E-Book, Deutsch, 264 Seiten
Schneider Zwei Löwen im Goldfischglas
2. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7583-5965-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 264 Seiten
ISBN: 978-3-7583-5965-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Paris im Frühling: Zwei Männer, die unterschiedlicher kaum sein könnten, verlieben sich auf den ersten Blick ineinander. Der eine aufregend schön, charmant, reich und faul, der andere gedankenvoll, ehrgeizig, arm und begabt. Eine aufregende Zeit beginnt. Doch was passiert, wenn Liebe und Schmerz zu nahe beieinander liegen? Wenn anfängliche Zuneigung und Bindungslust nach und nach toxisch werden? In dieser mitreißenden Erzählung nimmt André Schneider die Leser mit auf eine wort- und bildgewaltige halbautobiografische Reise quer durch Europa, lässt sie hautnah teilhaben an den Höhen, Tiefen und intimsten Momenten einer außergewöhnlichen Beziehung und gewährt tiefe Einblicke in eine Künstlerseele. Über viele Jahre sollten der sich sammelnde und der sich verschwendende Mann sich im Wechsel annähern und abstoßen. Philosophen wollten sie werden - und sie sind es auch geworden. Auf ihre eigene, schmerzhafte Weise. Ein poetischer Roman über sexuelle Selbstfindung und einen langen Abschied.
André Schneider, Jahrgang 1978, ist Schauspieler, Pädagoge, Übersetzer und Autor. Er lebt in Frankreich.
Autoren/Hrsg.
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Zwei
Du hast, und das rechne ich dir hoch an, selten Versprechungen gemacht, und die, die du machtest, ausnahmslos gehalten. Das ist ein Wesenszug, den es kaum noch zu geben scheint. Als wir in Paris Abschied nahmen, versprachst du mir, wir würden uns in Spanien wiedersehen. Du wolltest es mir zeigen, »dein« Spanien, welches die Tourismusbranche bislang kaum erschlossen oder zumindest vernachlässigt hatte. Die Zeit bis zum Wiedersehen überbrückten wir mit ausufernden Telefonaten, vor allem aber mit Kurznachrichten. »Tengo ganas de olerte«, schriebst du nachts um zwei. (»Ich will dich riechen.«) Ein Wunsch, der mich romantisch erfasste. Du batest mich, ich solle dir ein getragenes T-Shirt per Post schicken. Dein Dankeschön kam via E-Mail: ein Foto, auf welchem du dir das Shirt unter die Nase hältst, den Blick lasziv ins Objektiv gerichtet und in der rechten Hand ein Poppers-Fläschchen. Unser Wiedersehen – fast vier Monate nach Paris – führte uns nach Oviedo. Du wolltest mir Asturien zeigen. Ich flog nach Bilbao und nahm die Schmalspurbahn nach Ribadesella an der Costa del Dino, die ihren Namen zahlreichen eindrucksvollen Knochenfunden zu verdanken hat. Der alte Fischerhafen lockte mich zu einem kleinen Streifzug. Das Meer lag vor der Stadt wie ein schlafender Riese. Ein gleichmäßiges Ein- und Ausatmen und freche Glitzerspiele der Nachmittagssonne auf den leisen Wellen. Am frühen Abend stieg ich in den Bus landeinwärts Richtung Oviedo, wo du mich mit einer violetten Rose am Busbahnhof empfingst. Deine Geste durchströmte mich wie ein warmer Windzug, floss über meinen Rücken wie cremig-weicher Duschschaum nach einer langen Autofahrt, kroch in mein Herz wie ein Igelchen, das überwintern wollte. Eine Floristin hatte mir nämlich mal erzählt, violette Rosen würden für Liebe auf den ersten Blick stehen. Wer diese Rosen verschenke, meinte sie, wolle dem Empfänger vermitteln: »Ich kann nur noch an dich denken. Ich glaub, ich bin dir verfallen.