E-Book, Deutsch, 260 Seiten
Schmölzer Heimat
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-903575-36-3
Verlag: edition keiper
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 260 Seiten
ISBN: 978-3-903575-36-3
Verlag: edition keiper
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In St. Vinzenz in der Südweststeiermark ist das Leben der Menschen von Landwirtschaft und Kirche geprägt. Die Bewohner stellen sich der bedrückenden Last der Vergangenheit und trotzen dem harten Alltag mit Mut und Humor, kleine Missgeschicke werden zu gewaltigen Herausforderungen und große Probleme lösen sich unerwartet einfach.
Rund um die alte Bäuerin Franziska Klug und den pensionierten Gendarmen Josef Sudi erzählt August Schmölzer eine mitreißende Geschichte über das Leben, die Liebe und das Überwinden von Hindernissen. Und darüber, dass auch im Kleinen das Große
entstehen kann.
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Das Wetter zu Ostern ist für die Buschenschänken immer ein Gradmesser für den Verlauf eines Geschäftsjahres. Am Palmsonntag hat es geschneit. Pfarrer Schwintzerl wollte endlich einmal, wie Jesus in Jerusalem, mit einem Esel in St. Vinzenz einreiten, aber der Schnee hat es verhindert. Seine Köchin Reserl hätte den Esel führen sollen. So haben sie tagelang umsonst geübt. »Ein schlechtes Omen«, prophezeite Frau Klug. »Das verheißt nichts Gutes fürs Jahr. Aber man muss es nehmen, wie es kommt. Die Zeiten ändern sich gewaltig. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen. Wo wird das noch hinführen mit der Welt«, sinnierte sie. Am Karsamstag gab es Raureif und Straßenglätte, die katholischen Weihfleischsegnungen mussten entfallen. Viele St. Vinzenzer segneten sich gegenseitig ohne geistlichen Beistand. Frau Klug segnete Josef und Josef Frau Klug, danach aßen sie Schinken mit Kren, Osterkrainer5, Eier, von Frau Klug selbst gebackenes Weißbrot mit extra Rosinen für Josef, und sie tranken dazu Schilcher, wie es seit Ewigkeiten in der Weststeiermark Tradition ist. Die erlaubten Osterfeuer waren unbrennbar und erst Wochen darauf waren sie trocken genug, um abgebrannt zu werden. Die elektrischen Osterkreuze, die immer größer, farbenprächtiger und ausufernder wurden, hatten Wackelkontakte und die Glühbirnen platzten im Frost. Anfang Mai wurde es Gott sei Dank nicht nur wärmer und das Jahr kam in die richtige Spur, es wurde auch die Tourismussaison in St. Vinzenz und der ganzen Südweststeiermark eröffnet, und die Jagd begann. Überall in den Wäldern um St. Vinzenz lärmt es von frühmorgens bis spätabends. Hauptsache Weidmannsheil! Die Büchsen knallen und die Rehe schrecken, nicht nur weil sie sich fürchten, sondern auch weil der Geschlechtstrieb einschießt. Ihr Ruf klingt wie ein Bellen. Und überall Menschen! Ob Jäger oder Touristen – alle sind überdreht, sie schreien lauthals, werfen ihren Abfall weg und trampeln über Blumenwiesen. Färbig angezogen schnaufen sie laufenderweise oder mit ihren Fahrrädern durch den Wald und stören so Wild und Einheimische. »Das Gesindel macht uns den ganzen Wald krawutisch6«, schimpft der alte Max auf der Sitzung der neu gegründeten national-traditionellen Partei Wir sind das Schilcherland von St. Vinzenz. »Es geht um unseren Schilcher, um unsere Tradition, die unsere Väter aufgebaut haben«, schwört Max die Zuhörer ein. »Wer kümmert sich denn um unser Schilcherland? Keiner. Die Südsteiermark frisst die Weststeiermark und wir, das Schilcherland, schauen durch die Finger!