E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Schöne Mona Lisa stirbt im Rheingau
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8271-8363-7
Verlag: CW Niemeyer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Rhein-Main-Krimi
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
ISBN: 978-3-8271-8363-7
Verlag: CW Niemeyer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lothar Schöne, geb. in Herrnhut, arbeitete als Journalist, Hochschullehrer, Drehbuchautor und veröffentlichte Romane, Erzählungen und Sachbücher. Er erhielt eine Reihe von Preisen und Auszeichnungen, unter anderem das Villa-Massimo-Stipendium in Rom, den Stadtschreiber-Preis von Klagenfurt/Österreich und den von Erfurt, den Literaturpreis der Stadt Offenbach a.M., zuletzt 2015 den Kulturpreis des Rheingau-Taunus-Kreises. Sein Roman 'Der blaue Geschmack der Welt' wurde von den Lesern der Tageszeitung 'Die Welt' zum 'Buch des Jahres' gekürt, der Roman 'Das jüdische Begräbnis' in sechs Sprachen übersetzt. Derzeit wird die Verfilmung vorbereitet.
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2 Das klingenlippige Ungeheuer
Als Kommissar Spyridakis am nächsten Morgen im Polizeipräsidium eintraf, näherte sich ihm der diensthabende Beamte mit dem Namen Schuster und teilte mit gefurchter Stirn mit: „Ich habe Sie vergangene Nacht angerufen …“
Vlassi unterbrach ihn: „Warum mich? In der Nacht bin ich sakrosankt!“
„Frau Wunder habe ich auch angerufen, aber die konnte ich ebenfalls nicht erreichen“, erwiderte der Kollege und wirkte jetzt missgelaunt.
„Daraus können Sie etwas lernen, Herr Schuster, die Nacht gehört zum Feierabend, sie ist die Verlängerung desselben und gewissermaßen heilig für uns Kripoleute.“
Der Kollege Schuster erkannte, dass es keinen Sinn hatte, mit Kommissar Spyridakis weiter über sein vergebliches Telefonat zu diskutieren, deshalb teilte er jetzt mit: „Wie Sie meinen. Ihre Chefin wird Ihnen erzählen, worum es geht.“
Als Vlassi ins Dienstzimmer trat, schien ihn Hauptkommissarin Julia Wunder schon zu erwarten.
„Sie kommen spät, Herr Wunder. Wir müssen gleich los. In der Rhein-Main-Hochschule gibt es offenbar einen Toten.“
„Der Kollege Schuster sagte mir gerade an der Pforte, dass er Sie schon gestern Abend angerufen, aber leider nicht erreicht hat“, erwiderte Vlassi.
„Ich war im Theater, hab’ mein Smartphone abgestellt und vergessen, es wieder anzustellen. Aber Sie hätte er doch erreichen müssen.“
„Diensteifrig, wie ich bin, wäre ich natürlich drangegangen“, log Vlassi, „aber um diese Zeit liege ich im Bett bei Carola.“ Und er fügte bedauernd hinzu: „In tiefem Schlaf. In so tiefem Schlaf, dass mich nicht einmal ein Sambarhythmus daraus hervorlocken kann.“
Julia sah ihn skeptisch an, streifte ihren Regenmantel über und setzte ihren blauen Afidora-Hut auf. Sie eilte wortlos aus dem Zimmer, und Vlassi beeilte sich, ihr hinterherzuhechten.
Die Hochschule im Kurt-Schumacher-Ring hatten sie mit dem Auto schnell erreicht. Julia fuhr in die Tiefgarage, und sie nahmen den Aufgang nach oben. In der Lobby standen einige Leute, die sie offenbar schon erwarteten. Julia Wunder wandte sich an den Nächststehenden, stellte sich kurz vor, worauf dieser sie an einen anderen Herrn in der Nähe verwies: „Sie sprechen am besten mit dem Präsidenten unserer Hochschule.“
Der Angesprochene kam auch gleich näher: „Sie sind von der Kripo, ja?“
Kommissarin Wunder bejahte, nannte nochmals ihren Namen und stellte den hinter ihr stehenden Kommissar Spyridakis vor.
