E-Book, Deutsch, 474 Seiten
Schneider Don Francisco de Goya
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3550-3
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 474 Seiten
ISBN: 978-3-8496-3550-3
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Francisco José de Goya war ein spanischer Maler und Grafiker. In dieser Romanbiografie widmet sich Schneider dessen Leben unter Künstlern und Königen.
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Erster Teil. Die Herzogin
1
Vor dem Kuppelbau der neuen Madrider Kathedrale und zu beiden Seiten der vom Königsschloß herüberführenden Straße drängte sich das Volk. Es war ein strahlender Dezembersonntag, warm in der Sonne, kalt im Schatten – einer der gefährlichen Tage des kastilischen Klimas.
Der König hatte die Kirche zu Ehren des heiligen Franziskus bauen lassen, der in Spanien der Große heißt, heute sollte sie mit allem Prunk des Hofes eingeweiht werden: Karosse um Karosse rollte heran, und wer einen günstigen Platz am Portal hatte, konnte die Granden, Offiziere, Hidalgos mit ihren Damen aussteigen und in das Gotteshaus eintreten sehen. Einige Gäste erschienen in Mietkutschen, diesen weniger Vornehmen hatte ihre Mitarbeit am Bau und der Ausgestaltung der Kirche die Ehre der Einladung eingebracht. Ein zweirädriger Wagen fiel ein wenig aus dem Rahmen, ihn lenkte in hoffähiger Festkleidung, einen in neuem Mantel prunkenden Diener neben sich, der Besitzer: Francisco Goya.
Viele der Gaffer kannten den Maler und wußten mancherlei Geschichtchen über ihn und auch über sein lackiertes und vergoldetes Fahrzeug, das in ganz Madrid nur zwei Geschwister besaß. Man erzählte sich, er sei sehr stolz darauf, habe aber, bei der wackligen Bauart nicht weiter verwunderlich, viel Mißgeschick damit, einige waren noch vor wenigen Tagen Zeuge gewesen, wie der etwas bockige Gaul den Wagen umgeworfen und Don Francisco, glücklicherweise sanft, auf die Erde abgeladen hatte. So gab es während der ganzen Vorüberfahrt Lächeln.
Francisco, am Eingang angekommen, war selbst froh, daß die Fahrt mit einigem Anstand vorübergegangen war. Er hieß den Diener unter den andern Kutschern warten, nahm den Empfang durch einen Höfling mit Würde entgegen und wurde auf den Platz der Künstler geführt, der sich, außerhalb der Rangordnung, an einer Seitenwand befand. Er kam allein: der beschränkte Raum ließ die Zuziehung der Künstlergattinnen nicht zu.
Francisco konnte den Altar sehen, dessen Bild er gemalt hatte, natürlich war es nicht der Hochaltar – den hatte der Schwager Bayeu für sich und seine Schüler mit Beschlag belegt. Das Bild war verhängt wie alle andern, er wußte kaum mehr, wie es aussah, denn er hatte es vor drei Jahren gemalt und abgeliefert. Wäre es nach ihm gegangen, hätte man die Kirche schon damals einweihen können, aber die Kollegen brauchten Zeit, um mit ihren Meisterwerken fertigzuwerden.
Er hatte sich sehr angestrengt und war auch mit sich einigermaßen zufrieden gewesen, obwohl ihn der Stoff, eine Predigt des heiligen Bernhardin von Siena, nicht eben reizte – die verfluchten Staats- und Kirchenaufträge hatten immer solche blödsinnigen, zum Gähnen langweiligen Inhalte ... Zufrieden – was bedeutet das nach drei Jahren? Schreitet man in drei Jahren nicht weiter? Zum Teufel – diese saumseligen Burschen, diese tüpfligen Hofanstreicher wußten nicht einmal, welche Chance sie ihm durch ihren Schneckentrott nahmen ... Heute würde er diese Sache ganz anders malen, noch weiter weg vom Üblichen, Akademischen – lebendiger noch, ein bißchen frech, ein bißchen schmissig. Jeder müßte sagen: Donnerwetter, dieser Goya ...
Aber schließlich konnte ein wenig Zahmheit doch seine Vorteile bringen. Auf die Meinung der Hofschranzen kam es an, auf die Meinung des Königs. Ob der überhaupt eine Meinung hatte?
Ist es nicht eigentlich eine Niedertracht, so als Höflingsanwärter dazustehen und auf das Urteil dieser Hohlköpfe demütig zu warten, statt ihnen die Rückseite zu zeigen und nach dem eigenen Geschmack zu malen? Gemach, gemach – das hat alles seinen guten Sinn! Ein wenig Geduld noch – bald ist man oben, muß man oben sein, und dann ... Er phantasierte sich noch gar keine Einzelheiten vor, was dann sein würde – wußte nur dumpf: Ihr dünkt euch alle höher zu stehen als ich, und ich will euch zeigen, wie sehr ihr euch täuscht – aber um es euch zeigen zu können, müssen diese kleinen Äußerlichkeiten erledigt werden. Wir müssen einander vom gleichen Boden aus in die Augen sehen!
