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E-Book, Deutsch, 171 Seiten

Schönbeck Nicht ohne uns

Warum eine inklusive Kirche mehr braucht als Rollstuhlrampen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7615-7031-9
Verlag: Neukirchener
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Warum eine inklusive Kirche mehr braucht als Rollstuhlrampen

E-Book, Deutsch, 171 Seiten

ISBN: 978-3-7615-7031-9
Verlag: Neukirchener
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Obwohl das Thema Diversität und Vielfaltssensibilität in Kirchen und Gemeinden immer mehr an Aufmerksamkeit gewinnt: Die Inklusion von Menschen mit Behinderung spielt oft nur eine untergeordnete Rolle. Oder wurde längst mit der weihevollen Anschaffung einer Rollstuhlrampe ad acta gelegt. Warum inklusive Kirche mehr braucht, darauf weist Julia Schönbeck in diesem Buch unverblümt hin.

Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen als behinderte Christin und Theologiestudentin schreibt sie über den Umgang der deutschen Kirchen mit dem Thema. Niederschwellig und trotzdem tiefgehende Aspekte beleuchtend, gibt sie allen, die sich in Kirche und Gemeinde engagieren, hilfreiche Gedankenanstöße, Hintergrundwissen zu Inklusion sowie Einblicke, welchen Vorurteilen und Ausgrenzungen Menschen mit Behinderung im christlichen Bereich begegnen.

Neben dieser Auseinandersetzung mit Christlichem Ableismus zeigt sie Handlungsbedarf und Potenziale auf und stellt Ansätze einer inklusiven Theologie vor. Das Buch folgt dem intersektionalen Ansatz, gibt also auch Anknüpfungspunkte für Menschen, die sich mit anderen Formen von Diversität und Diskriminierung beschäftigen, und hinterfragt generelle Strukturen. Wo gibt es strukturelle Barrieren und Ausgrenzung? Wie kann Mitsprache auf allen Ebenen erreicht werden? Und warum verpassen wir es immer noch, von vielfältigen Erfahrungen und Fähigkeiten zu profitieren? Ein Buch für alle, die an der Zukunft von Kirche arbeiten.

