E-Book, Deutsch, Band 4601, 159 Seiten
Reihe: Beck Paperback
Die Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie
E-Book, Deutsch, Band 4601, 159 Seiten
Reihe: Beck Paperback
ISBN: 978-3-406-77688-5
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Restitution von Kulturgütern gehört zu den brisantesten und meistdiskutierten Themen der letzten Jahre. Lässt sich vergangenes Unrecht durch späte Rückgaben wiedergutmachen? Was muss, was soll, was kann zurückgegeben werden? Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht, zeigt auf, welche Schwierigkeiten, aber auch Chancen die Auseinandersetzung mit einer Vergangenheit birgt, die aus der Gegenwart konstruiert wird.
In unserem Umgang mit einer historisch belasteten Vergangenheit scheint nicht nur der Geschichte als solcher, sondern auch ganz konkreten Objekten Unrecht anzuhaften. Wurden sie geraubt, den Opfern abgepresst oder von ihnen auf andere Weise verloren, so geht man heute, auch viele Jahrzehnte nach ihrem Verlust, zumeist davon aus, dass sie an ihre ursprünglichen Besitzer herauszugeben sind. Welche Parameter, Schwierigkeiten, aber auch Chancen diesen Prozess kennzeichnen, erläutert die Autorin anhand von drei Beispielen, die in Deutschland die aktuellen Debatten in unterschiedlicher Weise prägen: die Restitution von NS-Raubgut, der Umgang mit kolonialen Objekten und schließlich die Entschädigungsforderungen der Familie Hohenzollern.
- Ein Beitrag zu den aktuellen Restitutionsdebatten
- Sophia Schönberger ist juristische Expertin auf diesem Gebiet
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Kultur- und Ideengeschichte
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaft und Gesellschaft | Kulturwissenschaften Materielle Kultur
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtswissenschaft Allgemein Geschichtspolitik, Erinnerungskultur
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaft und Gesellschaft | Kulturwissenschaften Museumskunde, Materielle Kultur, Erinnerungskultur
Weitere Infos & Material
I. Von Bildern, Bibeln, Burgen: Dinge, die zurücksollen
«Die Vergangenheit ist nicht tot», so hat es William Faulkner formuliert. «Sie ist nicht einmal vergangen.»[1] Diese untote Vergangenheit ist allgegenwärtig. Sie verfolgt uns. Ganz selbstverständlich erscheint uns das in unseren eigenen Biographien, unserem eigenen individuellen Erleben der Welt, das sich nie ganz von unserer Vergangenheit befreien kann. Aber auch auf der kollektiven Ebene als Gemeinschaft sind wir in unsere Vergangenheit verstrickt – und zwar in zunehmendem Maße. Schon vor 15 Jahren konstatierte Hermann Lübbe, dass es noch niemals eine Zivilisationsepoche gegeben habe, die so sehr vergangenheitsbezogen gewesen wäre wie unsere eigene, oder anders ausgedrückt: Keine Zivilisationsepoche zuvor habe solche Anstrengungen intellektueller, auch materieller Art unternommen, um Vergangenes gegenwärtig zu halten.[2] Aber was ist das für eine Vergangenheit, auf die wir in dieser Form individuell wie kollektiv so intensiv bezogen sind? Und was ist das für ein Versuch, die Vergangenheit, die nicht vergangen ist, in der Gegenwart festzuhalten? Klar ist zunächst, dass es sich bei dieser Art von Vergangenheitsbezug nicht einfach um eine besondere Form der Historizität oder eine Spielart der Geschichtswissenschaft handelt. Die Vergangenheit, um die es hier geht, ist keine wissenschaftlich erforschte Geschichte, um deren möglichst akkurate Darstellung heute gestritten wird.[3] Es handelt sich vielmehr um eine Vergangenheit, die aus der Gegenwart, aus dem Rückblick konstruiert wird. Sie soll das Gegenwärtige erklären und ihm in gewisser Weise Sinn verleihen. Dabei geht es daher nicht mehr nur im Faulkner’schen Sinne um eine Vergangenheit, die nicht vergangen ist, oder um eine Vergangenheit, die nicht vergeht. Ganz im Gegenteil: Das Festhalten an ihr, ihre überwältigende Präsenz in der Gegenwart, macht sie zu einer Vergangenheit, die nicht vergehen soll. Seit einigen Jahren ist die Rückgabe von Kulturgütern zu einem zentralen Instrument geworden, um einen Umgang mit einer Vergangenheit zu finden, die voller Unrecht ist. Die damit verbundene Schuld scheint nicht nur der Geschichte als solcher oder den damaligen Tätern und ihren heutigen Nachfahren, sondern auch ganz konkreten Objekten anzuhaften. Wurden sie geraubt, den Opfern abgepresst oder von ihnen auf andere Weise verloren, so geht ein wachsender kultureller Konsens davon aus, dass sie heute, auch viele Jahrzehnte nach dem Verlust, an ihre ursprünglichen Besitzer herauszugeben sind – oder vielmehr an deren heute noch lebenden Nachkommen. Welche Parameter, Schwierigkeiten, aber auch Chancen diesen Prozess kennzeichnen, soll in diesem Essay anhand von drei Beispielen erläutert werden, die in Deutschland die Diskussion in unterschiedlicher Form prägen. Die Erfahrungen mit der Restitution von NS-Raubkunst begleiten die aktuellen Debatten dabei mittlerweile schon seit über zwanzig Jahren. Vergleichsweise neu ist demgegenüber die verstärkte Diskussion über die Restitution von kolonialen Objekten, die in vielerlei Hinsicht auf diesen Erfahrungen aufbaut, sich gleichzeitig aber auch in wesentlichen Punkten von ihr unterscheidet. In gewisser Weise quer hierzu stehen die in jüngerer Zeit erhobenen Forderungen des ehemaligen preußischen Königs- und deutschen Kaiserhauses auf die Rückgabe verschiedenster Objekte aus dem ehemaligen monarchischen Besitz. Gerade deshalb legt ihre Analyse allerdings vieles frei, was den gesellschaftlichen Prozess des Zurückgebens im Moment insgesamt prägt. NS-Raubkunst und das Ende des Kalten Kriegs
