E-Book, Deutsch, 166 Seiten
Schuppener / Schmalfuß / Biewer Inklusive Schule - Diagnostik und Beratung
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-17-037228-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 166 Seiten
ISBN: 978-3-17-037228-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ausgehend vom inklusiven Auftrag, Teilhabe und Partizipation zu ermöglichen, stellt das Buch die zentralen Wissensbestände zu den Themenfeldern Diagnostik und Beratung unter inklusiver Perspektive dar. Angesichts der Bedeutung diagnostischer und beraterischer Kompetenzen im Kontext inklusiver Schule werden Aufgabenbereiche sowie konzeptionelle Handlungsmöglichkeiten von Diagnostik und Beratung im inklusiven Schulalltag sowie im Rahmen von inklusionsorientierter Schulentwicklung aufgezeigt. Das Buch bietet eine grundlegende Einführung in dieses fachübergreifende Qualifikationsprofil, das in einer diversitätssensiblen LehrerInnenausbildung einen zentralen Platz einnimmt.
Weitere Infos & Material
1 Diagnostik- und Beratungskompetenzen in der inklusiven Schule
Worum es geht …
In diesem einführenden Kapitel soll die Bedeutung von Diagnostik und Beratung im Kontext inklusiver Schule entlang einer Klärung diagnostischer und beraterischer Grundbegriffe, Kompetenzen und Zugänge erörtert werden. In Kapitel 1.1 ( Kap. 1.1) werden zunächst Kompetenzen in Diagnostik und Beratung skizziert. Während Kapitel 1.2 ( Kap. 1.2) eine begriffliche und konzeptionelle Einordnung von Diagnostik und Assessment vornimmt, werden in Kapitel 1.3 ( Kap. 1.3) Unterscheidungsmerkmale und Kriterien einer Beratung in pädagogischen Handlungsfeldern dargestellt. Kapitel 1.4 ( Kap. 1.4) möchte schließlich eine Systematik bereitstellen, mit der Lehrkräfte und andere Professionelle Anlässe und Zugangsfelder von Diagnostik und Beratung verstehend ordnen können. 1.1 Kompetenzen in Diagnostik und Beratung
»Kompetent sein für Inklusive Schule heißt auch Diagnostizieren [und beraten] lernen. Eine Aufgabe nicht nur für Sonderpädagog*innen« (Ricken 2017, 187). Ricken (2017) bezeichnet die Kompetenzen in Diagnostik und Beratung von Lehrpersonen als Gelingensbedingungen für inklusive Schul- und Unterrichtsentwicklung und -gestaltung. Dabei setzt ein an Inklusion orientiertes Diagnostik- und Beratungsverständnis voraus, »sich intensiv mit den verschiedenen Sichtweisen auf Diagnostik [und Beratung], einschließlich Zielsetzungen, Leitideen, Handlungskonzepten und insbesondere deren Bedeutung für Lernende und Lehrende auseinanderzusetzen […] [und] auf der Grundlage der konsequenten Achtung und Umsetzung der Menschenrechte Prozesse der Marginalisierung, Stigmatisierung und Diskriminierung [zu verhindern]« (Gloystein & Frohn 2020, 62). Die Komplexität eines diagnostischen und beraterischen Kompetenzprofils von Lehrpersonen wird durch das folgende Aufgabenportfolio sehr anschaulich: »Lehrende müssen Lernprozesse beobachten, Kindern in ihrer Interaktion mit Aufgaben und ihrer Lerngruppe wahrnehmen und verstehen (Diagnostik), Lern- und Schulprozesse organisieren (Management), sich untereinander austauschen (Beratung), Unterricht und Interventionen gestalten, vor allem im Team arbeiten. Die Unterschiedlichkeit der Lernprozesse erfordert spezifische Expertise, vom Lernenden als auch vom Gegenstand her gedacht sowie die Expertise, Barrieren zu erkennen, die Lernprozesse behindern. Um mit dieser Vielfalt an Details gut umzugehen, dürfte die Bereitschaft zur Selbstreflexion und zum eigenen Weiterlernen unentbehrlich sein« (Ricken 2017, 193). Versteht man pädagogische Diagnostik als »allen pädagogischen Handlungen immanente Erkenntnistätigkeit« (Ricken & Schuck 2011, 110), so sind diagnostische Kompetenzen zentrale professionelle pädagogische Kompetenzen. In diesem Sinne sind auch alle Lehrpersonen verantwortlich für pädagogische Diagnostik und benötigen diagnostische Basiskompetenzen, wobei darüber hinaus einige Lehrpersonengruppen über spezifische Qualifikationen verfügen und spezifische schulsystemische diagnostische Funktionen zugewiesen bekommen, wie z. B. Beratungslehrer*innen oder Sonderpädagog*innen ( Kap. 4.1.3). Die Verortung grundlegender diagnostischer und beraterischer Kompetenzen innerhalb pädagogischer Professionalität soll im Folgenden anhand des Modells professioneller Kompetenz von Lehrer*innen von Baumert und Kunter (2006, 2011) verdeutlicht werden: Abb. 1: Kompetenzen in Diagnostik und Beratung – erweitert eingeordnet in das Modell professioneller Kompetenz von Lehrpersonen nach Baumert & Kunter (2006, 2011) Überzeugungen