Buch, Deutsch, 771 Seiten, Format (B × H): 160 mm x 235 mm, Gewicht: 1311 g
Wandel von Governance durch Parlamente und Zivilgesellschaft
Buch, Deutsch, 771 Seiten, Format (B × H): 160 mm x 235 mm, Gewicht: 1311 g
ISBN: 978-3-593-39306-3
Verlag: Campus
Das Patentrecht, lange alleinige Domäne von Juristen und Technikern, wurde in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend internationalisiert und politisiert. Insbesondere um die Biotechnologie- Patentrichtlinie der EU wurde eine kontroverse Debatte geführt. Ingrid Schneider belegt, wie dieser Politikprozess die Governance des europäischen Patentsystems verändert hat. Parlamente und zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit haben neue sozioökonomische, ethische und kulturelle Sichtweisen eingebracht, die eine angemessene Balance zwischen Patentschutz und anderen gesellschaftlichen Normen halten sollen und zur Demokratisierung des Patentsystems beigetragen haben.
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Inhalt
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Einleitung
Teil I: Theorie und Grundlagen
A Governancetheorie und die Unverzichtbarkeit von Parlamenten
1. Begriffsdefinitionen: Governance als erweiterte Steuerungsperspektive (Mayntz)
2. Würdigung des Governance-Konzepts und eigene Schwerpunktsetzung
3. "Bringing parliaments back in": Die Unverzichtbarkeit von Parlamenten und formaler Gesetzgebung
4. Das Europäische Parlament
5. Das Schleusenmodell von Peters/Habermas als demokratietheoretischer Ansatz
6. Kontroversen als Ressource für Governance
7. Argumentieren und Verhandeln
8. Fazit
B Policy-Analyse, Diskursanalyse und Frame-Analyse
1. Zur Policy-Analyse in der Politikwissenschaft
2. "Linguistic Turn" und "Argumentative Turn" in der Policy-Analyse
3. Diskursanalyse als Policy-Analyse
4. Frame-Theorie und Methodik als Ausformung der Diskursanalyse
4.1 Frame-Theorie: disziplinäre und epistemologische Wurzeln
4.2 Frames: Definition des Konzepts
4.3 Merkmale und Funktionsweisen von Frames
4.4 Frames und die Konzeptualisierung von Akteuren und Strukturen
4.5 Ermöglichende und restringierende Funktionen von Frames: Diskurskoalitionen und Ausschlüsse
4.6 Frame-Ebenen und Typologien
4.7 Frame-Konstellationen: Simultane und antagonistische Frames
4.8 Frame-Dynamiken und Reframing
5. Zur Methode der Frame-analytischen Policy-Analyse
6. Relevanz der Frame-Theorie für die Politikwissenschaft und Anschlussfähigkeit an andere politikwissenschaftliche Ansätze