In gewisser Weise begann alles am 7. Januar 1998. An diesem Tag ließ der New Yorker Staatsanwalt Robert Morgenthau im Museum of Modern Art das «Bildnis Walburga Neuzil», kurz: Wally, von Egon Schiele als Diebesgut beschlagnahmen. Die ursprüngliche Eigentümerin des Werks, die in Wien ansässige Kunsthändlerin Lea Bondi-Jaray, hatte das Bild im Jahr 1938 aufgrund der rassischen Verfolgung, der sie als Jüdin ausgesetzt war, verloren.[4] Auf verschlungenen Wegen gelangte es Mitte der 1990er Jahre in die Privatstiftung des «Museum Leopold» in Wien, das es für eine große Egon-Schiele-Retrospektive nach New York verlieh. Nach Ende der Ausstellung setzten die Erben der einstigen Eigentümerin die Beschlagnahme durch. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit in den USA, an dessen Ende ein Vergleich stand. Gegen Zahlung von 20 Millionen Dollar erhielt die Wiener Stiftung das Gemälde zurück. Lea Bondi-Jaray (1880–1969), Datum der Aufnahme unbekannt Dieser spektakuläre Fall bildete den Anfang einer noch andauernden Entwicklung, in der das Thema der sogenannten NS-Raubkunst in vielen Teilen der Welt Politiker, Museen, Auktionshäuser und Kunstdetektive in Atem hält. Seitdem sich Ende des Jahres 1998 Regierungsvertreter aus 44 Ländern, darunter auch Deutschland, im Rahmen der «Washington Conference on Holocaust-Era Assets» auf die sogenannten Washingtoner Prinzipien verständigten und damit übereinkamen, 50 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus endgültig nach «fairen und gerechten Lösungen» für die Restitution der sogenannten NS-Raubkunst zu suchen, ist das Thema der Restitution aus dem öffentlichen Diskurs praktisch nicht mehr verschwunden. Egon Schiele, Bildnis Walburga Neuzil (Wally), 1912 Dabei stand die Restitution von Kunst zunächst eigentlich eher am Ende einer Entwicklung, die in den 1990er Jahren begann. Angestoßen wurde sie durch den Fall des Eisernen Vorhangs und die damit verbundene Öffnung der Archive in Europa. Durch diesen neuen Zugang zu alten Informationen geriet zunehmend die Tatsache in den Blick, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Wiedergutmachungspolitik in Bezug auf die Länder des ehemaligen Ostblocks weitestgehend ausgeblieben war. Diese Erkenntnis führte dazu, dass der auf dem Unrecht des Nationalsozialismus beruhende Teil der internationalen Vermögensordnung noch einmal völlig neu hinterfragt wurde. Zunächst waren es dabei allerdings die sogenannten nachrichtenlosen Konten bei Schweizer Banken, die in den Fokus der Öffentlichkeit und der internationalen Verhandlungen rückten, gefolgt von Diskussionen um das sogenannte Raubgold, nachrichtenlose Versicherungspolicen sowie schließlich die Entschädigung von Zwangsarbeitern.[5] Die Kunstwerke, über deren Restitution auch zwanzig Jahre später noch intensiv gestritten wird und die die einzigen dinglichen Objekte in diesem Entschädigungsdiskurs darstellten, traten erst vergleichsweise spät zu diesem Verhandlungsraum hinzu. Maßgeblich beeinflusst wurde die Diskussion dabei durch zwei populärwissenschaftliche Bücher zum NS-Kunstraub, die Mitte der 1990er Jahre erschienen und das Thema einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machten.[6] Mit dem Hollywood-Spielfilm «Die Frau in Gold», der mit Helen Mirren in der Hauptrolle die Geschichte der Restitution des Klimt-Gemäldes «Bildnis Adele Bloch-Bauer I» frei nacherzählt, erreichte das Thema im Jahr 2015 seinen vorläufigen popkulturellen Aufmerksamkeitshöhepunkt.[7] Gustav Klimt, Adele Bloch-Bauer I, 1907 Trotz dieser verzögerten Berücksichtigung im Wiedergutmachungsdiskurs der 1990er Jahre ist die Frage der Restitution von NS-Raubkunst diejenige, die die Diskussion der letzten 20 Jahre am nachhaltigsten geprägt hat. Gerade wenn man die Bearbeitung des Themas in Deutschland betrachtet, stellt man jedoch fest, dass die politische Umsetzung und die damit verbundene Diskussion alles andere als linear verliefen. Denn im Wesentlichen passierte hier in den ersten Jahren zunächst einmal: nichts. Insbesondere die Öffentlichkeit nahm von den Ergebnissen der Washingtoner Konferenz kaum Notiz. Auf politischer Ebene einigte man sich zwar schon im Jahr 1999 auf eine «Gemeinsame Erklärung», d.h. eine «Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz».[8] Diese Verlautbarung, die sich vor allen Dingen an staatlich unterhaltene Archive, Museen und Bibliotheken richtete und in der Sache eher Fragen der Provenienzforschung als solche der Rückgabe thematisierte, blieb allerdings im Wesentlichen ohne öffentliche Resonanz. Wie so oft im deutschen Kulturföderalismus verlor sich das Thema daher zunächst ein wenig in einem kompetenziellen Bermuda-Dreieck zwischen Bund,...