Schütt | B. K. TRAGELEHN | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 206 Seiten

Schütt B. K. TRAGELEHN

Im Sturz. Sag Ja. Geh weiter.

E-Book, Deutsch, 206 Seiten

ISBN: 978-3-95749-480-1
Verlag: Theater der Zeit
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In diesem Buch zieht B. K. Tragelehn versonnen und verschmitzt, hellwach für die Finsternisse der Zeit, an seiner Zigarre und erzählt. Wieder. Noch einmal. In Gesprächen mit Hans-Dieter Schütt wandert er durch sein Leben und besteht auf die Stimmung eines Abendspaziergangs. Flankiert werden die Gespräche durch Texte von Josef Bierbichler und Friedrich Dieckmann.

Der 1936 in Dresden geborene Regisseur, Dichter und Übersetzer: Das ist Lust am Widerspruch, Begehren nach dem Paradox, Freude an frivoler Verweigerung: "Wenn alle dafür sind, bin ich auch dagegen." Am Eis der Zeit erhitzt er seine Poesie. Ein Komödiant mit simplizischem Talent. Für den letzten Meisterschüler Brechts und langjährigen Freund von Heiner Müller war das Leben im Osten eine Geschichte der Verbote, das Leben im Westen ebenfalls eine Chronik des Unliebsamen. Im verkoppelten Ostwesten dann die Wiederaufnahme des alten Möbelspiels: "Zwei Stühle kaufen / Und sich dazwischensetzen."
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Friedrich Dieckmann FREUND TRAGELEHN
Eine Langzeitbeobachtung I
Auf B. K. Tragelehn, den ich einfach Klaus nenne, blicke ich aus zwei Perspektiven. Die eine ist griffbereit: die Bücherperspektive. Ich steige auf die Leiter oder kniee mich auf den Boden, da sind sie, die Tragelehn-Bände, Gedichte, Übertragungen, Theaterschriften, auch ein Theaterstück ist dabei; es heißt „Die Aufgabe“ und nicht nur, weil darin von einer solchen die Rede ist, sondern auch, weil es sich um ein als Fragment aufgegebenes Werk handelt, das den Autor aus dem Innern des Stoffes so nah an immanente Aporien des sozialistischen Wirtschaftens heranführte, dass er es aufgab und das Ganze vergaß. Erst, als die Wirklichkeit dreißig Jahre später das Ende des Stücks geliefert hatte, fiel ihm das vergessene wieder ein; er fand das Skript in einem Winkel seines als umfangreich vorzustellenden Schreibtischs. Die im Aufbau-Verlag überlebende Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“ druckte das Fragment 1994 mit einem Präludium von mir, in dem ich der Realgeschichte des Landes die Strukturen eines fünfaktigen Dramas nach dem von Aristoteles und Gustav Freytag formulierten Schema aus Exposition, Höhenpunkt und Peripetie unterlegte.1 Das funktionierte vollkommen und machte deutlicher denn je, dass es sich bei der untergegangenen sozialistischen Republik um ein Staatskunstwerk gehandelt hatte. Im Innern dieses wohnlich-unwohnlichen Gebäudes war Tragelehn frühzeitig in das Theaterzimmer eingedrungen. Sich aus seiner Dresdner Oberschule (ich hätte, wäre ich in Dresden geblieben, dieselbe besucht) herauskatapultierend, hatte er in Berlin bei Brecht vorgesprochen und ihm das Ansinnen vorgetragen, bei ihm das Theater zu lernen, speziell das Brechtsche Theater, von dem der Achtzehnjährige durch ein Dresdner „Courage“-Gastspiel entscheidende Anregungen empfangen hatte. Brecht prüfte ihn, indem er ihn aus einer großen Serie von Szenenaufnahmen der von Ruth Berlau durchfotographierten „Mutter“-Inszenierung eine Auswahl treffen ließ. Tragelehn bestand die Probe, bekam den Rat, sein Sächsisch zu mildern und sich durch Shakespeare-Lektüre das Englische anzueignen, und wurde Meisterschüler der