E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Schönherr-Mann Hans Küngs Projekt Weltethos als politische Ethik
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7597-5609-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-7597-5609-1
Verlag: BoD - Books on Demand
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Das 'Projekt Weltethos' hatte an seinen Anfängen primär einen ökumenischen Sinn und wollte zum Frieden zwischen den Religionen beitragen, als sich religiöse Konflikte wieder verschärften. Die 'Weltethos-Erklärung' des Parlaments der Weltreligionen 1993 beruht auf den ethischen Gemeinsamkeiten der Weltreligionen. Ähnliches lässt sich auch für die Philosophie bemerken. Der philosophischen Ethik in demokratischer Perspektive geht es um die Vermittlung von Konflikten, beispielsweise zwischen Staat und Individuum. Im 20. Jahrhundert fordern viele Menschen Mündigkeit und politische Teilhabe ein und bestimmen ihre ethischen Orientierungen selbst. Wenn viele dabei ähnlichen Grundwerten folgen, erhält das Weltethos ein lebendiges Fundament. Das Weltethos avanciert dadurch zu einem einflussreichen Projekt der politischen Ethik.
Professor für politische Philosophie an der Universität München, lehrt auch an der Universität Innsbruck Philosophie der Bildung. Buchpublikationen: Staat und Kriegsmaschine, Nomos 2023; Hannah Arendt - Vom gefährlichen Denken, Wiesbaden 2023; Gesicht und Gerechtigkeit, Innsbruck 2021; Nietzsche, Wiesbaden 2020; Dekonstruktion und Gerechtigkeit, Nomos 2019; Über die Ökologisierung der Welt, Berlin 2015; Was ist politische Philosophie? Frankfurt, New York 2012; Die Macht der Verantwortung, Freiburg 2010; Der Übermensch als Lebenskünstlerin, Berlin 2009; Miteinander leben lernen - Die Philosophie und der Kampf der Kulturen, München 2008; Hannah Arendt - Wahrheit, Macht, Moral, München 2006; Auf der Spur des verlorenen Gottes, Freiburg 2003; Die Technik und die Schwäche, Wien 1989; Von der Schwierigkeit, Natur zu verstehen - Entwurf einer negativen Ökologie, Frankfurt am Main 1989.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
I. KAPITEL
WELTETHOS ALS GLOBALE ETHIK
„Wir müssen doch miteinander leben lernen!“3 Dieser Satz Hans-Georg Gadamers avanciert zum Leitmotiv einer Philosophie des gegenseitigen Verstehens im Zeitalter der Globalisierung, wenn die Kulturen zusammenrücken und dabei drohen aufeinander zu prallen, weil Technologien, Ökonomie und Politik den Planeten umgreifen. Man mag sich lokal immer noch an vielen Orten der Welt um einheitliche Nationen und Religionen bemühen, tendenziell breiten sich indes durch weltweite Migrationsbewegungen und globale Kommunikation überall pluralistische Strukturen aus, d.h. ethnisch oder religiös homogene Staaten transformieren sich langsam in pluralistische. Doch dadurch prallen Kulturen unmittelbar, offen und überall aufeinander und nicht mehr nur an ihren Außengrenzen, sondern vor Ort in Marseille, Abuja, Mumbai. Kriegs- und Terrorszenarien nicht endender Konflikte stellen keine apokalyptische Drohung mehr dar, wenn Samuel Huntington den Zusammenprall der Kulturen prognostiziert. Apokalypsen sollen ja gar nicht eintreten, sondern deren Androhung soll allein schon das Handeln der Zeitgenossen ändern. Ob am 11. September 2001, im heutigen Afghanistan oder in den vorderorientalischen Kriegen realisiert sich Huntingtons Vision. Dabei träumen die Kriegsparteien natürlich noch vom Sieg, der indes für alle Beteiligten in immer weitere Ferne rückt. Mit diesem Clash of Civilizations kehren die europäischen Religionskriege des 17. Jahrhundert global wieder und verschärfen sich durch das weltweite Erstarken von nationalistischen