„Mein Name ist Schüttler, Professor Schüttler, ich bin der Präsident dieser Hochschule“, teilte der Nähergekommene mit ernster Stimme mit.
Schüttler war ein mittelgroßer Mann von Ende vierzig. Eine Halbglatze zierte seinen Kopf, er trug einen Dreitagebart, und seine Nase war viel zu kurz für sein flächiges Gesicht. Julia musterte ihn und dachte bei sich, dass Schüttler wahrscheinlich durch seinen angedeuteten Bart seine Jungenhaftigkeit verstecken wollte. Laut aber sagte sie: „Was ist passiert, Herr Professor Schüttler?“
„Kommen Sie bitte mit, wir haben alles so gelassen, wie es Herr Wöbbeking vorgefunden hat.“
Schüttler ging voraus, Julia und Vlassi folgten ihm, und Vlassi fragte von hinten: „Wer ist Herr Wöbbeking?“
„Unser Nachtbediensteter.“
Wie fein der sich ausdrückt, dachte Vlassi, er könnte doch auch Nachtwächter sagen, schloss zu ihm auf und fragte: „Einen Tagesbediensteten haben Sie nicht?“
„Sie wissen vermutlich nicht, wie schwer es ist, Personal zu finden“, erklärte Schüttler im Gehen, „ja, wir suchen auch einen Tageshausmeister, finden aber keinen. Und Herr Wöbbeking, dem ich die Stelle angeboten habe, will nicht. Das übersteige seine Kräfte, außerdem sei er ein Nachtmensch.“
Sie kamen zum Hörsaal 3, dessen Eingang geschlossen war. Professor Schüttler öffnete die Tür, und sie traten ein. Was Frau Wunder und Herr Spyridakis sahen, war gruselig. An der großen elektrischen Tafel vorn hing eine Frau. Vlassi ging näher und teilte mit: „Sie ist tot.“
„Ja“, sagte Präsident Schüttler von hinten, „deshalb haben wir Sie geholt. Unser Herr Wöbbeking hat das in der Nacht auch schon festgestellt.“
„Vielleicht war die Frau da aber noch lebendig“, mutmaßte Vlassi, „ist Herr Wöbbeking denn ein Forensiker?“
„Sie können mit ihm selbst sprechen, ich hab’ ihn gebeten hierzubleiben“, erwiderte Schüttler.
„Wer ist die Tote denn?“, fragte Julia.
„Es handelt sich um Frau Professor Köckel-Simons“, antwortete der Präsident.
Julia nickte: „Aha. Also, dann holen Sie bitte Herrn Wöbbeking.“
Schüttler verließ den kleinen Hörsaal, und Julia Wunder deutete auf einen Diaprojektor, der vor sich hin summte: „Hier sind offenbar Bilder gezeigt worden, was uns einen ersten Hinweis gibt, Herr Spyridakis. Welchen?“
„Welchen?“, überlegte Vlassi laut. „Es kann nur etwas zu tun haben mit der Tätigkeit, die die aufgehängte Dame hier ausübte.“
„Sehr richtig, aber warum sehen wir nichts auf der Leinwand?“
„So ein Diaprojektor macht auch mal Feierabend“, antwortete Vlassi, „und dann summt er eben nur so im Halbschlaf vor sich hin.“
Die Tür öffnete sich, und Schüttler kam mit dem Nachtportier herein.
„Herr Wöbbeking“, stellte er ihn vor, „er hat Frau Professor Köckel-Simons gefunden.“
Wöbbeking fing sofort zu sprechen an: „Ich hab’ nichts angerührt, weder die Professorin noch den Projektor oder sonst was. Ich weiß, was sich gehört. Sehe alle Tatorte im Fernsehen.“
„Natürlich, natürlich“, beschwichtigte Hauptkommissarin Wunder, „Sie haben alles so gelassen, wie wir es jetzt sehen?“
Wöbbeking nickte, und Präsident Schüttler fügte an: „Er hat bei mir angerufen und auf Band gesprochen.“
„Waren Sie denn nicht daheim?“, fragte Julia.
