Einfluss und Macht der Vierten Gewalt
E-Book, Deutsch, 143 Seiten
ISBN: 978-3-17-037739-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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»Eine Zensur findet nicht statt«: Medien und Journalismus in der Bundesrepublik
Die Medien und der Journalismus sind in einen gesellschaftlichen Rahmen eingebettet. In einer liberalen Demokratie bestimmt die Verfassung nicht nur die Grundzüge des politischen, sondern auch die des medialen Systems. Für die Bundesrepublik sind dabei zwei Aspekte hervorzuheben: erstens die Freiheit der Presse, die in Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert ist, und zweitens die föderale Ordnung, bei der die Zuständigkeit für Kultur und Medien im Wesentlichen den Bundesländern zufällt. Das hat Konsequenzen für die Medienpolitik und erklärt beispielsweise, warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht zentral organisiert ist. Außer im Grundgesetz ist die Presse- und Meinungsfreiheit in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Das deutsche Grundgesetz formuliert schnörkellos: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.« (Grundgesetz Art. 5, Absatz 1) Was für ein schöner, klarer Hauptsatz: »Eine Zensur findet nicht statt.« Das bedeutet: Keine staatliche Stelle wacht darüber, was und wie in den Medien berichtet wird. Keine staatliche Stelle interveniert, wenn Journalistinnen und Journalisten die Regierung mit Worten angreifen. Keine Behörde prüft, wie unbotmäßig oder folgsam die Medien sind. Die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler können nicht zum Telefon greifen und den Redaktionen Anweisungen geben. Natürlich können Politiker und andere Akteure versuchen, mehr oder weniger subtil Druck auszuüben. Es gibt Referenten und »Spin-Doktoren«, zu deren Aufgaben es gehört, die Berichterstattung in eine bestimmte Richtung zu lenken (ihr einen »Spin« zu geben). Manchmal beschweren sich Spitzenpolitiker, Unternehmer oder andere sogar direkt und unverblümt bei einer Redaktion. Entscheidend ist, dass diese (hoffentlich) nicht einknickt – es sei denn, sie hat tatsächlich einen Fehler gemacht. Entscheidend ist, dass niemand das Recht hat, den Journalistinnen und Journalisten vorzuschreiben, wie sie berichten. Und dass niemand kritische Beiträge verhindern oder aus dem Verkehr ziehen darf. In vielen Ländern gibt es diese Freiheit nicht. Dort herrschen Zensur und Zwang, und der Journalismus kann nur eingeschränkt berichten. Ein Dienst an der Demokratie ist dann nicht möglich, allenfalls als mutiger Vorgriff im Kampf für mehr Freiheit. Dabei gehen kritische Journalisten in Ländern ohne Pressefreiheit hohe Risiken ein – sie sind, verglichen mit den Enthüllungsjournalisten in liberalen Staaten, die wahren Helden des Journalismus. Oft genug bezahlen sie ihren Mut und ihre Unbestechlichkeit mit ihrer Gesundheit oder ihrem Leben. Meist sind die Verhältnisse etwas komplizierter, als dass sie ins simple Schema »frei versus unfrei«, »Kritik möglich versus unmöglich« passen würden. Es kann Nischen geben, in denen Kritik gewagt wird, Grenzen ausgetestet und Behörden ausgetrickst werden. Allerdings gibt es dabei deutlich größere Risiken als in Ländern, in denen sich der Journalismus auf einem stabilen demokratischen und rechtsstaatlichen Fundament bewegt. Abb. 3: Anzeigenkampagne »Wenn niemand mehr…« von »Reporter ohne Grenzen«. Nun könnte man sagen: Auch in der Bundesrepublik kann vieles nur zum Preis sozialer Sanktionen gesagt oder berichtet werden. Wer als Kommunist den Kapitalismus hart angreift, wird zwar nicht eingesperrt, solange er sich keiner militanten Mittel bedient. Aber Probleme mit Arbeitgebern könnte es eventuell geben – auch mit Redaktionen und Verlegern, denen die politische Meinung zu radikal ist. Niemand hat Anspruch darauf, mit seinen Meinungen durchzudringen und dafür Beifall zu bekommen. Ignoriert oder kritisiert zu werden, ist nicht dasselbe wie Zensur und Unterdrückung. Allerdings können auch in Demokratien Meinungskämpfe und die Ausgrenzung von Minderheiten und Oppositionellen zum Problem für die Presse- und Meinungsfreiheit werden. Man denke an die oft mit einer »Hexenjagd« verglichene Verfolgung von Kommunisten in den USA zu Beginn des Kalten Krieges (McCarthy-Ära). Das Meinungsklima kann unter Umständen auch in der Demokratie, zumal bei moralisch aufgeladenen Themen, als einschüchternd erlebt werden (vgl. Schultz 2020). Infrage stehen dann Toleranz und Streitkultur und die Bereitschaft, andere Meinungen zu respektieren. Solche Aspekte werden aber überhaupt erst relevant, wenn eine grundlegende Freiheit der Rede und der Berichterstattung gewährleistet ist. In Deutschland haben sich viele schon so sehr an die Presse- und Meinungsfreiheit gewöhnt, dass sie diesen Zustand für selbstverständlich halten und kaum noch würdigen. Etliche Menschen haben auch falsche Vorstellungen davon, wie der Journalismus funktioniert. In einer repräsentativen Umfrage sollten Fragen zum Mediensystem der Bundesrepublik beantwortet werden. Stimmt es oder stimmt es nicht, dass Journalisten ihre Berichte den Behörden vorlegen müssen, bevor sie die Beiträge veröffentlichen können? Dass das stimmt, glaubten elf Prozent der Befragten (Ziegele u. a. 2018, S. 158). Weitere elf Prozent sagten, sie wüssten es nicht. Insgesamt war also mehr als jedem fünften Befragten nicht klar, dass Journalistinnen und Journalisten ihre Beiträge keineswegs von einer Behörde prüfen lassen müssen – und sie dies, abgesehen von Ausnahmefällen, auch nicht tun. Es wäre schlicht Zensur. Das wissen alle, die professionell journalistisch arbeiten. Das Grundgesetz gilt: »Eine Zensur findet nicht statt.« Ausnahme: Autorisieren von Interviews und Zitaten
Medien lassen sich ihre Beiträge nicht von einer Behörde absegnen. Sie legen sie auch den Personen, Firmen, Parteien usw., über die sie berichten, vor der Veröffentlichung nicht vor. Ausnahmen gibt es – zum Beispiel, wenn es um komplizierte wissenschaftliche Themen geht und ein Journalist eine Expertin darum bittet, zu prüfen, ob alles korrekt erklärt ist. Selbst dann ist Vorsicht nötig, denn auch Experten haben Marotten und Interessen. Eine weitere Ausnahme gibt es: Interviews, die schriftlich erscheinen, werden dem Gesprächspartner in der Regel vorgelegt. Sie werden »autorisiert«. Das bedeutet, der Interviewte kann den Text korrigieren. Das erlaubt es beiden Seiten, die Sprache zu glätten (der exakte Wortlaut wäre meist zu sperrig). Diese Praxis birgt aber auch Konfliktpotenzial und das Risiko großer Abweichungen vom Gesagten. Deshalb gibt es in Deutschland immer wieder Streit über die Autorisierungspraxis, die in anderen Ländern nicht so verbreitet ist. Hierzulande sichern sich Journalisten oft auch bei einzelnen Zitaten ab (bzw. die Gesprächspartner bestehen darauf). Das heißt, einzelne Äußerungen, die nicht in ohnehin öffentlichen Situationen gefallen sind, werden ebenfalls autorisiert. Im Umgang mit den Medien gibt es weitere Gesprächsregeln: »Unter drei« bedeutet, dass alles Gesagte vertraulich ist und nur als Hintergrundinformation dient. »Unter zwei« bedeutet, das Gesagte darf zwar verwendet werden, aber ohne Angabe der (genauen) Quelle. »Unter eins« ist der Normalfall: Alles Gesagte darf so verwendet werden, unter Angabe der Quelle. Bei diesen Regeln geht es darum, offene Gespräche zu ermöglichen und Vertrauen herzustellen. Klar ist aber: Bei brisanten Informationen, die für die Öffentlichkeit wichtig sind, lässt sich kein Journalist darauf ein, Stillschweigen (»unter drei«) zu vereinbaren. Die wenigsten Menschen kennen die Arbeit einer Redaktion aus eigener Anschauung. Auch in den Schulen wird der Journalismus oft nur am Rande behandelt. Deshalb ist es wenig überraschend, wenn viele Leute ahnungslos sind, wie Interviews entstehen oder wie eine Nachrichtensendung produziert wird. Sie sehen und lesen nur das Ergebnis. Auf der einen Seite unterstellen viele (oder glauben irrtümlich), Journalisten würden ihre Manuskripte von einer Behörde absegnen lassen. Auf der anderen Seite denken etliche Bürgerinnen und Bürger, die Medien könnten ohne jede Einschränkung berichten, was sie wollen. In der erwähnten Umfrage antworteten 38 Prozent, diese Aussage sei zutreffend: »Journalisten dürfen berichten, was sie wollen, es gibt keine gesetzlichen Schranken.« Nur stimmt...