« Ich bin mir nicht sicher, ob du von dieser Bedeutung wusstest oder nicht, aber mit dieser Rose fegtest du die Skepsis aus meinem Herzen. Du trugst nichts außer fransigen Jeans und Sandalen, hattest einen rötlichen Bartschatten und hellwache Strahleaugen. Du sahst entwaffnend schön aus, weshalb ich dich bat, mich zu beißen, weil ich es nicht fassen konnte. Du gehorchtest, deine Schneidezähne nahmen meine Unterlippe mit gebührendem Druck in die Zange und ritzten sie, bis ich zusammenzuckte und einen leisen Aufschrei unterdrückte. Im Reflex drückte ich dich noch fester an mich und zerquetschte so die violette Rose zwischen unseren Oberkörpern. Während deine Zungenspitze sich wie ein Dieb durch meine Lippen schob und wir gemeinsam einen kleinen Blutstropfen von meiner verletzten Unterlippe schmeckten, spürten wir die Dornen in unserer Brust. Ein Blütenblatt, das sich abgelöst hatte, pflückte ich dir wenig später aus deinem Brustfell. Dieses Asturien war einfach – WOW! Ich war in meinen neunundzwanzig Jahren weiß Gott viel gereist und hatte einige schöne Orte gesehen, aber was sich mir hier bot, verschlug mir den Atem. Der Fotoapparat, den ich bei mir hatte, kam nie zum Einsatz, weil ich wusste, es würde unmöglich sein, diese Pracht adäquat einzufangen. Kein Foto kann das Leben einfangen, höchstens den Bruchteil einer Sekunde festhalten. Es heißt, durch das Bild hätten wir sehen gelernt, doch mittlerweile denke ich, wir haben das Sehen durch die Bilder verlernt. Wie auch das Leben, das instagram- und facebookgerecht aufbereitet, verfremdet, geglättet wird. Eine lebensfeindliche Manie, die da geboren wurde. »Jeder kann mit einer Digitalkamera Bilder machen«, sagtest du, »aber kaum einer kann noch fotografieren.« Wie Recht du hattest! Asturien, das waren die tief ins Land gezogenen Flussmündungen, die so lebendig wirkten, als hätten sie einen eigenen Puls. Das waren die felsigen Steilküsten, an denen das Meer leckte wie ein liebeshungriges Freudenmädchen. Das waren die Strände, deren Sand so weich und fein war, als wäre er Puderzucker. Das waren wilde Bergtäler, die selbst den griesgrämigsten Wandermuffel umstimmen konnten. Das war die Küstenlinie, die von Wäldern, Wiesen und saftig-grünen Tälern geprägt war. España Verde, das grüne Spanien, das war Asturien. Wir saßen in deinem Mercedes und fuhren nach Avilés. Deine Eltern hätten dort ein Haus, sagtest du – und hattest schamlos untertrieben. Ein Chalet war es mit fünfhundert Quadratmetern Wohnfläche und einem riesigen Garten in der Calle Galiana. Die Besichtigung der neun Schlafund drei Badezimmer ließ mich sinnfrei nach Worten ringen. Die Augen und den Kiefer vor Staunen weit geöffnet, folgte ich dir durch den Salon. Auf der Terrasse drehtest du dich um. Ein stolzer Hausherr – oder besser: Sohn der Hausherrin – mit Händen in den Hosentaschen und einem selbstgefällig-triumphalen Lächeln. Wie fast immer trugst du dein Basecap falsch herum. Deine weißen Zähne blitzten frech, als du lakonisch erwähntest: »In Galicien haben wir noch eins. Und auf den Balearen und auf Teneriffa auch.