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Weitere Infos & Material


Wo liegt eigentlich Hadamar?
Die gewaltvolle Vergangenheit und unsere heutige Verantwortung Ich war das blondeste, weißeste Kind mit blauen Augen. Ich wuchs auf in einer christlichen Familie und niemand würde mir absprechen, deutsch zu sein. Trotzdem saß ich bei der Recherche für mein Buch mit meiner Mutter zusammen und sie sagte: „Wäre ich früher geboren, wärst du wahrscheinlich nicht auf der Welt.“ Ich nickte nur, weil ich wusste, dass sie recht hat. In der NS-Zeit hätte man es ihr mit einer chronischen Krankheit nicht erlaubt, Kinder zu bekommen. Es gäbe mich nicht. In der Schule habe ich viel über die NS-Zeit gelernt. Ich habe mich mit Antisemitismus und deutscher Geschichte auseinandergesetzt und ich bin gegen rechte Ideologien demonstrieren gegangen. Gleich bei uns um die Ecke fand jährlich im Sommer Norddeutschlands größte Demonstration von Neonazis statt. Sie marschierten durch eine unserer Städte, verbreiteten ihre Ideologie und am schlimmsten: Sie liefen dabei an einem Samstagmorgen während der Schabbat-Feier direkt an einer jüdischen Gemeinde vorbei. Mit Ehrenamtlichen aus meiner Gemeinde haben wir überlegt, wie wir uns an den Gegendemonstrationen beteiligen können. So haben wir die jüdische Gemeinde unterstützt. Wir haben an der Schabbat-Feier teilgenommen und gemeinsam demonstriert. Wir standen dort Angesicht zu Angesicht mit Neonazis, beschützt von mehreren Reihen Polizist*innen. Wir sangen jüdische Friedenslieder.18 Die Reaktionen werde ich nie vergessen. Wenn wir uns an diesen Abenden von unseren jüdischen Freundinnen verabschiedeten, hatten sie Tränen in den Augen. Mir wurde in diesen Momenten bewusst, dass es zwar auch für mich eine Ausnahmesituation war, dort zu stehen und in diese Gesichter zu schauen, aber dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie es für jüdische Menschen sein muss, Neonazis durch Deutschland marschieren zu sehen. Ich kann es mir nicht vorstellen, ich kann es höchstens erahnen. Bis heute muss ich daran denken und es hilft mir, meine Privilegien zu erkennen und die Grenzen meiner Perspektive. In einem Jahr verfolgte ich über Twitter den aktuellen Stand der beiden Demonstrationen. Es war eine gute Möglichkeit, um auf dem Laufenden zu bleiben und zu erfahren, wo sich gerade welche Gruppe aufhielt. Es gab Informationen von offiziellen Kanälen wie der Polizei, aber ich konnte auch Tweets der Demonstrant*innen verfolgen. Einer der Neonazis postete, es seien keine oder kaum Gegendemonstrant*innen im Ort. Mich machte das wütend, weil ich wusste, in was für einer überwältigenden Überzahl wir dort waren und dass er gelogen hatte. Ich wollte das nicht unwidersprochen stehen lassen. Ich antwortete ihm mit einem Account, in dem nicht mein Name stand. Anders hätte ich mich nicht getraut. Ich stellte einfach nur das Zahlenverhältnis klar. Seine Antwort kam prompt. „Untermenschen zählen nicht.“ Dieser Satz hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Plötzlich wurde das alles real, was ich doch eigentlich schon wusste. Die Bedrohung wurde greifbar. Es ging hier nicht um Banalitäten. Es ging nicht um Meinungsfreiheit. Es ging um Hass und Menschenfeindlichkeit und eine Gefährdung für unsere Demokratie. Ich wurde Untermensch genannt wegen der Seite, auf der ich stand. Wegen der Menschen, an deren Seite ich mich gestellt hatte. Mir wurde bewusst, dass es für mich eine bewusste Entscheidung gewesen war, dorthin zu kommen und mich zu engagieren. Eine Entscheidung, die jüdische Menschen nicht haben. Natürlich hätten sie zu Hause bleiben können. Doch für sie betraf die Bedrohung ihre Existenz. Heute fühlt sich die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und heutigem Rechtsextremismus und Rechtspopulismus anders an. Mittlerweile habe ich eine sichtbare Behinderung. Es ist nicht so, dass mir diese Themen vorher egal gewesen wären und doch ändert die eigene Betroffenheit etwas am Gefühl. Ja, manchmal habe ich Angst davor, wie sich Dinge entwickeln. Es ist schmerzhaft, sich an die Geschichte zu erinnern und auch wenn ein „was wäre wenn“ meistens nicht besonders hilfreich ist, schleichen sich die Gedanken manchmal ein. Was wäre, wenn ich in dieser Zeit gelebt hätte? Was ist, wenn auch heute wieder über den Lebenswert von Menschen diskutiert wird? In der Zeit des Nationalsozialismus wurde ein Idealbild der Deutschen konstruiert. Es war von Rassismus und Antisemitismus geprägt und von Ableismus. Es wurde definiert, wer deutsch und was reines Blut sei. Sie sprachen von „Ariern“ und einer „Herrenrasse“. Es ging um Herkunft und Hautfarbe, aber auch um körperliche und psychische Leistungsfähigkeit und Gesundheit. Man begann damit, Geburten zu kontrollieren und bestimmten Personengruppen diese zu verweigern. Bis heute sind Zwangssterilisationen behinderter Menschen in Europa nicht flächendeckend verboten und auch in Deutschland unter bestimmten Auflagen möglich. Angehörigen schwerbehinderter Menschen und insbesondere Menschen mit Lernschwierigkeiten wurde versichert, man würde sich in speziellen Anstalten besser um die behinderten und chronisch kranken Menschen kümmern können. Nach einiger Zeit erhielten damals viele der Familien die traurige Nachricht, ihre Angehörigen seien an Krankheit XY verstorben. In Wahrheit waren sie systematisch getötet worden, in Gaskammern, durch Medikamente oder absichtliches Verhungernlassen. Dies wurde intern Aktion T4 genannt, da die Morde von der Zentrale in der Tiergartenstr. 