Schnitzler / Hemecker / Österle | Später Ruhm | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Schnitzler / Hemecker / Österle Später Ruhm

Novelle
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-552-05708-1
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Novelle

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-552-05708-1
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Späten Ruhm erfährt Eduard Saxberger in vorgerücktem Alter. Ein junger Mann sucht ihn auf und gibt sich als Leser jenes schmalen Bandes zu erkennen, mit dem Saxberger einst für Furore sorgte; der Verehrer lädt ihn in einen Schriftstellerverein ein, denen er als Vorbild gilt. Zuerst beschämt, an das verlorene Vergangene erinnert zu werden, dann fasziniert von den Debatten um die wahre Kunst, schließt sich Saxberger den Literaten an. Aber Neues zu schreiben, bemerkt er bald, schafft er nicht mehr. Ein Jahr nach dem Erfolg von 'Anatol' und ein Jahr vor dem Durchbruch mit 'Liebelei' werden in diesem jetzt erstmals veröffentlichten frühen Porträt der literarischen Boheme die Ängste und Zweifel des 32-jährigen Arthur Schnitzler sichtbar.

Arthur Schnitzler, geboren 1862 und gestorben 1931 in Wien, zählt sowohl als Erzähler als auch als Dramatiker zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellern. Sein Werk wurde und wird in alle Sprachen der Welt übersetzt und auf allen Bühnen gespielt.
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Herr Eduard Saxberger kam vom Spaziergang nach Hause und schritt langsam die Stiege zu seiner Wohnung hinauf. Es war ein schöner Wintertag gewesen, und gleich nach Schluss der Amtsstunden hatte sich der alte Herr, wie er es gerne zu tun pflegte, auf den Weg gemacht und war in der frischen Luft herumgebummelt, recht weit über die Vororte hinaus zu den letzten Häusern. Er war müde geworden und freute sich auf sein freundliches, warmes Zimmer.

Die Haushälterin empfing ihn mit der Mitteilung, dass bereits seit einer halben Stunde ein junger Mann ihn erwarte, den sie früher nie gesehen. Der alte Herr, der fast nie Besuch empfing, trat mit einiger Neugier ins Wohnzimmer. Bei seinem Eintritt erhob sich der junge Mann, welcher ihn erwartete, von einem Sessel und verbeugte sich.

Saxberger erwiderte die Verbeugung und sagte: »Ich höre, dass Sie bereits einige Zeit auf mich warten – womit kann ich dienen

Der junge Mann blieb stehen und entgegnete: »Erlauben Sie, hochverehrter Herr, dass ich mich Ihnen vorstelle, mein Name ist Wolfgang Meier, Schriftsteller.«

»Freut mich sehr, freut mich sehr, bitte doch Platz zu nehmen.«

»Herr Saxberger«, begann der junge Mann, nachdem er sich wieder gesetzt hatte, »ich muss vor allem um Entschuldigung für die Unbescheidenheit bitten, mit welcher ich ungeladen und ungekannt Ihr Heim zu betreten wagte. Aber ich habe vergebens nach einem andern Wege gesucht, Ihre werte Bekanntschaft zu machen.«

»Sehr schmeichelhaft.«

»Und diese Bekanntschaft zu machen, Herr Saxberger, ist seit geraumer Zeit einer meiner, ja ich darf sagen, unserer sehnlichsten Wünsche – denn ich rede hier nicht nur in meinem eigenen Namen.«

Bei diesen Worten lächelte Herr Meier verbindlich. Saxberger betrachtete ihn. Er war blass, hatte schlichtes, blondes Haar und war sehr anständig gekleidet. Während er sprach, spielte er mit einem Zwicker, der an einer schwarzen Schnur um seinen Hals hing. »Ich bin sehr neugierig«, sagte Herr Saxberger, »wieso dieser sehnliche Wunsch … seit wann dieser sehnliche Wunsch …«, er unterbrach sich in einiger Verlegenheit.