« Das Tankstellen-Tschecherl, wie man die Bar an der einzigen Tankstelle neben dem kleinen Supermarkt von St. Vinzenz nennt, ist brechend voll. Das Tschecherl ist der letzte Platz für St. Vinzenzer, die ihre Hoffnungen und Träume verloren haben. Hier können sie sich für einige Stunden mit viel Alkohol von der brutalen Welt draußen erholen. Die Leute jubeln, sie sehnen sich nach jemandem wie Max, der geradeheraus sagt, wo der Bartl den Most holt.7 »Gern würd ich einem Tourismusdeppen einmal den Arsch mit Sauborsten spicken!« Alle lachen und applaudieren. Der Tourismus-Zusammenschluss von Süd- und Weststeiermark durch die Landesregierung empört nicht nur viele weststeirische Weinbauern, sondern auch einfache Bürger von St. Vinzenz. »Ich bin da geboren«, schimpft Max. »Sollen wir auf unsere alten Tage noch umlernen? Ich bin und bleib Weststeirer!« Max ist zugleich auch Hegemeister des Jagdbezirkes und Obmann des Kameradschaftsbundes. Dass er nebenbei auch leidenschaftlicher Hofschlachter ist, verschweigt er manches Mal schamhaft. Viele meinen, er sei ein Rechter, was das auch immer heißt. »Ich bin national-traditionell«, sagt er über sich. Er liebt Traditionen wie viele St. Vinzenzer, die sich am Althergebrachten festhalten. Damit fühlen sie sich sicher. »Und wenn einer denkt, dass das rechts ist, dann bin ich halt rechts, das ist mir wurscht. Ich lass mir von niemandem nicht sagen, was ich zu tun hab. Egal aus welcher Windrichtung!« Mit getrockneten Sauborsten anstatt mit Bleischrot stopft auch Frau Klug, die ebenfalls leidenschaftliche Jägerin ist, manche Patrone. »Wenn einer beim Einbrechen, beim Wildern oder Ruanstoanvasetz’n8 erwischt wird, schießt man ihm so eine Ladung in den Arsch. Das tut saumäßig weh. Das Sitzen geht dann eine Zeit lang nicht! Es ist aber nicht lebensgefährlich. Die Sauborsten eitern mit der Zeit heraus. Es kann auch passieren, dass bei einem Dirndl ein Fremder fensterlt9, der bekommt dann vom Freund eine Portion Sauborsten verpasst.« »Das ist ja wie im Wilden Westen«, sagt Josef erstaunt. »Natürlich ist das nicht erlaubt«, erwidert Frau Klug lachend. »Aber es gibt Gesetze, die nicht niedergeschrieben sind. Wilderer bekommen auch Sauborsten, aber in Richtung Kopf. Schrot ist für solche Verbrecher zu teuer.« Max erklärt seinen Getreuen, wie er die Lage sieht. Denn seiner Ansicht nach kann es nicht sein, dass die Touristen die gemähten Wiesen auf dem Weg zu den Buschenschänken überrennen und überradeln. Die Kleinbauern müssen ihre Wiesen zweimal im Jahr mähen, weil sich Kühe, Schafe und Ziegen nicht mehr rentieren. Danach müssen sie das Gras auf eigene Kosten entsorgen, während die reichen Buschenschänken nichts dazuzahlen, aber Länge mal Breite verdienen. »Das haben wir von unserer depperten Hetzerei bei den EU-Verhandlungen«, sagt Max. »Da hat man vor lauter Wichtigtuerei auf die Kleinen vergessen. Jetzt wartet die Politik, bis sich’s von selber löst. Zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. Und so verschwinden die Kleinbauern für immer. Dabei hat alles, was jetzt kaputt gemacht wird, einmal unsere schöne Heimat ausgemacht, und jetzt wird das letzte Eigene ausradiert durch den Zusammenschluss von den Oberen, die keine Ahnung von uns haben!