Für heute ließ sich ein hübscher Nebenerfolg denken: vielleicht gelingt es, diesen Schwager mitsamt seinen Küchlein auszustechen. Man ist zwar notdürftig versöhnt, Pepa hat eine Rührszene veranstaltet ... Aber daß sie einander hassen, das wissen sie beide. Da drüben steht er, bleich, mit seinem gallig süßen Lächeln, und tänzelt nervös von einem Bein aufs andere. Mein Gott, welche Verbeugung vor dem breiten Ordensband ...
In diesem Augenblick ging der Minister Graf Floridablanca vorüber, wurde auf Francisco aufmerksam und nickte ihm freundlich zu. Francisco bückte sich tief. Und diese Verneigung unmittelbar nach jenem spöttischen Gedanken kam ihm durchaus zum Bewußtsein ...
Draußen vor der Kirche nahm die Spannung zu. Militär zog auf. Die Wagen der Infanten und Infantinnen, von Leibgardisten geleitet ... der des Prinzen und der Prinzessin von Asturien, dieses in den Dreißigern stehenden, aber schon seit bald zwanzig Jahren vermählten Paares: er leeren Gesichts und ein wenig feist, sie, die Tochter des Königs von Neapel aus dem Hause Parma, mit stechenden Augen und hochmütigen Mienen, denen ihre Feinde das Warten auf die Verwaisung des Königsthrones anzusehen behaupteten. Das Volk schaute ohne viel Respekt durch die Glasscheiben dieser Kutsche.
Jetzt mußte der König kommen. Seit zwei Tagen befand er sich in Madrid, jedes Jahr, so viele er schon regierte, kehrte er am zehnten Dezember vom Escorial in die Hauptstadt zurück – das wußte allmählich jeder Bürger.
Und er kam. Zuerst Vorreiter. Dann der achtspännige Galawagen mit einem Hofbeamten auf dem Bock neben dem Kutscher und zwei andern auf den Trittbrettern, von berittenen Leibgardisten ganz umgeben, so daß niemand den Insassen zu Gesicht bekam. Nur die dem Portal zunächst Stehenden erblickten für kurze Zeit die lange, etwas gebückte Gestalt des Aussteigenden, seinen schmalen, dünn lächelnden Kopf.
Gewiß gab es in Madrid allerlei Personen, die, mehr oder minder heimlich, über Carlos den Dritten und sogar über sein Amt ihre eigenen, sehr freien Gedanken hegten. Aber hätte man hier aus diesen nicht ohne ehrfürchtige Schauer Gaffenden wahllos einige herausgegriffen und sie gefragt, ob sie den König liebten oder wenigstens mit ihm zufrieden seien – sie wären, außerhalb der gewohnten, an der Zustimmung des Nachbars sich ermutigenden Gassen- und Schenkengespräche, um eine Antwort verlegen gewesen. Daran, daß ein König sein müsse, zweifelte kaum einer, sowenig wie an den Heilslehren der Kirche, und dafür, ob dies ein guter oder ein schlechter sei, fehlte im Grunde die Möglichkeit des Vergleichs.
Die Bürger fühlten sich durch jene kleinlichen Vorschriften, die in ihren täglichen Wandel eingriffen, kaum mehr beschwert, weil sie nun seit langem nichts anderes gewöhnt waren. Was man besonderes von Carlos wußte: daß er den Mönchen und Inquisitoren das Privileg der Befreiung vom Militärdienst genommen und gar die Jesuiten vertrieben hatte – das hätte den Klerus zu einer Hetze gegen ihn veranlaßt, würde der König nicht jeden derartigen Versuch scharf bestraft haben. Ein Übergriff des Großinquisitors selbst wurde mit der Verbannung beantwortet. Und da also die Geistlichkeit ruhig blieb, blieb es nicht weniger das in seinen Meinungen von ihr abhängige Volk. Auch hatte der Papst inzwischen den Jesuitenorden aufgehoben, den spanischen Schritt also sanktioniert, und gegen die Strenggläubigkeit und Frömmigkeit des Königs ließ sich nicht der geringste Einwand erheben ...
Um die lange gebückte Gestalt entwickelte sich ein großer Empfang: Uniformen, Dreispitze, Perücken, Federbüsche, Feströcke und Ordensbänder in allen Farben des Regenbogens, Ordenssterne in allen Formaten, klirrende Degen, rote und violette Prälatensoutanen, funkelnde Kreuze, priesterliche Hermelinpelerinen, goldgestickte Mitren, dazwischen die dunklen Seidenkleider der Damen und ihre auf hohen Kämmen aufgesteckten schwarzen Mantillas ... Der pralle Knäuel all dieser im unmittelbaren Abglanz des Monarchen sich Sonnenden, platzend fast von der Gewalt und Herrlichkeit der Würden und Großwürden, die aus ihren Trägern wie ein Duft ausströmten und wie ein Gewimmel ineinander überfließender Heiligenscheine über ihnen schwebten – dieser aristokratische Knäuel also schob sich unter plötzlich und laut einsetzenden Orchesterklängen hinter der vom Kardinalprimas von Spanien geleiteten Majestät in das von gedämpftem Tageslicht und tausend Kerzen erleuchtete Haus des Dreieinigen Gottes und des Großen Bräutigams der Armut – so gut wie ungeordnet trotz den zappelnden Bemühungen des Oberhofmarschalls, dann aber durch eine unabweisliche Sitzordnung gleich den Engelscharen hierarchisch-gerecht sich staffelnd.
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