« Das war, wie ich viel später erfahren sollte, nur die Spitze des Geldbergs. Spätabends, als die Müdigkeit uns mit ihrem Handrücken streifte, führtest du mich zu einem der Schlafzimmer. Vor der Tür hielten wir inne. Wieder dieses laute Schweigen. Dein Blick ließ erkennen: Es war dir ernst. Du legtest deinen Arm um mich und deine Stirn auf meine Schulter. Dein Nacken roch nach zuhause, so vertraut und gut. Unsere Erektionen, die wir zu Beginn unserer Umarmung spürten, beruhigten sich, legten sich zur Ruhe, schliefen ein. Dann lösten wir unsere Umschlingung. Du küsstest meine Stirn und wünschtest mir eine gute Nacht. Wir schliefen in getrennten Zimmern und das war absolut okay. Es war am Playa San Juan de Nieva, nordöstlich von Avilés gelegen, als ich dich zum ersten Mal nackt sah. Der Strand war breit und menschenleer und du hast einfach Hemd und Hose fallen und liegen lassen. Dein hoheitsvoller Anblick machte mich befangen, ungewohnt schüchtern geradezu. Voll bekleidet trottete ich neben dir wie ein müder Gaul. Als du dich in den Sand legtest, setzte ich mich neben dich. Ich hatte mal gelesen, unser Auge sucht beim Anblick schöner Menschen nach den Makeln, nach etwaigen hässlichen Details, und bei weniger schönen Menschen unwillkürlich nach dem Schönen. Das tun wir alle – ausnahmslos –, ohne es zu wissen. Als ich dich nackt am Strand liegen sah, die Hände hinter deinem Kopf verschränkt und den Blick nachdenklich zum blauen Himmel gerichtet, kam mir diese Textpassage wieder in den Sinn und ich forschte förmlich nach den Schwachstellen deiner Schönheit, musterte dich geradezu argwöhnisch, aber das Negativste, was ich feststellen konnte, war, dass du zu schön warst. Eine Kollegin, der ich später dein Foto zeigte, meinte, du sähest aus wie »ein schwules Abziehbildchen aus einem Katalog«. Das klang böswillig, also rügte ich sie, aber ich kam nicht ganz umhin ihr im Geheimen zuzustimmen. Deine Züge waren männlichmarkant, damals schon, und du hattest diese hohen Hollywoodstar-Wangenknochen, die dich äußerst fotogen machten. Eine starke Kinnlinie, ein straffes Kinn, eine großflächige Stirn. Dazu die eisblauen Augen, leicht mandelförmig und mit Wimpern, die zu lang waren, um irgendeinen anderen Zweck zu erfüllen als den der puren, reinen Schönheit. Dein Mund verlieh dir einen androgynen Touch: volle Lippen mit klaren Konturen. Deine Ohrmuscheln sahen aus wie gemalt, waren groß und lagen gut an. Die Nachmittagssonne ließ dein dichtes Haar rötlich schimmern, auf deinem Dreitagebart tanzten kleine rote Funken. Dein Körper: trainiert, o ja, aber nicht zu sehr. Eine Brustbehaarung wie Sean Connery als James Bond. Eine aus weich-rötlichem Flaum gepflasterte Straße führte zu deinem Schritt. Auch hier stimmten alle Proportionen. Dein Schwanz war wohlgeformt und ebenso groß wie deine Hände. Die samtig-glatte Eichel lag auf deinem Schamhaar wie auf einem Kissen, geradezu forsch spähte sie unter der Vorhaut hervor. Deine Beine, behaart wie auch die Brust, waren kräftig, die Rundungen der Waden fand ich besonders erregend. Geschmeidige Schultern, Schwimmerrücken und ein fester, runder Arsch – pardon! –, in dessen Backen ich beißen wollte wie in einen prächtigen Apfel. Versonnen legte sich mein Auge auf dich, während in mir die Selbstzweifel wucherten. »Hey, tough / What’s it like to be so big and strong and so buff? / Everything I’m not, but could I still be a hunk to you? / Enough for you, a stud to you?«, sang Troye Sivan viele Jahre später und formulierte in diesen Zeilen genau das, was ich empfand. Was an mir würdest du nehmen, wie es ist? Was würdest du verändern wollen? Würde ich je genug sein? Dürfte ich Hengst für dich sein? Und während sich die Zweifel in meinem Gehirn im Pingpong übten, sah ich, wie dein Schwanz sich leise aufbäumte. Deine...