7. Zusammenfassung
C Patentrecht: Geschichte, Grundlagen und Theorien
1. Zur Geschichte des Patentrechts
2. Das Europäische Patentrecht nach dem Europäischen Patentübereinkommen
3. Legitimations- und Wirkungstheorien des Patentrechts
4. Die klassischen juristischen Patentrechtstheorien
5. Ökonomische Patentrechtstheorien und empirische Forschungen
5.1 Der public good-Charakter von Wissen und Erfindungen (Arrow, Nelson)
5.2 Der empirisch gestützte ökonomische Skeptizismus gegenüber dem Patentschutz
6. Neue Funktionen des Patentschutzes: Zur produktiven und strategischen oder destruktiven Nutzung von Patenten
7. Die Janusköpfigkeit des Patentschutzes: Spannungsverhältnisse und Zielkonflikte
7.1 Erfindungs- oder Investitionsschutz? Patente als Versicherung, Lotterie oder Beglaubigungsgut
7.2 Technologietransfer: Kommerzialisierung der Wissenschaft oder Privatisierung der Grundlagenforschung?
7.3 Individuelle Erfindung oder kollektive Innovation?
7.4 Kumulative und sequentielle Innovation
7.5 Return oder Kredit auf die Investition: Ist früher und breiter Patentschutz die Lösung oder ein Problem?
7.6 Zusammenfassung: Die Janusköpfigkeit des Patentschutzes
8. Die notwendige Neubegründung des Sozialvertrags im Patentrecht
D Die Architektur des europäischen Patentsystems
1. Die Europäische Patentorganisation (EPO)
1.1 Zweck und Zielsetzung, rechtliche Grundlagen
1.2 Die Entwicklung der EPO- Vertragsstaaten und der EU-Mitgliedschaften
1.3 Die Governance-Struktur der EPO: Verwaltungsrat, Europäisches Patentamt und Beschwerdekammern
1.4 Das Europäische Patentamt - Wachstumsdynamik eines Amtes
1.5 Rechtlich-institutionelle Hürden für eine Revision des EPÜ und für Änderungen in der EPO- Governance
1.6 Die Supranationalität der Europäischen Patentorganisation und des Europäischen Patentamtes
1.7 Demokratiedefizite und Fehlentwicklungen in der EPO
2. Die Patentpolitik der Europäischen Union
3. Das Verhältnis zwischen EPO und EU
4. Zusammenfassung
E Die epistemische Gemeinschaft des Patentrechts
1. Patentrecht als konstitutiv juridifiziertes soziales Verhältnis und die disziplinäre Subsumtion unter das Privatrecht
2. Das theoretische Konzept der "epistemischen Gemeinschaft"
3. Die epistemische Gemeinschaft des Patentrechts
3.1 Geteilte normative und kognitive Prinzipien: Die Glaubenssätze des Patentrechts
3.2 Geteilte Kausalvorstellungen, Wissensbasis und Policy-Enterprise
4. Besonderheiten rechtlicher epistemischer Gemeinschaften und patentrechtsspezifische Governance-Muster
5. Exkurs zur Rolle der Patentanmelderschaft
6. Zur Bedeutung und Funktion von epistemischen Gemeinschaften
7. Bedeutung der epistemischen Gemeinschaft für die Ausrichtung der Governance des Patentrechts
8. Zusammenfassung
F Die Vorgeschichte der Biotechnologie-Patent-Governance in Europa: Grenzziehungen im Patentrecht und ihre Erosion durch Ämter und Gerichte
1. Grenzen der Patentierbarkeit im EPÜ
2. Die Grenze zwischen Entdeckung und Erfindung
3. Schutz von Stoffen versus Verfahrensschutz
4. Belebte versus unbelebte Natur und Naturstoffe
5. Der Umfang des Stoffschutzes: zweckgebunden oder absolut?
6. Die Herkunft als Unterscheidungskriterium? Menschliche und nicht-menschliche Stoffe
7. Chirurgische und therapeutische Verfahren am Menschen (Heilverfahren)
8. Der Ordre Public als Grenze
9. Zwischenergebnis: Erodierte Grenzen
10. Implikationen und paradoxe Effekte der angewandten Patentdogmatik: der Verlust von "inneren" Grenzen
11. Normative und konsequentialistisch abgeleitete Funktionen von Grenzziehungen
11.1 Der Patentausschluss für Entdeckungen
11.2 Der Stand der Technik und der "Durchschnittsfachmann" als Regulativ
11.3 Der Ordre Public Vorbehalt
12. Demokratietheoretische Problematisierung: Law making und Agency durch die Judikative: Gerichte als "Ersatzgesetzgeber"
13. Zusammenfassung
Teil II: Empirie
A Policy-Analyse der EU-Biopatentrichtlinie
1. Die erste Phase des Gesetzgebungsprozesses (1988-1995)
1.1 Die Vorgeschichte der Richtlinie: Schritte zum Agenda-Setting
1.2 Der erste Richtlinienvorschlag der Kommission vom 21.10.1988
1.3 Die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 26.4.1989
1.4 Der Mensch als Gegenstand des Patentrechts - kleiner juristischer Exkurs
1.5 Die Stellungnahme des Parlaments zum Richtlinienvorschlag vom 29.10.1992
1.6 Die parlamentarische Debatte
1.7 Kritische Würdigung
1.8 Der geänderte Richtlinienvorschlag der Kommission vom 16.12.1992