« Der Applaus im vollbesetzten Tschecherl ist ihm sicher. »Ach, lassen wir das, sonst geht mir noch das G’impfte auf10, es hilft ja eh nix!« Max bestellt sich noch einen Schilcher-Spritzer. Auch Bürgermeister Lukas Loch von St. Vinzenz ahnt, dass sich da beizeiten ein gewaltiges Problem anbahnt. Er als Bauernsohn war gegen den Zusammenschluss, konnte sich aber nicht durchsetzen. Eine Bürgerabstimmung zu machen, hatte er sich nicht getraut. Wie sollte er auch gegen die Übermacht der Landespolitik und der Weinbauern ankommen? Zur Buschenschank-Saison wird auf den schmalen Straßen von St. Vinzenz links und rechts alles wahllos zugeparkt. Sogar Einsatzfahrzeuge kommen kaum durch. »Wenn ich einmal ein Problem hab und die Rettung kann nicht zu uns, dann bist du tot!«, sagt Max zum Bürgermeister. Max hat von seinem Haus eine herrliche Aussicht über die Weststeiermark. Aber der Kleinkeuschler ist zwischen den Buschenschänken förmlich eingeklemmt und in der Hauptsaison völlig zugeparkt. So kommt, wie meist, wenn zu lange weggeschaut wird, zum richtigen Zeitpunkt das Falsche daher. Plötzlich werden um St. Vinzenz Touristen angepöbelt, erschreckt, gar verprügelt. »Das sind nur Dummheiten einiger Tourismusgegner«, sagt der Bürgermeister. »Klimakasperln, solche Deppen haben wir bei uns zum Saufüttern.« »Dein Wort in Gottes Ohr«, sagt Justus Kurzmann, der Obmann des Tourismus- und Weinbauvereins. »Hoffen wir, dass es so ist! Solche Pöbeleien können wir jetzt im angehenden Frühjahrsgeschäft nicht brauchen!« Die Häufung und die Aggressivität der Vorfälle lassen das Argument des Bürgermeisters nicht lange gelten. Die großen Weinbauern und Buschenschankbesitzer werden unruhiger. In St. Vinzenz gibt es keinen Polizeiposten mehr, auch keine Post und kein anständiges Gasthaus mitten im Ort. Wenn jemand die Polizei braucht, muss die westliche Bezirkspolizei aus Deutschlandsberg oder die südliche aus Leibnitz anrücken, und die schätzen die Lage ein wie der Bürgermeister. »Das sind Leut, die immer gegen alles sind, wobei sie auch mit manchem recht haben, das muss man ihnen lassen«, sagen Einheimische hinter vorgehaltener Hand. Auch Josef geht mancher Tourist ziemlich auf den Sack. Und wenn er seinen inneren Gendarmen zur Seite schiebt, findet er die Pöbelei der Protestierer sogar ganz lustig. Aber je tiefer es in das Frühjahr hineingeht, desto häufiger und brutaler werden die Pöbeleien. Dicke Äste werden nach einer Kurve über alte Feldwege gelegt, damit die Geländeradler brutal stürzen. Mittlerweile hagelt es sogar Farbbeutel! Und seit Neuestem wird mit Waffen gedroht. Hatten die ersten Übergriffe noch nachts stattgefunden, passieren sie nun am helllichten Tag. Auch unsittliche Belästigungen und Vergewaltigungsversuche soll es geben. Erste Medien schnüffeln schon vor Ort herum. Bürgermeister Loch will nicht, dass irgendjemand den porösen Frieden seiner Gemeinde stört. Es geht um seine Macht, die er sich mühsam erarbeitet hat. Die Balance zwischen Ordnung und Unordnung in seiner Gemeinde funktioniert bis dato ganz gut. »Besserwisserei oder offenen Widerspruch, das ist das Letzte, was ich brauch«, beichtet er seiner Frau Maria. Der Druck der großen, reichen Buschenschankbesitzer wird aber täglich stärker. »Unternimm endlich was«, faucht Justus Kurzmann den Bürgermeister an, »bevor wir es tun!« Der Bürgermeister weiß, wozu Kurzmann fähig ist. Er hat seine Vereinsmitglieder in der Hand. Was er an Raffinesse zu...