»Seit geraumer Zeit«, fuhr Meier fort, »und wenn ich diesen Ausdruck präzisieren darf, so möchte ich sagen: seit jenem Tage, da es mir – oder uns« – hier lächelte er wieder verbindlich – »vergönnt war, Ihre Wanderungen‹ kennenzulernen.«

»Wie, rief Herr Saxberger erstaunt aus, »Sie haben meine Wanderungen‹ gelesen? Man liest noch meine Wanderungen‹ Er schüttelte den Kopf.

»Man liest sie vielleicht nicht mehr«, entgegnete der junge Mann. »Wir aber lesen sie, wir bewundern sie, und ich denke, mit der Zeit wird auch man sie wieder lesen und bewundern.« Während Herr Meier so sprach, rötete sich seine Wange ein wenig, und der Ton seiner Stimme klang lebhafter als früher.

»Sie setzen mich in Erstaunen, Herr … Meier«, sagte Saxberger, »und ich fange an, sehr neugierig zu werden, wer Sie sind, ich meine die, in deren Namen Sie sprechen. Ich habe nicht geahnt, dass heute noch irgendwer meine Wanderungen‹ kennt.« – Der alte Herr sah vor sich hin. – »Ja, ich selbst habe nicht mehr an sie gedacht, jahrelang habe ich nicht mehr an sie gedacht. Überhaupt stehe ich schon seit Jahren allen diesen Dingen so fern, so fern.«

Herr Wolfgang Meier lächelte fein. »Es ist mir, ich darf wohl sagen uns, nicht unbekannt geblieben, verehrter Herr, dass Sie lange Zeit hindurch nichts haben drucken lassen, wir waren darüber verwundert und betrübt. Und es war ja auch nur ein Zufall, der uns – hier darf ich wohl sagen mich – Ihr köstliches Buch gewissermaßen neu hat entdecken lassen.«

Saxberger war von den Worten, die er hörte, sonderbar berührt. Redete dieser junge Mann wirklich von ihm? War es denn möglich, dass der junge, ihm ganz fremde Mensch ihn und dieses vergessene Buch kannte? »Wieso sind Sie denn auf das Buch gekommen, fragte er.

»Das war sehr einfach«, erwiderte Wolfgang Meier. »Wie ich einmal bei einem Antiquar Umschau hielt, kam mir unter andern Büchern auch Ihr kleines Bändchen in die Hand. Die ersten Gedichte, die ich darin las, wirkten gleich mit unbeschreiblicher Kraft auf mich. Ich nahm das Buch mit mir nach Hause und las es in einem Zug von Anfang zu Ende, was einem ja bei einer Gedichtsammlung nicht so leicht passiert. Als ich dann wieder das Titelblatt besah und die Jahreszahl 1853 betrachtete, sagte ich mir: Den Mann hättest Du wohl kennen mögen – ich brachte das Buch noch am selben Abend in unsern kleinen Kreis mit …«

»Was ist das für ein Kreis

»Es ist ein Kreis junger Schriftsteller, die sich seitab von der großen Heerstraße halten. Wenn ich Ihnen die Namen derselben sagte, würde Ihnen nicht viel geholfen sein. Man kennt diese Namen heute noch nicht. Wir sind einfach Künstler, nichts weiter als das, und unsre Zeit wird kommen.« Herr Meier sprach diese Worte ruhig, aber entschieden aus.

Der alte Herr hörte aufmerksam zu und nickte mit dem Kopf. Es war so seltsam. Künstler, Künstler – wie nur das Wort klang! Wie mit einem Male verworrene Bilder in ihm auftauchten von fernen Tagen und vergessenen Menschen. Namen fielen ihm ein und Schicksale – und endlich sah er sich selbst, wie man sich im Traum zu sehen pflegt, als jungen Menschen, sah sich jung, lachend, redend, als einen der Besten und Stolzesten in einem Kreis junger Leute, die sich seitab von der großen Heerstraße hielten und nichts sein wollten als Künstler – und er sagte laut, als hätte der junge Mann ihm gegenüber die raschen Gedanken mit ihm durchleben müssen: »Das ist lang her, so lang ist das her!«

Wolfgang Meier betrachtete den alten Herren schweigend, nur die Augen schienen in dem faltenreichen, bartlosen Gesicht jung geblieben zu sein, und die schauten jetzt an der kleinen Lampe vorbei, die auf dem Tische stand, durch das Fenster in die dunkelblaue Nacht.