1.9 Die Stellungnahme der Beratergruppe "Ethik der Biotechnologie" (GAEIB) vom 30.9.1993
1.10 Der Gemeinsame Standpunkt des Rates vom 7.2.1994 als Resultat von Verfahrens-Änderungen nach dem Vertrag von Maastricht
1.11 Eine abgebrochene Abstimmung: Abänderungsanträge des Europäischen Parlaments zur zweiten Lesung im Plenum am 5.5.1994
1.12 Die Stellungnahmen der Kommission und des Rats zu den Abänderungen des Parlaments am 9.6.1994
1.13 Das Vermittlungsverfahren zwischen dem Parlament und dem Rat
1.14 Das Scheitern des Richtlinien-Vorschlages durch die Ablehnung des Parlaments am 1.3.1995
1.15 Analyse des Scheiterns der Biopatentrichtlinie im Jahr 1995
1.15.1 Inhaltlich-substantielle Fragen
1.15.2 Diskontinuitäten durch den Wechsel der Legislaturperiode
1.15.3 Entscheidungsregeln und Verfahrensfragen
2. Die "zweite Runde" des Gesetzgebungsverfahrens (1995-1998)
2.1 Der neue Richtlinien-Vorschlag der Kommission vom 13.12.1995
2.1.1 Die Begründung des neuen Richtlinien- Vorschlages
2.1.2 Prädiktion des ökonomischen Potentials der Biotechnologie
2.1.3 Exkurs: Das wirtschaftliche Potential der Biotechnologie - retrospektiv betrachtet
2.1.4 Die Abgrenzung zwischen Entdeckung und Erfindung
2.1.5 Der rechtsverbindliche Teil: Die Neuformulierung der Artikel
2.2 Die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 11.7.1996
2.3 Der zweite Richtlinienvorschlag im Parlament: Der Rothley-Bericht
2.3.1 Änderungen zum menschlichen Körper und zur Ordre Public Klausel
2.3.2 Analyse der Argumentation des Rothley-Berichts und seiner Begründungslogiken
2.3.3 Die Stoffschutzdiskussion im Parlament: Produkt- versus Verfahrensschutz
2.4. Zur Institutionalisierung von ethischer Expertise im Biopatentrecht
2.4.1 Die Stellungnahme der Beratergruppe für Fragen der Ethik in der Biotechnologie der Europäischen Kommission vom 25.9.1996
2.4.2 Institutionalisierung einer fortlaufenden beratenden Funktion der Ethikberatergruppe für die Richtlinienimplementierung
2.5 Die Verankerung von Monitoringpflichten in der Richtlinie
2.6 Zum Kontext der ersten Lesung im Europäischen Parlament: Die Rolle von Patientenorganisationen
2.7 Die erste Lesung im Europäischen Parlament am 16.7.1997
2.8 Änderungen der Kommission vom 29.8.1997 und Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 26.2.1998: Veränderungen beim Informed Consent und im Ordre Public
2.9 Die 2. Lesung im Europäischen Parlament am 12.5.1998 und die Billigung durch den Rat am 16.6.1998
2.10 Zusammenfassung und Würdigung des Politikprozesses auf EU-Ebene
3. Die Nichtigkeitsklage der Niederlande vor dem Europäischen Gerichtshof
3.1 Der Klagegrund "Verletzung der Grundrechte"
3.2 Kritische Würdigung und Diskussion
3.3 Das EuGH Urteil - ein Beitrag zur Konstitutionalisierung des Patentrechts und zur Konstitionalisierung der Europäischen Union
4. Die Transposition der EU-Richtlinie in das Europäische Patentübereinkommen durch den Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation
B Die Implementierung der EU-Biopatent-Richtlinie in Deutschland
1. Die erste Phase des Umsetzungsprozesses (2000-2002)
1.1 Europarechtliche Einordnung: Funktion von EU-Richtlinien und Modus ihrer Umsetzung
1.2 Politische Ausgangslage und Konfliktkonstellationen
1.3 Das Präludium zur Implementierung: Das "Edinburgh Patent" und die Reaktion von Ministerien und Parlament im Februar 2000
1.4 Der Regierungsentwurf des deutschen Umsetzungsgesetzes vom April 2000
1.5 Der Kabinettsbeschluss vom 18. Oktober 2000
1.6 Die Stellungnahme des Bundesrates und die Gegenäußerung der Bundesregierung
1.7 Die Orientierung des Parlaments auf die supranationale Ebene
1.8 Die Stellungnahme der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" vom Januar 2001
1.9 Die Plenardebatten im Bundestag zum Enquete-Bericht und zur ersten Lesung des Regierungsentwurfs vom Mai und Juni 2001
1.9.1 Einordnung und Würdigung
1.9.2 Politiktheoretische Reflexion
1.10 Exkurs zum internationalen Kontext des Gesetzgebungsprozesses: Humangenom-Wettlauf und Biotech-Börsenfieber
1.11 Das Ringen um die "Funktionsbindung" des Stoffschutzes zwischen Regierung und Regierungsfraktionen in der Koalitions-Arbeitsgruppe
1.12 Die Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages
1.13 Politischer Gestaltungswille zur Reichweite der Stoffschutzbeschränkungen auf Gene: Vorgeschlagene, aber gescheiterte Gesetzesformulierungen
