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E-Book, Deutsch, 204 Seiten

Schulz Angekränkeltes Land

Skizzen zweier Übel

E-Book, Deutsch, 204 Seiten

ISBN: 978-3-347-31010-0
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Im Jahr 1832 leiden Menschen in Paris an der Cholera, verursacht durch ein Bakterium, heute kämpfen wir gegen ein Corona-Virus, das eine ernsthafte Lungenkrankheit verursachen kann. Heinrich Heine, in Paris lebend, veröffentlicht Zeitungsartikel, in denen er als 'ordnender Geist' und unmittelbarer Zeuge beschreibt, wie er die Cholera-Epidemie in Paris 1832 erlebt. Geistreich, ironisch, sich virtuos der deutschen Sprache bedienend, schildert Heine die Zustände in Paris. Heines Berichte, unter dem Titel 'Französische Zustände' in der 'Allgemeinen Zeitung' und später als Buch veröffentlicht, bilden das Gerüst dieses Buches. Heines Darstellungen über die Entwicklungen vor 190 Jahren stellt der Autor die heutige Lage gegenüber, unser Verhalten angesichts der Heimsuchung durch das Corona-Virus.

Der Autor Holger Schulz, Jahrgang 1944, ist Wirtschaftswissenschaftler und hat mehrere Jahrzehnte in der Energiewirtschaft gearbeitet. Heute schreibt er Bücher ("1975 - Umbrüche in Politik, Kultur und Gesellschaft", "Rechtsbrüche und Manipulationen - Wie Regierende und Medien den zerfall der Bundesrepublik Deutschland fördern", "Haltung und Erziehung - Wie die deutschen Medien die Bürger zur Unmündigkeit erziehen").
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DIE FOLGEN DER EPIDEMIEN APATHIE UND NEUE UNRUHEN Unter dem Datum des 27. Mai 1832, übrigens an dem Tag, an dem in Deutschland die bürgerliche Opposition auf dem Hambacher Schloss den ersten Versuch wagt, die Restauration zu überwinden, am 27. Mai 1832 also veröffentlicht die „Allgemeine Zeitung“ in vier Teilen eine weitere Reportage Heines.93 Auch diese Berichte sind nicht namentlich gezeichnet, sondern wiederum in der letzten Folge versteckt mit Heines Initialen versehen. Die Cholera, so schreibt Heine, habe „viele Sterne erster Größe“, bedeutende Staatsmänner und Wissenschaftler, dahingerafft. Sein Bericht über das Begräbnis Casimir Périers, der zum Zeitpunkt seines Todes am 16. Mai 1832 als Ministerpräsident und Innenminister Frankreichs amtiert, ist für Heine Anlass, sich engagiert und ausführlich über den Wertpapierhandel, dem „nichtswürdigsten Geschäfte, dem Staatspapierenschacher“, auszulassen, bevor er über das eigentliche Ereignis berichtet.94 (Beiläufig: Es ist immer wieder eine Freude, Heines Abschweifungen zu folgen und an seinen Assoziationen teilzunehmen). „Bei Perier´s Begräbniß“, schreibt Heine, „zeigte sich wie bei seinem Tode die kühlste Indifferenz. Es war ein Schauspiel wie jedes andere; das Wetter war schön, und Hunderttausende von Menschen waren auf den Beinen, um den Leichenzug zu sehen, der sich lang und gleichgültig, über die Boulevards, nach Père Lachaise dahinzog. Auf vielen Gesichtern ein Lächeln, auf andern die laueste Werkeltagstimmung, auf den meisten nur Ennui.95 (…) Das Volk betrachtete Alles mit einer seltsamen Apathie.