»1853« – sagte Meier nach einer kleinen Pause, »das ist freilich eine lange Zeit«, und lebhafter fuhr er fort: »Sie glauben gar nicht, verehrter Herr, wie es uns freute, als wir in Erfahrung brachten, der Dichter der Wanderungen‹ lebe in unserer Stadt; es war uns, als hätten wir eine Schuld an Sie abzutragen.« Meier erhob sich bei diesen Worten und indem er sich leicht vorbeugte, sagte er in feierlichem Tone: »Das junge Wien bittet Sie, durch mich seine ehrfurchtsvollen Grüße und seinen Dank entgegenzunehmen.«

Saxberger wollte sich erheben, aber der junge Mann drückte ihn freundlich auf den Sessel nieder. Mit etwas bewegter Stimme antwortete Saxberger: »Ich danke Ihnen, ich weiß nicht, nein, ich weiß wirklich nicht …« – er hielt ein paar Augenblicke inne, während der junge Mann ihm ruhig und mit einem aufmunternden Lächeln ins Gesicht sah, dann sprach er weiter: »Es ist so lange her – ich … ich … ich weiß ja nichts mehr davon, man hat damals so gar kein Wesens aus dem Ding gemacht. Ich hab schon so lang nichts geschrieben. Es kümmert sich auch niemand darum, und nach und nach hab ich die Lust verloren, wissen Sie, mit der Jugend. Es sind auch die Sorgen gekommen, die tägliche Arbeit, es hat so von selber aufgehört, ich hab’s gar nicht bemerkt …«

Der junge Mann hörte zu … er schüttelte den Kopf, bedauernd, ernst.

»Ich hab ja auch noch anderes geschrieben, o ja … nicht nur Gedichte. Ich hab sogar einmal ein Stück geschrieben.«

»Wie«, rief Meier aus, »ein Stück! Wo ist es bitte, bitte!«

»Ich weiß nicht, ich weiß wirklich nicht, mein Gott ich hab es seinerzeit in die Theater herumgeschickt – drei Jahre ist es herumgereist oder vier, na, dann hab ich’s halt gehenlassen. – Das ist ja auch schon viel über dreißig Jahre …«

Nach kurzem Schweigen erhob sich Meier, und indem er die eine Hand auf die Stuhllehne stützte, rief er aus: »Es ist eben die alte Geschichte. Anfangs genügt uns die eigene Freude am Schaffen und die Teilnahme der wenigen, die uns verstehen. Aber endlich, wenn man sieht, was alles neben einem aufkommt, Namen und selbst Berühmtheit erringt – möchte man doch auch gehört und gewürdigt werden. Und da kommen dann die Enttäuschungen! Der Neid der Talentlosen, die Leichtfertigkeit und Böswilligkeit der Rezensenten und dann die entsetzliche Teilnahmslosigkeit der Menge. Und man wird müde, müde, müde. Man hätte ja noch viel zu sagen, aber es will ja keiner hören, und endlich vergisst man selbst, dass man einer von denen war, die Großes gewollt, vielleicht sogar Großes geschaffen haben.«

Saxberger begleitete die Worte des...


Hemecker, Wilhelm
Wilhelm Hemecker ist Universitätsprofessor und Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Theorie der Biographie in Wien; Mitherausgeber von "Mythos Bachmann" (2011).

Schnitzler, Arthur
Arthur Schnitzler, geboren 1862 und gestorben 1931 in Wien, zählt sowohl als Erzähler als auch als Dramatiker zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellern. Sein Werk wurde und wird in alle Sprachen der Welt übersetzt und auf allen Bühnen gespielt.



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