„Doch, doch, aber auch Hochschulpräsidenten müssen mal eine Mütze Schlaf nehmen.“
„Eine Mütze?“, fragte Vlassi vorlaut. „Unsereins ist dagegen immer im Dienst, wir können uns keine Mützen leisten.“
Julia warf ihm einen strafenden Blick zu und wandte sich an Wöbbeking, der sein üppiges grauweißes Haupthaar nach hinten strich: „Herr Wöbbeking, haben Sie denn noch jemanden angerufen außer Herrn Schüttler?“
„Ja, natürlich, ich hab’ die Polizei angerufen, ich hab’ mir gleich gedacht, dass hier eine Gewalttat vorliegt. Die Frau Professorin wird sich ja nicht selbst aufgehängt haben.“
Julia nickte und wandte sich an Schüttler: „Es handelt sich hier, wie Sie sagten, um Frau Köckel-Simons. Welches Fach hat sie denn vertreten?“
Julia ahnte die Antwort schon, wollte sie aber bestätigt wissen durch den Präsidenten.
„Frau Köckel-Simons war Kunsthistorikerin.“
„Dann hat sie hier vermutlich Kunstobjekte gezeigt …?“
„An die Wand geworfen“, ergänzte Vlassi.
„Vermutlich“, stimmte Schüttler zu.
„Wir wollen doch mal sehen, was der Diaprojektor uns zeigt“, sagte Julia.
„Spielt das denn eine Rolle?“, fragte Präsident Schüttler.
„Alles spielt eine Rolle“, antwortete Julia, „bitte bringen Sie den Diaprojektor zum Laufen.“
Schüttler warf Wöbbeking einen auffordernden Blick zu, worauf der zum Projektor ging. Es bedurfte lediglich eines Handgriffs, und ein Bild leuchtete auf der weißen Wand neben der elektrischen Tafel auf, das allerdings durch die Helligkeit im Raum nicht deutlich zu erkennen war.
„Bitte abdunkeln“, forderte Julia.
Wöbbeking ging zum großen Fenster an der Seite, und zwei Rollladen surrten herunter und verdunkelten den Hörsaal.
„Ah, was sehen wir denn hier?“, fragte Hauptkommissarin Wunder.
Schüttler fühlte sich angesprochen und antwortete wie ein Prüfungskandidat: „Das ist … soviel ich weiß … also … ein van Gogh.“
Julia Wunder musterte ihn, sie wollte herausfinden, ob der Präsident log, das wäre ein erster Hinweis auf die Sachlage gewesen.
„Sie täuschen sich, Herr Professor“, erwiderte sie schließlich und genoss ein wenig die Situation. Schüttler hatte offenbar tatsächlich keine Ahnung von bildender Kunst.
Julia wandte sich an Vlassi: „Herr Spyridakis, was ist das für ein Gemälde, und wer ist der Urheber?“
Ihr Assistent antwortete unverzüglich: „Rubens. Magd am See.“
Julia Wunder stöhnte leise auf und sah Vlassi mitleidig an: „Mit den Kenntnissen in der bildenden Kunst ist es offenbar bei gewissen Polizeibeamten nicht weither.“
Dann warf sie dem Präsidenten der Rhein-Main-Hochschule einen enttäuschten Blick zu: „Sie sind offenbar auch kein Kunsthistoriker.“
„Da haben Sie nicht ganz unrecht“, gestand der, „mein Fach ist die Betriebswirtschaftslehre.“
„Das erklärt viel“, erwiderte Julia, „vom Fachgebiet Ihrer Frau Köckel-Simons haben Sie also keine Ahnung?“
„Meine Kenntnisse in der Kunst, will ich mal sagen, halten sich in Grenzen – leider, leider.“
„Wie heißt Frau Köckel-Simons übrigens mit Vornamen?“, fragte Julia.
„Margaretella“, antwortete Schüttler.
„Margaretella?“, ließ sich Vlassi fragend hören.
Präsident Schüttler nickte bestätigend. Von hinten schob sich jetzt Herr Wöbbeking vor, der offenbar auf Julias Frage nach der Herkunft des Bildes eingehen wollte: „Frau Kommissarin, ich...