E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Schröder Schmiedeeisensommer
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7751-7500-5
Verlag: SCM Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-7751-7500-5
Verlag: SCM Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ursula Schröder arbeitet nach einem Lehramtsstudium und vielen Jahren als Angestellte in einem mittelständischen Unternehmen inzwischen freiberuflich als PR-Texterin und Romanautorin. Sie ist Mitglied einer evangelischen Freikirche im Sauerland und engagiert sich im Vorstand des sozialen Bürgerzentrums ihrer Heimatstadt. Sie ist verheiratet und hat 3 erwachsene Kinder.
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Zwei
Ada hatte Velendorff noch vor dem Mittagessen verlassen, weil ihre Mutter die Kutsche benötigte, mit der sie gekommen war, und Herr Kemper reiste kurz nach dem Essen ab. Das gab Nini die Freiheit, sich mit ihren Büchern in ein ruhiges Eckchen zurückziehen zu können. Auch wenn es der falsche Charles war – es war schön, wieder ein englischsprachiges Buch in Händen zu halten. Umso unwilliger war sie, als sie etwa eine Stunde später gebeten wurde, sich im Herrenzimmer einzufinden, wo sie sowohl Bruder als auch Mutter mit ernsten Gesichtern antraf.
»Was ist geschehen?«, fragte sie beunruhigt.
»Bisher noch gar nichts«, sagte Adelheid, aber an der Art, wie sie die Hände abwechselnd zu Fäusten ballte und wieder streckte, konnte Nini erkennen, dass sie etwas sehr stark beschäftigte. »Wir müssen jedoch etwas mit dir besprechen, das weitreichende Konsequenzen hat.«
»Was denn?«
Ferdinand räusperte sich, bevor er seine Erklärung begann. »Es hat bisher keine Veranlassung gegeben, mit dir über die grundsätzliche Situation unseres Gutsbetriebs und deine Zukunft zu sprechen, Nini. Aber das hat sich nun geändert.«
Nini setzte sich ein wenig aufrechter. »Wieso? Ist es, weil Heinrich eine andere Frau heiratet?« Immerhin war das die einzige ihr bekannte grundlegende Veränderung, die sich in der letzten Zeit ergeben hatte.
Ihre Mutter zuckte zusammen. »War es das, was er dir gestern gesagt hat?«
Nini nickte. »Es ist noch nicht offiziell, aber er ist sich mit Fräulein Ruppert einig.«
Adelheid hob schicksalsergeben die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Ich hatte immer gehofft, ihr beiden …«
»Offenbar ist Mathilde Ruppert die bessere Partie«, stieß Nini hervor. »So hat er es mir jedenfalls zu verstehen gegeben. Und somit bin ich wohl doch mehr über unsere Situation informiert, als ihr denkt.«
»Die Zeiten sind schwierig«, verteidigte sich Ferdinand. »Vaters plötzlicher Tod hat natürlich eine Lücke gerissen, und der kontinentale Wettbewerb sorgt dafür, dass die Preise schlecht sind. Wir haben in letzter Zeit nicht mehr das erwirtschaftet, was ich erwartet hatte.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«, fragte Nini ratlos. »Ich kann weder an Vaters Tod noch an den Preisen etwas ändern. Oder heißt das, ich muss der Schneiderin absagen, die mir das Kleid für Adas Hochzeitsball nähen soll?«
»Nein, so schlimm ist es noch nicht«, beeilte sich Ferdinand zu sagen. »Aber vielleicht hast du dich ja gefragt, was es mit Herrn Kempers Aufenthalt auf sich hatte.«
»Natürlich habe ich mich das gefragt«, antwortete sie. »Er ist weder ein ehemaliger Student aus deinem Corps noch wollte er mit dir auf die Jagd gehen, er gehört nicht zur weiteren Familie … er sitzt einfach ein paar Stunden mit dir am Schreibtisch und reist dann wieder ab.«
»Er wird eventuell wiederkommen«, sagte Adelheid.