Parteien und totalitär werdenden Staaten, die ihre innere Stabilität häufig durch Kriege herstellen. Allzu sehr verwundern sollte das nicht, waren die Lehren aus den Religionskriegen rund 100 Jahre später längst vergessen. Weite Teile der modernen Kultur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert setzen große Hoffnungen auf den Krieg, der nicht mehr die ungläubigen Teufel besiegen, sondern den Fortschritt beschleunigen soll: die Ausbreitung der Menschenrechte durch Napoleon, die Einigung der Nationen, der Aufbau kolonialer Reiche, der revolutionäre Fortschritt zum Sozialismus, eine rassistische Vormachtstellung oder deren Bekämpfung als Krieg aus humanitären Zwecken. Alles das entspringt der romantischen Kriegsbegeisterung. Europa exportierte dieses Denken in diesen Jahrhunderten auch fleißig in alle Erdteile, so dass dort viele Menschen im antikolonialistischen Krieg eine schöpferische Kraft erkannten. Gelegentlich mag man ja überschaubare Ziele durch Kriegführung erreichen. Der globale Konflikt zwischen Kulturen, Religionen, Weltanschauungen, verquickt mit Nationen und ökonomischen Machtzentrum lässt sich jenseits eines bloßen Waffenstillstands dagegen nur friedlich ausgleichen, wenn einerseits ein Kriegspotential mit schauerlichen Zerstörungen und schier unerschöpflichen Vorräten droht, und andererseits missionarischer Eifer wie ideologische Verbohrtheit Kriege ins Unendliche verlängern. Immerhin hat sich die Sowjetunion ohne großen Krieg aufgelöst: der größte Glücksfall der bisherigen Geschichte oder hatte sie diese Lektion gelernt? Denn im anderen Fall hätte ein globaler Atomkrieg stattgefunden. Atomkriege lassen sich nicht geplant führen, sondern produzieren umfassende Katastrophen, gleichgültig wie sie ausgehen. Oder hat Leo Strauss recht, wenn er 1953 über das klassische Naturrecht und Aristoteles schreibt: „Eine wohlgesittete Gemeinschaft wird nicht in den Krieg ziehen, es sei denn, es handele sich um eine gerechte Sache. Was sie aber während eines Krieges tun wird, das hängt bis zu einem gewissen Grad von dem ab, was ihr der Feind – möglicherweise ein absolut gewissenloser und barbarischer Feind – zu tun aufzwingt.“4 Den Frieden herzustellen und zu sichern, stellt sich trotzdem im 21. Jahrhundert als vordringliche Aufgabe natürlich primär der Politik, der Wirtschaft und sozialen Kräften. Zudem sehen sich die Akteure auch vor eminenten ökologischen, technologischen und ökonomischen Herausforderungen, die zu einem großen Teil durch internationale Kooperation angegangen werden müssen – sei es die globale Armutsbekämpfung oder die Klimaerwärmung. Können religiöse, wissenschaftliche, philosophische oder künstlerische Kräfte zu einer Suche nach Frieden etwas beitragen? Das versteht sich keineswegs von selbst. Generell entfaltet das Denken ein Reflexionspotential, das in vielfältiger Hinsicht Perspektiven aufzeigt, die zu einer Befriedung beitragen, beispielsweise Wirtschaftsmodelle, wie man die Armut bekämpft, Vorschläge für umweltfreundliche Technologien oder um die Entwicklung von Ländern zu befördern, Visionen globaler Kommunikation, oder selbstkritische Potentiale des Denkens, die die Kriegslust bremsen und die die Bereitschaft zum Frieden und zur Kooperation fördern. Dazu gehören auch ethische Konzepte, die das gegenseitige Vertrauen und die gegenseitige Rücksichtnahme stärken sollten, damit man Konflikte nicht mit Waffengewalt, sondern friedlich, also kommunikativ angeht. 