Schreiner Haus, Friedens, Bruch.
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7317-6027-6
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 248 Seiten
ISBN: 978-3-7317-6027-6
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Margit Schreiner wurde 1953 in Linz geboren. Nach längeren Aufenthalten in Tokio, Paris, Berlin, Italien und dann wieder in Linz lebt sie derzeit in Gmu?nd, Niederösterreich. Sie erhielt fu?r ihre Bu?cher zahlreiche Stipendien und Preise, u. a. den Oberösterreichischen Landeskulturpreis und den Österreichischen Wu?rdigungspreis fu?r Literatur. 2015 wurde sie mit dem Johann-Beer-Literaturpreis und dem Heinrich-Gleißner-Preis ausgezeichnet, 2016 erhielt sie den Anton-Wildgans-Preis. Mit Kein Platz mehr war sie 2018 fu?r den Österreichischen Buchpreis nominiert. www.margitschreiner.com
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II
Ich werde dem Haslinger sagen, dass er mir gemeinsam mit Schröder II Bücherregale zwischen die Holzbalken bauen soll. Durch die ganzen Schrägen in so einer Dachwohnung bedingt, kannst du keine Bücherregale aufstellen. Deshalb liegen die Bücher bei mir in Stapeln herum. Davon abgesehen, dass es nicht gut aussieht und eine unruhige Atmosphäre verbreitet, finde ich auch kein Buch mehr. Ist natürlich kein Zustand für einen Schriftsteller. Bruno ist strikt gegen eine Verbauung der hohen Wände zwischen den Holzbalken. Seit er vor sechs Jahren aus dem Haus, in dem er mit seiner fünfköpfigen Familie gelebt hat, ausgezogen ist, liebt er weiße Wände. Er sagt, weiße Wände beruhigen. Nur, die Beruhigung, die du einerseits aus dem Anblick hoher weißer Wände beziehst, verlierst du andererseits beim Anblick unsortierter Bücherstapel unweigerlich. Weiße Wände kannst du dir praktisch nur leisten, wenn du eine riesige Wohnung hast. Weil: Irgendwo musst du ja hin mit dem ganzen Krempel! Deshalb habe ich schon überlegt, die Nachbarwohnung dazuzukaufen. Einerseits ein Wahnsinn, weil ich dann, wenn Julia in ein paar Jahren auszieht, ganz allein auf hundertfünfzig Quadratmetern wohne. Einmal ganz abgesehen von dem Geld, das ich dabei verschleudere und das ich als Rücklage für den Fall brauche, dass die Schreibhemmung weiter anhält. Andererseits: Ein Schriftsteller mit Schreibhemmung kann gar nicht Platz genug haben. In der Nachbarwohnung (ich habe sie schon besichtigt) gibt es ein eigenes Schlafzimmer mit einer Tür, die ich dann nachts schließen könnte, sodass mich die Katzen nicht mehr aufwecken können. Wir könnten die Katzen natürlich auch in unserer Wohnung nachts ins Wohnzimmer sperren (da gibt es eine Glastür), aber Julia sagt, sie kommen dann in ihr Stockwerk hinauf und miauen die ganze Nacht vor ihrer Tür. Und Julias Schlaf geht vor, seit sie voriges Jahr monatelang an einer permanenten Schlaflosigkeit gelitten hat, sodass sie dann sogar einige Male tagsüber in Ohnmacht gefallen ist, weil ihr Kreislauf zusammengebrochen ist. Was meiner Meinung nach wiederum an der Überforderung liegt, denen die Jugendlichen in der Schule heute ausgesetzt sind. Das heißt, die Schule alleine würde die Jugend lichen noch nicht unbedingt so überfordern, dass sie dann an Schlaflosigkeit leiden und tagsüber in Ohnmacht fallen, aber es gibt, wie gesagt, eine Außenwelt. Und die suggeriert den Jugendlichen, dass sie sich so bald wie möglich qualifizieren müssen. Die meisten Schulen spezialisieren sich heute auch, weil sie sonst nicht mehr konkurrenzfähig wären. Nach der Unterstufe besuchen achtzig Prozent der Schüler entweder einen Musik- oder einen Grafik- oder einen Sport- oder einen Informatikzweig. Und so weiter. Wenn sie dann, wie gesagt, noch irgendwelche Hobbys haben oder sich verlieben, kommt es zum Kollaps. Weil das Verlieben ist auch wieder ein sehr aufwendiger Prozess. Da bist du konfrontiert mit den verschiedensten Charakteren und Lebensauffassungen. Der eine singt, der andere hat Prinzipien, wieder ein anderer ist Extremsportler, der vierte macht grundsätzlich keine Hausaufgaben, der fünfte ist schon dreimal sitzen geblieben. Das sind alles Lebensmodelle, mit denen du dich als Jugendlicher auseinandersetzen musst, das bringt dein ganzes Leben durcheinander. Neuorientierung und so weiter. Zeitraubend jedenfalls. Und das bei einer Schularbeit und einem Test pro Woche. Manchmal sitze ich an meinem Schreibtisch und bin ganz erschöpft von den Gedanken an die vielen Schularbeiten und Tests, die Julia in diesem Semester bevorstehen.