Ferdinand warf ihr einen warnenden Blick zu und sagte dann: »Ich hatte ihn hergebeten, weil er die Mittel hat, uns zu unterstützen.«
Ninis Stirn krauste sich. »Die Mittel? Wobei unterstützen?«
»Er ist eine Art … Privatbankier. Es ist sein Beruf, in Unternehmen zu investieren, die … eine Zeitlang … nicht so liquide sind wie gewünscht.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Er wird uns also Geld leihen?«
Ferdinand seufzte und tauschte erneut Blicke mit seiner Mutter. »Das war der Plan, mit dem ich ihn hierher eingeladen hatte.«
»Und? Tut er es? Nun sag doch schon!«
»Er hat uns einen anderen Vorschlag gemacht«, antwortete er ein wenig mühsam.
Nini merkte, wie sie langsam die Geduld verlor. »Wie lautet dieser Vorschlag? Ist er besser als deiner oder nicht?«
»Das kommt darauf an«, sagte Ferdinand. »Er hat angeboten, dich zu heiraten.«
Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie den Eindruck, sie habe sich verhört. Aber er hatte es klar und deutlich ausgesprochen. »Mich zu heiraten? Aber er kennt mich doch gar nicht.«
»Vielleicht hat er in der kurzen Zeit bereits eine Neigung zu dir gefasst?«, schlug Adelheid vor.
Ferdinand schüttelte den Kopf. »Nicht doch, Mutter. Wir sagen es ihr, wie es ist.« Er beugte sich zu ihr vor. »Wenn du ihn heiratest, dann wird er eine nicht unbeträchtliche Summe in das Gut einzahlen. Ohne Zinsen. Wir könnten unsere Verbindlichkeiten ablösen …«
»Und du wärest auch versorgt«, fügte Adelheid hinzu.
Nini starrte abwechselnd beide an. »Wollt ihr mich verkaufen?«, fragte sie leise.
»Nein!« Ferdinand wand sich unbehaglich auf seinem Stuhl. »Es ist natürlich deine freie Entscheidung! Allerdings hätte es eine Menge Vorteile.«
»Wäre er dir denn so unsympathisch?«, wollte Adelheid wissen.
»Darum geht es gar nicht, Mama!«, rief Nini fassungslos aus. »Aber ich habe fast mein ganzes Leben geglaubt, ich würde eines Tages Heinrich heiraten, und plötzlich kommt da ein völlig Fremder daher und hält um meine Hand an, ohne überhaupt mit mir selbst darüber zu sprechen! Habt ihr ihm schon eine Zusage gegeben? Hat er bereits eine Anzahlung geleistet?«
Ihr Bruder sah sie mahnend an. »Nun beruhige dich doch, Nini. Lass uns ganz sachlich darüber reden.«
»Ich will mich aber nicht beruhigen!«, schrie sie ihn an, stieß heftig ihren Stuhl zurück und lief aus dem Raum.
Ihr erstes Ziel war die Bibliothek, immer ihr liebster Anlaufpunkt, aber dort befand sich gerade Henriette und blätterte in einem Journal. »Nini? Was ist los? Du wirkst echauffiert.«
»Das bin ich in der Tat«, rief sie aus, und ohne sich für ihr rüdes Verhalten zu entschuldigen, stürmte sie wieder hinaus auf den Flur. Sie eilte die Treppe hinauf in ihr Zimmer, nur um festzustellen, dass dort gerade das Bett neu bezogen wurde. Natürlich hätte sie die Mädchen hinausschicken können, aber damit würde sie den gesamten Arbeitsablauf durcheinanderbringen, und sie entschied sich, es nicht zu tun. Stattdessen floh sie in den Garten, und in eben der Laube, in der sie sich heute Vormittag Ada anvertraut hatte, fand sie endlich ein ungestörtes Plätzchen, um über alles nachzudenken.