und Werthaltungen steuern professionelles Handeln und sollten einer bewussten Reflexion zugänglich gemacht werden. Dies kann bspw. erfolgen über die Aneignung ethischen Reflexionswissens ( Kap. 2.4), denn Professionswissen muss explizit gerahmt sein durch eine kritische Auseinandersetzung bspw. mit den (eigenen) normativen Implikationen diagnostischen und beraterischen Handelns. Dafür benötigt es ein ethisches Reflexionswissen, welches z. B. einen selbstkritischen Umgang mit eigenen Vor-›Urteilen‹ und Urteilsfehlern (vgl. Hesse & Latzko 2017) einschließt. Bezüglich grundlegender Überzeugungen und Werthaltungen pädagogischer Professionalität lässt sich an dieser Stelle auf die Werte der European Agency for Special Needs and Inclusive Education (2022)2 verweisen, welche für den Kontext inklusiver Schule als zentral bedeutsam erachtet werden: Wertschätzung der Diversität der Lernenden Unterstützung aller Lernenden Mit anderen zusammenarbeiten Persönliche und kollaborative berufliche Weiterentwicklung Als eine Art verbindendes Element dieser Empfehlungen im Kontext von Kompetenzentwicklung und (schulischer) Inklusion sei hier auf die Entwicklung von Heterogenitätssensibilität verwiesen. Heterogenitätssensibilität lässt sich verstehen als »differenzierte (im Sinne eines maximal weiten Blicks auf verschiedenste Dimensionen) und reflektierte (im Sinne einer Sichtung möglicher Relevanz, Zusammenhang und Interdependenz der Dimensionen) Wahrnehmung und Anerkennung (der unterrichtlichen Bedeutsamkeit) der Heterogenität einer konkreten Lerngruppe in einer konkreten Situation« (Schmitz et al. 2019, 173). In Bezug auf pädagogische Professionalität in inklusiven Settings wird die Entwicklung einer »Sensibilität (angehender) Lehrpersonen im Umgang mit Heterogenität […] als grundlegende und notwendige Voraussetzung für den Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten angenommen« (Welskop & Moser 2020, 24). Motivation und Selbstregulation stellen ebenfalls grundlegende Einflussfaktoren auf professionelles Handeln dar. Baumert und Kunter (2006, 2011) stellen als eine motivationale Eigenschaft heraus, dass die Freude am Lehrer*inberuf in Form von ›Enthusiasmus und Wertschätzung des Unterrichtens‹ einen entscheidenden Einfluss auf die professionelle pädagogische Qualität hat. Dies würde prinzipiell auch eine Wertschätzung gegenüber dem diagnostischen Handeln mit einschließen. Unter Selbstregulation lässt sich nach den Autor*innen die Fähigkeit verstehen, die eigenen Ressourcen zu kennen und angemessen einzusetzen sowie ein ausgewogenes Maß zwischen beruflichem Engagement und Distanz zu beruflichen Angelegenheiten zu finden. Ein Professionswissen stellt sich insgesamt und auch im Übertrag auf Diagnostik und Beratung als hoch komplex dar. Die Abbildung 1 verkörpert daher lediglich einen Versuch, wesentliche Teilbereiche diagnostischer Kompetenz sichtbar zu machen und – neben dem Beratungswissen – hier einige Kompetenzbereiche und -facetten zuzuordnen: »Diagnosekompetenz von Lehrkräften [hat u. a.] eine Moderatorfunktion für eine lernerfolgsrelevante Strukturierung von Unterricht« (Baumert & Kunter 2006, 489) und verkörpert somit eine Verbindung von pädagogisch-psychologischem und fachdidaktischem Wissen. Denn es »[…] ist eine große Herausforderung an das fachdidaktische Können, Aufgaben auszuwählen und Arbeitsaufträge zu formulieren, die ein besonderes diagnostisches Potenzial in sich selbst tragen« (ebd.: Herv. i. O.). Im Kontext inklusiver Schul- und Unterrichtsentwicklung wird hinsichtlich der Verbindung von diagnostischer und didaktischer Kompetenz ( Kap. 2.1.4) auch vom Wissen über ›Diagnosebasiertes Unterrichten‹ (Schiefele et al. 2019, 54) gesprochen. Eine weitere Verknüpfung diagnostischen und (fach)didaktischen Wissens zeigt sich auch in der Verbindung von Kompetenzdiagnostik und kompetenzorientierter Unterrichtsgestaltung (Schott 2015). Hierzu gehört auch eine Metaebene in Form einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit der immer stärker anwachsenden Bedeutung einer Messung von Kompetenzen. Nach Hesse und Latzko (2017) beinhaltet diagnostische Expertise »sowohl methodisches und prozedurales Wissen (Verfügbarkeit von Methoden zur Einschätzung von Schülerleistungen und zur Selbstdiagnose) als auch konzeptuelles Wissen (Kenntnis von Urteilstendenzen und -fehlern)« (27; Herv. d. A.). (Nicht nur) im Kontext der inklusiven Schule müssen Lehrer*innen auch über ein spezifisches Handlungswissen hinsichtlich konkreter Umsetzungsmöglichkeiten der Förderung von Schüler*innen...