Akademie der Künste. Davon und von allem weiteren wird in Hans-Dieter Schütts Buch noch hinlänglich die Rede sein, auch davon, wie B. K. Brechts guten Rat in einer Weise beherzigte, die sich auf meinem Schreibtisch in der imponierenden Gestalt von fünf großen, schöngedruckten Bänden mit Shakespeare-Übersetzungen aus dem Frankfurt-Baseler Verlag Stroemfeld/Roter Stern stapelt: drei Komödien („Maß für Maß“, „Was ihr wollt“, „Troilus und Cressida“), einem Trauerspiel („Romeo und Julia“) und einem Endspiel („Der Sturm“), sie alle im Anhang reich versehen mit Materialien und Kommentaren. Ich schlage den „Sturm“ auf, er enthält auf 80 Seiten die Tragelehnsche Übersetzung, gefolgt von 200 Seiten mit Anmerkungen und einem Gespräch; darin findet sich auf zwei Seiten eine Beschreibung der Nachkriegssituation, die nicht bündiger vorzustellen ist: „Die Kommunisten, die nicht Hitler und nicht Stalin hatte umbringen können, waren nach Deutschland zurückgekommen, aus dem Exil oder aus Zuchthäusern und Konzentrationslagern. In der SBZ, dann in der DDR, wurden sie die Lehrer, ja die Väter einer vaterlosen Generation. Hoffnung und Enttäuschung, Enttäuschung und Hoffnung in immer wiederkehrendem Wechsel, die schon ihr Leben begleitet hatten: das war es, was sie den Kindern vererbten. In einer Phase der Hoffnung, die auf den XX. Parteitag der russischen Partei, den Parteitag der Entstalinisierung, folgte, wurden in Deutschland neue Theaterstücke geschrieben und aufgeführt. … Diese Stücke sind, eins nach dem andern, verboten worden. Aber einen Augenblick lang, ehe die Reformation der Arbeitermonarchie endgültig scheiterte, hat es so ausgesehn, als ob es eine neue deutsche Dramatik und, ihr folgend, ein neues Theater hätte geben können. Die Wirkung in der DDR war vulkanischer Art, zunächst unterirdisch. Die Zahl der Ausbrüche, kleinere und größere, nahm mit den Jahren zu. Nicht immer gelang es, die Löcher zu stopfen. Es schien dann oft so, als ob nach und nach mehr möglich würde. Es wurde mehr möglich. Aber das lag nicht daran, dass die Hauptverwaltung Ewige Wahrheiten etwa Einsicht erworben hätte. Sie wurde nur müde. Typisch der erschrockene Ausruf des Ideologie-Sekretärs Hager auf die Nachricht von einer Beckett-Aufführung in der DDR: Lassen wir denn jetzt schon alles zu! Da war es fast schon vorbei.“2 Außer den fünf Shakespeare-Bänden finden sich noch drei andere Elisabethaner bzw. Jakobäer an, Stücke von Christopher Marlowe, John Ford und dem Duo Thomas Middleton und William Rowley. Nach ihrem Abschied von RBI (Radio Berlin International), dem Auslandssender der DDR, dessen Mitarbeiterin sie jahrzehntelang gewesen war, aber auch schon vorher hatte Christa Tragelehn, B. K.s Frau, an allen diesen Bänden wesentlichen Anteil. In dem 70-Seiten-Gespräch, das Holger Teschke 2012 mit ihm führte, hat Tragelehn sich ein Wort von Peter Brook zu eigen gemacht, mit dem dieser Shakespeares anhaltende Modellhaftigkeit erklärt hat: „Was wir heute immer unter Autorschaft verstehn, sagt er, ist personal expression – und eben das bekommt man von Shakespeare nicht. Da redet das Leben selber…“3 Als B. K. in den siebziger Jahren mit dieser Übersetzungsarbeit begann, konnte ich ihm mit einem Erbstück, dem Großen Muret-Sanders, beispringen. Seine Gegengabe war kostbar: die beiden Auswahlbände, die Theodor W. Adorno im Suhrkamp Verlag 1955 mit Texten von Walter Benjamin herausgegeben hatte; Tragelehn hatte sie als Meisterschüler der Akademie für 52 DDR-Mark in der