4 in Berlin aus gesteuert wurden. Einer dieser speziellen Anstalten war in Hadamar, in der Nähe von Frankfurt am Main. Allein an diesem Ort wurden zwischen 1941 und 1945 fast 15.000 Menschen mit Behinderung und/oder psychischer Krankheit ermordet.19 Während ich mit Auschwitz, Birkenau, Dachau, Bergen-Belsen direkt Konzentrationslager benennen könnte, habe ich in der Schule nur wenig über die Betroffenheit behinderter Menschen in dieser Zeit gelernt. Das Wort, den Ort „Hadamar“ kannte ich nicht. Auch in diesem Kontext ist es wichtig zu betonen, dass niemals Leid gegeneinander ausgespielt werden kann. Es geht lediglich darum, das Bild zu vervollständigen. Dieser Teil der Vergangenheit gehört schmerzlich dazu und wird hoffentlich zur Warnung, So schreibt beispielsweise die Autorin des Missy-Magazin Franziska Drohsel: „Wachsam zu sein, wenn Menschen wegen ihrer körperlichen Verfassung bestimmte Rechte verwehrt werden, gebietet allein schon die deutsche Geschichte.“ Massenmord wurde zur „Euthanasie“, ein Begriff, der den Prozess verharmlost als guten, schmerzfreien Tod. Auch von Erlösung wurde in diesem Kontext gesprochen. Das Leben behinderter und psychisch kranker Menschen wurde als lebensunwert eingestuft. Es ist wichtig, klar zu benennen, was hier geschehen ist: Es war ein Massenmord. Im Rahmen der sogenannten „Krankenmorde“ wurden über 200.000 Menschen ermordet. Über 400.000 Menschen wurden zwangssterilisiert. Mindestens 5.000 Kinder wurden direkt nach der Geburt getötet. Ausschlaggebend für die Entscheidung über Leben und Tod war häufig die Arbeitsfähigkeit der Person. An sie wurde der Lebenswert geknüpft. Warum ist es wichtig, sich heute mit dieser Geschichte zu beschäftigen? Christine Groß-Manderbach, Mitglied bei Mensch zuerst – Netzwerk People First Deutschland, schreibt: „Ich finde es sehr wichtig, dass man sich erinnert. Man sollte das nicht totschweigen. Weil das unsere Geschichte ist, weil das die Geschichte von Menschen mit Lernschwierigkeiten ist.“ Dieser Teil der deutschen Geschichte ist eine extreme Eskalation der Gewalt und sie zeigt uns, wohin Rassismus, Antisemitismus und auch Ableismus führen können. Gedanken wie diese sind heute nicht so fern, wie wir vielleicht hoffen. Am 27.05.2024 wurde ein Stein durch ein Fenster der Lebenshilfe Mönchengladbach geworfen. Er trug die Aufschrift „Euthanasie ist die Lösung“.20 AFD-Politiker*innen bezeichnen Inklusion als „Ideologieprojekt“ und „Belastungsfaktor“, obwohl sie gesetzlich verankert ist.21 In Zeiten der Corona-Pandemie mussten wir plötzlich über Maßnahmen entscheiden, die eine große Einschränkung mit sich brachten und gleichzeitig Schutz bedeuten konnten. Es war eine unübersichtliche neue Situation. Entscheidungen waren komplex. Sie machten aber auch Prioritäten deutlich. Man sprach von einer Risikogruppe von Menschen, die von der Krankheit besonders bedroht wurden, weil sie durch ihr Alter oder ihre Vorerkrankungen ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf, für eine Ansteckung und auch für ein Sterben an Corona hatten. Während sie sich noch viel stärker als andere isolierten, wurde in den Nachrichten bei Todesfällen immer wieder betont, welche Vorerkrankungen die Person gehabt habe. Natürlich ist diese Information einerseits relevant, weil eben das Risiko höher war und doch hatte es diesen Unterton. „Naja, er*sie war ja eh nicht ganz gesund.“ Wie viel ist uns der Schutz dieser Personen wert gewesen? Was tun wir für die Menschen, die an Long Covid erkrankt sind? Long Covid beschreibt die Auswirkungen einer Corona-Infektion, die über vier Wochen nach der akuten Krankheitsphase anhalten. Die Studienlage ist bisher begrenzt. Es können bereits langjährige Folgen beobachtet werden. 2020 reichten behinderte Menschen eine Verfassungsklage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Es ging um ein neues Gesetz zur Regelung der Triage. Triage ist ein Instrument, mit dem Ärzt*innen entscheiden, welche Patient*innen eine lebensrettende Behandlung erhalten, falls durch Ressourcenknappheit nicht alle Menschen versorgt werden können.22...


Schönbeck, Julia
Julia Schönbeck, geb. 1997, studiert Theologie und arbeitet beim Hildegardis-Verein in den Bereichen Inklusion und Öffentlichkeitsarbeit. Als Christin mit Behinderung und fachliche Expertin schreibt sie über Christlichen Ableismus und Intersektionalität u.a. auf ihrem Blog. Sie engagiert sich im Expert*innenbeirat Inklusion und im Kammernetzwerk der EKD.



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