Maria sagt, ich bin invasiv. Ganz schlecht für den Jugendlichen. Vielleicht das schlechteste überhaupt. Da hat Maria hundertprozentig recht. Bruno sagt: loslassen. Andererseits hat er zeitweise seine eigenen Kinder so losgelassen, dass er nicht einmal mehr wusste, ob sie noch die Schule besuchten oder nicht. Da komme ich wieder auf die immanenten Erziehungswidersprüche zurück: reden, schweigen, informieren, loslassen, Grenzen setzen und so weiter und so fort. Da hilft dir auch der blödsinnige Spruch nicht viel weiter: Zu wenig und zu viel ist des Narren Ziel. Weil: Was ist zu wenig und was zu viel? Maria sagt, es geht darum, den Jugendlichen nicht von innen her mitzudenken. Aber Maria hat gut reden. Zuerst ist sie mit den allerschlimmsten Scheidungsfällen und in der Folge mit den daraus resultierenden Verhaltensstörungen, Verweigerungshaltungen der Jugendlichen konfrontiert, da musst du dich natürlich hineindenken, weil wo willst du sonst ansetzen, dann aber geht sie abends nach Hause und ist die Probleme wieder los, während ich die ganze Zeit mitten in den Problemen lebe. Deshalb auch die Idee mit der Nachbarwohnung. Man müsste natürlich durchbrechen, weil sonst kann ich ohnehin gleich ausziehen. Auch darüber werde ich mit dem Haslinger sprechen, der bei Linde im Haus schon so und so viele Wände durchgebrochen hat, seit die Kinder ausgezogen beziehungsweise später mit Lebensgefährten wieder eingezogen sind und ausgebaut haben. Linde hat übrigens seit neuestem auch einen Bandscheibenvorfall. Sie war fast zwanzig Jahre lang Alleinerzieherin, seit ihr Mann mit knapp dreißig Jahren beim Tennisspielen umgefallen ist und tot war. Linde hat drei Kinder alleine aufgezogen und von ihrem bescheidenen Einkommen ernährt. Durch Linde habe ich auch Haslinger und Schröder II kennengelernt. Auch die nette neue Putzfrau hat mir die Linde vermittelt. Linde sagt, sie hatte eine Zeit, da konnte sie nicht Auto fahren, weil sie immer Angst hatte, während des Autofahrens ohnmächtig zu werden. Eine alte Freundin von mir, Annemarie, hatte dagegen lange Zeit Angst, nicht in Ohnmacht fallen zu können. Ich habe das damals insgeheim immer für reichlich überdreht und hysterisch gehalten (da war ich noch jung und habe schnell über andere geurteilt), aber seit sie mit ihrem späteren Mann und dessen drei Kindern aus erster Ehe und den beiden gemeinsamen Kindern nach Israel ausgewandert ist und dort vor drei Jahren von dem jüngsten Sohn ihres Mannes aus erster Ehe, einem sogenannten Problemkind mit Drogen problemen, im Beisein der beiden gemeinsamen Kinder zusammen mit ihrem Mann erstochen worden ist, denke ich manchmal, es war vielleicht eine Art Vorahnung. Aber auch da muss ich vorsichtig sein. Ich neige dazu, eigene Ängste und Phobien als Vorahnungen zu klassifizieren. Oft denke ich, ich habe längst eine töd liche Krankheit in mir. Andererseits: Wir alle haben längst unsere tödliche Krankheit in uns.