Wie konnte es sein, dass innerhalb von weniger als vierundzwanzig Stunden ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt worden war? Gestern um diese Zeit war sie noch ein sorgloses adliges Fräulein gewesen, stolz darauf, eine aus dem alten Geschlecht derer von Velendorff zu sein, beneidet und wertgeschätzt in der Gesellschaft, mit einem sicheren Zuhause im Kreise ihrer Familie und hoffnungsvollen Zukunftsperspektiven. Heute fühlte sie sich, als sei ihr alles genommen worden, was sie für selbstverständlich gehalten hatte. Stattdessen sollte sie sich an einen Mann binden, den sie erst einmal gesehen hatte, der ein Leben führte, das sie nicht kannte, der nicht aus ihren Kreisen stammte und der, anstatt ihr anständig den Hof zu machen, ihrer Familie viel Geld dafür in Aussicht stellte.
Natürlich konnte sie Nein sagen. Niemand aus der Familie würde sie zwingen, wie es manchmal in mittelalterlichen Romanen geschah. Aber was wäre die Alternative? Das offenbar dringend benötigte Geld würde nicht fließen, und sie müsste weiter hier leben und hoffen, eines Tages einen standesgemäßen Gatten zu finden. Würden Ferdinand und Henriette es ihr übel nehmen? Hätte sie ohne passable Mitgift jemals die Chance auf eine anständige Partie? Oder wäre ihr Schicksal das einer alten Jungfer wie Tante Auguste, die Schwester ihrer Großmutter, die bis zu ihrem Tod ein Zimmer im zweiten Stock bewohnt und ihre Zeit mit Gobelinstickereien zugebracht hatte?
»Hier bist du«, sagte Adelheid und trat zu ihr in die Laube. »Ich dachte mir schon, dass ich dich hier finde.«
»Ach, Mama!« Nini sah ihre Mutter stirnrunzelnd an. »Kommst du, um mir gut zuzureden?«
»Ich komme, um mit dir zu sprechen«, erwiderte Adelheid. »Ich ahne doch, dass du momentan durch große Turbulenzen gehst.«
»Allerdings!« Nini lachte bitter. »Was soll ich davon halten, dass dieser Mann mich kaufen will?«
»So solltest du es vielleicht nicht sehen.«
»Aber wie sonst? Warum soll er mich sonst heiraten wollen? Er will sich nur die Anstrengung ersparen, lange um eine Frau zu werben, scheint mir.«
»Sicherlich ist es sehr überraschend«, sagte Adelheid. »Aber vielleicht weiß er einfach nicht, wie man das in unseren Kreisen macht.«
»Was meinst du damit?«
Adelheid wählte ihre Worte mit Bedacht. »Schau, dieser Herr Kemper stammt aus sehr einfachen Verhältnissen. Er ist im Haus eines jüdischen Geldverleihers aufgewachsen. Woher soll er wissen, was sich in adligen Familien schickt?«
»Das lässt sich alles lernen«, beharrte Nini. »Ich habe doch auch Benimmunterricht gehabt.«
»Du bist auch ein Mädchen aus gutem Hause, für die es solche Angebote gibt. Glaubst du, die Mamsell Britzinger hätte einen Mann in ihrer Töchterschule erlaubt?«
»Nein, sicher nicht«, musste Nini zugeben. »Aber gibt es so etwas denn nicht auch für andere Leute? Ferdinand …«
»Ferdinand hat seine Manieren bei uns gelernt«, stellte Adelheid klar. »Wenn man einmal in so einer Umgebung geboren ist, dann saugt man das von selber auf, es wird zur Selbstverständlichkeit. Jeder Adlige, der etwas auf sich hält, wird diese Umgangsformen respektieren.« Ein neuer Gedanke formte sich in ihrem Kopf. »Wer weiß, vielleicht bist du für diesen Herrn Kemper ja die Möglichkeit, endlich Zugang zu einer Gesellschaft zu erhalten, von der er bisher ausgeschlossen ist? Du bist ein Mädchen von untadeligem Ruf, aus guter Familie, mit umfassender Bildung.«
»Du meinst, er will...




