Schumann Gefühl und Rationalität
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8288-5654-7
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Eine philosophische Untersuchung zur Theorie Antonio Damasios
E-Book, Deutsch, 152 Seiten
ISBN: 978-3-8288-5654-7
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
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Bestimmen unsere Gefühle unser Bewusstsein? Ist der Mensch zu rationalem und vernünftigem Handeln nur fähig, wenn er fühlt? Und wenn ja, welche Rolle spielen dann bewusste Prozesse, und wie werden sie im Gehirn umgesetzt? Der Portugiese Antonio Rosa Damasio, Professor für Neurologie und Psychologie an der University of Southern California, gilt weltweit als Koryphäe auf diesem Gebiet. Sein hochkomplexes Theoriegebäude liefert, evolutionstheoretisch begründet, plausible Erklärungen: Handfeste Befunde zeigen, dass emotionale Reaktionen des Organismus entscheidenden Einfluss auf unsere Verstandesstrategien ausüben. Eine Trennung von Körper und Geist gibt es demnach nicht. Vielmehr schließen wir bei jeder Entscheidung auf der Grundlage vorheriger Erfahrungen alle emotional nicht akzeptablen Varianten aus. Allerdings bleibt auch Damasios Theorie nicht ohne Kritik. Nadine Schumann beleuchtet Damasios Standpunkt aus philosophischer Perspektive und referiert Kritikpunkte. Nur im interdisziplinären Diskurs, so Schumann, werden Philosophen, Neurowissenschaftler und Evolutionsbiologen zu einer Synthese gelangen.
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II. Gefühle, Bewusstsein und Selbst
II. 1. Gefühle
Wie schon erwähnt, unterscheidet Damasio zwischen Emotion und Gefühl aus erkenntnistheoretischen und methodischen Gründen: „Emotions play out in the theater of the body. Feelings play out in the theater of the mind.“1 Gefühle sind dem Beobachter nicht zugänglich, sie verbleiben in der subjektiven Perspektive. Damasio geht sogar noch weiter und behauptet, dass die Emotionen den Gefühlen vorausgehen: „We have emotions first and feelings after because evolution came up with emotions first and feelings later. Emotions are built from simple reactions that easily promote the survival of an organism and thus could easily prevail in evolution“2. Abb. 3: Gefühle als Triebspitzen Demzufolge korreliert Entstehung oder Vorhandensein von Gefühlen mit zunehmender Komplexität des Gehirns. Gefühle bilden eine weitere Ebene der homöostatischen Steuerung von Lebensvorgängen, sie gelten als mentaler Ausdruck aller anderen Ebenen der Lebensregulation. In Damasios Modell bilden die Gefühle die ,Spitzen und Triebe‘ des Baumes (s. Abb.3)3. II.1.1. Definition Damasio definiert Gefühl vorläufig in folgender Hypothese: „a feeling is the perception of a certain state of the body along with the perception of a certain mode of thinking and of thoughts with certain themes“4. Gefühle sind zum einen Wahrnehmungen, deren erforderliche Grundlage vom Gehirn durch eine Kartierung des Körpers konstruiert wird. Zum anderen spielen auch die Wahrnehmung von Gedanken, die mit der entsprechenden Emotion einhergehen, und die Wahrnehmung einer bestimmten Art zu denken, der mentalen Verarbeitungsweise eine Rolle (Wirkung von Gefühlen?).5 Um zu erklären, wie diese Wahrnehmung entsteht, greift Damasio den Begriff der Metarepräsentation auf. Die Wahrnehmung von Gedanken in Verbindung mit einer bestimmten mentalen Verarbeitungsweise entsteht, so der Autor, aus der Konstruktion von Metarepräsentationen unseres eigenen mentalen Prozesses. Er versteht dies als eine Operation höherer Ordnung, bei der ein Teil des Geistes einen anderen Teil des Geistes repräsentiert. Gefühle sind Vorstellungen (s. Kap.II.2.3). Das Gefühl ist eine Konsequenz des fortlaufenden homöostatischen Prozesses, es entsteht, wenn die Aktivität in einem Teil des Nervensystems ,ein kritisches Ausmaß erreicht‘.6 Gefühle sind nicht Ansammlungen von Gedanken zu Themen, die mit einem bestimmten Gefühl in Einklang stehen (z. B. Verlustsituation und Traurigkeit). Reduziert man das Gefühl auf Gedanken, so wären sie von anderen Gedanken, die nichts mit Gefühlen zu tun haben, nicht mehr zu unterscheiden. Nach Damasio verdanken Gefühle ihre funktionale Besonderheit jenen Gedanken, die den Körper in seinen reaktiven Prozessen repräsentieren.7 Der Ursprung der Wahrnehmungen, die den Kern eines Gefühls ausmachen, ist der Körper, der als das allgemeine Objekt in seinen vielen Einzelteilen permanent in einer Anzahl von Hirnstrukturen abgebildet wird (s. Kap.II.2.). Inhaltlich implizieren diese Wahrnehmungen verschiedene Körperzustände, die in differenzierter Hinsicht in den Karten repräsentiert werden, die den Körper darstellen (z. B. Unterschied angespannte vs. entspannte Muskeln). „The immediate substrates of feelings are the mappings of myriad aspects of body states in the sensory regions designed to receive signals from the body.