1.14 Vorarbeiten zu einem Entschließungsantrag vom März 2002
1.15 Zusammenfassung des Umsetzungsprozesses zwischen 2000 und 2002
2. Die deutsche Stoffschutzdebatte als zentrale inhaltliche Kontroverse
2.1 Drei Positionen zur Stoffschutzkontroverse und die Abkehr vom absoluten Stoffschutz auf DNA-Sequenzen
2.2 Faktorenanalyse für die Abwendung von der absoluten Stoffschutzdogmatik
2.2.1 Technische Veränderungen
2.2.2 Korrekturen in der geschätzten Zahl von Genen
2.2.3 Einflussreiche Wissenschaftler opponieren öffentlich
2.2.4 Hinweise auf Forschungsblockaden: Studien und Fälle
2.2.5 Vom kausalen zum systemischen Gen-Paradigma
2.3 DNA-Sequenzen als Stoffe oder als Information?
2.4 Die patentrechtsinterne Diskussion um Modi einer DNA-Stoffschutz-Beschränkung
2.5 Würdigung der vorgestellten Ansätze und Darstellung zweier Modelle
2.6 Restriktion durch stringentere Anwendung der Patentierungsvoraussetzungen
2.7 Verwendungsbezogene Zweckbindung des Patentschutzes für DNA-Sequenzen und weitere Instrumente
2.8 Abschließende Einordnung und Bewertung
3. Die zweite Phase des Gesetzgebungsverfahrens (2002-2003)
3.1 Neubeginn unter veränderten Kontextbedingungen und Konstellationen
3.1.1 Exogene Faktoren: Das Brüsseler Vertragsverletzungsverfahren
3.1.2 Personelle Diskontinuitäten
3.1.3 Konflikte zwischen Exekutive und Legislative: Gescheiterte Verhandlungen einer Koalitions-Arbeitsgruppe zur Neuvorlage aus dem Parlament
3.1.4 Konflikte zwischen Regierung und Opposition: Anträge von CDU/CSU und FDP
3.2 Der neue Gesetzentwurf der Regierung vom 25. Juni 2003
3.3 Die Stellungnahme des Bundesrats zum Regierungsentwurf
3.4 Der Regierungsentwurf im Parlament und die Kontroverse um einen Entschließungsantrag
3.5 Die Plenardebatte zur ersten Lesung am 11. März 2004
3.6 Die Anhörung des Rechtsausschusses am 29. September 2004
3.7 Die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates vom 6. Oktober 2004
4. Die letzte Etappe des Gesetzgebungsprozesses 2004: Resultate
4.1 Die Verurteilung Deutschlands durch den EuGH am 28.10.2004
4.2 Der Kompromiss der Regierungsfraktionen mit dem Justizministerium am 11. November 2004
4.3 Würdigung des Kompromisses und offene Fragen
4.4 Die Abstimmung in der SPD-Fraktion am 30. November 2004
4.5 Abschließende Beratung durch den Rechtsausschuss am 1.12.2004
4.6 Die Verabschiedung des Biopatentgesetzes und des Entschließungsantrages in zweiter und dritter Lesung am 3.12.2004
4.7 Zur Bewertung des Ergebnisses des deutschen Implementierungsgesetzes
4.8 Zusammenfassung
C Frame-Analyse der EU Kontroverse und des deutschen Politikprozesses
1. Die erste Phase der EU-Kontroverse (1988-1995): Formierung der beiden Hauptframes "Wirtschaft" und "Ethik"
1.1 Der Hauptframe "Wirtschaft"
1.2 Der Hauptframe "Ethik"
1.3 Die Konstellation zwischen den beiden Hauptframes: Antagonistisch