“ „Zwischen zwei bis drei Uhr ging der Leichenzug Periers über die Boulevards; als ich um halb acht von Tische kam, begegnete ich den Soldaten und Wagen, die vom Kirchhofe zurückkehrten. Die Wagen rollten jetzt rasch und heiter; die Trauerflöre waren von der dreifarbigen Fahne abgenommen; diese und die Harnische der Kuirassiere glänzten im lustigsten Sonnenschein; die rothen Trompeter, auf weißen Rossen dahintrabend, bliesen lustig die Marseillaise; das Volk, bunt geputzt und lachend, tänzelte nach den Theatern; der Himmel, der so lange umwölkt gewesen, war jetzt so lieblich blau, so sonnenduftig; die Bäume glänzten so grünvergnügt; die Cholera und Casimir Perier waren vergessen, und es war Frühling.“ Friedrich Wilhelm Held dokumentiert die Lage in Paris in seinem Werk „Populär-pragmatisch-kritische Geschichte des Revolutions-Zeitalters“ nicht wie Heine, der den Verdruss und die Apathie des Volkes herausstellt, sondern durchaus dramatisch. Unter der Überschrift „Casimir Périer´s Tod“, schreibt der Historiker Held: „Die Cholera, deren Wüthen den herrschenden Zustand der Unbehaglichkeit auf den Gipfel brachte, erschien dem Könige als ein fast noch gefährlicherer Feind seines Thrones, denn die Republikaner und Royalisten. Die Regierung bot daher Alles auf, um durch Gesundheitsmaßregeln die Gemüther des Volkes, welches bereits von Brunnenvergiftung fabelte, zu beschwichtigen, und die landesväterliche Fürsorge des Bürgerthrons in helles Licht zu setzen. Deshalb begab sich auch der Kronprinz Herzog v. Orleans, von Casimir Périer begleitet, ins Hôtel-Dieu, das allgemeine Krankenhaus von Paris, welches von Cholera-Kranken angefüllt war. Die beiden Männer konnten hier zwar nicht das Geringste nützen; aber sie konnten doch durch solch einen kühnen Besuch die Regierung Louis-Philippes populär machen. Casimir Périer wurde das Opfer seiner Königstreue. Die Seuche steckte ihn an und raffte ihn nach langem Leiden dahin.“96 Die Cholera klingt allmählich ab, findet jedoch immer noch Opfer. So sterben am 20. Juni 42 Personen, am 21. Juni 38 Personen und am 23. Juni 30 Personen an der Krankheit („Allgemeine Zeitung“). Wir bewähren uns als Untertanen, die Pariser Bürger wagen die Insurrektion. Wir, nicht alle, aber die meisten, erschreckend viele, nehmen es hin, wenn die Obrigkeit Maßnahmen zur Einschränkung unserer Freiheit beschießt. Und mit Lust nehmen wir es hin. Die Obrigkeit sagt uns, und sie wird dabei von den staatstragenden Medien tatkräftig sekundiert, wie wir uns angesichts der gesundheitlichen Bedrohung durch das Corona-Virus zu verhalten haben, wie wir uns die Hände zu waschen haben, wann wir eine Schutzmaske tragen müssen, zu welcher Zeit wir das Haus verlassen dürfen und welchen Abstand wir zu anderen Menschen halten sollen. Und wir werden beruhigt: Ein kleiner „Pieks“ schützt unsere Gesundheit. Wir werden wie unmündige Kleinkinder behandelt, und wir lassen uns gerne so behandeln, egal, dass mit den Notstandsbestimmungen der Obrigkeit unsere Grundrechte suspendiert werden. Wir begeben uns in die Hand der Obrigkeit, zu recht, denn sie will ja nur unser Bestes. Dafür geben wir unsere Freiheit hin. „Diejenigen, die die wesentliche Freiheit aufgäben, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erlangen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit“, sagt Benjamin Franklin im Jahr 1755.97 Die deutschen Bürger sind laut repräsentativer Umfragen insgesamt zufrieden, dass ihre Freiheiten beschnitten werden. Nach einem Jahr strikter Einschränkungen halten im März 2021 immer noch 47 Prozent der Befragten die „Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie“ für angemessen, 20 Prozent gehen die Restriktionen nicht weit genug. Nur ein knappes Drittel (30 Prozent) zeigt sich den Maßnahmen gegenüber kritisch.98 Übrigens: Die Parteianhänger von CDU/CSU, Grünen, SPD und Linken sind sich nahezu einig; jeweils über 20 Prozent liegt der Anteil derjenigen, die striktere Beschränkungen wünschen. Die Parteianhänger der FDP und der AfD halten dagegen nur zu 12 Prozent (FDP) und 13 Prozent (AfD) engere Maßnahmen für notwendig. Die Obrigkeit kann zufrieden sein. Sie handelt, so wie es diese Zahlen suggerieren, im Sinne der meisten Untertanen.99 Die Pariser Obrigkeit muss sich auf schwierigere Herausforderungen einstellen. Einige Tage nach Périer, am 1. Juni 1832, stirbt Maximilien Lamarque, ehemals hochangesehener General Napoleons und politischer Gegner Périers an der Cholera. Bei seinem Begräbnis erlebt Paris gewaltige Unruhen. Zwar konnte man voraussehen, wie Heine schreibt, dass beim Begräbnis Lamarques einige Unruhen stattfinden würden, aber „glaubte doch niemand an den Ausbruch einer eigentlichen Insurrektion.“100 „Es war vielleicht der Gedanke, daß man jetzt so hübsch beisammen sey, was einige Republikaner veranlaßte, eine Insurrektion zu improvisiren. Der Augenblick war keineswegs ungünstig gewählt, eine allgemeine Begeisterung hervorzubringen und selbst die Zagenden zu entflammen. (…) Schon auf den ruhigen Zuschauer mußte dieser Leichenzug einen großen Eindruck machen, sowohl durch die Zahl der Leidtragenden, die über hunderttausend betrug, als auch durch den dunkelmuthigen Geist, der sich in ihren Mienen und Gebährden aussprach.“ „Unglückseliger Lamarque! wie viel Blut hat deine Leichenfeier gekostet! Und es waren nicht gezwungene oder gedungene Gladiatoren, die sich niedermetzelten, um ein eitel Trauergepränge durch Kampfspiel zu erhöhen. Es war die blühend begeisterte Jugend, die ihr Blut hingab für die heiligsten Gefühle, den großmüthigsten Traum ihrer Seele.“ Am 5. und 6. Juni kommt es zu Straßenschlachten, bei denen 40.000 Mann Linientruppen und 20.000 Nationalgardisten gegen einige Hundert Republikaner kämpfen, die Heine „die reinsten, jedoch keineswegs die klügsten Freunde der Freiheit“ nennt. Diese Unruhen kommen nicht unerwartet. Die Académie Royale de Médecine hat bereits in ihrem „Rapport sur le Choléra-Morbus“ im Jahre 1831 auf eine mögliche sozialrevolutionäre Entwicklung hingewiesen, die durch die Cholera forciert werden könnte.101 Allerdings gelte dies eher für andere Länder, wie beispielsweise Deutschland, denn die Medizinwissenschaften und die öffentliche und private Hygiene hätten in Frankreich große Fortschritte gemacht. Und der Zustand der Gesellschaft, der Klassen, habe sich verbessert (l´amélioration des classes indigentes), so dass es den Medizinern und der Administration möglich sei, auf alle Notwendigkeiten zu antworten.102 In der Eingangsbemerkung ihres Rapports unterstreicht die Académie Royale, welche Herausforderungen, aber auch Chancen die Cholera biete: Große Epidemien und Revolutionen verursachen gewaltige Schocks und plötzliche Veränderungen.103 Diesen Bemerkungen folgt die Erkenntnis, die Zeitgenossen könnten über die schrecklichen Zeiten durchaus Materialien sammeln und Memoiren schreiben, aber die Geschichte könne erst weit entfernt von den...


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