“8 Um überhaupt körperliche Verfassungen wahrzunehmen, sind sensorische Karten erforderlich, in denen neuronale Muster erfasst werden können. Allerdings ist unklar, wie nun genau mentale Zustände aus diesen neuronalen Mustern entstehen (Erklärungslücke, s. Kap.III.4.3.). Damasio geht allerdings davon aus, dass der Entstehungsprozess von mentalen ,Bildern‘ aus identifizierbaren Substraten hervorgeht. Zusammenfassend ist der wesentliche Inhalt von Gefühlen die Abbildung eines bestimmten Körperzustandes. „A feeling in essence is an idea – an idea of the body and, even more particularly, an idea of a certain aspect of the body, its interior, in certain circumstances.“9 Wie schon erwähnt, gehört nicht nur die Wahrnehmung des Körperzustands zum Gefühl. Unter bestimmten Umständen spielt die Wahrnehmung der einhergehenden geistigen Verfassung, die Damasio als Auswirkungen des einsetzenden Gefühlsbeschreibt, die Veränderung der Denkweise eine große Rolle (z. B. kann ein Gefühl nicht nur ein Wohlbefinden, sondern auch ein ,Wohldenken‘ repräsentieren).10 Die Objekte und Ereignisse, die einen Gefühlsprozess nach sich ziehen, sind innerhalb des Körpers und nicht außerhalb der Körpergrenze. Obwohl Damasio die Gefühlswahrnehmung gleichberechtigt zu anderen Wahrnehmungen (z. B. visuelle, auditorische Wahrnehmung) sieht, unterscheidet sich erstere aber dahingehend, dass die repräsentierten Objekte gleichzeitig Teile und Zustände des lebenden Organismus sind, in dem das Gefühl entsteht. Obwohl Gefühle ursprünglich nur mit dem Körper verknüpft sein sollen, muss Damasio zugeben, dass die emotional besetzten Objekte, die den Emotions-Gefühls-Zyklus antreiben, nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Dies sei allerdings nur eine Frage der Definition, welches Objekt nun eigentlich gemeint ist. The sight of a spectacular seascape is an emotionally competent object. The body state that results from beholding that seascape x is the actual object at the origin x, which is them perceived in the feeling state.11 Als weit wichtiger erachtet Damasio folgenden Aspekt: das Gehirn hat eine direkte Möglichkeit auf das (innere) Objekt (Emotion) zu reagieren, während sich die Gefühle entwickeln. Da sich der Ausgangspunkt des Objekts im Organismus selbst und nicht außerhalb befindet, kann das Gehirn direkt auf das Objekt einwirken, den Zustand oder die Übertragung der vom Objekt ausgehenden Signale modifizieren. „The object at the origin on the one hand, and the brain map of that object on the other, can influence each other in a sort of reverberative process that is not be found, for example, in the perception of an external object.“12 Mit anderen Worten sind Gefühle in dieser Hinsicht nicht bloß passive, sondern interaktive Wahrnehmungen, da das Objekt selbst wandelbar ist. Der Organismus befindet sich über einen gewissen Zeitraum nach dem Einsetzen eines Gefühls in einer dynamischen Veränderung. Das, was wir bemerken, so Damasio, ist eine Wechselwirkung.13 II.1.2. biologische Voraussetzungen „First, an entity capable of feeling must be an organism that not only has a body but also a means to represent that body inside itself“.14 Die erste Voraussetzung ist das Vorhandensein eines Nervensystems. „Second, that nervous system must be able to map body structures and body states and transform the neural patterns in those maps into mental pattern or images.“15 Ohne diese ,Transformation‘ könnte ein Organismus zwar Körperveränderungen abbilden, ohne in der Lage zu sein eine Emotion tatsächlich zu fühlen. Deswegen hält Damasio das Bewusstsein für die dritte Voraussetzung. Ohne Bewusstsein sind wir nicht in der Lage zu fühlen. Allerdings tragen Gefühlsmechanismen selbst zum Bewusstseinsprozess bei, „namely to the creation of the self, without which nothing can be known“16. Die Beziehung zwischen Bewusstsein, Gefühl und Selbst ist ziemlich kompliziert, deswegen soll diese an späterer Stelle noch intensiver besprochen werden.17 „Fourth, the brain maps that constitute the basic substrate of feelings exhibit patterns of body state that have been executed under the command of other parts of the very same brain.“18 Das Gehirn eines fühlenden Organismus erzeugt eben die Körperzustände, die Gefühle hervorrufen, wenn der Organismus auf Objekte und Ereignisse mit Emotionen oder Trieben reagiert. Für Damasio ist das Gehirn hier von doppelter Notwendigkeit. Zuerst muss es den besonderen Körperzustand, der am Ende als Gefühl abgebildet wird, konstruiert haben, um dann Kartierungen des Körpers zu liefern. Nach Damasio wird hier u.U. ein Grund erkennbar, warum Gefühle im Zuge der Evolution möglich geworden sein könnten. Feelings probably became possible because there were brain maps available to represent body states. Those maps became possible because the brain machinery of body regulation required them in order to make its regulatory adjustments, namely those adjustments that occur during the unfolding of an emotional reaction.19 Gefühle hängen also nicht nur davon ab, dass ein Körper mit Gehirn vorhanden ist, welches zur Körperrepräsentation fähig ist. Vielmehr müssen zuvor die Hirnmechanismen zur Regulierung der Lebensprozesse angelegt worden sein (inklusive Emotionsapparat). „Without the prior existence of the...