2. Frames und Diskurskoalitionen: Die Akteure
2.1 Die Diskurskoalition des Frame "Wirtschaft"
2.2 Die Diskurskoalition des Hauptframe "Ethik"
3. Die zweite Phase des EU-Gesetzgebungsprozesses von Ende 1995 bis 1998: Frame-Dynamiken
3.1 Inter-Frame-Dynamik: Die "konsequentialistische Wende" des Diskurses
3.2 Intra-Frame-Dynamik: Die Binnendifferenzierung der Frames - Maximalismus und Minimalismus
3.2.1 Frame "Wirtschaft": Minimierung durch Nicht-Patentfähigkeit von ESTs
3.2.2 Frame "Ethik": Minimierung durch Fokussierung auf den menschlichen Körper und auf Reproduktionsgenetik
3.3 Die Frame-Dynamik 1995-1998: Zusammenfassung
4. Der Niederschlag der Frames im 1998 verabschiedeten Richtlinientext: Selektive Integration
4.1 Grundsätzliche Patentfähigkeit von biologischem Material
4.2 Artikel 5 der Richtlinie
4.3 Artikel 6 der Richtlinie
4.4 Exkurs: Patentrecht als forschungspolitisches Governance-Instrument
4.5 Zusammenfassende Würdigung
5. Zusammenfassung für 1988 bis 1998 - der Politikprozess auf EU Ebene aus Frame-analytischer Perspektive
6. Frame-Analyse des deutschen Implementierungsprozesses 2000-2004: Diskursverschiebungen und Reframing
6.1 Die kreuzweise Verkehrung der Hauptframes
6.1.1 "Ethisierung" des "Wirtschafts"-Frames
6.1.2 "Ökonomisierung" des Ethik-Frames
6.1.3 Würdigung
6.2 Reframing als Ergebnis des Politikprozesses: Von der "Überbelohnung" zur "Balance"
6.3 Schlussbetrachtung
D Die Implementierung der Richtlinie 98/44/EG in den EU-Mitgliedsstaaten sowie weiteren Staaten
1. Die Implementierung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union
2. Die Bindungswirkung der EU-Richtlinie über die EU hinaus
2.1 Die EWR Staaten: Norwegen, Island und Liechtenstein
2.2 Nicht EU-Mitglied, aber Vertragsstaat der EPO: die Schweiz und andere Länder
3. Zusammenfassende inhaltliche Übersicht über Modifikationen und Erweiterungen zum Richtlinientext in Nationalstaaten Europas
3.1 Zielbestimmung und Bezugsrahmen des Patentschutzes
3.2 Stoffschutzbeschränkungen
3.3 Ordre Public-Ausnahmen
3.4 Geographische Herkunft und Informed Consent
3.5 Forschungsprivileg, Zwangslizenz, "licence of rights"
3.6 Prozedurale Instrumente
4. Außereuropäische Übernahme der EU-Biopatentrichtlinie: China
5. Zusammenfassung und Ausblick
5.1 Europäische und nationale Öffentlichkeiten
5.2 Die Ausstrahlungskraft europäischer Gesetzgebung
E Weitere Entwicklungen auf europäischer Ebene nach 1998
1. Die Berichte der Europäischen Kommission nach Richtlinien-Artikel 16
2. Entschließungen des Europäischen Parlaments zur Biopatentierung
3. Die Patenterteilungspraxis des EPA und die Spruchpraxis seiner Einspruchs- und Beschwerdekammern
F Erste Ergebnisse hinsichtlich des Vollzugs des deutschen Biopatentgesetzes durch die Patentanwaltschaft und in der Praxis des Deutschen Patent- und Markenamtes