Berliner Karl-Marx-Buchhandlung erstehen können. Ich hatte damals von dieser aufsehenerregenden Edition gehört und Ernst Bloch, bei dem ich studierte, auf den Autor angesprochen: „Ein bedeutender Mikrologe“, war zwischen Tür und Angel die Antwort. Ich erfuhr es später: das Verhältnis dieser beiden hatte beträchtliche Ambivalenzen durchmessen, und finde bei Peter Zudeick die Präzisierung jener Bemerkung: „Benjamin hatte einen einzigartigen Blick fürs bedeutsame Detail“.4 Die Ausgabe, 1200 Seiten in zwei braunen Leinenbänden, war bahnbrechend für die Wirkungsgeschichte des bis dahin weithin unbekannten Autors; sie ist bis heute grundlegend. Tragelehn hielt Benjamin mit Recht für den wichtigsten aller Brecht-Interpreten. Der Tiedemannsche Sammelband von 1970 enthielt dann weitere grundlegende Brecht-Kommentare, einschließlich der Svendborger Gesprächsnotizen von 1934 und ’38 mit Brechts auf Stalin gemünztem Wort von der „Arbeitermonarchie“, bei dem Benjamin es nicht bewenden ließ: „Ich verglich diesen Organismus mit den grotesken Naturspielen, die in Gestalt eines gehörnten Fisches oder anderer Ungeheuer aus der Tiefsee zutage befördert werden.“5 Illusionen hatten hier keinen Raum mehr. „Das Denken von Benjamin“, sagte Tragelehn später im Rückblick“, „wurde für mich sehr schnell zu so etwas wie einem Richtpunkt, mit der Zeit sogar immer mehr.“6 II
Wann habe ich Tragelehn, den verhinderten Schulfreund (ich war mit meinen Eltern 1951 aus Dresden in die Umgebung Berlins verzogen), in den späteren sechziger Jahren kennengelernt? Ich hatte 1965 eine gewisse Wirkung erzielt mit einer eingehenden Kritik der allseits mit Lob überschütteten „Coriolan“-Inszenierung des Berliner Ensembles, in der ich Indizien beginnenden Niedergangs wahrgenommen hatte; das mochte Tragelehn, der letzte Brecht-Schüler, so einleuchtend gefunden haben wie viele andere, die der museale Umgang der Bühne mit ihrem Hauptautor verstimmte. Ich glaube, Friedrich Goldmann, aufgehender Stern am Komponistenhimmel des Landes, machte uns damals miteinander bekannt; er wohnte in der Ebertystraße 51 (warum habe ich mir die Adresse gemerkt?) als Untermieter von Tragelehns Schwiegermutter, an die ich von einer späteren Begegnung eine nachdrückliche Erinnerung habe. Tragelehn, seit der BE-Zeit freischaffend, hatte in Heiner Müller den Wahrer und Mehrer des Brechtschen Erbes erkannt und dessen Stück „Die Umsiedlerin“ an einer Berliner Studentenbühne zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt zur Uraufführung gebracht: wenige Wochen nach der Berliner Grenzschließung vom August 1961, die bald in einen Mauerbau überging. Die ideologischen Strafgerichte, die über beide, Autor und Regisseur, niedergingen, schrammten hart an der Verhaftung vorbei. „Für uns war das Ergebnis eine Befreiung, ja. Aber der Rückstoß stopfte uns das Lachen in den Hals zurück. Erstmal.“7 Müller überstand den Ausschluss aus dem Schriftstellerverband, Tragelehn die Braunkohle, in die er...


Hans-Dieter Schütt ist Publizist und Dramaturg. Er veröffentlichte Essaybände, drehte (mit Ulrich H. Kasten) Dokumentarfilme, schrieb Biografien und Gesprächsbücher, u. a. mit Reinhold Messner, Klaus Löwitsch, Frank Castorf, Ekkehard Schall, Manfred Wekwerth, Günter Gaus, Claus Peymann, Dieter Mann. Bei Theater der Zeit erschienen Porträtbände über Michael Thalheimer und Christian Grashof sowie in der Reihe backstage über Armin Petras und Charly Hübner.


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