Schnack | feuchtes holz | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 192 mm

Schnack feuchtes holz


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7013-6308-7
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 320 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 192 mm

ISBN: 978-3-7013-6308-7
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Du bist zurück am Ort deiner Kindheit. Dein erstes Laufen um den See wird zum Einlaufen in frühere Gerüche, in Gefühle von Geborgenheit, abseits von Tempo. Du bist wieder hier, stehst auf der Brücke am Ende des Sees. Das feuchte Holz trägt seinen Geruch zu dir und mit ihm die Bilder deines nicht mehr existierenden Familienhauses. Es riecht nach morschen Brettern, der regennassen Veranda, den Badeanzügen der Großmutter, dem Wetterfleck des Großvaters ... Das Gehen zu früheren und gegenwärtigen Orten rund um das ehemalige Haus verschafft dir Zutritt zu vergangenen Stimmen, Silhouetten, Berührungen - aber auch zum Verstehen. Denn du begreifst, wie nie aufgearbeitete Kriegstraumata der Familie in deinem Körper, deinen Emotionen und Denkmustern weiterwirken. Sophia Lunra Schnacks Debütroman bewegt sich in einem zeitlosen Raum, in dem die Grenzen zwischen Erinnerung und Zukunft, Vergangenheit und ihrer gefürchteten Wiederkehr durchlässig werden. Fast märchenhaft mutet die Landschaft an, vor der rückblickend Kriegs realitäten von Großvater und Urgroßvater erzählt werden. Der Übergang geschieht unbemerkt, elegant, harmonisch, genauso wie literarische Schranken und Genre-Grenzen sich verschieben: Prosa verwandelt sich in leichtfüßige Strophen und Verse erzählen ihre Geschichten. In der Auflösung erst entsteht der Zusammenhalt.

Schnack, Sophia Lunra Geboren 1990, lebt und schreibt überwiegend in Wien. Veröffentlichte bislang Lyrik und (lyrische) Prosa u. a. in den 'Manuskripten', in der 'Poesiegalerie', in 'Das Gedicht' oder in den 'Signaturen'. Die Autorin schreibt auf Deutsch und Französisch. Immer wieder sucht sie eine klanglich-atmosphärische Annäherung zwischen den beiden Sprachen. 2022 erhielt sie den rotahorn-Literaturförderpreis. Seit 2023 leitet sie einen Lyrikblog für 'Das Gedicht' (Hg. Anton Leitner).
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


stickige verstrickungen


er ist wie vor dir

wie unter deinen zehen

dieser dunkelgrüne boden des

vorzimmers

er strömt wie vor dir

wie unter deiner nase

sein kalter geruch nach

feuchter mauer

der tisch gleich beim eingang

mit großem feldstecher

schwarz

der bleiche stoff weiter hinten

der durchgesessenen bank

zum schuhe binden vor

verdunkelndem spiegel der

kleine bräunliche kamm die

rote taschenlampe mit

braunem tesaband

rundherum die

zerfallen die

niemand

ersetzt

seit

neunzehnhundertvierundvierzig in der Stadt alles zerbombt. Seitdem durfte man die Taschenlampe nicht ersetzen. Seitdem die Urgroßeltern mit ihren Söhnen, mit den Zwillingen, in das Haus geflüchtet. In das Haus, das thront über dem See. In das Haus, das thront am Waldrand, mit der schon neunzehnhundertvierundvierzig markanten, mit der schon neunzehnhundertvierundvierzig uralten Kastanie. Seit neunzehnhundertfünfundvierzig die Familienwohnung des Urgroßvaters abgebrannt, gerade noch, am allerletzten Kampftag. Seitdem durfte man die Taschenlampe mit dem Tesaband rundherum nicht ersetzen. Seitdem ein Menschenleben nichts mehr war gegen das Leben, das Überleben, über Generationen, dieser Kastanie. Seitdem sie hierher, in den abgelegenen Ort, in dem alle Villen von Juden entleert, gesäubert. Von dem aus weiter transportiert, abtransportiert wurde. Zwischen Gletscherzunge und Habichtskauz.

Angeblich hat der Urgroßvater abgelehnt. Verweigert, als das übliche kam: das übliche Angebot, eine der entrümpelten Villen zu beziehen. Das übliche Angebot, ihre Räume zu arisieren. Zwischen Loser und Sarstein das Gesicht zu wandeln.