1. Verhalten des Bundesjustizministeriums und Reaktionen der Patentanwaltschaft
2. Die Implementierung des Gesetzes durch das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA)
3. Die Entwicklung der Anmelderaten nach Inkrafttreten des deutschen Biopatent-Gesetzes
3.1 Zahlen zu den Anmeldungen und Erteilungen (1998-2007)
3.2 Analyse und Ergebnis
3.3 Veränderungen im Anmelderverhalten?
3.4 Zusammenfassung
4. Die Implementierung der Verwendungsbeschränkung von § 1a Abs. 4 PatG in der Praxis
4.1 Beleg des Gesetzesvollzuges durch das DPMA
4.2 Würdigung und kritische Bewertung
5. Ausblick zum Stand der Genpatentierung in Europa und zur Abschätzung der zukünftigen Entwicklungen
Teil III: Ergebnisse
Kurzzusammenfassung
A Verlauf und Ergebnisse des Gesetzgebungsaktes und seine Bedeutung für die Governance des europäischen Patentsystems
B Die Rolle der Parlamente
C Zur Neukonzeption eines regulativen Patentrechts und eines responsiven Patentsystems
D Die Erweiterung der epistemischen Gemeinschaft
E Modifizierte Legitimationstheorien und Korrekturmechanismen zur Entgrenzung
F Modifikationen in der Architektur des Europäischen Patentsystems
G Legislative Governance und horizontale Selbstregulierung
H Erkenntnisse für die politikwissenschaftliche Governance- und europäische Integrationsforschung
Eigene Datenerhebung: Experteninterviews und Hintergrundgespräche
Quellen
Literatur
Tabellen und Schaubilder
Abkürzungsverzeichnis
Anhang - Modifikationen in den nationalen Umsetzungsgesetzen europäischer Staaten: Dokumentation
Das Patentrecht gilt als eine Art "Geheimwissenschaft", die aufgrund der dafür benötigten naturwissenschaftlichen Fachkenntnisse selbst für Juristen schwer zugänglich ist (vgl. Adrian 1996: 6). Lange Zeit blieb das Feld Spezialisten überlassen. Umso erstaunlicher ist es, dass diese "dry and dusty corner of the law" (Emmott 2001: 374) in den Fokus lange andauernder politischer Kontroversen gerückt ist. Diese Studie liefert hierfür Erklärungen, indem sie exemplarisch an dem besonders konfliktiven Politikprozess um die Patentierung in der Biotechnologie aufzeigt, wie in diesem Politik- und Technologiefeld das Patentrecht politisiert wurde.
Der Titel dieses Buchs lautet "Das Europäische Patentsystem. Wandel von Governance durch Parlamente und Zivilgesellschaft". Ihm liegt die Hypothese zugrunde, dass die EU-Biopatentrichtlinie und die heftigen Kontroversen, von denen sie begleitet war, sowohl Ausdruck wie Auslöser für Transformationen in der Governance des europäischen Patentsystems ist. Ausgangspunkt der Studie ist daher die Richtlinie "über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen" (98/44/EG), die vom ersten Entwurf 1988 bis zur Verabschiedung 1998 zehn Jahre in Anspruch nahm und bis zur endgültigen Implementierung in den nationalen Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft noch einmal rund ein Jahrzehnt benötigte. Die Rahmendaten dieses zwanzigjährigen Politikprozesses bestimmen auch den Untersuchungszeitraum von 1988 bis 2010.
Die Untersuchung ist nicht nur empirisch, sondern auch theoretisch ausgerichtet, denn um diese Transformationen angemessen beschreiben zu können, bedarf es eines theoretischen Rahmens. Deshalb werden im ersten Teil dieses Buchs in einem Theorie- und Grundlagenteil zum einen Governance-Theorien sowie das politologische Instrumentarium und die Methodologie für die Policy-Analyse von Governance-Prozessen diskutiert. Zum anderen werden in Bezug auf den Forschungsgegenstand die Grundstrukturen des europäischen Patentsystems, das heißt seine Geschichte, seine Kriterien der Patentierbarkeit, seine Patenttheorien, seine institutionelle Verfasstheit und die "Vorgeschichte" seiner Governance im Bereich der Biotechnologie aufgezeigt. Um der Frage nachzugehen, was sich transformiert hat und wie sich dieses - nicht zuletzt durch die Kontroversen - vollzogen hat, werden dabei wichtige Aspekte herausgearbeitet, die im zweiten, empirischen Teil weiter verfolgt werden, denn die Transformationen des Patentsystems haben mehrere Dimensionen: In prozeduraler Hinsicht betreffen sie das Verhältnis zwischen der Selbstregulation des Patentsystems und seiner legislativen Governance. In inhaltlicher Hinsicht geht es unter anderem um die Reichweite und die Grenzen des Patentschutzes, aber auch um die Resonanz und Responsivität für die Innovationsförderung und andere soziale, ökonomische und normative Anliegen, die vor allem von Parlamenten und Zivilgesellschaft an das Patentrecht herangetragen wurden. In institutioneller Hinsicht kommen die besonderen Charakteristika des europäischen Patentsystems ins Blickfeld, welches nicht auf die EU beschränkt ist, sondern eine eigene supranationale Doppelstruktur ausgebildet hat.