1. Die Ethik als friedenstiftende Kraft Es ist speziell für die Philosophie, die sich ja lange überlegen dünkte, wenig schmeichelhaft, dass das größte und offenbar wirkungsmächtigste geistige Projekt in dieser Richtung nicht philosophischen Bemühungen entspringt, sondern dem Engagement des Theologen Hans Küng und der Stiftung Weltethos. Hans Küng publizierte 1990 sein Buch Projekt Weltethos, das davon ausgeht, dass die Weltreligionen gar nicht so unterschiedliche Grundwerte vertreten. Derartige Gemeinsamkeiten festzustellen und festzuschreiben, soll ein globales Ethos fixieren, das wesentlich zu einem friedlichen Umgang der Weltreligionen beiträgt, die sich ja ansonsten häufig massiv bekämpfen. Küng schreibt: „Diese eine Welt braucht das eine Grundethos; diese eine Weltgesellschaft braucht gewiss keine Einheitsreligion und Einheitsideologie, (. . .).“5 Hans Küng gelang es damit, das Parlament der Weltreligionen 1993 zu einer gemeinsamen Erklärung der Grundsätze eines Weltethos zu bewegen. In ihr heißt es: „Wir bekräftigen, dass es bereits einen Konsens unter den Religionen gibt, der die Grundlage für ein Weltethos bilden kann.“6 Damit erhält das Weltethos zwar einen religiösen Hintergrund, aus dem heraus es sich entbirgt, eben aus ähnlichen oder parallelen Normen und Werten der verschiedenen Weltreligionen, die in der Weltethos-Erklärung fokussiert und zusammengefasst werden. Ein zentrales Ziel des Projekts Weltethos stellt ja auch der Frieden zwischen den Religionen dar. Zugleich aber verdankt es sich gerade daher keiner bestimmten Religion, besitzt vielmehr einen interreligiösen Charakter, der es auch für säkulare Kreise attraktiv machen kann. Auch die zwischenzeitlich in vielen Ländern aufgestellte Stiftung Weltethos erhebt zu ihrem Programmpunkt, dass „kein globales Ethos ohne Bewusstseinswandel von Religiösen und Nichtreligiösen“7 möglich ist. Ein vom Ansatz her vergleichbares Konzept entwickelt innerhalb der Philosophie nur John Rawls in seiner politischen Philosophie der achtziger, neunziger Jahre, das er auch auf die Weltpolitik überträgt. Doch zunächst geht er von einer innenpolitischen Situation aus, in der zwar vielleicht die politischen Ideologien niedergehen, doch die Religionen wiederkehren. Wie bringt man Weltanschauungen in US-amerikanischer Verfassungstradition dazu, sich auf einen Konsens über die politische Grundstruktur einzulassen, der unabhängig von den jeweiligen religiösen Vorstellungen entwickelt wird? Wie gelangt man zu einem übergreifenden Konsens, der sich auf keine Weltanschauung stützt und die Grundprinzipien einer fairen gerechten Grundordnung sichert? Rawls schreibt: „Eine praktikable Konzeption politischer Gerechtigkeit (. . .) muss der Verschiedenheit der Weltanschauungen und der Vielfalt miteinander konkurrierender und inkommensurabler Konzeptionen des Guten gerecht werden, wie sie von den Mitgliedern bestehender demokratischer Gesellschaften vertreten werden.“8 Trump und seine Anhänger gehören offensichtlich nicht dazu. Im Gegensatz zu Küng fragt Rawls nicht nach den gemeinsamen Werten, gar gemeinsamen ethischen Vorstellungen vom Guten, die den Weltanschauungen inhärent sind, sondern nach Prinzipien der Gerechtigkeit, die man von solchen Vorstellungen unabhängig konstruiert und auf die sich diese Weltanschauungen einlassen sollen. Die verschiedenen Weltanschauungen haben dabei den Vorteil, dass ihre jeweiligen Wertvorstellungen vom Guten erhalten bleiben, aber den Nachteil dass diese dann in politischen Fragen keine fundamentale Rolle mehr spielen dürfen. Vergleichbar mit der Konzeption des Weltethos erscheint der übergreifende Konsens insoweit, wie sich die verschiedenen Weltanschauungen auf ihn nicht nur freiwillig einlassen, sondern diesen Konsens als so notwendig wie sinnvoll akzeptieren. Sie betrachten ihn nicht als unvermeidbares Übel oder gar als...