Beim Gehen über Wiesenwege deiner Kindheit siehst du es jetzt, dieses erst recht. Also nicht den Gegensatz, sondern dass hier erst recht, in dieser Idylle, die ideale Kulisse für Volkstum und Heimattreue. Dass hier wie gerufen das Brauchtum, missbrauchend gepflegt. Erst recht von der Kraft-durch-Freude-Bewegung. Zunächst noch der Widerstand, der Widerstand eines überlaufenden Fasses. Hitler, aufs Korn genommen. Aufs Korn genommen mit Kostümen aus Krepppapier, mit Hüten aus Rinde, mit hobelschartenen Locken, mit Kochlöffeln und Besen als Waffen. Dann immer schneller das Überrollen, das Überrollen von dörflichen Anzeigen zum Darmbluten, zum Terror in elenden Gassen.

Im Krieg, heißt es, zwischen Dachstein und Loser, färbt sich langsam rosa, im Krieg, heißt es, kann Carneval nicht das Szepter führen.

Angeblich hat der Urgroßvater abgelehnt. Angeblich hat er sich verweigert gegen die Bonzen. Du fragst: hätte man es dir sonst gesagt?

Angeblich nahm er das Haus eines Bauern. Du hast das Bild vor dir. Das Foto in schwarz

weiß

hast das bild vor dir

von der sonnenverbrannten fassade

von ihren verbogenen holz~

brettern

extremen witterungen

exponiert

auf dem gebogenen papier des

fotos

die urgroßmutter mit dem

urgroßvater

sie stehen und winken in

schwarz

weiß

wie nach ihnen der großvater

mit der großmutter

stehen und winken in

farbe

winken mit flatterndem

taschentuch

wenn du eingebogen

mit dem vater

wenn ihr abgefahren

vielleicht ist dieses foto in

schwarz

weiß

geschossen vom großvater

kurz nach dem krieg

als er schon wusste dass

sein bruder

gefallen

gefallen vom dicksten ast der

kastanie

auf dem sie vorm einrücken beide

gesessen angstlos

lachend

Gefallen in Treue ergeben zu Hitler, stand auf dem Brief mit

dem Reichsstempel,

den der Postbote überreichte der Urgroßmutter.

der mutter vorm haus

mit der katze

am arm

Seine Eltern hatten es dem Großvater nicht überbracht. Dem Bruder des Gefallenen nicht gesendet in die amerikanische Gefangenschaft. Erst als der Großvater zurückkam, zum Haus, zur Kastanie, dann seinen Bruder nicht fand

seitdem das schwarz gerahmte

foto

auf dem regal oben im

eck

seitdem die trockene rose langsam

verblassend

vor dem neunzehnjährigen mann

seinen blonden wellen

blauen augen

vor seinem melancholischen blick

den du nicht kanntest

du immer

fixiert

Seit Kurzem spricht sie, die Großmutter, spricht in Fetzen. Immer wieder dieselben Szenen, immer wieder, die sich formen zu klaren Ausschnitten, zu einzelnen, abgehackten, überdeutlichen Bildern. Erzählt, dass nur die Mutter die Zwillinge auseinandergehalten. Die bei Bologna für immer getrennten Brüder. Nur die Mutter kannte die Merkmale, die Muttermale, die den in Ungarn Gefallenen vom Großvater unterschieden. Nur sie kannte die abweichenden Formen, für sie so klar, was für andere unsichtbar. Dass er das nicht verstand, scherzte manchmal der Großvater. Also warum niemand ihn und seinen Bruder auseinandergehalten. Dass er seinen Bruder von hinten erkannt.

Nur die Mutter hatte ertastet, blind, die Konturen des verlorenen Körpers. Dessen Name golden graviert, unter so vielen anderen golden gravierten Namen, in die Tafel der Gefallenen. Der Gefallenen des Ortes, deren Körper anderswo verstummt. Später war die Mutter nie am Soldatengrab in Pécs. Nie am leeren Grab, mit dem falschen Geburtsdatum ihres Sohnes. Sein Sterbedatum, unverrückt. Sein Soldatengrab, dessen Stelle auch der Großvater, suchend, nie gefunden haben wird. Es blieb für die Mutter, den Vater, den Bruder ein substanzloses Erinnern am Grabstein des Friedhofs am See. Nur: in Gedenken an … Nur: ein nie abgeschlossenes scheiden

eines körperlos

ortlos nie

ruhenden

Wo ist mein Bruder?

fragte der Großvater in seine letzten Wochen hinein. Als er seine Kontrolle verloren. In seinen letzten Oktoberwochen, plötzlich, das Sprudeln dieser innigen Liebe. Dieser innigen Liebe zu seinem Bruder, der immer eine Silhouette geblieben. Seinem Bruder galten die letzten Fragen des Großvaters, sein Zurücksteigen in ein verständnisloses Kindsein.