Die vorliegende Studie fokussiert auf das Patentrecht in der Biotechnologie und konzentriert sich dabei auf die biomedizinischen Anwendungsbereiche. Obgleich in der EU-Biopatentrichtlinie 98/44/EG auch die Patentfähigkeit von Pflanzen und Tieren behandelt wurde, bleiben diese Aspekte ausgeklammert, da sie eine Fülle weiterer Bereiche - etwa von Ernährungssicherung, Umwelt, Tierschutz, Biodiversität - berühren, die den Rahmen dieses Buchs gesprengt hätten. Darüber hinaus ist die Fokussierung auf die biomedizischen Anwendungsfelder dadurch gerechtfertigt, dass gesellschaftliche Konflikte sich an dem besonderen Gegenstand, dem Patentschutz auf "lebende Materie" entzündeten, die Kontroversen sich auf diese humanmedizinischen Bereiche konzentrierten und damit die wesentlichen Gesichtspunkte erfasst werden.
Gleichwohl war der Konflikt kein bloßer Technologiekonflikt, sondern ist als Teil von emergenten neuen Konfliktkonstellationen zu bewerten, die im Zusammenhang mit der Aufwertung von Immaterialgüterrechten stehen. Daher handelt es sich nicht um einen singulären Prozess, sondern es können daran exemplarisch einige Konfliktfelder verdeutlicht werden, die in breitere Entwicklungslinien eingebettet sind. So ist hervorzuheben, dass das Patentrecht - zusammen mit anderen Immaterialgüterrechten wie dem Urheberrecht, dem Markenrecht sowie weiteren gewerblichen Schutzrechten - in den vergangenen beiden Jahrzehnten international eine erhebliche Bedeutungsaufwertung erfahren hat, offensichtlich sind Patente zu einer "Währung der wissensbasierten Ökonomie" geworden (Guellec/van Pottelsberghe 2007).
Das Konzept der "wissensbasierten Ökonomie" wurde 1996 von der OECD formuliert und hat seither als Leitbegriff und Vision eine erstaunliche politische Karriere gemacht. Manche meinen zwar, es handele sich dabei lediglich um eine Umetikettierung von "Wissenschafts- und Technologiepolitik", in der gleichzeitig der in Technikkonflikten ambivalent gewordene Begriff des "wissenschaftlich-technischen Fortschritts" durch den wohlklingenden Terminus der "Innovation" ersetzt wurde. Andere argumentieren hingegen, dass dieser Begriff einen grundlegenden Strukturwandel von globalisierten Industriegesellschaften im Übergang hin zu Wissens- oder Informationsgesellschaften bezeichnet, in denen die Produktion und der Handel mit immateriellen, stofflosen Gütern - Dienstleistungen, Informationen und Wissen - entscheidend für die Zukunft dieser Ökonomien sei (Stehr 1994, Albert et al. 1999, Böschen/Schulz-Schaeffer 2003, Pahl/Meyer 2007). Die Europäische Kommission stilisiert den "freien Wissensverkehr" inzwischen zur "fünften Grundfreiheit" des Binnenmarktes (EUC 2007).
Einige Auguren deuten dies als Umbruch zu einer "Wissensordnung", in der Wissen zu einer Produktivkraft und Schlüsselressource werde und neben der Rechts- und Wirtschaftsordnung einen gleichwertigen Rang als Grundordnung der Gesellschaft einnehme (Spinner 1994: 50). Vor dem Hintergrund des Heraufziehens einer "wissensbasierten Ökonomie" ist der Zugang zu Wissensressourcen, die private, öffentliche oder gemeinnützige Produktion von Wissen und seine Aneignung, Zirkulation und Diffusion zu einem relevanten Thema geworden, das sich in einer wachsenden Zahl von Policy-Konflikten in verschiedenen Politikarenen widerspiegelt. In diesem Sinne wären die Konflikte um das zum ›cornerstone of economic activity‹ (Gowers 2006: 3) aufgerückte "geistige Eigentum" als Konflikte um Regeln, Allokations-, Verteilungs- und Machtverhältnisse in dieser neuen, heraufziehenden Ordnung zu verstehen, in denen unter anderem die Frage verhandelt wird, ob Wissen Ware und Eigentum oder aber ein Kollektivgut ist (Hofmann 2006). Die Modi des Schutzes "geistigen Eigentums" in der économie de l'immatériel (Lévy/Jouyet 2006) sind daher als Formen der Regulation von Wissensmärkten und -ökonomien zu begreifen. Womöglich, so wiederum eine andere Einschätzung, handelt es sich bei den Auseinandersetzungen indes vor allem um das Manifestwerden von Konflikten, die von jeher im Patentrecht und anderen gewerblichen Schutzrechten angelegt waren, jedoch lange Zeit latent geblieben sind.
