Schott | Corona und was die Seuchengeschichte lehrt | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Schott Corona und was die Seuchengeschichte lehrt

Essay
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7526-7856-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Essay

E-Book, Deutsch, 100 Seiten

ISBN: 978-3-7526-7856-7
Verlag: BoD - Books on Demand
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Dieser Essay gibt fragmentarische Einblicke in die Seuchengeschichte und schildert die persönlichen Erfahrungen und Überlegungen des Autors in der Corona-Krise. Der Blick in die Vergangenheit erweist sich als hilfreich, um die gegenwärtige Gemengelage besser einschätzen zu können.

Heinz Schott, Dr.med. Dr.phil., emeritierter Professor für Geschichte der Medizin, leitete von 1987 bis 2016 das Medizinhistorische Institut der Universität Bonn.

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PANORAMA DER SEUCHEN –
EIN HISTORISCHER SCHATTENRISS
Mein Panorama der Seuchen berücksichtigt acht epidemische Infektionskrankheiten, die in Medizin- und Kulturgeschichte eine markante Rolle spielen: Lepra, Pest, Syphilis, Pocken, Cholera, Tuberkulose, Influenza und AIDS. In ihm spiegeln sich Menschheitserfahrungen, die unvergesslich sind und in unsere Gegenwart hereinragen. Nicht nur Literatur und Kunst, auch Rituale und Feste, Baudenkmäler und Monumente bezeugen, wie stark Seuchen unsere Kultur beeindruckt haben. So verweisen Namen wie Gutleuthofweg, Melaten-Friedhof oder Siechhaus an die Lepra. St. Rochus- und St. Sebastian-Kirchen sind den Pestheiligen gewidmet, prachtvolle Pestsäulen aus der Barockzeit erinnern vor allem in Bayern an das Erlöschen der Seuche. Die Syphilis wurde von Literaten wie Voltaire oder Thomas Mann dichterisch dargestellt. Merkwürdigerweise hinterließen die Pocken relativ wenig kulturhistorische Zeugnisse. Immerhin zeichnen sich in Beethovens Gesichtsmaske von 1812 Pockennarben ab. Hierzulande wenig bekannt ist der Arzt Otto Gottlieb Mohnike (18141887), der als erster in Japan erfolgreich die Pockenschutzimpfung durchführte und dort bis heute verehrt wird: Im Jahr 2000 wurde die verwitterte Platte seines Grabes auf dem Alten Friedhof in Bonn durch eine medizinische Fachgesellschaft aus Japan restauriert und feierlich eingeweiht. Die Cholera ist relativ häufig in der Belletristik sowie in Gemälden und Karikaturen dargestellt worden. Das bedeutendste Denkmal zur Erinnerung an Cholera-Opfer befindet sich im Innenhof des Hamburger Rathauses: der Hygieia-Brunnen, 1895/96 erbaut zum Gedenken an die Epidemie von 1892. Die Tuberkulose, die im 19. Jahrhundert eher als chronisch verlaufende Volkskrankheit denn als epidemische Infektionskrankheit imponierte, ist im kulturellen Gedächtnis besonders präsent. Sie ist in Literatur, Musik (Oper) und Bildender Kunst häufig thematisiert worden. Die Blütezeit der Lungensanatorien und Luftkuren vor 100 Jahren, wie im Zauberberg-Roman von Thomas Mann vorgestellt, klingt bis heute nach. Demgegenüber wurde die verheerende Influenza-Pandemie von 1918/19, die Spanische Grippe, weitgehend aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt. Obwohl weitaus mehr Menschen der Pandemie als den Kriegshandlungen selbst zum Opfer fielen, verdecken die Kriegerdenkmäler für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges bis heute ein mögliches Gedenken an die Opfer der Influenza, darunter berühmte Zeitgenossen wie Max Weber und Egon Schiele. Schlagartig rückte mit Ausbruch der Corona-Pandemie die Spanische Grippe als (vermeintlich) vergleichbare Seuche ins öffentliche Rampenlicht. Obwohl alle genannten Seuchen mit Ausnahme der Pocken heute noch vorkommen und zum Teil große Probleme aufwerfen, ist keine im öffentlichen Bewusstsein so gegenwärtig wie AIDS, was sich in populären Aktionen zu Prävention und Therapie niederschlägt. Hier wäre vor allem die 1987 gegründete Deutsche AIDS-Stiftung zu nennen. An zahlreichen Orten im In- und Ausland gibt es heute AIDS-Denkmäler. Seuchenerfahrungen kristallisieren sich im kollektiven Gedächtnis – oder, um eine anderes Bild zu benutzen: formieren sich imaginär zu einem Gebirgszug mit unterschiedlich gestalteten Gipfeln, dessen Konturen sich am Horizont abzeichnen. Wie wird sich die gegenwärtige Corona-Pandemie in dieses Bild einfügen? Inwieweit wird sie das Panorama der Seuchen verändern? Letzteres wollen wir zunächst in einem »Schattenriss« skizzieren, bevor ich vor diesem Hintergrund meine persönlichen Eindrücke im zweiten Teil des Essays schildern möchte. Lepra, »Aussatz«
