vermessen klingt: Jede und jeder Einzelne ist immens wichtig. Nur wenn genug Menschen anfangen, den Ernst unserer Situation anzuerkennen, darüber zu reden und zu handeln, können wir noch schnell genug etwas ändern. Das ist absolut möglich. Auch wenn es mir am Anfang selbst schwerfiel, das zu sehen.
Einiges, was ihr in diesem Buch lesen werdet, habt ihr sicher schon mal gehört. Das hatte ich, wie gesagt, auch, mir war nur lange nicht klar, was das alles miteinander zu tun hat und was es jetzt für mich, für die Welt, für uns alle bedeutet. Ich glaube, das geht vielen so, und deswegen lade ich euch in diesem Buch ein, mich bei einer persönlichen Reise zu begleiten. Einer aufregenden und lebensverändernden Reise, auf der ich mindestens ebenso viele schöne, Mut machende und verbindende Erfahrungen machen durfte wie erschütternde. Auch wenn die vergangenen Monate für mich nicht einfach waren, habe ich in dieser Zeit so viele beeindruckende Menschen kennengelernt, Zusammenhänge verstanden und Lösungen gesehen, dass mir das mittlerweile eine neue Zuversicht gibt. Einen Mut und eine Hoffnung, die sich nicht allein aus dem Glauben speist, dass die Dinge sich schon fügen werden, sondern aus der Gewissheit, dass Veränderung möglich und ein gutes Leben gestaltbar ist. Dass wir es gestalten können. All die Menschen, die heute schon handeln und Lösungen erproben, machen mir Mut, dass wir viele Gefahren und die schlimmsten Entwicklungen noch immer abwenden können. Auch wenn das Zeitfenster dafür klein ist, kleiner, als viele ahnen. Zu begreifen, wie akut die Krise ist und wie viel auf dem Spiel steht, hat meinen Blick darauf verändert, was normal und was möglich ist, was wir verändern können und was nicht. Die Monate nach diesem Verstehen waren für mich rasant und emotional. In diesem Buch versuche ich in verständlichen Worten zusammenzufassen, was ich von einigen der größten Expert:innen im Bereich Klima lernen durfte, in Deutschland und international.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es manchmal ganz schön viel ist, all das zu lesen. Und ich verstehe gut, wenn ihr mir gedanklich nicht sofort bei jedem Schritt folgt, das erwarte ich auch gar nicht. Ich werde beschreiben, wie lange ich teilweise selbst gebraucht habe, um mich auf einzelne Gedanken einzulassen, die Bedeutung von Fakten zu erkennen und Zusammenhänge zu sehen. Und ich behaupte auch nicht, dass mein jetziger Blickwinkel der einzig richtige ist, oder die einzige Möglichkeit, auf die Welt zu blicken.
Mein Buch konnte nur entstehen, weil viele, viele vor mir Zweifel zugelassen, neue Gedanken gedacht und für sie gekämpft haben. Weil sie diese geteilt und mich mitgenommen haben. Ich möchte euch daher einladen, euch darauf einzulassen, mir aber auch gern zu widersprechen und uns allen so zu ermöglichen, gemeinsam voranzukommen. Denn nur zusammen können wir es schaffen, eure und meine und unser aller Zukunft zu...