Die vorliegende Arbeit nimmt diese Deutungsmuster interessiert zur Kenntnis, will sich aber nicht an diesen zeitdiagnostischen Einschätzungen oder polit-ökonomischen Debatten beteiligen. Vielmehr ist es zentrales Anliegen der Untersuchung, zu eruieren, wie in diese Konflikte selbst, die sich im Rahmen von Gesetzgebungsprozessen vollzogen haben, unterschiedliche Deutungsmuster eingegangen sind, wie diese sich im Verlauf des Politikprozesses verändert haben und zu welchen Schließungsprozessen es dabei gekommen ist. Diese eher induktive Perspektive wird in eine breitere Governance-Perspektive eingeordnet. Es geht also nicht darum, in normativer Absicht Stellung zu beziehen dazu, welches Deutungsmuster plausibler oder analytisch und argumentativ überlegen war, sondern darum herauszuarbeiten, wie sich durch den Prozess der Bestreitungen und Anfechtungen tradierter patentrechtlicher Axiome und Deutungsmuster sowie das Gesetzgebungsverfahren selbst neue Konzeptionen, aber auch Regelungsmuster entwickelten, die wiederum ihren Niederschlag in Akteuren und Strukturen gefunden haben.
In Bezug auf den "Umbruch" hin zur Wissensordnung ist darauf hinzuweisen, dass sich die Biopatentkontroverse durchaus auch als impliziter Kommentar dazu lesen lässt, dass Wissen keineswegs immer "stofflos" ist, sondern an materielle Entitäten gebunden ist und sich in ihnen verkörpert, dass aber gleichzeitig der Patentschutz in seinem Schutzbereich auch auf die rechtliche Inanspruchnahme von "Stoffen" als Erfindungen ausgegriffen hat. Dieser Bedeutungsgewinn von Immaterialgüterrechten im Übergang zu Wissensgesellschaften hat gleichzeitig dazu geführt, dass Konflikte im Zusammenhang mit solchen rechtlich geschaffenen Gütern, die Wissen marktfähig machen, offenbar wurden und diese "geistigen Eigentumsrechte" neue Reibungsflächen erzeugen. Diese Politisierung von Intellectual Property Rights hat wiederum das Interesse von Politik-, Sozial- und Geisteswissenschaftlern an diesen Themenstellungen geweckt, sodass das Politikfeld nicht mehr nur Juristen und den in jüngerer Zeit wieder in stärkerem Maße engagierten Ökonomen überlassen bleibt, sondern zunehmend auch Stimmen aus anderen Disziplinen zu hören sind.
Mit dieser Studie soll nicht nur ein politologischer Beitrag zur interdisziplinären Diskussion über Intellectual Property Rights geleistet werden, es wird darüber hinaus ein neues Politikfeld - die Immaterialgüterrechte - für die politikwissenschaftliche Analyse eröffnet.
In einem weiteren Sinne sieht sich die vorliegende Arbeit als Beitrag zur Governance-Forschung, zur Policy-Analyse, zur europäischen Integrationsforschung, zur Parlamentarismusforschung, zur Rechtspolitologie, sowie zur politikwissenschaftlichen Technikforschung bzw. allgemeiner zu den Studien im Rahmen des interdisziplinären Forschungsgebiets der Science and Technology Studies (STS), die ich im folgenden kurz umreissen werde.
Da die Governance-Forschung und die Methodologie der Policy-Analyse, insbesondere in ihrer neueren diskurstheoretisch und Frame-analytisch angelegten Ausprägung, in den ersten beiden Kapiteln dieses Buchs ausführlich diskutiert werden, beschränke ich mich hier darauf, auf einige Anschlüsse hinzuweisen, bevor ich die Relevanz dieser Arbeit für die weiteren oben genannten politologischen Forschungsgebiete skizziere.
Diese Studie leistet erstens einen Beitrag zur Governance-Forschung insoweit sie auf die Verschränkung von horizontaler und vertikaler Governance (Mayntz 1998) und auf bisher wenig berücksichtigte Governance-Dimensionen der Problemwahrnehmung sowie der Prozesse, mittels derer divergierende und konkurrierende Deutungsmuster in Einklang gebracht werden können, hinweist. Die Fokussierung auf einen hartnäckigen Policy-Konflikt und seine Bewältigung durch parlamentarische Gesetzgebungsprozesse kann zudem zum besseren Verständnis von Persistenz und Wandel von Governance-Konfigurationen im Zusammenhang mit demokratischer Legitimation beitragen.