Bloß, dass es ihm noch recht gut ergangen, drüben. Damit meinte der Großvater Amerika, seine Gefangenschaft. Bloß: viel besser als euch hier. Mehr hat er nie erzählt.

Immer wieder in seinen

gesten in seinen

augen die

toten

immer wieder

wie er vor seinen eigenen

händen

erschrak

eine zeit die nicht deine die du

gespürt

aus weitergegebenem

schweigen

abgewürgtem empfinden

übertragenen

trennungen

aus trennungen in die hinein

die großmutter jetzt

bricht

in die hinein sie

immer wieder bricht, dass sie vorbeigegangen mit ihrer Mutter an den Buben im Baum. Dass die beiden so mitten im Krieg vom Ast frech grinsend heruntergeschaut. Dass wenige Jahre später nur mehr der eine, ihr zukünftiger Mann, und dass er nicht mehr am Ast sondern

auf der bank

darunter

gesessen

statt angstlos

lachend

aus leere

starrend

Jetzt bricht sie, erzählt sie immer wieder, die Großmutter, dass sie im Sommer neunzehnhundertneununddreißig das erste Mal hierhergekommen zum See. Mit ihrer Mutter und dem Maler Hans Frank. Dass sie im Haus Nummer 19 gewohnt. Dass sie es geteilt mit Deutschen aus Schweinfurt. Dass unter den vorbeimarschierenden Soldaten die Verehrer ihrer älteren Schwestern. Dass sie sich vorm Stall getroffen. Dass die Großmutter als Jüngste derweil die Schweine gefüttert mit Pletschen.

Du willst es finden dieses Haus Nummer 19. Stapfst durch härter werdenden Schnee, stapfst Abendröte entgegen. Eis überzieht deine Zehen. Wieder: einen Ort, seinen Körper, nicht finden, denkst du. Heimkehren müssen. Trotzdem heimkehren: es Nacht über ihm, seinem Fehlen, werden lassen. Stehst vor der Eingangstür, um deine Schneesohlen abzuklopfen. Deine Augen wandern, nicht mehr suchend. Überfliegen: 19.

Dass es hier war, ausgerechnet hier, also in dieser Veranda, durch die du jetzt gehst. Wie du unbewusst, noch mehr unterbewusst, deine Schritte in die ihren gesetzt. Achtzig Jahre nach der Großmutter, ihrer Mutter und dem Maler Hans Frank. Wie du unbewusst, noch mehr unterbewusst, dieselben Stiegen gewählt. Dieselben Stiegen, um dasselbe Knarren zu hören. Dasselbe Knarren wie sie.

Erzählt, dass sie neunzehnhundertdreiundvierzig verschickt aus der Stadt. Mit ihren Schwestern zu Verwandten nach Gmunden, zum benachbarten See. Zunächst am Kirchplatz Nummer 1, in das kleine Zimmer, in dem sie zu viert geschlafen. Unter dem Esstisch, ineinandergreifend. Dann in der Salzfertigergasse Nummer 3. Dass immer der notwendige Vorrat zu Hause. Der notwendige vorrat an tabletten

für den notfall um schnell zu

sterben

bei bedarf

auf abruf

Dass...


Schnack, Sophia Lunra
Geboren 1990, lebt und schreibt überwiegend in Wien. Veröffentlichte bislang Lyrik und (lyrische) Prosa u. a. in den „Manuskripten“, in der „Poesiegalerie“, in „Das Gedicht“ oder in den „Signaturen“. Die Autorin schreibt auf Deutsch und Französisch. Immer wieder sucht sie eine klanglich-atmosphärische Annäherung zwischen den beiden Sprachen. 2022 erhielt sie den rotahorn-Literaturförderpreis. Seit 2023 leitet sie einen Lyrikblog für „Das Gedicht“ (Hg. Anton Leitner).



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