Die Bezeichnung »Aussatz« umfasste im Mittelalter nicht nur die Lepra in unserem heutigen Verständnis, sondern alle möglichen Krankheiten, die sich mehr oder weniger massiv auf der Haut niederschlugen und zu entstellenden Schäden führen konnten. Der abstoßende Anblick der Aussätzigen, von denen offenbar eine Ansteckungsgefahr ausging, führte zu ihrer »Aussetzung«, d. h. zu ihrer Ausgliederung aus der Gemeinschaft. Als Ausgestoßener verlor der Lepröse seine angestammten Rechte. Seine sozialen Kontakte wurden weitgehend unterbunden. Lange Zeit durften alleinstehende Leprakranke nicht heiraten und unverheiratete mussten ihre Familien verlassen. Sogar die Totenmesse wurde für sie gelesen, denn sie galten gesellschaftlich als tot, obwohl sie ja woanders weiterlebten. Eine Reihe von »Lepra-Vorschriften« legte die rituelle Form dieser Ausgliederung fest. So mussten sich Lepröse durch besondere Kleidung zu erkennen geben, Handschuhe tragen, um körperliche Berührungen zu vermeiden und ihre Annäherung u. a. durch Klappern ankündigen. Neben dem diätetischen Erklärungsversuch, Lepra sei auf den Genuss von verdorbenem Wein oder schlechtem Schweinefleisch zurückzuführen, überwog im frühen und hohen Mittelalter die religiöse Vorstellung, dass sie die Strafe für ein sündhaftes Leben sei. Der Kranke galt zunächst als unrein und gefährlich und war aus der Gemeinschaft auszuschließen. Als auch Kreuzfahrern an Aussatz erkrankten, wurde die Lepra weniger als Folge der Sünde, denn als eine »heilige Krankheit« aufgefasst. Den Kranken sollte nun in christlicher Nächstenliebe geholfen werden. Die Totenmesse für die Leprösen wurde abgeschafft, und das dritte Laterankonzil beschloss 1179, dass Lepra kein Scheidungsgrund mehr sei. Der um 1120 in Jerusalem gegründete St.-Lazarus-Orden befasste sich speziell mit der Pflege von Aussätzigen in »Lazaretten«. Im hohen Mittelalter wurden europaweit in großer Zahl besondere Häuser (Leprosorien, Leprahäuser) für die Aussätzigen gebaut. So bildeten sich klosterähnliche Gütergemeinschaften, die aus ihrer Mitte einen Leprosen-Meister wählten. Die Leprosenordnung schrieb Gleichheit von Verpflegung und Kleidung vor. Das Auftreten von Lepra war im Mittelalter meldepflichtig. Zuständig war zumeist der Pfarrer, dem bei Unterlassung der Meldung binnen einer festgesetzten Frist (sechs Wochen) die Exkommunikation drohte. Diagnostisch beschrieben wurden die Symptome der Lepra – im Mittelalter auch als »Miselsucht« oder »Misel« (von lat. misellus = arm, elend) bezeichnet – gemäß den Regularien der »Lepraschau« ab dem 12./13. Jahrhundert. Mutmaßlich Erkrankte wurden vor der Aufnahme in ein Leprosorium von einer Kommission von Ärzten und Chirurgen »besehen«, die in der Regel offiziell von den jeweiligen Stadträten eingesetzt wurde. Diese »Lepraschau« glich einem Gerichtsprozess. Die betreffende Person wurde vorgeladen, untersucht und be- bzw. verurteilt. Wurde sie für krank befunden, wies man sie in ein Siechenhaus ein; war sie »rein« oder »unschuldig«, so wurde sie freigesprochen. In Zweifelsfällen erfolgte eine erneute Vorladung. Das Urteil wurde in einer Urkunde niedergelegt, die beim Eintritt ins Leprahaus vorzulegen war. Insbesondere im späten Mittelalter sollte dieses Dokument verhindern, das vagabundierende Arme in den Leprahäusern Unterschlupf und Verpflegung fanden. Die Krankheitszeichen, die bei der Lepraschau beachtet werden mussten, waren in speziellen Katalogen aufgeführt: u. a. harte und gehöckerte Muskeln; ausgetrocknete Haut; Haarausfall; Muskelschwund; Unempfindlichkeit und Krämpfe; Hautausschläge (Krätze, Schuppen, Geschwüre). Die bekannteste Darstellung eines Aussätzigen findet sich im Alten Testament im Buch Hiob – eine Thematik, die in der Literatur- und Kunstgeschichte vielfach bearbeitet worden ist. So schilderte der mittelhochdeutsche Autor Hartmann von Aue in seinem Versepos »Der arme Heinrich« das Schicksal eines an Aussatz erkrankten Ritters. Der Aussätzige, der wegen seiner abstoßenden Erscheinung aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden ist, versucht mit Hilfe der Ärzte, Gesundheit und Ansehen (»êre«) wiederzuerlangen. Er reist zu den Hochburgen der Medizin seiner Zeit: Montpellier und Salerno. Doch nur ein Mediziner in Salerno kann ihm Hoffnung machen: Wenn »Gott wollte der Arzt sein«, dann könne Heinrich das Blut aus dem Herzen einer Jungfrau retten. Die Frau müsse im heiratsfähigen Alter sein und sich freiwillig opfern. Schließlich ist eine Bauerntochter dazu bereit, sich für ihn töten zu lassen. Zusammen reisen sie nach Salerno. Doch als Heinrich sie nackt und gefesselt auf dem Tisch des Arztes liegen sieht, ist der Ritter von der Schönheit des Mädchens so beeindruckt, dass er ihr Opfer zurückweist und sein Leiden akzeptiert. Daraufhin macht Gott ihn gesund, der Ritter und das Mädchen heiraten. Die Schilderung des tugendhaften Verhaltens des »armen Heinrichs« und des Bauernmädchens sollte dem Adel ein Vorbild geben. Das frische Herzblut einer Jungfrau als Heilmittel verweist auf eine traditionelle magische Heilmethode, wodurch Lebenskraft von einem besonders vitalen Lebewesen auf eine kranke Person übertragen werden kann. Bereits in der Antike galt frisches Menschenblut als Heilmittel. So empfahl der...



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