Amelie ist mit ihrem esoterischen Buddhismus natürlich davon ausgegangen, dass jede Gewalttat ausstrahlt, beziehungsweise dass es kein Zufall ist, wenn du jemanden kennst, der gewaltsam zu Tode gekommen ist, weil es für sie sowieso keinen Zufall gegeben hat, sondern bloß ein Karma. Und ich muss sagen: Die Sache mit dem Karma ist mir mehr und mehr auf die Nerven gegangen. Besonders als Solange mir erklärt hat, dass du mit einem schlechten Karma in Afrika als Negerbaby wiedergeboren wirst. Das ist mir dann noch schlimmer vorgekommen als die Psychoanalyse, in der der Embryo laut Nabokov aus seinem sicheren Versteck im Bauch der Mutter heraus das Liebesleben seiner Eltern bespitzelt. Ich meine: Das ist ja weltweite pränatale Bespitzelung mit rassistischem Hintergrund. Ich fand es auch Annemarie gegenüber ungerecht, dass sie, nur weil sie Angst gehabt hat, nicht in Ohnmacht fallen zu können, gleich die Gewalt angezogen haben soll. Solange ist die Tochter von Amelie. Am Anfang hat Amelie sie noch ganz herausgelassen aus dem Buddhismus, aber dann hat sie Solange mehr und mehr mitgenommen zu den buddhistischen Treffen, und meiner Meinung nach hat das Solange geschadet. Weil gleichzeitig hat Solange nämlich schon als kleines Kind zu viel ferngesehen, und wenn du all diese wahnsinnigen Serien anschaust und gleichzeitig Buddhist bist, dann drehst du natürlich durch auf Dauer. Ich glaube, die Jahre mit Amelie und Solange haben mir auch gewaltig zugesetzt. Nervlich. Anfangs war es noch nicht so schlimm mit dem Buddhismus, ich dachte mir noch: eine ganz vernünftige Religion. Ich meine, wenn man überhaupt religiös ist. Der Buddhismus ist mir ganz lebenspraktisch vorgekommen, zumindest was ich halt so nebenbei mitbekommen habe. Amelie hat immer Verbeugungen gemacht nach der Arbeit zu Hause, das erschien mir ein gutes Training für ihre Wirbelsäule. Und auch die Sache mit dem Bodhisattva war nicht so schlecht. Amelie ist ungemein hilfsbereit. Wenn du irgendwelche Probleme hast, lässt Amelie alles liegen und stehen und hilft dir. Das kann natürlich auch zur Belastung werden. Ich meine, wenn du gar keine Hilfe willst. Da stehst du dann leicht als stur und unbeweglich da. Als ich vor vier Jahren den Bandscheibenvorfall hatte, da habe ich manchmal schon gar nicht mehr das Telefon abgehoben oder die Tür geöffnet, weil ich Angst hatte, Amelie kommt wieder und strömt mich. Strömen ist eine Heilmethode durch den Energiefluss. Der Strömer hält bestimmte Körperpunkte fest, sagen wir jetzt einmal, rechte Hand am Hals und linke auf der Fußsohle, und in dieser Haltung verharrt er viele Stunden, um dir zu helfen. Du selbst liegst natürlich auch relativ unbequem da, und wenn du nicht der Typ bist, der stundenlang ganz nah mit einer anderen Person verbringen will, die dich hält, dann bist du nach so einer Sitzung fix und fertig. Das konnte ich Amelie aber irgendwie nicht so richtig begreiflich machen. Vor allem, weil es ja undankbar von mir gewesen wäre, ihre Hilfe zurückzuweisen. Bruno sagt immer, du musst dich abgrenzen. Aber genau da kommen bei mir wieder die Tatsache, dass ich eine Frau bin, mit der, dass ich Schriftsteller bin, zusammen. Als Frau fühlst du dich quasi automatisch in alles Mögliche hinein und als Schriftsteller natürlich...